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Amsterdam brennt weiter

Die Samstagnacht war bereits die sechste Nacht in Folge, in der in Amsterdam Autos brannten. Die Polizei hat bisher keinen der Täter dingfest machen können. Die zuvor Verhafteten, die einen Benzinkanister mit sich herumtrugen, wurden „aus Mangel an Beweisen“ freigelassen.

Berichte hier und hier.

Der Amsterdamer Bürgermeister Job Cohen (Sozialdemokrat) stellt nun in Aussicht, das Kindergeld für Familien zu streichen, deren Kinder in die Krawalle verwickelt sind.  Das Geld müsste dann an einen Sozialarbeiter abgeführt werden, der die Jugendlichen wieder auf den rechten Weg bringt.

 

Scharia und der säkulare Staat

Der New Yorker Philosoph Mark Lilla hat das große Thema der Zeit am Wickel – die Rückkehr der Politischen Theologie als  d a s  Problem unserer Gesellschaften, die doch auf der „Großen Trennung“ (der religiösen und der politischen Sphäre) beruhen. Aus einem neuen Aufsatz, der auf seinem jüngsten Buch „The Stillborn God“ fußt:

The challenge in the Islamic world – and in those Western nations that have large Muslim populations – is much greater. Our working assumptions – that democracy is the only legitimate form of government, that the institutional separation of church and state is necessary, that religion is essentially a private matter, that one should be free to enter or leave a religious congregation at will – are simply not the assumptions of millions of Muslims across the globe. This is not because they do not want good government, or decent societies, or that they are utterly intolerant of other faiths. It is because the political theology of the shari’a is still intact and commands the respect of all pious Muslims – just as the Torah is intact for ultra-orthodox Jews, many of whom reject the legitimacy of the Israeli democratic state. Torah and shari’a are comprehensive laws, and those who believe in their comprehensiveness are obliged to look to them for guidance in everything, including politics. Given the statelessness of diaspora Jews for two millennia, the political-theological potential of the Torah lay dormant, except for occasional outbursts of messianic dreaming, as in the case of Shabbtai Zvi (1626-76). But the political theology of shari’a is highly developed and has been put into practice in Muslim nations for over a thousand years. The Great Separation that eventually extinguished Christian political theology in the West has no counterpart in the Muslim world.

What conclusions are we to draw from this fact? The most important is how little our American assumptions about religion and politics, deriving from the post-Christian Great Separation, will apply to a civilization with a strong, intact tradition of political theology. This is not to say that the Muslim tradition lacks political concepts akin to ours, such as justice, toleration, separation of religious and governmental power, accountability, and the like. How could it, given that all societies face the same basic set of political problems? But the bases of these concepts are wholly different: Muslim political theology derives them from the revelation of the Qur’an, the traditions of the hadith, and the decisions of the community of legal scholars who look to these sources; modern political philosophy derives them from a reading of human nature alone. However much overlap there may be in terms of particular “values” and principles, we are deriving them from completely different sources. And that must be recognized if we are to understand each other.

Der ganze Aufsatz hier.

 

Islamophobofaschisten?

Ein amerikanischer Kommentator dreht die Debatte um Islamophobie und Islamofaschismus noch eins weiter:

„Not all Islamophobes are fanatics. Most, on the contrary, are decent people who just want to live in peace. Islamophobia forms only part of their identity. They grew up fearing Islam, and they still worry about it from time to time, especially during holidays and on certain anniversaries; but many would confess to doubt about just how Islamophobic they feel deep down inside. They may find themselves wondering, for example, if the Koran is really that much more bloodthirsty than the Jewish scriptures (Joshua 6 is plenty murderous) or the Christian (Matthew 10:34 is not exactly comforting).

Unfortunately a handful of troublemakers thrive among them, parasitically. They spew out hatred through Web sites. They seek to silence their critics, and to recruit impressionable young people. Perhaps it is unfair to confuse matters through calling the moderates and the militants by the same name. It would be more fitting to say that the latter are really Islamophobofascists…“

Ich finde, das bringt nichts. Die Ära der Faschismusvergleiche ist vorbei. Es kommt immer nur dummes Zeug und beleidigtes Geschrei dabei heraus.

