Der saudische Autor Turki Al-Hamad muss freigelassen werden!

Turki Al-Hamad ist schon seit vielen Jahren einer meiner Lieblingsautoren. Lange vor dem so genannten Arabischen Frühling hat der saudische Liberale – ja, sowas gibt es – fulminante Plädoyers für eine kulturelle, religiöse und politische Öffnung gehalten. Immer war die Notwendigkeit einer arabischen Selbstkritik sein Thema. Seine Romane über die Entwicklung des Helden Hisham Al-Abir gehören zu den aufregendsten der arabischen Gegenwartsliteratur. Leider konnte ich nur die ersten beiden aus seiner Trilogie lesen, die es auch auf Englisch gibt (der erste – „Adama“ ist sogar mal ins Deutsche übersetzt worden, eine Schande, dass die beiden anderen nicht folgten).

Turki

Ich habe vor Jahren auch einmal versucht, Kontakt aufzunehmen und Turki Al-Hamad als Autor zu gewinnen. Leider kam keine Reaktion. Ich schloss daraus, dass die Lage vielleicht zu heikel war. Es ist eines, die Situation in der arabischen Presse zu kritisieren, die ja vielfach auch aus saudischen Quellen finanziert wird. Und ein anderes, das in ausländischen Medien zu tun.

Nun ist Turki Al-Hamad verhaftet worden. Am 24.12.2012 haben die saudischen Behörden ihn festgenommen. Es gibt keine öffentliche Anklage. Aber man muss annehmen, dass eine Reihe von Tweets den Hintergrund der Verhaftung abgeben. Qantara.de berichtet:

Nicht zuletzt wandte sich al-Hamad in seinen Tweets gegen die in seiner Heimat dominierende, extrem strikte wahhabitische Doktrin: „Weil ich ein Muslim in der Nachfolge Mohammeds bin, lehne ich den Wahhabismus ab“, lautete eine seiner Botschaften, eine andere, noch wesentlich brisantere postulierte: „So wie unser geliebter Prophet einst gekommen ist, um den Glauben Abrahams wieder ins Lot zu bringen, ist nun die Zeit gekommen, da wir jemanden brauchen, der den Glauben Mohammeds wieder ins Lot bringt.“

Provokation und politische Herausforderung für das saudische Herrscherhaus: „Weil ich ein Muslim in der Nachfolge Mohammeds bin, lehne ich den Wahhabismus ab“, ließ Turki al-Hamad per Twitter verlautbaren. Anderweitig hatte al-Hamad sich scharf über den Aufstieg islamistischer Parteien in der arabischen Welt geäußert: „Ein neues Nazitum erhebt sein Gesicht über der arabischen Welt, und sein Name ist Islamismus. Aber die Zeit des Nazismus ist vorüber, und im Osten wird wieder die Sonne aufgehen.“

Die Bundesregierung ist dabei, dem saudischen Königshaus bei der Aufrüstung zu helfen. Sie sollte deutlich machen, dass solche Geschäfte der deutschen Öffentlichkeit schwer zu vermitteln sind, wenn das Land die Menschenrechte mit den Füßen tritt.

Klingt naiv? Ich denke, der vermeintliche „Realismus“ der Stabilitätspolitik hat sich in den letzten Jahren als naiv erwiesen. Im Nahen Osten steht kein Stein mehr auf dem anderen, weil wir auf die falschen Stabilisatoren gesetzt haben.

Da diese Regierung das freiwillig natürlich nicht tun wird, muss die Öffentlichkeit ihr klar machen, dass es nicht gleichgültig ist, ob Autoren wie Turki Al-Hamad mundtot gemacht werden. Das ist eine Lektion zwei Jahre nach dem Beginn des Arabischen Frühlings: Man kann Bücher verbieten, Twitterer wegsperren und Dissidenten foltern. Am Ende nützt es nichts.

p.s. Wer sich über den Autor und seine öffentlichen Interventionen ein Bild machen will, guckt hier.

 

Die arabische Kultur des Todes

Mein saudischer Held Turki Al-Hamad, hier schon öfter präsentiert, hat wieder zugeschlagen in Asharq Alawsat.

Ich übersetze seinen Text hier in Auszügen, damit deutlich wird, in welcher Härte manche arabischen Intellektuellen den selbstkritischen Diskurs führen:

„Überall in der Welt bewegen und entwickeln sich die Dinge dahin, dass jedermann zum Glück der Menschheit beizutragen versucht, während in der arabischen Welt eine Kultur des Todes propagiert wird, die jedermann Tod und Verderben wünscht, der von ihren Regeln abweicht. In der arabischen Welt wird alles vernichtet, das eine Bedeutung hat; das Schöne und Lebendige in den Menschen wird getötet durch sinnlosen Streit und skandalöses Verhalten. Diese Kultur ist für unsere Verwandlung in einen Schandfleck der menschlichen Geschichte verantwortlich.

