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Der faule Deal mit der arabischen Welt

Thomas Friedman ist zur Recht skeptisch, was den vor uns liegenden Wandel in der arabischen Welt angeht. Er verweist auf den Arab Human Development Report von 2002, in dem die ganze Misere aus Bildungsmangel, Freiheitsentzug und Frauenunterdrückung bereits geschildert wird (und zwar von arabischen Wissenschaftlern), die den arabischen Nahen Osten zurückgeworfen hat. (Damals übersetzte die gesamte arabische Welt jährlich nur ein Fünftel der Anzahl von Büchern, die etwa in Griechenland pro Jahr übersetzt werden). Auch wenn die neue Generation viel Anlass zur Hoffnung bietet, wird es ein steiniger Weg.

Aber dass dieser hier Deal zuende ist, kann nur gut für alle sein:

For the last 50 years, America (and Europe and Asia) have treated the Middle East as if it were just a collection of big gas stations: Saudi station, Iran station, Kuwait station, Bahrain station, Egypt station, Libya station, Iraq station, United Arab Emirates station, etc. Our message to the region has been very consistent: “Guys (it was only guys we spoke with), here’s the deal. Keep your pumps open, your oil prices low, don’t bother the Israelis too much and, as far as we’re concerned, you can do whatever you want out back. You can deprive your people of whatever civil rights you like. You can engage in however much corruption you like. You can preach whatever intolerance from your mosques that you like. You can print whatever conspiracy theories about us in your newspapers that you like. You can keep your women as illiterate as you like. You can create whatever vast welfare-state economies, without any innovative capacity, that you like. You can undereducate your youth as much as you like. Just keep your pumps open, your oil prices low, don’t hassle the Jews too much — and you can do whatever you want out back.

It was that attitude that enabled the Arab world to be insulated from history for the last 50 years — to be ruled for decades by the same kings and dictators. Well, history is back. The combination of rising food prices, huge bulges of unemployed youth and social networks that are enabling those youths to organize against their leaders is breaking down all the barriers of fear that kept these kleptocracies in power.”

 

Libyen: Der Untergang

Als gerade die große Rede aus dem Führerbunker in Tripolis begann, stand ich in der Podbielskiallee 42 in Berlin-Dahlem. Ich habe versucht, den libyschen Botschafter Jamal El-Baraq zu finden. Die Telefone in der Botschaft werden seit Stunden nicht mehr bedient.

Die Website der Botschaft ist von Oppositionellen gehackt worden. Sie enthält nur noch eine Botschaft an Gaddafi in Arabisch und die Nummer eines libyschen Oppositionellen namens el Ghati. Ich habe also Herrn el Ghati angerufen, der es offenbar sehr eilig hat. Er verwies mich weiter an einen Herrn Mohammed Ben Hmeda, der seit den Siebzigern in Deutschland lebt und 1984 vom Regime in absentia zum Tode verurteilt worden ist. Ben Hmeda macht sich große Sorgen um die Gleichgesinnten in Libyen und kritisiert die immer noch zu schwache Position der Europäer. Gaddafi sei „ein Unmensch“, man habe immer darauf hingewiesen. Er müsse gewaltsam gestürzt werden, darum sei es Blödsinn, wie es Frau Ashton im Namen der Europäer getan habe, beide Seiten zur Gewaltlosigkeit aufzufordern.

Es war falsch, sagt Ben Hmeda, Libyen nach Lockerbie zu rehabilitieren und Waffen an das Regime zu liefern. Es sei klar gewesen, dass diese eines Tages gegen die eigenen Leute eingesetzt werden würden.

Zu den europäischen Ängsten vor Chaos und Bürgerkrieg sagt er, diese würden gezielt vom Regime geschürt und seien genauso unsinnig wie die „Lüge, dass der islamistische Fundamentalismus droht“.

Die ganze Familie Gaddafi müsse entmachtet und vor Gericht gestellt werden. Europa müsse deutlich zu seinem Sturz aufrufen. Die Situation in den Straßen von Tripolis sei ein Alptraum: Söldner schössen auf Zivilisten, um Terror zu verbreiten.

