Lesezeichen

Güterverkehr

Die Bahn ist frei

Fast so wichtig wie die Elbvertiefung, nur schwerer zu verstehen: Der Streit um die Güterbahnstrecken. Nun gibt es einen Kompromiss.

Politik braucht es simpel. Ein Argument, das nicht für Twitter taugt, taugt nur für Experten. Die Elbvertiefung ist ein Beispiel eines Konflikts, der sich schön politisieren lässt: Umwelt gegen Wirtschaft, Moral gegen Vernunft – das stimmt zwar nicht ganz, aber es ist auch nicht völlig falsch, und das genügt.

Südlich von Hamburg geht gerade, fast unbemerkt von der Öffentlichkeit, ein Streit zu Ende, der für das Land kaum weniger wichtig ist als die Tieferlegung der Fahrrinne. Nur ist dieser Konflikt viel zu kompliziert für eine schlichte Politisierung. Stichwort: Y-Trasse. Zwischen Hamburg, Hannover und Bremen sind die Bahngleise ständig überlastet. Es geht darum, einem Teil des wachsenden Güterverkehrs der Seehäfen Platz auf den Schienen zu verschaffen, damit er nicht noch schneller, als er es ohnehin tut, die Gestalt einer endlosen Schlange von Lkw annimmt.

Seit fast einem Vierteljahrhundert tobt dieser Streit. Zuletzt standen neun Lösungsvarianten zur Debatte, jede von ihnen war nach mindestens zwanzig Kriterien zu bewerten. Das Ganze wurde nicht nur zwischen der Bahn und den Ländern mit ihren unterschiedlichen Interessen ausgetragen – Hamburg und Bremen profitieren, Niedersachsen bekommt den Lärm und den Ärger –, sondern auch noch in einem Dialogforum Schiene-Nord mit Bürgerinitiativen und Umweltverbänden.

Kann das gut gehen? Es ist zum Staunen, aber, ja, es ging gut, viel besser, als es bei der Ausgangslage zu erwarten war. Es gibt nun einen Kompromissvorschlag, er ist in vieler Hinsicht besser als die ursprüngliche Planung der Bahn und vor allem: Er ist ein Kompromiss, den alle Seiten sich gemeinsam erkämpft haben. Ein solcher Vorschlag hat Gewicht, auch wenn am Ende der Bund entscheidet.

Sicher, die Variante, auf die man sich nun geeinigt hat (für Experten: Alpha-Variante), hat Schwächen – wie alle anderen Vorschläge auch. Die Kernidee ist der Verzicht auf neue Verbindungen, der Ausbau vorhandener Gleise und die Verlagerung des Nord-Süd-Verkehrs auf weniger stark beanspruchte Strecken im Osten und im Westen. Dort wird es nun voll, stellenweise wohl zu voll, und die Leidtragenden saßen nicht mit am Tisch. Das ist die hässliche Seite dieses Kompromisses.

Die schöne: Die neue Variante kostet weniger als die ursprünglich geplanten Gleise, und sie leistet in einer Hinsicht sogar mehr als diese: Sie trägt dazu bei, mehr Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern.

Also alles gut? Na ja. Der Güterverkehr auf der Straße nimmt ja weiter zu, verlagert wird bloß ein Teil des künftigen Zuwachses. Klimaschutz in Deutschland heißt eben: Am Ende lautet die beste Nachricht, dass es schlimmer hätte kommen können.

Und die Hamburger sollten sich fragen, wie sie ihre Interessen besser vertreten können. Das Land hat so lange an der ursprünglichen Planung festgehalten, dass es am Schluss allein dastand und keine Verbündeten für einen neuen, viel zu spät entwickelten Vorschlag fand – der dann am Ende auch keine Rolle mehr spielte. Damit kann hier niemand zufrieden sein.

 

Justiz

Der Brandbrief der Richter

Durch ritualisiertes Jammern mehr Ressourcen zu ertrotzen hilft keinem. Lieber sollte man diskutieren, wo gespart werden kann und wo nicht.