 

Amsterdamer Bürgermeister: Hier regiert der Mob

Der marokkanischstämmige Bürgermeister von Slotervaart, dem Stadtteil Amsterdams , in dem seit Tagen die Autos brennen, schlägt im Telegraaf harte Worte über die randalierenden marokkanischen Jugendlichen an: „Es sind Jungen zwischen 12 und 23, die weder zur Schule gehen noch arbeiten. Sie knacken bei hellichtem Tag Autos und füllen den Tag mit kriminellen Aktivitäten. Sie wollen schnell reich werden, aber nicht auf legale Art. Es sind ganz gewöhnliche Lumpen, oft noch mit einer Verhaltensstörung.“

Auf die Frage, ob die Jungen an Entfremdung und Sinnverlust leiden, sagt Marcouch: „Das sind keine Jungs, die sich langweilen. Überhaupt, Amsterdam ist eine Weltstadt. Da muss sich niemand lanweilen. Und sie sollen bloss nicht damit kommen, dass es keine Arbeit für sie gibt. Sie können sich morgen bei mir melden. Ich hatte letztens fünfzig freie Stellen als Postbote, und auch im Hafen können sie arbeiten, aber sie wollen es einfach nicht.“

„Die Gruppe hartnäckiger Krimineller ist eigentlich größer, sagt Marcouch. „Aber zur Zeit sorgen etwa dreißig junge Männer für die meiste Unruhe. Wir tun nichts anderes als helfen, aber sie lassen das an sich abprallen. Darum müssen wir sie jetzt härter anfassen. Richter müssen nicht nur das konkrete Delikt in Betracht ziehen, sondern die Personen selbst. Was hat so jemand schon alles auf dem Gewissen? Wenn sie das mit erwägen, dann können die Strafen auch höher ausfallen.“

Ahmed Marcouch ist übrigens gläubiger Moslem und Sozialdemokrat. Ein Porträt meines Kollegen Werner A. Perger hier.

 

Attentat auf Benasir Bhutto

Aus der Tageszeitung Dawn (Karachi) von heute, vor dem Anschlag:

At the press conference in Dubai, Ms Bhutto said she did not fear “militants and extremists”, acknowledging that Afghan and Arab militants as well as those of the Red Mosque had threatened her.

„I don’t believe that a true Muslim will attack me. I believe Islam forbids suicide bombings.“ (…) She said that threats to her life had been whipped up to “intimidate me and the people of Pakistan”.

Benasir Bhutto, Newark,  2004.      Photo: I. Faqeer

 

Ausschreitungen in Amsterdam

Der Polizeichef von Amsterdam, Bernard Welten, hat in einer Fernsehsendung gesagt, er befürchte „Pariser Zustände“ im Stadtteil Slotervaart.

Am Sonntagabend hatte ein 22 jahre alter Mann namens Bilal B. eine Polizeiwache betretren und zwei Beamte mit einem Messer attackiert. Eine Polizistin erschoss den Angreifer. Daraufhin kam es in den folgenden Nächten zu Ausschreitungen. Autos wurden in Brand gesteckt, Polizeibeamte beschimpft und bedrängt.

Gestern nahm die Polizei drei Jugendliche fest, die mit Benzinkanistern unterwegs waren.

Bilal B. war nach Aussagen seiner Familie in psychiatrischer Behandlung. Er soll an Schizophrenie gelitten haben und war auf einer geschlossenen Abteilung, aus der er fliehen konnte. Seine Familie hält dan Angriff auf die Polizeiwache für einen „suicide by cop“.

Es gibt aber noch eine andere Dimension des Verbrechens: Bilal B’s Bruder Abdullah B. war mit Samir A. in Kontakt, der 2006 wegen der Vorbereitung terroristischer Akte verurteilt wurde. Samir A. wiederum hatte Kontakt zu Mohammed Bouyeri, dem Mörder Theo van Goghs. Es ist nicht bekannt, ob und wenn ja wie sehr, Bilab B. in diese dschihadistischen Aktivitäten verstrickt war.