Danach sprach ich noch mit Ali Zeidan, einem anderen Menschenrechtsaktivisten libyscher Herkunft, aber in Deutschland geboren. Er erzählte mir, dass die Mitarbeiter der Botschaft in Berlin – sechs Libyer – entlassen worden seien, weil sie sich geweigert haben, für das Regime zu demonstrieren. Er forderte den Botschafter auf, sich vom Regime zu distanzieren wie schon viele seiner Kollegen (bei den UN, in Indien, bei der Arabischen Liga). Morgen um 13 h will Ali Zeidan an einer Demo vor dem Auswärtigen Amt in Berlin teilnehmen.

Gaddafi, sagte Ali Zeidan, habe dem Volk den Krieg erklärt, und sein Sohn habe dies mit seiner Rede bestätigt. Es fehlen dringend Medikamente und in einzelnen Städten auch schon Nahrungsmittel. Die Bundesregierung müsse ein deutliches Statement abgeben, meint er.

Die Oppositionellen sind voller Hoffnung, dass auch in Libyen der Wandel zum Besseren gelingen kann und drängen den Westen, sich nicht von der Propaganda des Regimes einschüchtern zu lassen, dass nach Gaddafi die Sintflut kommt.

Unterdessen bleibt mein Versuch, den Botschafter zu stellen, erfolglos. Keine Reaktion auf meine Anrufe, keine Reaktion in der Botschaft auf mein Klingeln. Ein einsamer, verfrorener Wachtmann schaut mich von ferne  nervös an. In der Podbielskiallee 42 ist das Licht schon aus.

p.s. 5oo Meter weiter unten in der Allee, gleich auf der anderen Seite, ist die iranische Botschaft. Wie gerne würde ich die Gespräche hören, die dort dieser Tage geführt werden.

 

Gaddafis Ende?

Gaddafi ist nach Gerüchten, die in diesen Minuten auf Al-Jazeera kursieren, auf dem Weg nach Venezuela. Auch wenn das nicht stimmen sollte: einleuchtend ist die Vorstellung schon. Chavez und Gaddafi, das odd couple der Weltpolitik. Die beiden verdienen einander.

Aus dem Grünen Buch die Passage zur Frage, wie man gewaltlos gesellschaftlichen Wandel organisieren kann (während Gaddafis Schergen immer noch scharf schießen):

HOW DOES SOCIETY
           READJUST ITS
       DIRECTION IN CASE OF
      DEVIATION FROM ITS LAW?
                  

  If an instrument of governing is
dictatorial, as in political systems in
the world today, the society's vigilance
towards deviation from law will have
only one way to gain readjustment.
That is violence, which means revolu-
tion against the instrument of gov-
erning. This violence or revolution,
even if it is an expression of the feeling
of the society against deviation, is not
carried out by the whole society. It is
undertaken only by those who have the
initiative and boldness to proclaim the
will of the society. However, this
approach is the way to dictatorship, for
this revolutionary initiative increases
the opportunity for an instrument of
governing, representative of the peo-
ple, to arise. This means that the
instrument of governing is still dictato-
rial. Moreover, violence and change by
force are themselves undemocratic,

                  [39]


although they take place as a result of
the existence of a previous undemocra-
tic situation. The society that is still
entangled around this resultant is a
backward society. What, then, is the
solution?
  The solution is for the people to be
the instrument of governing from
basic popular congresses to the Gener-
al People's Congress. The government
administration is abolished and re-
placed by people's committees. The
General People's Congress should be a
national congress where basic popular
congresses, people's administrative
committees, unions, syndicates and all
professional associations come
together. If a deviation from the socie-
ty's law takes place under this system,
it should be dealt with through a demo-
cratic revision rather than by force.
This is not a process of voluntary
choice of the method of change or of
treatment, rather it is an inevitable
result of the nature of such a democra-
tic system. In such a case, there is no
outside group against which violent
action may be directed or which may
be held responsible for deviation.
 

Das Grüne Buch

In der Saison 1987/88 machte der ECD Iserlohn (Eishockey) Werbung für Muammar Gaddafis „Grünes Buch“.

Der Verein ging danach unter.

Der ehemalige Friedensaktivist Alfred Mechtersheimer versuchte 1989, mit libyschem Kapital eine Stiftung zu gründen, um seine national-pazifistischen Ideen zu verbreiten. Heute ist Mechtersheimer irgendwo im rechtsradikalen Sumpf untergegangen.

