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Meine ersten Türken

Der Vater hatte eine Bitte. Ob ich ihm dieses Blatt bitte fotokopieren konnte, und zwar zehn Mal? Sicher, warum nicht. Ich steckte es ein, ich wollte es in die Stadt mitnehmen, wo das Gymnasium war, und dann im Schweibwarengeschäft die Kopien machen.

Als ich meine Tasche packte, sah ich mir den Zettel an. Es war ein Spottgedicht über Türken darauf, handgeschrieben. Mein Vater hatte es von einem Bekannten bekommen.

Es war das Jahr 1980, und damit ein Zeitalter der Unschuld in den Beziehungen der Deutschen zu „ihren“ Türken. Zumal bei uns in diesem entlegenen, äußerst westlichen Winkel von Nordrhein-Westfalen. Auf unserem Dorf gab es nur eine einzige türkische Familie, die Duraks. Ali Osman war in meinem Alter, sein Name wurde rheinisch Allijossmann ausgesprochen. Sein Bruder Süleyman wurde Sleemann genannt.

Mit Spaniern und Italienern kannte man sich unterdessen aus, und man hatte sich über sie einigermaßen beruhigt (immerhin waren die doch alle gut katholisch). Türken aber waren immer noch relativ neu für uns, nicht nur auf dem Dorf. Günter Wallraff hatte noch nicht einmal angefangen mit seinem „Ali“-Buch.

Mein Vater war Bäckermeister, kein gebildeter Mann, aber auch nicht borniert. Er trieb mich und meinen Bruder als erste in der Familie aufs Gymnasium, er wollte nicht, dass wir auf dem Dorf versauerten. Er war in seinen Lehr- und Gesellenjahren weit herumgekommen. Nicht ganz freiwillig: Sein Teil unserer Familie kam aus dem „Osten“, aus dem heutigen Polen, aus Obergruppe (Gorna Grupa). Man war vertrieben worden am Ende des Krieges, man hatte alles verloren, Vaters Vater war irgendwo im Osten noch am Kriegsende eingesetzt worden und vermutlich gefallen.Wir haben es nie erfahren.

Der Verlust des Vaters und der Heimat hatte meinen Vater zu einem Anti-Nazi gemacht. Nie habe ich von ihm ein schlechtes Wort über die Polen gehört, die unseren Familienbesitz übernommen hatten. Es herrschte bei uns die stille Übereinkunft, dass man sich auch ohne individuelle Schuld über den Ausgang des Krieges nicht zu beklagen habe. Revanchistische oder revisionistische Töne habe ich von meinem Vater nie gehört. Wohl aber von meiner Großmutter, die es nie überwunden hatte, mit fünf Kindern alleine zur Flucht gezwungen worden zu sein. Aber das ist eine andere Geschichte.

Mein Vater hatte keine Sympathien für die Hasstiraden meines Onkels Viktor, der seine schrecklichen Erlebnisse in Stalingrad und danach in russischen Lagern nicht anders als durch liebevoll gehegte Ressentiments gegen alles Nichtdeutsche, gegen „Linke“ und andere Vaterlandsverräter zu bewältigen wußte. Wie er Willy Brandt („Frahm, Frahm!“) hasste! Viktor flirtete mit Neonazi-Ideen, las gelegentlich die National-Zeitung und erschreckte uns Kinder mit Grausamkeiten aus dem Krieg. Mein Vater hat ihn dafür verachtet. Seine Lektion war das „Nie wieder“, was dazu führte, dass mein Entschluss zur Kriegsdienstverweigerung von ihm offen unterstützt wurde, obwohl er politisch entschieden rechts stand. Es war ihm physisch unmöglich, etwas anderes als die Union zu wählen, und was er damit meinte war die offen konservative Linie der Dregger, Kanther, Barzel, Strauss. Dass sein Sohn nicht zur Bundeswehr wollte, begrüßte er dennoch ausdrücklich. Schluß mit dem ganzen Horror, die Deutschen haben auf ewige Zeiten genug Blut vergossen, das war meines Vaters Geschichtslektion. (Später konnten wir uns nicht einigen, als ich für eine Intervention auf dem Balkan eintrat.)