Zwei Straftäter werden aus der Untersuchungshaft entlassen, weil das Revisionsverfahren nicht schnell genug voranschreitet. Die Opposition beklagt die Überlastung der Justiz, die Justizbehörde stellt elf neue Richter ein. Ist nun alles wieder gut? Weiter„Der Brandbrief der Richter“

 

Kommentar Schulterkameras

Film ab

Polizisten schalten in heiklen Situationen eine Schulterkamera an: Es gibt viel, was für diese Idee spricht. Harmlos ist sie deshalb noch lange nicht.

Es mag nun seltsam erscheinen, da Geheimdienste unsere E-Mails scannen und Bürger ihre Ein- und Ausfälle bei Facebook zur Schau stellen, dass man über Schulterkameras für Polizisten noch streitet. Kleine Geräte, die kurze, aber möglicherweise heikle Begegnungen zwischen Hoheitsträgern und Bürgern dokumentieren – was, bitte schön, spricht dagegen? In Hessen, heißt es, habe sich die Technik bewährt, in Hamburg wird sie jetzt ausprobiert – na und? Weiter„Film ab“

 

Unter Filzverdacht

Es gibt gute Gründe, Personalentscheidungen der Regierung zu misstrauen. Aber nicht alles, was seltsam wirkt, ist schon ein Skandal.

Auch in der Politik gibt es, was Juristen einen Anfangsverdacht nennen: Ein Sachverhalt legt die Vermutung nahe, jemand habe sich regelwidrig verhalten. Hier endet die Analogie aber auch schon: Im Recht folgen dem Verdacht Ermittlungen und erst dann womöglich eine Anklage. In der Politik steht die Anklage am Anfang, die Urteilsbegründung entfällt oft ganz, und dass irgendetwas hängen bleibt, entspricht der Strafe.
Weiter„Unter Filzverdacht“

 

Olympia

Ja, aber

Für ein Referendum über Olympia soll die Verfassung geändert werden. Aber bitte nicht stärker als unbedingt nötig.

Soll die Verfassung geändert werden, um eine Volksabstimmung über eine Olympiabewerbung möglich zu machen? „Ja, wir wollen die Spiele, unwiderruflich!“ – könnten die Hamburger sich in dieser Weise festlegen, wäre das ein starkes Signal an die Adresse des Olympischen Komitees. Bislang aber können nur Bürgerinitiativen, nicht die gewählten Abgeordneten ihre Pläne zur Volksabstimmung stellen – deshalb der Plan, die Verfassung zu ändern. Weiter„Ja, aber“

 

Gefahrengebiet

Schluss mit dem Theater

Das „Gefahrengebiet“ in der Sternschanze war eine politische Inszenierung – die letzte ihrer Art, wenn es nach dem Oberverwaltungsgericht geht.

Die Polizeiaktionen in einem angeblichen „Gefahrengebiet“ im Schanzenviertel Anfang vergangenen Jahres stellt man sich am besten zusammen mit linker Randale und Bürgerprotest als doppelte Inszenierung vor: eine Bühne, aber zwei Ensembles, die vor zwei unterschiedlichen Arten von Publikum auftreten. Weiter„Schluss mit dem Theater“

 

Koalitionsvertrag

Der Fünfjahresplan

SPD und Grüne haben sich auf eine vorsichtige Modernisierung der Stadt verständigt. Gute Idee – aber am Ende kommt es ohnehin anders.

Schon das Wort führt in die Irre: Koalitionsvertrag, das klingt nach Verbindlichkeit, nach fest umrissenen und einklagbaren wechselseitigen Verpflichtungen. Zwei Parteien, SPD und Grüne, stecken ihre besten Leute sechs Wochen lang in eine Klausur, und am Ende kommt ein Fünfjahresplan für die Zeit bis 2020 heraus. Wer an Koalitionsverträge und Fünfjahrespläne glaubt, der könnte sagen: Jetzt muss der Plan bloß noch umgesetzt werden. Weiter„Der Fünfjahresplan“