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Ein Amerikaner unter den Toten auf der Marmara

Ein amerikanischer Bürger mit türkischen Wurzeln ist unter den Toten, die durch die israelische Militäraktion verursacht wurden: Furkan Dogan, ein Neunzehnjähriger, wurde nach türkischen Berichten vier mal in den Kopf geschossen. Das bringt die amerikanische Regierung unter Druck, von Israel Konsequenzen zu fordern.
Unterdessen wird berichtet, dass das irische Schiff Rachel Corrie auf dem Weg nach Gaza ist. Die Geschichte geht also weiter.

 

Gaza-Aktivist: „Ich wollte Märtyrer werden“

Dieses Video des englischsprachigen iranischen Fernsehsenders Press TV, der in seinen Beiträgen die Interessen der Teheraner Regierung vertritt, zeigt einen Teilnehmer der Free-Gaza-Flotte an Decke der „Marmara“.
Er wünscht sich, ein „Märtyrer“ zu werden und hofft, beim dritten Mal werde es gelingen.
Ob sein Wunsch erfüllt werden konnte, ist nicht ersichtlich.

Das Video wurde in diesem Schnitt von der israelischen Armee auf Youtube veröffentlicht.

 

Ein türkischer Blick auf das Gaza-Desater

Der außenpolitische Kopf der regierenden AKP, der Abgeordnete Suat Kiniklioglu, fordert heute in der Herald Tribune eine offzielle Verurteilung Israels durch die USA, eine Bestrafung der Verantwortlichen in Israel – und eine Aufhebung der Blockade Gazas.

Er macht auch klar, dass es hier um den Nahen Osten im Ganzen geht – und dass die Türkei bei dessen Gestaltung gehört zu werden erwartet.

Kiniklioglu ist in Amerika sehr gut verdrahtet. Eine Zeitlang hat er das Büro des German Marshall Fund in Ankara geleitet. Zitat:

„Along with many European nations, the U.N. and global public opinion, the U.S. has a moral responsibility to condemn Israel’s violence.

Turkey is closely monitoring the U.S. response. As Foreign Minister Ahmet Davutoglu noted, this is not a choice between Turkey and Israel. It is a choice between right and wrong, between legal and illegal.

In many respects, the Middle East is approaching an important crossroad. The United States will determine what sort of Middle East it will be dealing with in the future by its response to Israel’s actions. This could not be more urgent given the tension surrounding Iran’s nuclear program, the precarious situation in Iraq and the ongoing war in Afghanistan.

Furthermore, the flotilla raid has once again highlighted that the blockade on Gaza is no longer sustainable or justifiable.

Gaza today constitutes an open-air prison. According to Amnesty International, 1.4 million Palestinians are subject to a collective punishment whose aim is to suffocate the Gaza Strip.

Mass unemployment, extreme poverty and food price rises caused by shortages have left four in five Gazans dependent on humanitarian aid. That is why the Freedom Flotilla wanted to deliver aid. It also wanted to make a point of the need to allow Gazans to trade and interact with the rest of the world.

Turks have welcomed the Jews escaping from the Inquisition in Spain in 1492. Our diplomats have risked their lives to save European Jews from the Nazis. The Ottoman Empire and Turkey have traditionally been hospitable to Jews for centuries.

But we can no longer tolerate the brutal policies of the current Israeli government, especially if they cost the lives of our citizens. The conscience of neither the Turks, nor the international community, can any longer carry the burden of the Netanyahu government’s irresponsible policies. Both Israel and Turkey deserve better.“

Und aus einem weiteren Kommentar der New York Times sticht dieser Satz hervor: „One big winner in this week’s fiasco was the Iranian regime.“ Unter anderem dadurch, dass Israel der iranischen Propaganda in die Hände spielt – und seinen wichtigsten Verbündeten in der islamischen Welt, die Türkei, derart entfremdet. Allerdings hatte Erdogan schon seit der Operation „Gegossenes Blei“ Absetzungsbewegungen von Israel erkennen lassen. Aber warum muss man ihn auch noch antreiben?