Ich erzähle das, um meinen Schock zu verdeutlichen, als ich dieses widerwärtige Antitürkengedicht in Händen hielt. Vater wollte es in unserer Bäckerei unter den Gesellen verteilen, damit man etwas zu lachen haben würde. Ich weiß nicht mehr genau, was mir im Kopf herumging. Aber schließlich habe ich ihm gesagt, dass ich ihm diese Kopien nicht machen werde. Das hat ihn kalt erwischt, und er wurde sehr wütend. Er schrie mich an. Ich weigerte mich abermals. Es war unser erster wirklich heftiger politischer Streit.

Wir waren selber Fremde auf diesem Dorf. Mein Vater war als Habenichts hierhergekommen und hatte sich hochgearbeitet. Die Ostflüchtlinge wurden nicht herzlich aufgenommen. Sie hatten eine andere, fremde Religion (naja, ob es wirklich eine war oder nicht nur eine Form der Dekadenz, da gingen die Meinungen auseinander), den Protestantismus. Ein Onkel aus der einheimischen katholischen Linie meiner Mutter ermahnte mich einmal, ich solle sehr nett zu den Nachbarskindern sein, sie hätten es nicht leicht: „Die Eltern wählen SPD, sind evangelisch und wollen sich scheiden lassen.“ Das eine Unglück folgte logisch aus dem anderen.

Mein Vater war gezwungen, zum Katholizismus zu konvertieren, um meine Mutter, ein katholisches Dorfmädchen, heiraten zu können. Man fürchtete, dass „Mischehen“ (so nannte man interkonfessionelle Paare damals) die Kinder in völliger Haltlosigkeit würden aufwachsen lassen. Wir hatten ein gutes Leben dort auf dem Dorf in der Eifel, aber wir blieben Fremde. Ich bin mit 18 von dort weggegangen, und mein Weg hat mich halb wieder in den Osten zurückgeführt, und schließlich bin ich sogar zum Protestantismus zurückkonvertiert, den mein Vater aufgegeben hatte. Auch mein Bruder hat das Dorf verlassen. In anderen Worten: Wir waren Fremde, wir blieben Fremde, wir hatten einen Migrationshintergrund. Über die Sprache meiner Oma mit ihren vielen polnisch-jiddisch-westpreußischen Floskeln machte man sich lustig. Sie zahlte es heim, indem sie die „Mischpoche“ heimlich verfluchte. Von den deutschen Menschen aus dem Osten schienen viele zu denken, dass die einer niederen Kultur entsprungen waren.

Ich habe meinen Vater erst sehr viel später als den Flüchtling gesehen, der er bis zu seinem Lebensende geblieben ist, trotz Mitgliedschaft im Schützenverein und Eigenheim. Damals, als ich dieses Gedicht kopieren sollte, habe ich seinen Wunsch, sich auch einmal über andere Neuankömmlinge lustig zu machen, nicht in diesem Zusammenhang gesehen. Heute möchte ich mir das so zurecht legen. Wir haben nie wieder von dieser Sache gesprochen. Es war ihm, scheint mir, unendlich peinlich. Er wußte, dass ich Recht hatte, dass mein Impuls, dieses Spottgedicht nicht zu kopieren, der richtige war. Er hat es auch nicht selber kopiert.

Als ich kurz nach dem Vorfall an meiner Schule einen Arbeitskreis gegen die bei uns sehr starke Neonazi-Gruppe „Wiking Jugend“ gründen half, hat er mich rückhaltlos unterstützt.

Süleyman Durak wurde wenige Jahre später Mitglied im Verein der St. Sebastianus Schützen Vicht, und wenn ich mich recht erinnere, hat er es sogar zum Schützenkönig gebracht.

