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Preis der Leipziger Buchmesse

Vor der Auszeichnung kommen die nominierten Autoren deutschsprachiger Gegenwartsliteratur nach Hamburg und lesen aus ihren Werken.

115 Verlage haben dieses Jahr 405 Titel ins Rennen um den Preis der Leipziger Buchmesse geschickt: ein großer, bunter Blumenstrauß deutschsprachiger Gegenwartsliteratur. Den musste die siebenköpfige Jury, bestehend aus Journalisten und Literaturkritikern, erst mal zerpflücken, sortieren, lesen und bewerten – eine ordentliche Mammut-Aufgabe. Je fünf Bücher haben die Juroren nun für die Kategorien Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung nominiert. Laut dem Jury-Vorsitzenden Hubert Winkels soll ihnen in diesem Jahr die Auswahl aus guten Büchern aber gar nicht so schwer gefallen sein: Es habe sich wohl schnell eine kleine, aber feine Spitzengruppe an Büchern und Autoren abgezeichnet, die den Preis verdienen würden. In der Kategorie Belletristik fiel die Wahl der Jury auf die Debüt-Autorin Ursula Ackrill und ihren Roman Zeiden, im Januar, außerdem auf Teresa Präauer mit Johnny und Jean, Norbert Scheuer mit Die Sprache der Vögel und Michael Wildenhain mit Das Lächeln des Alligatoren. Eine Premiere hat die Shortlist auch zu bieten: Mit Jan Wagner und seinem Gedichtband Regentonnenvariationen haben sich die Juroren erstmals auch für einen Lyriker in der Belletristik-Kategorie entschieden. Bevor aber endgültig entschieden wird, wer von den Nominierten auf der Leipziger Buchmesse Mitte März ausgezeichnet wird, kommen die fünf Autoren am 4. März ins Hamburger Literaturhaus und lesen aus ihren Werken. Dann kann sich jeder Gast sein eigenes Bild von den faszinierenden und unterhaltsamen Blüten machen, die die deutschsprachige Literaturszene so treibt.

Text: Julia Braune

 

„Der Entertainer“

Regisseur Christoph Marthaler schuf ein Sozialdrama als tragikomische Nummernrevue, deren Mittelpunkt die Entertainer-Familie Rice ist.

Die Zeit ist über die ehemaligen Music-Hall-Stars hinweggegangen, außer Trinken und Schwadronieren bleibt der Familie Rice nichts mehr. Ihr von neurotischem Selbstbehauptungsdrang getriebenes Leben wechselt zwischen Geisterbahn und schmissiger Musik-Revue, in der allerdings ein Rohrkrepierer den nächsten jagt. Ein dysfunktionaler Betrieb, dargebracht in perfekt getimter, urkomischer Tragik. Darsteller Michael Wittenborn gibt darin den Oberloser und Music-Hall-Charmeur Archie Rice zwischen lakonischem Grandeur und zynischem Stand-up in der Erscheinung eines abgehalfterten Chris Norman. Doch den eigentlichen Kniff des Abends liefert Bühnenbildner Duri Bischoff. Er zeigt den heruntergekommenen Zuschauersaal des ehemaligen Theaters der Familie Rice. Dessen Bühne spiegelt wiederum in einem kleineren Nachbau jenen Zuschauersaal: ein theatraler Desillusionierungsmechanismus wie ein übergroßes Escher-Bild. Dort tummelt sich eine bizarre Truppe von Rice-Zerrbildern im Hartz IV-Look, die das Geschehen in der vorderen Ebene böse kommentieren. Alle zusammen liefern sie ein mitreißendes, vielschichtiges Varieté à la Malaise aus Vaudeville, Zaubershow, Schlagermief und Musical. Regisseur Christoph Marthaler nutzt die Resignation und den Nihilismus der Familie Rice zu einem Blick auf die kontinentaleuropäische Gegenwart. Am Ende des Stücks Der Entertainer lässt er alle Darsteller gemeinsam im besagten Escher-Bild singend die Treppen auf- und absteigen und löst die Grenze zwischen den Ebenen endgültig auf. Es wird klar: Dieser ganze Theatersaal ist ein umnebeltes Hirn, das Nacht für Nacht die abendländische Wirklichkeit als grelle Groteske albträumt. Grausig gut.