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Während die Welt auf eine Kultur setzt, die Zukunftshoffnung, Menschenrechte, den Wert eines menschlichen Lebens und des Glücks betont, huldigen einige Teile der arabischen Welt einer Kultur der Todesverherrlichung, Verzweiflung, Rache und Vergangenheitsfixierung. Sie glauben, dass der Mensch nur zum Sterben geboren sei, und dass sein einziger Lebenszweck darin bestehe, ein Opfer zu werden, dessen Blut auf irgendeinem Altar vergossen werden soll.

Für uns ist die Welt nichts als eine Erfahrung, in der es darum geht, ob man gewürdigt oder beschimpft wird. Wir sehen sie nicht als den Ort von Gottes Schöpfung, so dass auch wir aufgerufen sind, das Leben zu verbreiten und das Geheimnis des Lebens neu zu entzünden. Denn unsere Kultur tötet jede Freude, verachtet das Lächlen und begräbt den Lebensgeist. Wir sind Pessimisten, was Freude und Lebensglück angeht, aber Optimisten, wenn es um Krisen und Katastrophen geht….

Von Gott heißt es im Koran, er sei „der Erbarmer, der Barmherzige“, „vergebend“ und „gutmütig“. Und doch hat der Mensch in unserer Kultur keinen Wert..

Der heutige Mensch ist beschäftigt mit der Frage, was er aus der Revolution in der Biologie und der Genetik, aus den Entdeckungen der Chemie und Physik machen kann, während wir uns den Kopf zerbrechen, wer Fußball spielen darf, was von der Religion erlaubt und verboten ist, und ob Erwachsene durch Stillen zu Milchgeschwistern werden.
Beziehungen zwischen Mann und Frau werden nur in einem sexuellen Licht betrachtet, so dass Männer im Verhältnis zu Frauen wie Raubtiere angesehen werden.

Wir klagen die sexuelle Freiheit des Westens an und seinen „moralischen Niedergang“, während sich bei uns alles, was Männer und Frauen angeht, um Sex dreht.
Die Welt sorgt sich um Atomenergie, Umweltverschmutzung und das Ozonloch, doch bei uns erregt man sich über die Frage, ob Frauen den Führerschein machen dürfen, ob wir koedukative Schulen haben sollten und gemischte Unis, Krankenhäuser, Moscheen und Arbeitsplätze.

Die Welt hat die Zeit der Inquisition hinter sich gelassen… Doch manche wollen uns in dieses Zeitalter zurückführen…
Als Europa jene kreuzigte und verbrannte, die es der Häresie für schuldig hielt, versammelte der Kalif Al-Mamun die Vertreter verschiedener Religionen und bat sie, die Dinge zu debattieren, ohne ihre Ideologien den anderen aufzuzwingen.
Doch diese Tage sind vorbei, und nun werden wir von denen geplagt, die offenbar im mittelalterlichen Europa ein Vorbild sehen. All dies im Namen eines gekidnappten ‚Islam’…

Dieser falsche Islam hat nichts zu tun mit der Religion des Propheten, der als Botschafter und als Gnade in unsere Welt geschickt worden war. Die Kidnapper seiner Religion haben ihn getötet, und sie haben Mohammeds Religion getötet.

Wann, wann können wir wahre Muslime sein?“

 

Saudi-Arabischer Intellektueller: Unsere Welt ist ein Freilichtmuseum der Grausamkeit

Die palästinensische Spaltung bringt eine Welle massiver arabischer Selbstkritik hervor, die teilweise schon in Selbsthass übergeht. Hier stellvertretend der schön öfter an dieser Stelle präsentierte Turki Al-Hamad, dessen wunderbare Romane einer Jugend in Riad ich übrigens sehr empfehlen kann:

If the situation continues as it is in the Arab region, the day might come when the whole region is transformed into a living museum of history that the rest of the world could visit in tours to see what the world was like when it was drenched in blood and burdened with vendettas and vengeance, all while remaining unconscious and disconnected from the events unfolding in the outside world. It is a place where man has no value for his humanness alone. His worth can only be regarded though additional attributes whether nationalistic, religious, sectarian, or gender based.