Ich hatte diese ganze Geschichte vergessen. Am letzten Donnerstag fiel sie mir wieder ein, als ich Ismail Yozgat bei der Feier in Berlin reden hörte. Sein Sohn Halit war von den NSU-Killern umgebracht worden. Es war das erste Mal, dass die gesamte deutsche Öffentlichkeit einen dieser Einwanderer der ersten Generation zur besten Sendezeit reden hörte, einen dieser stummen Menschen, über die zwar viel, mit denen aber bis heute nicht geredet wird.

Yozgat spricht kein Deutsch, er ist in seiner Generation einer von Hunderttausenden, einer wie der Herr Durak aus unserem Dorf. Nun saß er neben der Bundeskanzlerin, die mit ihrer DDR-Vita in ihrem Milieu auch eine Art Einwanderin ist. Ismail Yozgats Sohn sprach nicht nur Deutsch, er hatte auch wirtschaftlichen Erfolg mit seinem Internetcafé, bis seine Mörder plötzlich seinem Leben ein Ende setzten.

Er wolle keine Kompensation, sagte Herr Yozgat, das Geld solle besser in eine Krebsstiftung gesteckt werden. Er wünsche sich die Umbenennung der Straße, in der sein Sohn aufgewachsen war und schließlich ermordet wurde, in Halit-Straße. Er glaube an die deutsche Justiz.

Es ist schade, dachte ich in diesem Moment, dass mein Vater das nicht mehr hat sehen können. Ismail Yozgat hätte auch ihn beeindruckt.

 

 

 

Die „Achse des Guten“ gegen schwule Parasiten

„Achse des Guten“ war einmal ein radikal liberales Blog, stolz darauf, sich keine Denkverbote auferlegen zu lassen und den mittigen Mainstream herauszufordern. Seit Jahren beobachte ich ein Abdriften in eine Ressentiment-Rhetorik – wenn ich denn mal einen Link zurückverfolge, den ich irgendwo finde. Ich vermeide es, diese Seite regelmäßig zu lesen, ebenso wie PI – es bringt einfach nichts. Man regt sich uff und hat nischt von, wie es in Berlin heißt.

Als ich diesen Text las, war ich einigermassen geschockt. Dass Tsafrir Cohens Einsatz für die Menschenrechte der Palästinenser von Broder nicht goutiert werden würde – geschenkt. Man kann auch durchaus der Meinung sein, Gruppen wie medico international, für die Tsfarir arbeitet, seien zu einseitig in ihrem Focus auf die Leiden der Palästinenser unter der Besatzung. Ich teile diese Kritik zwar nicht, aber sie ist natürlich legitim.

Henryk M. Broder aber nimmt nun merkwürdiger Weise eine Meldung von medico über palästinensische Menschrechtsverletzungen zum Anlass, gegen medico und andere NGOs zu polemisieren.

Zitat aus der Mail von medico, die auch Broder aufgreift:

„Erst vor einigen Tagen wurde der Menschenrechtsaktivist Mahmoud Abu Rahma von der medico-Partnerorganisation Al Mezan in Gaza von drei vermummten Angreifern mit Messern verletzt. Die Täter begründeten den Überfall mit einem jüngst von Abu Rahma veröffentlichten Artikel. Darin warnt er vor einem System der Rechtlosigkeit und der Willkür, das entstehe wenn Regierung und Widerstandsgruppen das Recht auf Meinungsfreiheit oder auf physische Unversehrtheit weiter mit Füßen treten.
Die Berichte aus dem Arbeitsalltag der Gazaer Menschenrechtsorganisation sind erschreckend. Sowohl Fatah wie auch Hamas setzen willkürliche Verhaftungen und Folter zur Einschüchterung des politischen Gegners im innerpalästinensischen Machtkampf ein. Al Mezan liegen Hunderte Fälle von Folter sowohl in der Westbank als auch Gazastreifen vor, die in mehreren Fällen mit dem Tod endeten. Die palästinensischen Quasiregierungen verweigern dazu Auskünfte und seriöse Untersuchungen.“