Während die Niederlande noch über der Frage rätseln, ob und in welcher Weise Schizophrenie und Dschihadismus bei der Tat als Motive ineinander wirkten, nutzen die Radalierer von Slotervaart das Ereignis als willkommenen Anlass, die Strassen unsicher zu machen. Etwa 35 Randalierer zwischen 12 und 17 Jahren, die öfter bereits aufgefallen sind, sollen den harten Kern bilden. Dass daraus eine größere Unruhe wird, kann der Polizeichef nicht ausschließen.

Der Polizeichef hatte erst am Samstag an der Trauerfeier für den marokkanischen Schüler Youssef Mokhtari teilgenommen, der von einem türkischen Klassenkamerdaen niedergestochen worden war. Auch dies in Amsterdam-Slotervaart.

Ein Polizeichef, der sich in einem Stadtteil seiner Stadt nicht mehr sicher fühlt, eine Mordtat zwischen persönlichem Wahn und politischer Ideologie, brennende Autos. Die neue Europäische Normalität?

 

In eigener Sache

In der nächsten Woche werde ich versuchen, in Pakistan (Karachi) zu erklären, was in Deutschland mit dem Islam los ist. Ausserdem werde ich die Tage dort nutzen, um mit Journalistenkollegen, Intellektuellen, Politikern in Kontakt zu kommen, die mir hoffentlich helfen können, die sich zuspitzende  Lage vor Ort besser zu verstehen. Mehr demnächst hier (aber auch möglicherweise tagelang Sendepause).

 

Für eine islamische Linke

Ali Eteraz, ein junger pakistanisch-amerikanischer Intellektueller, hat eine interessante Serie über „islamische Reform“ im Guardian. Sein fünfter Beitrag in der Serie ruft zur Gründung einer „islamischen Linken“ auf. Ausschnitt:


Ali Eteraz

I recommend creating a viable and well organised Muslim left. It would be an intra-religious movement as opposed to a universalist one (though obviously it doesn’t shun allies). It would be a cousin of the international left, but in a Muslim garb. Just as the Muslim right found Islamic means to justify the destructive ideas from the enlightenment (Fascism, Marxism, totalitarianism, evangelical religion), the Muslim left should find Islamic means to justify the positive ones (anti-foundationalism, pragmatism, autonomy, tolerance).

This Muslim left should also espouse the following basic ideas, without being limited to them:

• separation of mosque and state;
• opposition to tyranny (even if the tyrant has liberal values);
• affirmance of republicanism or democracy;
• an ability to coherently demonstrate that the Muslim right represents merely one interpretation of Islam;
• a commitment to free speech and eagerness to defeat the Muslim right in the marketplace of ideas;
• commitment to religious individualism and opposition to left-collectivism, specifically Marxism;
• opposition to economic protectionism;
• opposing any and all calls for a „council of religious experts“ that can oversee legislation (even if those experts are liberals); and
• affirming international law.

Muslim leftists will – it is a must – have to be able to articulate all of these in Islamic terms, in order to persuade the people who need to be convinced, ie Muslims. This means that a Muslim leftist will, naturally, also have facility in the Muslim traditions. The real-world paucity of individuals with such dual facility is indicative of how far behind Muslim leftism is currently.

 

Eine katholische Antwort auf den Brief der islamischen Gelehrten

Die morgige ZEIT enthält eine Analyse des hier vorgestellten Offenen Briefes der 138 islamischen Gelehrten durch Professor Christian W. Troll. Der Ratzingerschüler und Jesuit Troll ist seit Jahrzehnten im christlich-islamischen Dialog engagiert. Er hat die Deutsche Bischofskonferenz und den Vatikan immer wieder in Fragen des Islams beraten.


Christian W. Troll SJ

Troll hat in den sechziger Jahren Arabisch gelernt, Islamwissenschaften studiert und dann selbst auch (u.a.) in New Delhi und Ankara unterrichtet. Ich empfehle nachdrücklich Trolls Buch „Muslime fragen, Christen antworten“ und das kurze und konzise „Als Christ dem Islam begegnen“. Das erstere ist auch komplett online lesbar, unter anderem auch auf Türkisch.