Text: Reimar Biedermann

 

Radio Moscow

Für Freunde des Wah-Wah-Pedals: Beim „Up In Smoke Vol. V – Psychedelic Roadfestival“ spielen unter anderem die amerikanischen Bluesrocker in der Markthalle.

Wer braucht Pilze oder Gras, wenn einen Musik allein in rauschhafte Zustände versetzen kann. Die Chancen stehen gut, dass beim Up In Smoke Vol. V – Psychedelic Roadfestival dieses Klassenziel erreicht wird. Seit 2011 touren jedes Jahr drei bis vier Bands in einem Bus durch Europa, um in unterschiedlichen Städten zu spielen. Psychedelic ist hier das verbindende Merkmal. Diesmal sind es drei Combos, die den großen Saal der Markthalle einnehmen. Colour Haze kommen aus München, stehen für amtlichen Stoner und Psychedelic Rock und präsentieren ihr neues Album To The Highest Gods We Know. Cherry Choke aus Leicester (UK) spielen dreckigen Garagen-Psycho-Rock. Heimlicher Headliner des Abends ist wohl Radio Moscow. Die amerikanischen Bluesrocker blasen einem live die Ohren weg. Das bewiesen Paul Marrone (Drums), Anthony Meier (Bass), Parker Griggs (Guitar/Vocals) bei ihrem letzten Markthallen-Gig im September 2013. Wer dabei war, hört heute noch das Wah-Wah-Pedal in seinen Ohren nachhallen… Auf ihrer Website beschreibt sich das Trio so: „Sie sind keine billige Zeitmaschine, sondern direkte Abkömmlinge des goldenen Zeitalters des Rock ’n‘ Roll.“ Treffender geht’s nicht. 2014 erschien ihr neues Album Magical Dirt – mit einem hübschen Fliegenpilz auf dem Cover.

Text: Lena Frommeyer

 

„Water Makes Money“

In ihrer Dokumentation enthüllen die Filmemacher Leslie Franke und Herdolor Lorenz schwerwiegende Privatisierungsfolgen in der Wasserwirtschaft.

Am 11. Februar feierte Wer rettet wen?, der neue Film von Leslie Franke und Herdolor Lorenz, Hamburg-Premiere im Metropolis. In diesem Werk standen die Geschäfte „notleidender“ Banken im Fokus. Das Resümee der Filmemacher: „Stets geht es nur um das Wohl der Hauptverdiener an diesen Krisen: den mit hochriskanten Spekulationen engagierten Banken.“ Vorgänger dieser kritischen Reflexion der Rettungsschirme Europas war unter anderem der Film Water Makes Money, ebenfalls eine Arbeit von Franke und Lorenz. Am Beispiel der Wasserwirtschaft zeigt der Dokumentarfilm aus dem Jahre 2010 die Folgen von Privatisierungen auf und kritisiert das Modell der Public Private Partnerships. Grob vereinfacht enthüllt das Duo, „wie private Konzerne mit Wasser Geld machen“. Die Doku wurde für den deutsch-französischen Journalistenpreis 2012 nominiert und mit dem Kant-Weltbürgerpreis 2014 ausgezeichnet.

Text: Lena Frommeyer

 

Death From Above 1979

Die kanadische Indie-Rock-Band hat sich nach der Trennung wieder zusammengerauft und präsentiert ihr neues Album „The Physical World“:

Eine gute Sache will man ja nicht zu schnell verbrauchen. Dass Death From Above 1979 zehn Jahre für einen Nachfolger ihres hoch gelobten Debüts You’re A Woman, I’m A Machine brauchten, war dennoch irgendwie übertrieben. Jesse F. Keeler und Sebastien Grainger haben sich für das Album The Physical World wieder zusammengerauft. Nach Keilerei klingt auch die Platte der kanadischen Indie-Rock-Band: Rockmusik aus Bass, Schlagzeug und Gesang, immer noch gut und irgendwie kein bisschen weiterentwickelt. Auch prima. Bliebt zu hoffen, dass sich die Jungs diesmal besser vertragen und es ein wenig flotter zum dritten Album kommt. Also, lieb sein.