Man kann darauf mit der Retourkutsche reagieren: „Ach, das merkt ihr aber spät!“

(Auch wenn es nicht stimmt, dass medico auf die Menschenrechtsverletzungen der palästinensischen Regierungen nicht hingewiesen hat. Warum sonst sollte sie Al Mezan unterstützen? Zitat von der medico-Website vom Juli 2010:

„Zum anderen sind es aber auch die beiden palästinensischen Verwaltungen, deren despotische Tendenzen gegenüber der eigenen Bevölkerung zunehmen. Dabei werden Einschränkungen von Menschenrechten immer häufiger religiös begründet. Oder mit einem Fingerzeig auf den politischen Gegner. Der Zwist zwischen Fatah, die in der Westbank herrscht und der Hamas im Gazastreifen droht nicht nur die durch die israelische Trennungspolitik verursachte innerpalästinensische Spaltung zu zementieren, sondern führt dazu, dass die beiden palästinensischen ‚Regierungen‘ die Rechte des jeweiligen politischen Gegners mit ‚Sicherheitsgründen‘ begründen, um diese dann systematisch einzuschränken.“)

Dass Broders Darstellung der Arbeit von medico unfair ist – geschenkt.

Abstoßend ist Broders Wortwahl, wo es darum geht, Tsafrir Cohen zu disqualifizieren. Er läßt sich lange und eingehend über Tsafrirs Homosexualität aus. Man wird darüber informiert, dass Tsafrir vor langer Zeit einen Schwulen-Guide für Berlin geschrieben hat, bevor er vor einigen Jahren das medico-Büro in Ramallah übernahm. Was genau das über die politische Zuverlässigkeit Cohens oder medicos besgt, bleibt im Dunkeln. Der Text gipfelt schließlich in der höhnischen Bemerkung:

„Wo sich doch medico international und Hunderte anderer NGOs um die Not leidende Bevölkerung kümmern! Tag und Nacht, von vorne und von hinten.“

Und schließlich heißt es über die NGOs in den palästinensischen Gebieten: „So lange dieses parasitäre Pack nicht von seinem ‚Recht auf Rückkehr‘ Gebrauch macht, wird es keinen Frieden in Palästina geben.“

Der Gegner ist schwul und „parasitäres Pack“ – das ist eine rechtsextreme Rhetorik, die der Broder, den ich einmal kannte, einfach nur widerlich gefunden hätte.

 

 

Ein Aufruf zu etwas mehr Zivilität hier im Blog

Ich möchte sehr darum bitten, dass die Diskussion im Forum etwas weniger polemisch, etwas weniger o.t., etwas weniger unverantwortlich geführt wird.
Es ist z. B. nicht angemessen, das Bekanntwerden einer fremdenfeindlichen Mordserie, nein, korrigiere, das Bekanntwerden eines regelrechten fremdenfeindlichen Terrorismus zum Anlass zu nehmen, über Begräbnisvorlieben von Muslimen zu debattieren.
Wer nicht in der Lage ist, so etwas selber zu beurteilen und zu unterlassen, wird von mir per Hand entfernt.
Ich habe hier eine extrem tolerante Haltung praktiziert, was die Debatten in den Kommentaren angeht. Ich werde das auch in Zukunft so halten, manchmal über das Erträgliche hinaus.
Ich habe die Kommentare der beiden aktivsten Threads deaktiviert. Ich denke, es empfiehlt sich, ein paar Stunden über die Ereignisse zu reflektieren, die in den letzten Tagen bekannt geworden sind, bevor wir hier weiterdiskutieren.
Und übrigens ist es schlechte Übung, fremde Foren zur Selbstdarstellung zu okkupieren. (Im Klartext: Wenn Herr Holm und Herr Brückmeier sich nicht etwas einschränken, werde ich das tun. Erol Bulut: Sie haben hier Platzverbot.)