What is happening in this region of the world, which belongs to the rest of the world geographically but does not want to belong to it on a mental level or in terms of lifestyle? It is a region that is living in and is governed by the past. The population of this region, or rather this area that is immersed in the past, believe that they are living in the contemporary world. The reality is that they are living a historical legacy full of blood and hatred that controls every inch of their minds. As such, these people have become a burden on a world that lives in the present moment…

Aus: Asharq Alawsat

 

Saudischer Intellektueller: Palästinenser sind selbst schuld an ihrer Lage

Turki Al-Hamad, der saudische Romancier und Essayist schreibt in der arabischen Tageszeitung Asharq Alawsat:

Here, the Fatah-Hamas relationship is not as important as raising a direct question that has to do with the neglected issue: Where were we, where are we now and who is to blame for the critical situation that the Palestinians are living − especially the average Palestinians, and us with them?

There may be numerous causes that together brought about the present situation, but the bigger share of blame lies on the Palestinians themselves. From Amman – we do not want to mention what happened earlier – to Beirut, Madrid and Oslo, the Palestinians, or rather their leaders, have missed out on chances that most likely could have changed the situation.

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Turki Al-Hamad

Today, they are pointing their guns at one another and shedding their own blood, disregarding the Mecca Declaration and forgetting their oaths in the vicinity of the Grand Mosque for the sake of an ideological difference. They are fighting for a fragile authority or over a cabinet portfolio or a handful of bloody dollars − and then they wonder how their blood is cheap for the enemy even though it already cheaper among themselves. The cause became insignificant because those entitled with it made it so by not living up to the responsibility. For some, this cause even ended up as a profitable trade that is bought and sold for the lowest prices.

The Quran says, “Allah changeth not the condition of a folk until they (first) change that which is in their hearts” (13: 11), and the Bible tells us that God does not help those who do not help themselves. And here lies the gist of the issue… and of everything else.

 

Das Mißtrauen gegen die Muslime

Wieder einmal ein mutiger und klarsichtiger Aufsatz des saudischen Autors Turki Al-Hamad in Asharq Alawsat.
Auszug:

Why do they find us repugnant and actually hate us?

In my belief–and I may be partially or entirely mistaken–is that there are reasons that separate the contemporary Muslim from his world and keep him in a world of his own. This is the underlying cause for the overt or covert revulsion if not the hatred he elicits. Perhaps among the important reasons is the „suspicion“ which the contemporary Muslim (in temporal terms) feels about the contemporary world (in civilization terms), a suspicion that always makes him imagine that this world is hostile to him, being often against his civilization, his culture, his history and his existence. Thus his reaction to the world is tinged with hostility, and this could be translated sometimes into acts of rejection of various types. Or it could lead to an isolation that prompts the other side to reciprocate with suspicion, leading to tension between the two sides.

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Turki Al-Hamad

Whether we talk of the contemporary Muslim in his own country or in the countries to which he has emigrated, to escape from his own country and the inhuman conditions, it is suspicion, doubt, isolation and hostility that are the end result.

The prevalence of a religious or nationalist dissertation in the home countries has contributed to an impression that the others must be hostile and conspiratorial enemies. This is the lesson of history, geography, and most importantly of ideological differences. Therefore the orientation in dealing with the other is that he is „sly“ until proven otherwise.

As to the host countries, the contemporary Muslim is following the very same course that the Jews took at one time: near-total isolation in a district that does not form part of the society or the culture in whose midst he lives. He refuses to merge in the culture of the society to which he has emigrated, even fighting the values of the society and of the state of which they have become citizens. It is legitimate that there should be a special identity for the Muslim in the country to which he has emigrated. This is his right, just as it is a right for all races that leave their homes to settle in other countries.

But to turn this identity into a state of absolute rejection for all the values and principles on which these societies were developed, and to consider that his citizenship comes secondary to his identity, this is what creates the state of suspicion between the Muslim and the rest of the components of the host societies.

 

Ein saudischer Intellektueller verteidigt den Liberalismus

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Dr. Turki Al-Hamad (links)

Ein erstaunlicher Essay des saudi-arabischen Intellektuellen Turki Al-Hamad in der führenden arabischen Tageszeitung Asharq Alawsat vom 21.2.2007:

Thoughts on Liberalism

„For some people, the concept of ‘liberalism’ connotes moral decay and degeneration, an anti-religious attitude and little else. For those who share this perspective, liberalism makes everything permissible and valid leaving no place for religion or morals in a liberal society.

In this view, a liberal society is one built on the pursuit of pleasure and is comprised of individuals who are governed by their physical desires, the love of money and women, instant gratification and nothing more.

(…)

If indeed Western societies comply with the aforementioned description and yet they were able to dominate the world today, of which we are a part of, then it is we who are at the core of this dilemma not the West

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