 

Der Blick aus Gaza

Dieses lange Gespräch mit einem Bewohner Gazas, der dort für eine katholische Hilfsorganisation arbeitet, habe ich vor wenigen Wochen gesehen. Ich war beeindruckt von der moralischen Klarheit und vom Mut dieses Mannes (der Hamas hier offen kritisiert, obwohl das lebensgefährlich für ihn sein könnte). Angesichts der anhaltenden Debatte hier auf dem Blog über die Frage der Legitimität der Blockade und die Lebensqualität vor Ort kann ich es nur dringend empfehlen.
Mir hat es den Rest an Glauben genommen, dass die Blockade sinnvoll sein könnte.

Quelle.

 

Wer hinter der „Friedensflotille“ steht

Ein ausführlicher Hintergrundbericht heute in der New York Times über die türkische Gruppe IHH, über das Free Gaza Movement und Greta Berlin, die Gründerin.
Zitat:
Ms. Berlin, the outspoken co-founder, is originally from Los Angeles. She was married for 14 years to a Palestinian, with whom she had two children, and for 14 years to an American Jew. She likes to joke and says that makes her the most qualified “anti-Semite.”

But when she is not joking she says that her detractors in Israel are right, that she does not accept Israel as a Jewish state, though she contends that is part of a larger philosophy which opposes all national borders.

“You decide in your life what you are passionate about,” she said. “I happen to be passionate about the Palestinians who have had no rights since 1948.”

Gegen „alle nationalen Grenzen“ zu sein muss man sich allerdings leisten können. Israel braucht Grenzen, die es verteidigen kann. Die Palästinenser auch. Darum muss die Besatzung enden. Wer Israel nicht als „jüdischen Staat“ anerkennt, erkennt de facto Israel nicht an.
Und das ist dann schon ein Problem, wenn man für das Selbstbestimmunsgrecht der anderen Seite eintritt wie Frau Berlin. Ein Selbstbestimmunsgrecht nur für eine Seite ist nämlich keines.

 

Die „Marmara“ und die „Exodus“ im Kampf der Bilder

Der sicherheitspolitische Korrespondent von Haaretz, Yossi Melman, macht einen interessanten Punkt, indem er die israelische Regieurng daran erinnert, dass es auch für Juden einmal wichtig war, eine Blockade zu durchbrechen:

Despite having its eyes wide open, Israel fell into a trap. Israel knew that the organizers of the flotilla wanted to present the Israel Defense Forces to the world as an army that does not hesitate to use force. The flotilla organizers wanted deaths, casualties, blood and billows of smoke. And this is exactly what Israel gave them.

Every child knows that the conflict here is one of consciousness,images, emotion and gut-feelings; not one of justice or logic. Therefore, Israel should have acted differently.

Israel’s decision-makers should have revived memories of Israel’s own history. It shows just how short a historical memory the prime minister, defense minister, chief of staff, and Navy commander all have. They don’t remember the story of the Exodus ship in 1947.

The British Mandate authorities imposed a blockade on the shores ofthe land of Israel and Jewish leaders believed it was their right and their duty to break it. The Jewish immigrants on the Exodus decided to forcefully oppose every attempt to stop them. The Jewish leadership wanted to arouse the world’s conscience and gain a victory in the
battle for international sympathy.

In our day, Hamas leaders believe and act similarly. Without getting into the question of the justification or logic of the blockade imposed by Gaza and its residents, it was indeed clear that it was only natural that Hamas would try to break the blockade by force. They have been doing this by means of the smuggling tunnels and via the sea. It was clear that they saw it as their natural right to oppose attempts to stop the ships.

(…)Israel has played into Hamas‘ hands. It’s not the fault of the young soldiers who obeyed the orders of their commanders. The responsibility lies with the cabinet and the military planners.

No matter how one looks at the conduct of the Israeli government and the IDF, it is hard to understand how stupid and tragic it was. Time and again, Israel tries to prove that what can’t be solved by force can be solved by more force. Over and over, the policies of force fail. The problem is that with each failure, the part of the world in which we would like to belong is losing patience with us.


Hier ein paar Anregungen zu diesem Kampf der Bilder. Der Trailer zu Premingers Film „Exodus“ von 1960. Man beachte vor allem die Szene ab 1:48.