 

Wie Muslime halfen, die Belagerung Wiens zu beenden

Der Historiker Timothy Snyder setzt sich mit dem Kernstück der Geschichtsphilosophie von Anders Breivik auseinander, dem Bruch der Belagerung Wiens durch die polnische Kavallerie am Kahlenberg 1683. Er spricht von einem muslimischen (und übrigens auch jüdischen) Einfluß auf die die Schlagkraft der „Retter der Christenheit“. Die tatarischen Reiterheere waren die Vorbilder der polnische Truppen, die damals die besten der Welt waren. (Eine Analogie zu diesem Einfluß könnte man in den Kanonen des Urban sehen, mit denen Mehmed 1496 die Eroberung Konsatntinopels gelang – hier war ein chrislicher Ingenieur in Diensten der muslimischen Truppen der kriegsentscheidende Vorteil.) Erfolgreiche Imperien, kann man sagen, können niemals auf völlige Abschottung setzen. Sie dürfen ihre eigene Rhetorik des Kulturkampfes nicht allzu ernst nehmen.

The Polish charge down the Kahlenberg to the besieged walls of Vienna on September 12, 1683 was indeed dramatic. A Turkish chronicler recalled “a flood of black pitch consuming everything it touched.” Who were these Polish cavalrymen, and why were they so fearsome? The Polish state had been in contact with Islam for all seven centuries of its existence. Wars with the Ottomans and their Tatar vassals in Ukraine were commonplace. It was in the setting of Polish and Ottoman battles for Ukraine that Hasidism took shape and gained popularity among Polish Jews. At various points Tatars also switched sides from the Ottomans to the Poles, sometimes having been taken prisoner first, sometimes not. In the Polish-Lithuanian Commonwealth, Tatars printed their holy books (kitab) in a Polish-Belarusian language, using Arabic script. Tatars fought in Polish armies in the defining battles of the age, for example helping to defeat the crusading Teutonic Knights at Grünwald in 1410. They came to form an elite part of the officer class. Muslims were thus among the Polish horsemen who drove the Ottomans from the gates of Vienna.

The Muslim influence upon the rescuers of Christendom went far deeper than this. The very tactics of the Polish cavalry, regarded at the time as the best in Europe, were developed in contact with, and indeed copied from, the Tatars. Polish nobles bore curved swords. The shaved their skulls and grew their mustaches long. Just before the fateful charge down the Kahlenberg, each Polish soldier took a piece of straw, and placed it in his helm. This was an agreed-upon signal, allowing the Austrians to tell the difference between the allied Polish soldiers and the common Ottoman enemy.

Like the Polish-Lithuanian Commonwealth, the Ottoman Empire was anything but a monoreligious state. Both states were based upon a political logic that is no longer possible to follow. Monarchs made durable arrangements with leaders of the various religions practiced in their realms: the Ottoman sultan left Christian matters largely in the hands of the Orthodox Church, whose patriarchs were more powerful under the Ottomans than they had been under Byzantium. Greeks were the traders and the financiers of the Ottoman Empire, and the Ottoman armies, like the Polish ones, were multiconfessional. Although we might think of the Ottoman Empire as Asian in origin, in fact its history begins with Balkan conquests, and most of its Balkan subjects never converted to Islam. These kinds of early modern arrangements, where a weak central state in effect confers authority to local elites in exchange for the ability to tax and wage war, are often regarded as models of toleration.

It is quite wrong, it should go without saying, to imagine some sort of premodern Christian purity in Europe. (…)

 

Die Kommentarfunktion

Sehr geehrte Kommentatoren,

da es in den vergangenen Tagen mehrfach zu Netiquetteverstöße kam, indem Kommentatoren persönlich angegriffen wurden, haben wir uns dazu entschlossen, vorübergehend auf die Vormoderation der Kommentare umzustellen.