Text: Michael Weiland

LIFE AFTER DEATH FROM ABOVE 1979 – Trailer from MEMORY on Vimeo.

 

Joan Miró

After-Work-Führung: Das Bucerius Kunst Forum zeigt in „Miró. Malerei als Poesie“, wie die Literatur das Werk des berühmten Künstlers formte.

Dass man neue Blicke auf alte Dinge werfen kann, hat das Bucerius Kunst Forum schon mehrfach gezeigt. Aus Richtung der Literatur schaut es diesmal auf das Werk von Joan Miró (1893–1983), das farbenfroh, gelenkig und emotional, millionenfach von Postkarten und Kaffeebechern gekapert wurde, das von Frauen und Vögeln in der Nacht erzählt oder von einem Stern, der die Brust einer Schwarzen liebkost. Doch so verzärtelnd Mirós Werk auch wirkt, hat der Spanier sich zeitlebens an neuen Ausdrucksformen und an einer Auflösung des Bildraums abgearbeitet – und war als leidenschaftlicher Leser maßgeblich von avantgardistischer Literatur beeinflusst. Autoren wie Tristan Tzara, Paul Éluard und Robert Desnos gaben sich in seinem Pariser Atelier die Klinke in die Hand, er arbeitete mit vielen von ihnen zusammen und verwandelte immer auch wieder Gedichtesammlungen in Künstlerbücher. Diese sind im Bucerius Kunst Forum in großer Auswahl zu sehen, ebenso wie Zeichnungen und Gemälde Mirós, die zeigen, wie der Maler, vom Krieg ernüchtert und von den Dadaisten inspiriert, die Sprache in kleine Stücke schlug und stattdessen ein ganzes Universum an Bildzeichen auftauchen ließ, die zwar an Schrift erinnern, jede Lesbarkeit aber verweigern.

Text: Sabine Danek

After-Work-Führung: Teilnehmerzahl begrenzt, Anmeldung nicht erforderlich, rechtzeitiges Eintreffen empfohlen

 

John Allen

Drei Singer-Songwriter bespielen die Astra-Stube mit gefühlvoller Musik: der Hamburger John Allen, Jo Bergeron aus Kanada und René Ahlig aus Dresden.

Die Astra-Stube wird einmal mehr zur Bühne für Musik mit Seele – handgemacht und mit viel Gefühl vorgetragen. Drei Künstler statten dem Club unter der Sternbrücke einen Besuch ab. Die kürzeste Anreise hat der Hamburger John Allen (Foto). Seinen Stil verortet er zwischen klassischem Singer/Songwriter, Folk, Country, Punk und Americana. Unter anderem nennt er Bob Dylan als großen Einfluss. Sein neues Album Sophomore erschien im Herbst 2014. Die Nummer zwei ist Jo Bergeron, Singer-Songwriter aus Québec (Kanada). Er tourte kürzlich mit Chris Cresswell (The Flatliners), Joey Cape, und Brian Wahlstrom (Scorpios) durch Nordamerika. Dritter Künstler des Abends ist René Ahlig alias No King. No Crown. aus Dresden, dessen ständiger Begleiter seine Gitarre ist. Vor einigen Jahren brach er alle Brücken hinter sich ab und reiste ans andere Ende der Welt. Diese Erfahrungen lässt er zu gefühlvollen Texten und Melodien werden. Seine neue EP Golden Silver erschien 2015 auf dem Berliner Indie-Label Flix Records.

Text: Lena Frommeyer

 

„Fußball-Quiz“

Die Stunde der Wahrheit: Wer hat das größte Fußball-Wissen? Im Galopper des Jahres (Haus 73) treten mehrere Teams gegeneinander an.