Und hier ein Video, das belegt, wie Hisbollah versucht, die Exodus-Ikonographie zu stehlen:

 

Türkische Zeitung über Israel: „Hitlers Kinder“

In Reaktion auf den israelischen Angriff auf die „Mavi Marmara“ kriecht in der Türkei der Antisemitismus unbehelligt aus den Kellern. Die der regierenden AKP nahestehende Tageszeitung Yeni Safak („Neue Morgendämmerung“) macht heute mit der Zeile „Hitlers Kinder“ auf.

Damit sind die Israelis gemeint, die aus der Marmara ein „Konzentrationslager“ gemacht hätten. Juden als Nazis, das ist ein bekannter Topos der Entlastung und Relativierung: Holocaustleugnung light.

 

Das Massaker an den Free-Gaza-Aktivisten

Der Historiker Götz Aly, einer der führenden deutschen Spezialisten für die NS-Zeit, der sich derzeit in Israel aufhält, schreibt eine Kolumne in der Berliner Zeitung. Ich halte Alys Schärfe trotz der hier dokumentierten Gegengewalt der Aktivisten auf dem Schiff für voll gerechtfertigt:
„Das Massaker, das himmelhoch überlegene israelische Elitesoldaten gestern an wehrlosen Zivilisten angerichtet haben, ist ein feiges Verbrechen, das kein Recht, kein Kriegsvölkerrecht deckt. Bei aller Liebe zu Israel und seinen Bürgern halte ich die Formel „Unverhältnismäßigkeit der Mittel“ für deutlich zu schwach. Das israelische Oberkommando behauptete gestern, die Friedensaktivisten seien mit ein paar Beilen und Messern bewaffnet gewesen. Lächerlich. Eine faule Ausrede. Mögen die Aktivisten tatsächlich diese ‚Waffen‘ gehabt und sogar geschwungen haben, sie bedeuten nichts für Spezialeinheiten, die sich monatelang auf solche Einsätze vorbereiten, mit den modernsten Kampfmitteln ausgerüstet und darauf trainiert sind, zum Beispiel israelische Gefangene unverletzt zu befreien. Verantwortlich ist nicht eine wildgewordene Soldateska, sondern allein die israelische Regierung. Sie hatte tagelang Zeit, eine solche Kommandoaktion angemessen vorzubereiten. Ihr Verhalten spiegelt die Ratlosigkeit eines in sich blockierten Landes und die hinter Hyperaktivismus und starken Sprüchen schlecht verborgene Konzeptionslosigkeit des Kabinetts Netanjahu.“

 

Barak sollte zurücktreten

Tobias Kaufmann ist im Kölner Stadt-Anzeiger der Meinung, der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak müsse wegen der Kommandoaktion zurücktreten – und zwar auch dann, wenn die selbst ernannten Friedensaktivisten vor allem vorhatten, Israel zu provozieren. Ich stimme zu:

„Die israelischen Vorwürfe mögen sogar stimmen. Zypern hatte den Schiffen nicht umsonst das Einlaufen in seine Gewässer untersagt. Und spätestens die Weigerung der Aktivisten, auf die symbolträchtige Überfahrt ins blockierte Gaza zu verzichten und die Ladung der Schiffe statt dessen im israelischen Hafen Ashdod begutachten, ausladen und erst von dort in den Gazastreifen fahren zu lassen zeigte, dass Hilfe für notleidende Menschen frühestens auf dem zweiten Platz der Agenda der Aktion stand. Das erste Ziel war, Israel zu provozieren.

Aber all dies sind bestenfalls Indizien dafür, dass Israel mildernde Umstände geltend machen könnte – die Schuld an der Tragödie auf See kann Israels Regierung nicht abstreifen. Mehr noch: Gerade weil man wusste, wer oder was da auf die Küste zukommt, hätte Israels Marine die Schiffe niemals erstürmen dürfen. Nicht in internationalen Gewässern und nicht mit dem hohen Risiko, dass dabei Schüsse fallen und Menschen getötet werden können. Es ist etwas anderes, wenn Israel Schiffe aufbringt, die voller Waffen sind oder Komponenten des iranischen Atomprogramms transportieren.

Solche Aktionen mögen völkerrechtlich fragwürdig sein, sie sind aber aufgrund der israelischen Sicherheitslage nachzuvollziehen. Die Kommando-Aktion vom Montagmorgen aber ist nicht nachvollziehbar. Israels Verteidigungsminister Ehud Barak ist nicht mehr zu halten.“