Wir wünschen uns sachliche und konstruktive Diskussionen zu den konkreten Artikel- oder Blog-Themen. Das ist jedoch nicht gegeben, wenn statt einer dezidiert inhaltlichen Kritik in respektvollem Tonfall Personen angegriffen und beleidigt werden.

Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich gerne an community@zeit.de

Mit freundlichen Grüßen
Franziska Kelch
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Community Redaktion

 

Funky Osama

Mein Lieblingsfoto des Mannes, der uns ein Jahrzehnt gekostet hat.

Familie bin Laden 1971 in Falun, Schweden bei einem Ausflug. Osama (etwa 14 Jahre alt) rechts eingekreist.

 

In eigener Sache

SWR2 Forum morgen 1705h (auch per Stream)

Was heißt heute Zivilcourage?

Es diskutieren:
Prof. Dr. Margarete Boos, Psychologin, Universität Göttingen und Zivilcourage-Trainerin
Dr. Joachim Gauck, Theologe und Publizist
Jörg Lau, Journalist („Die Zeit“)
Gesprächsleitung: Jürgen Heilig

 

Die vierte Mutation des Antisemitismus

Nicht nur das iranische Fernsehen verbreitet das Gerücht, dass die Juden hinter dem Mord von Alexandria stecken. In ganz alltäglichen Facebook-Debatten trifft man auf Menschen, die eben noch völlig normal schienen und plötzlich anfangen, herzumzuspekulieren, „wem denn bitte schön dieser Anschlag nützt“. Antwort, für diese Sorte Leute offensichtlich: Israel! (Ich habe erstmals jemanden auf Facebook entfreundet, weil er mit solchem Irrsinn kam…)

Aus diesem Anlass empfehle ich eine Rede des britischen Oberrabiners Lord Jonathan Sacks vom letzten Sommer, in der Rabbi Sacks über die vier Mutationen des Judenhasses spricht. Wenn manche Leute von einer Debatte über ein mutmassliches Al-Kaida-Attentat in Alexandria in zwei, drei Schritten schnurstracks bei Israel landen, dann ist offensichtlich, wie aktuelle die Überlegungen zur neuen Mutation des antiisraelisch/antizionistisch drapierten Antisemitismus sind:

We are living through the fourth mutation. It differs from the others in various respects. Number one: the new antisemitism, unlike the old, is not directed against Jews as individuals. It is directed at Jews as a nation with their own state. It is directed primarily against the state of Israel, but it gets all Jews as presumptively Zionist, hence imperialistic, and usurpers and all the rest of it. And all the medieval myths have been recycled; it was Jews who were responsible for 9/11, it was Israel who was responsible for the tsunami, with nuclear underwater testing by Israel. What, you didn’t know this? I always wonder, have they blamed us for the oil spill yet? Just wait, be patient; they’re working on it. So that is the first characteristic which didn’t exist before, because Jews, as a nation state in their own land, didn’t exist before. In other words we have at least 82 Christian nations as part of the United Nations, there are 56 Islamic states, there is only one Jewish state but that, for many people, is one too many. It is far too big – what do the Jews need all that land for? There’s a lovely park in South Africa, with all the lions and giraffes, called Kruger National Park, it’s a really lovely park. The state of Israel is smaller than the Kruger National Park, but it’s too big. So we now have this new form of anti-Zionism about which I think the sharpest comment was made by Amos Oz; he said that in the 1930s, antisemites stood up and sent Jews to Palestine. Today they stand up and say ‘Jews out of Palestine’. They don’t want us to be here, they don’t want us to be there, they don’t want us to be. That is the first difference.