Es ist ja in der Regel nicht wirklich viel los an einem Montagabend in Hamburg. Gar nicht blöd also, sich mit der Wiederaufnahme einer illustren Veranstaltung auf den Wochenanfang zu stürzen. Es geht um die schönste Nebensache der Welt. Nein, nicht Matratzensport, sondern Fußball. Das Fußball-Quiz geht in eine neue Saison. Vier Jahre lang stellte Quizmaster Henning Juergensen seine Fragen im Café Osterdeich in Eimsbüttel. Nun zieht er mit dem Spiel in den Galopper des Jahres, ins Haus 73 ein und bringt Verstärkung mit: Blogger und „ehemaliger Phrasenballsportler“ David Gohla. So läuft der Abend ab: Teams aus maximal fünf Spielern treten gegeneinander an. Es werden 3 mal 7 Fragen gestellt und es gibt ein Schwerpunktthema – diesmal: Werktags unter Flutlicht – Europapokalabende. Wichtigste Regel: Niemand darf Onkel Google um Rat fragen, die Smartphones bleiben in der Hosentasche.

Text: Lena Frommeyer

 

„Creators“

Im Schmidt-Theater sollen Autoren und Komponisten gefunden werden, die den nächsten deutschsprachigen Musical-Hit schreiben.

Auf die Idee, dass es Hamburg an Musicals fehlen könnte, wäre man vielleicht nicht von selbst gekommen. Aber eben weil die Singspiele so beliebt sind, tut immer Nachschub Not. Darum haben die Schmidt-Theatermacher Corny Littmann und Norbert Aust eine neue Veranstaltung ins Leben gerufen: Unter dem Motto „Neue Musicals braucht das Land“ soll der Wettbewerb Creators Autoren und Komponisten ausfindig machen, die für den nächsten deutschsprachigen Musical-Hit verantwortlich zeichnen. Die Bewerbungsphase startete im Sommer vergangenen Jahres, jetzt können Ergebnisse präsentiert werden: Am 2. März findet die erste von drei Vorrundenshows im Schmidt-Theater statt, fünf Produktionen stellen sich dort dem Publikum vor. Dann kürt die Fachjury (Foto) mit bekannten Namen wie Gayle Tufts, Jane Comerford, Tivoli-Hauskomponist Martin Lingnau und dem Vorsitzenden Helmut Baumann bis zu zwei Gewinner. Nach zwei weiteren Vorrunden im April und Mai steigt im Oktober das Finale der besten sechs, die jeweils mit Fördergeldern in Höhe von 10.000 Euro bedacht werden.

 

Kunst aus Kiew

Die Ukraine ist mehr als Protest und Krieg. Im Kulturkreis Torhaus, einer kleinen Burg in Wellingsbüttel, wollen Künstler aus Kiew Horizonte erweitern.

Bis vor Kurzem wusste man im Westen ziemlich wenig über die Ukraine. Auch jetzt beschränken sich die Kenntnisse auf Proteste, Krieg und Politik. Die anderen Facetten des Landes, zum Beispiel ihre Kultur und Kunst, bleiben relativ unterbeleuchtet. Einen Einblick bietet die Vernissage „Kunst aus der Ukraine“ im Kulturkreis Torhaus – mit folgenden Akteuren:

Die Malerin Vira Vaysberg aus Kiew schreibt regelmäßig politische Kolumnen und Kommentare für ukrainische Zeitungen. In Zeitschriften veröffentlicht sie zudem Berichte über die deutsche Kunstszene. Vaysberg malt mit Öl. Neben Einzelausstellungen in Kiew waren ihre Arbeiten oft in ihrer Wahlheimat Hamburg zu sehen, zum Beispiel im HosenStall in St. Georg sowie im Museum für Kommunikation und dem Museum für Hamburgische Geschichte. Die Malerin Lana Svit lebt seit 1995 ebenfalls in Hamburg und malt am liebsten Stillleben mit Ölfarben. Der Maler und Zeichner Olexandr Lirner führt die Tradition der klassischen Avantgarde fort. Auf seinen Bildern ist häufig das alte Kiew zu sehen, das es längst nicht mehr gibt – mit verwinkelten Gassen, Altbauten und idyllischen Innenhöfen.

Text: Natalia Sadovnika