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Eine türkisch-islamische Selbstkritik

 

Ein fantastischer Essay von Hakan Turan, einem jüngeren türkischstämmigen Intellektuellen aus Stuttgart, auf seinem Blog erklärt viel besser als ich das könnte, warum die (meist türkischen) Muslime in Deutschland sich nicht nur kaum für die Islamkonferenz interessieren, sondern überhaupt viel zu passiv dem öffentlichen Diskurs gegenüber stehen.

Was ich besonders beeindruckend finde, ist der ernsthafte Ton der Selbstbefragung, den Turan in diesem Stück anschlägt.

Am liebsten würde ich gleich alles zitieren. Ich belasse es aber bei folgender Passage über die historischen Wurzeln des türkischen Obrigkeitsdenkens und erteile für den Rest einfach einen Lesebefehl:

Es ist dieses grundlegende Misstrauen gegen alles, was sich kritisch oder öffentlich mit den eigenen identitätsstiftenden Begriffen befasst, das eine weitere Beschäftigung z. B. mit DIK obsolet erscheinen lässt.
Nun wäre es erfreulich, wenn skeptische Muslime sich selbst aktiv in die Debatten einmischen würden – jedoch scheitert dies in den meisten Fällen an einem dritten Problem, nämlich am unerschütterlichen Glauben, dass der Durchschnittsmuslim in dieser Welt niemals eine faire Chance bekommen wird öffentliches Gehör zu finden, geschweige denn etwas zu verändern. Geradezu übermächtig erscheinen in ihren Augen die türken- und moslemkritischen Stimmen in Deutschland – boshafte Stimmen, die man unter Schmerzen und Bauchkrämpfen aushalten muss, bis sie verstummen und sich einem anderen Thema widmen.

In ihren Augen muss man lediglich etwas gegen den Islam haben um in Kürze aufzusteigen und bei den Deutschen Gehör zu finden. Dieses Ohnmachtsbewusstsein ist mehr als eine reine Opferhaltung. Es ist Ausdruck eines tief verwurzelten Obrigkeitsdenkens, in dem der Staat und die mediale Öffentlichkeit eine Art transzendente Sphäre darstellen, die von oben herab jederzeit Segen, oder Sturm und Hagel senden kann, die umgekehrt für uns jedoch sowohl unerreichbar, als auch unveränderbar ist – ganz wie die ewige, gottähnliche translunare Sphäre jenseits des Mondes in antiken und mittelalterlichen Kosmologien. Ewig und unveränderlich ist diese Sphäre – so wie auch der türkische Staat seit der Gründung der Republik seinem Volk beigebracht hat, dass der Bürger angesichts des Staates annähernd unbedeutend ist.

Zugespitzt könnte man die kritische Seite des Verhältnisses des türkischen Staates zu seinen Bürgern so beschreiben: Wer sich in der Öffentlichkeit assimiliert genug zeigt, braucht keine Angst zu haben – wer jedoch nicht in das vorgeschriebene Schema passt und öffentlich seine konservative, kurdische, christliche oder jüdische Seite darstellt, riskiert es zum inneren Feind erklärt zu werden, der das System bedroht und mit allen Mitteln des Staates zurechtgewiesen oder bekämpft werden muss. So hat z. B. das anatolische Volk Aufklärung überwiegend als staatlich vorgeschriebene, blinde Assimilation an eine europäische Lebensweise erfahren – ein Weg in die Moderne mit Hut und Walzer statt mit dem Mut zum Gebrauch des eigenen Verstandes.

Es besteht kein Zweifel daran, dass die Vordenker der heutigen Republik gebildete und westlich orientierte und in einem bestimmten Sinn aufgeklärte Männer waren. Das von mir umschriebene Problem betrifft in erster Linie ihr Verhältnis zum Volk und ihre fraglichen Mittel das Volk zu homogenisieren um es für die eigene Lebensweise und Weltanschauung zu gewinnen. Das unangepasste und oft ungebildete Volk erfuhr Kontrolle, Zurechtweisung und gewann den allgegenwärtigen Eindruck, dass der Staat, seine Organe, und die staatsnahen Medien etwas sind, das für das Volk unerreichbar und unkontrollierbar ist und ausgehalten werden muss. Opposition galt dem Volk als aussichtslos und Demokratie und öffentliche Diskursmöglichkeiten als Augenwischerei – wurde nicht der erste in freien Wahlen gewählte Ministerpräsident Adnan Menderes noch 1961 am Ende eines höchst umstrittenen Prozesses, der von der Militärjunta eingeleitet wurde, gehängt? Haben die türkischen staatlichen Instanzen nicht noch bis in die jüngste Zeit hinein oft genug unter entscheidender Beteiligung staatsnaher Medien mit dem Militär gemeinsame Sache gegen das unbelehbare Volk und seine gewählten Vertreter gemacht, statt auf Demokratie und Diskurse zu setzen? Auch wenn sich in den letzten Jahren einiges zum Positiven verändert hat – das Grundmisstrauen zwischen Staat und Volk bzw. den Volksvertretern an der Türkei ist geblieben. Von einer Normalität ist man heute leider noch weit entfernt.

Dieses Obrigkeitsdenken beginnt natürlich nicht erst 1923 mit der Gründung der Türkischen Republik, sondern lässt sich weit in die Zeit des Osmanischen Reiches zurückverfolgen. Es überrascht nicht, dass das Obrigkeitsdenken und der Autoritätsgehorsam heutzutage in den meisten politisch relevanten Kreisen der Türkei, von den religiösen, über die kurdischen bis zu den kemalistischen, verblüffende Ähnlichkeiten aufweist. Und: Dieses Denken ist implizit noch bei dem Großteil der türkischen Jugend in Deutschland verbreitet. Insofern muss man sich auch diese Einflüsse auf die Mentalität vieler Türken hierzulande vor Augen halten, wenn man sich weitere Perspektiven überlegen will. Jedenfalls spricht das hier geschilderte Problem auch nicht für einen überragenden Erfolg des so oft gescholtenen deutschen Bildungssystems – offensichtlich gelingt es den Schulen nicht bei muslimischen Jugendlichen Vertrauen in eine Praxis der demokratischen Beteiligung und des öffentlichen Diskurses zu wecken.

Wow!