Jonathan Sacks
The second difference is that whereas other forms of antisemitism, especially racial anti-semitism, were carried by national cultures so that you could ask at the time of the Dreyfus trial, is France an antisemitic country? You could ask, is Germany, is Austria, is Italy, is Britain an antisemitic country? In those days, antisemitism was carried by national cultures and so there were some antisemitic nations and there were nations that were distinctly not. But today there is no such thing as a national culture. Today antisemitism, hate and paranoia in general, but antisemitism specifically is carried by the new global media which are extremely focused and extremely targeted so that you can get major incidents of antisemitism in a country that is not antisemitic at all. If we take a slightly different look at it, the suicide bombers of 7/7 were, after all, born in Britain; they lived in Britain, they were educated in Britain, their own friends and neighbours thought that they were perfectly nice people. They didn’t know until after 7/7 and after those video testimonies were shown what deep hatred they had conceived of Britain. So it is very hard to identify and it’s very easy to become very paranoid. America thinks this about Britain: that Britain is an antisemitic country. They don’t realise that there is no such thing any more as antisemitism as a phenomenon of national cultures unless politician decides to make that part of the public discourse of politics. When that happens, as has happened very recently in the case of Turkey, we’re in a very dangerous situation. But the new antisemitism, by and large, is not conveyed like the old.
And finally the legitimisation of it. We often fail to realise that it is not easy to justify hating people, it really isn’t. It is very easy to move people to hate but it is very hard to make them feel that they are justified in hating. And therefore antisemitism has always had to be legitimated by the supreme source of moral authority in a culture at any given time. And what was the supreme source of moral authority in Europe in the Middle Ages? The church, religion. And therefore antisemitism in the Middle Ages was religious. You could not justify hatred on religious grounds in the post-Enlightenment emancipated Europe of the 19th century.
What was the highest authority in Europe in the 19th century? The answer was science. Science was the new glittering paradigm and therefore you will find that 19th century and early 20th century antisemitism was legitimated by two, what we now know to be, pseudo-sciences. Number one: the so-called scientific study of race and number two: the so-called science known as social Darwinism. The idea that, just as in nature, so in society, the strong survive by eliminating the weak.
Today science is no longer the highest authority because, although it has given us unprecedented powers, among those powers is the power to destroy life on earth. So what is the supreme moral authority today? The supreme moral authority since the Holocaust, since the United Nations Universal Declaration in 1948, is human rights. Therefore, if you are going to justify antisemitism, it will have to be by reference to human rights. And that is why in 2001 at Durban, Israel was accused by the human rights NGOs of the five cardinal sins against human rights: racism, ethnic cleansing, apartheid, attempted genocide and crimes against humanity. And those are the three things that make the new antisemitism different from the old.

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Debatte mit Daniel Pipes

Vielleicht von Interesse für die Berliner Leser: nächste Woche werde ich mit dem amerikanischen Islamexperten Daniel Pipes öffentlich diskutieren.
Das „Mideast Freedom Forum Berlin“ und „Scholars for Peace in the Middle East“ laden zu dieser Veranstaltung ein:

„Angesichts des aktuellen Medienechos um die Islamdebatte kann es kein besseres Thema für eine wissenschaftliche Podiumsdiskussion geben, die sich mit der gebotenen Sachlichkeit und akademischen Nüchternheit den komplexen Fragen dieses Zusammenhangs widmet.“

„Das Podium ist mit  Daniel Pipes, Direktor des US-Think-Tanks Middle East Forum und Jörg Lau, Die ZEIT, hochrangig besetzt. Der Veranstaltungsort ist neben dem Bundestags-Bürogebäude im Robert-Koch-Saal in der Dorotheenstr. 96 in Berlin-Mitte.

Wir heißen Sie in Berlin herzlich willkommen am 27. Oktober 2010 um 18:30 Uhr.“

Hochrangig, wissenschaftlich – their words, not mine. Ich werde mein Bestes versuchen.