Hier ein Ausschnitt aus Prof. Trolls Reaktion (mehr an einem Kiosk Ihres Vertrauens):

„In der 1400-jährigen Geschichte der muslimisch-christlichen Beziehungen hat es eine solche Initiative noch nicht gegeben: 138 muslimische Führungspersönlichkeiten und Gelehrte haben zum diesjährigen Fest des Fastenbrechens einen Offenen Brief und Aufruf veröffentlicht. Die Regensburger Vorlesung des Papstes erweist sich offenbar trotz oder gerade wegen ihres provokativen Gehaltes als fruchtbar. Vor einem Jahr bereits hatten 38 muslimische Gelehrte an Papst Benedikt geschrieben. Nun scheint sich ein dauerhafter Dialog auf breiter Grundlage zu entwickeln…

Die Gelehrten stellen die »allumfassende, konstante und aktive Liebe Gottes« als das zentrale Gebot aller drei monotheistischen Re­li­gio­nen heraus. Das ist bemerkenswert, zumal das Schreiben dazu nicht nur Texte des Korans, sondern auch der jüdischen und christlichen Bibel heranzieht. Seltsam berührt dann allerdings, wenn die Gemeinschaft der jüdischen Gläubigen in diesem Aufruf einfach übergangen wird, obwohl das Schreiben deren kurze Bekenntnisformel in Deuteronomium 6, 4–6 als den »Zentraltext des Alten Testaments und der jüdischen Liturgie« bezeichnet. Diesem Text aber verdanken sich – richtig verstanden – sowohl das Neue Testament wie auch der Koran. Kann es eine tragfähige muslimisch-christliche »Übereinkunft« und fruchtbare Zusammenarbeit der Monotheisten auf der Basis des Doppelgebotes der Liebe geben – ohne Einbeziehung der jüdischen Gläubigen?
Allein die Tatsache, dass dieses Schreiben auf biblische Texte eingeht, die wortwörtlich autorisierten jüdischen und christlichen Bibelübersetzungen entnommen sind, ist aufsehenerregend. Deutet sich hier etwa ein Bruch mit der klassischen muslimischen Lehre an? Nach dem Koran gelten die Heiligen Schriften der Juden und Christen ja eigentlich als Dokumente der »Korruption« (tahrīf) der Überlieferung – mit der Folge, dass Muslime diesen Texten die Zuverlässigkeit absprechen und sie deshalb auch nicht als gemeinsame Grundlage für den Dialog anerkennen. Das Buch der Psalmen wird zum Beispiel von Muslimen weder liturgisch noch privat rezitiert, obwohl der Koran wiederholt von den Psalmen spricht, die David gegeben wurden. So darf gefragt werden: Suchen die Autoren des Schreibens die aus der Bibel zitierten Texte wirklich aus ihrem eigenen, biblischen Kontext zu verstehen und zu interpretieren? Oder könnte es sein, dass diese im Schreiben zitierten biblischen Texte von den muslimischen Autoren nur insofern als autoritativ akzeptiert und zitiert werden, weil sie vermeintlich mit dem Koran ganz und gar identische Aussagen machen? Die zitierten biblischen Texte wären dann für Muslime und alle übrigen Menschen deshalb als offenbart und damit normativ zu akzeptieren, weil und wenn sie genau dasselbe sagen wie die entsprechenden Texte des Korans. Wie dem auch sei, die äußerst wichtige islamische Lehre von der willentlichen Veränderung der biblischen Texte durch Juden und Christen wird in diesem Schreiben weder erwähnt noch explizit modifiziert.
Vor allem aber: Auch für dieses Schreiben und seine Autoren bleiben Mohammed, sein Leben und seine Auslegung der koranischen Weisungen Gottes der absolute Maßstab für die korrekte Auslegung des Kerngebots von Gottes- und Nächstenliebe. Mit anderen Worten, Mohammeds Wirken, zunächst aus der Min­der­hei­ten­posi­tion in Mekka und dann als Machthaber in Medina, bleibt maßgebend für die Muslime heute. Die islamischen Gelehrten entnehmen das Motto ihres Briefes einer relativ frühen medinensischen Sure (meist auf die Jahre 624/625 datiert). Sie stellen sich aber nicht dem Problem, dass an die Stelle der einladenden Haltung dieses Verses in späteren Suren eine unduldsame Haltung tritt – wie etwa in Sure 9 mit ihren Kampfaufrufen gegen Juden und Christen.