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Muslime umarmen den Papst

 

In Regensburg, nicht in Rom, hat das Pontifikat von Benedikt XVI. begonnen. Dass es den Professor Ratzinger nicht mehr gibt,  hat der Papst nach seiner Rede in der dortigen Universität schmerzhaft zu spüren bekommen.

Ein Papst kann sich nicht einfach den Professorenhut wieder aufsetzen. Die gewalttätigen Reaktionen auf die Regensburger Rede haben Benedikt gezeigt, dass er in einem anderen Sprachspiel angekommen ist, in dem man mit höheren Einsätzen spielt.

Sein Türkeibesuch wenige Wochen später zeigte, wie schnell dieser Papst in seine neue Rolle als Brückenbauer im globalen Kulturkampf wachsen musste.
In Regensburg hat ein Lernprozess mit offenem Ausgang begonnen. Es ist ein Prozess auf Gegenseitigkeit, wie eine Aufsehen erregende neue Veröffentlichung zeigt.

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Im Oktober bereits hatte das amerikanische Magazin Islamica einen Brief von 38 muslimischen Gelehrten an den Papst veröffentlicht. In seiner soeben erschienenen neuen Nummer legt Islamica nun noch einmal nach: Das neue Heft bringt einen ausführlichen Kommentar der Papst-Vorlesung und eine wohl informierte Analyse über Benedikts Verhältnis zum Islam.

Die beiden großen Texte sind geprägt von einem fairen Ton, der  Eifer und Retourkutschenlogik meidet. Es geht hier wirklich um einen „ehrlichen Dialog“, wie das Editorial betont.
Und mehr als das: Die beiden islamischen Gelehrten suchen bei aller Kritik im Detail die Allianz mit der römischen Kirche. Welch eine erstaunliche Wendung: Papst Benedikt, vor Monaten noch als „Kreuzritter“  gescholten, sieht sich nun wiederholt von islamischen Gelehrten umarmt.
Aref Nayed, ein früherer Professor des „Päpstlichen Instituts für arabische und islamische Studien“ in Rom, ruft die Muslime auf, die positiven Züge der Vorlesung zur Kenntnis zu nehmen. Der Papst sei zu rühmen für seine Betonung „der Notwendigkeit, den Begriff der westlichen Vernunft so zu erweitern, dass der Beitrag der Offenbarungsreligion gewürdigt werden kann. Die anti-positivistische Kritik des westlichen Vernunftbegriffs kann und muss von vielen Muslimen geschätzt werden.“

Nayed kritisiert den Papst, er werte die  koranische Verpflichtung zur Gewaltlosigkeit („kein Zwang im Glauben“) ab, indem er sie als historisches Produkt der anfänglichen Machtlosigkeit Mohammeds und seiner Anhänger betrachte: „Statt diese Regel zu preisen und die Muslime aufzurufen, ihr gerecht zu werden, tut der Papst eine wichtige koranische Quelle der Vernunft ab, indem er sie als eine islamische Verstellung sieht.“
Nayed verweist zu recht auf die Gewaltgeschichte des Christentums mit den unter der Folter erzwungenen Konversionen und Geständnissen zu Zeiten der Inquisition. Und er analysiert sehr scharfsinnig den „Hegelianismus“ der Papst-Rede, der den katholischen Glauben als geschichtsphilosophische Synthese aus Christentum und griechischer Vernunft entwickelt, die alle anderen Synthesen für unmöglich oder unwert erklärt.

Nicht nur für die muslimisch-hellenistische Vernunft früher Theologen wie al-Farabi und Avicenna streitet Nayed, sondern bemerkenswerter Weise auch für das jüdisch-hellenistische Denken des Philo von Alexandia – als zwei andere Wege, Glaube und Vernunft zu versöhnen.

Aref Nayed weist Benedikts Vision des katholischen Kern-Europa als eines reinen Produkts  griechisch-christlicher Synthese zurück. Nicht aus Christenfeindlichkeit und Anti-Europäertum, sondern weil er für einen Platz des Islam im europäischen Erbe kämpft. Nayeds Islam will sich nicht auf die Position des ganz anderen  verweisen lassen, sondern verlangt nach Anerkennung.

Dass Gott im islamischen Verständnis als transzendentes Wesen nicht durch die Vernunft gebunden sei, bedeute nicht den „Willkür-Gott“, wie Benedikt behaupte. Gott ergebe sich vielmehr freiwillig in die Grenzen der Vernunft und beglaubige mit dieser Gnade, wie sehr er die Vernünftigkeit im Glauben schätze und den Gläubigen empfehle.
In einem großen Essay über die Islampolitik Benedikts empfiehlt Abdal Hakim Murad von der Universität Cambridge eine Allianz der Muslime mit der katholischen Kirche. Die wirkliche Gefahr für die Muslime Europas komme von gottlosen Rechtspopulisten, nicht von dem erneuerten Konservatismus des Papstes Benedikt, der in seinem Kampf gegen den modernen Relativismus, für traditionelle Werte und die Heiligkeit des Lebens den meisten Muslimen aus der Seele spreche:

„It is necessary to convince Muslim communities that despite the rise in Christian rhetoric  in far-right circles, it is conservatives, not liberals, who are our most natural partners in the great task of guiding Europe back to God, and that Razinger’s criticisms are grounded in respect, perhaps even in something approaching envy; not in any kind of racism, or populist chauvinism.“

Es mag sein, dass die Regensburger Rede, statt den Kulturkampf anzufeuern, wie es zunächst schien, am Ende die erstaunlichsten Allianzen schafft.

Einem liberalen Protestanten kann bei diesen Aussichten allerdings recht mulmig werden.