 

Wiedersehen mit Ramin Jahanbegloo

Dieses Blog habe ich im Frühjahr 2006 zu schreiben begonnen, weil es mich trieb, etwas gegen die Verhaftung des iranischen Philosophen Ramin Jahanbegloo zu unternehmen.
Ich hatte Ramin wenige Monate zuvor in Kairo kennengelernt, bei einer Konferenz der italienischen Initiative „Reset – Dialogue on Civilizations“. Dort war ich beeindruckt davon, wie Ramin über Auschwitz als eine Verpflichtung für jeden Intellektuellen sprach. Er selbst hatte das Lager besucht und stellte sich in Kairo – wo wir über die Nachwehen der Karikaturenaffäre sprachen – gegen den staatlichen Antisemitismus seines Heimatlandes. Und das nach der Wahl von Achmadinedschad! Man muss sich klarmachen, wie mutig das war: alle wollten über antimuslimische Ressentiments sprechen, Ramin stellte das nicht in Frage, aber er machte deutlich, dass Antirassismus eine unteilbare Haltung sein muss.
Er erzählte mir, dass er von Kairo aus nach Teheran zurückgehen würde. Ich fragte ihn, ob er keine Angst vor Repressionen habe. Er antwortete kühl, davon könne er sich als Intellektueller nicht beeindrucken lassen. Wenig später wurde er verhaftet und verschwand für viele Monate im Evin-Gefängnis. Unsere internationale Kampagne für seine Freilassung hat die Haftzeit verkürzt, ist er heute überzeugt.
Ramin war aus Toronto nach Delhi gekommen. Er ist seit einiger Zeit wieder an der Universität von Toronto, wo er schon in früheren Zeiten gelehrt hatte. Er zählt zu der wachsenden Zahl von iranischen Intellektuellen, die das Land verlassen haben und vor einem Ende des sich radikalisierenden Regimes nicht mehr zurückkehren werden können. Die Hoffnung der Chatami-Jahre, ohnehin trügerisch, auf eine Reform von innen, ist spätestens mit dem Putsch des letzten Jahres begraben worden.
Ich war froh, mit Ramin in Freiheit zu essen und zu plaudern, wenn es auch schmerzte sehen zu müssen, dass das Korallenriff des iranischen Exils um eine weitere Schicht wächst.
Ramin sieht den Iran unter dem eisernen Griff der Revolutionären Garden und der klerikalen Mafia auf dem Weg in den religiösen Faschismus. Immer wieder fielen ihm Parallelen zu Nazideutschland ein. Als ich ihm sagte, dass eine Delegation deutscher Parlamentarier auf dem Weg in den Iran sei, um dort über „bilaterale kulturelle Angelegenheiten“ zu sprechen, verzog sich seine Miene. Er lehnt das vollkommen ab und sagt, dies schade der Opposition und werde mit Sicherheit vom Regime ausgenutzt werden. Das ist, als würde man 1936 nach Berlin fahren, um mit Goebbels über Kulturpolitik zu verhandeln.
Ramin ist überzeugt, dass die Sanktionen eine starke Wirkung haben, weil sie dem kleptokratischen Regime der Garden enormen wirtschaftlichen Schaden zufügen. Sie müssen durchgehalten und verschärft werden, um die Risse im Klerus – zwischen ultraradikalen Mullahs und traditionell quietistischen Gelehrten – zu vertiefen.
Die Teheran-Reise von Claudia Roth und Peter Gauweiler schadet diesen Zielen. Es gibt nichts zu verhandeln, solange Dissidenten weggesperrt und deutsche Journalisten unter Vorwänden verhaftet werden. Deutschland macht sich lächerlich mit solchen Initiativen und unterminiert die Grüne Bewegung. Das iranische Regime versteht nur die Sprache der Isolierung, es kann derzeit keinen konstruktiven Dialog geben.
Ramin ist in diesem Geist aktiv geworden, um den „Unesco World Philosophy Day“ zu verhindern, der absurder Weise in diesem Jahr in Teheran stattfinden sollte. Ramin und andere Freunde von „Reset“ haben es geschafft, dass alle namhaften Teilnehmer die Reise nach Teheran verweigert haben. Die Botschaft ist in Teheran angekommen: keine Legitimation des Putschistenregimes, das Wahlen fälscht und Dissidenten im Gefängnis verrotten läßt.