Gaddafi selbst scheint nun vor dem Ende zu stehen. Er lässt sein eigenes Volk niedermähen.

Vielleicht sollte man das Grüne Buch mal wieder lesen?

 

In eigener Sache

SWR2 Forum morgen 1705h (auch per Stream)

Was heißt heute Zivilcourage?

Es diskutieren:
Prof. Dr. Margarete Boos, Psychologin, Universität Göttingen und Zivilcourage-Trainerin
Dr. Joachim Gauck, Theologe und Publizist
Jörg Lau, Journalist („Die Zeit“)
Gesprächsleitung: Jürgen Heilig

 

Multikulti ist nicht gescheitert

„Lindwurm“ hat den Nagel auf den Kopf getroffen:

„Multikulti“ als „gescheitert“ zu bezeichnen, ist mehr als nur eine populistische Verkürzung, es ist unredlich und objektiv falsch. Die wirtschaftlich, wissenschaftlich und künstlerisch dynamischsten Nationen dieser Erde sind multikulturell, zum Beispiel die USA, Israel, Kanada, Australien sowie fast alle EU-Staaten und, mit Einschränkungen, auch China und weitere Schwellenländer wie Indien oder Brasilien. Dagegen herrscht überall dort, wo eine autoritäre „Leitkultur“ alle kulturellen Einflüsse von Außen zu blockieren versucht, Stagnation und Rückschritt, etwa in den meisten arabischen Ländern, in Nordkorea, Pakistan und generell in Gegenden, in denen man versucht, ideologisch bzw. religiös besonders „rein“ zu bleiben. (…)

Wahr ist, dass sich einige wenige Zuwanderer nicht zu benehmen wissen und dass einige Autochthone Rassisten sind. Wahr ist weiters, dass es reale Probleme gibt mit radikalen Muslimen und radikalen Rechten. „Multikulti“ ist halt kein Utopia, in dem die Schafe bei den Löwen schlafen, sondern ganz normale Wirklichkeit mit all ihren Vor- und Nachteilen.(…)

Wenn diese Politiker in völlig unverantwortlicher Art und Weise gegen „Multikulti“ hetzen, tun sie nichts anderes, als den radikalen Xenophobikern einen Jagdschein auszustellen. Von Staatsmännern (und -frauen) erwarte ich mir doch ein bisserl mehr an Gestaltungsvorschlägen als bloß rechtsextreme Parolen nachzublöken. (…) Zum Beispiel so: Religionsfreiheit ja, Frauenunterdrückung und Dschihadismus nein. Respekt vor fremden Kulturen ja, Respekt vor Barbarei nein. (…)

Hier alles lesen.

 

Jesus and Mo

Für alle, die es noch nicht kennen, großartige Comics auf „Jesus and Mo„. Erstaunlich, aber dieses wahnsinnig witzige Ding gibt es seit Jahren, und es gibt kaum Ärger:

 

Ägypten: Keine Revolution, bloss ein Coup?

Ich bin bekanntlich ziemlich enthusiatisch, was den Wandel in Ägypten angeht. Darum muss ich mir zum Abkühlen Texte wie diese Analyse von Stratfor-Chef George Friedman reinziehen, der kaltblütig Wasser in den revolutionären Wein schüttet:

What happened was not a revolution. The demonstrators never brought down Mubarak, let alone the regime. What happened was a military coup that used the cover of protests to force Mubarak out of office in order to preserve the regime. When it became clear Feb. 10 that Mubarak would not voluntarily step down, the military staged what amounted to a coup to force his resignation. Once he was forced out of office, the military took over the existing regime by creating a military council and taking control of critical ministries. The regime was always centered on the military. What happened on Feb. 11 was that the military took direct control.

Again, as a guess, the older officers, friends of Mubarak, found themselves under pressure from other officers and the United States to act. They finally did, taking the major positions for themselves. The demonstrations were the backdrop for this drama and the justification for the military’s actions, but they were not a revolution in the streets. It was a military coup designed to preserve a military-dominated regime. And that was what the crowds were demanding as well.

(…)

Therefore, we face this reality. The Egyptian regime is still there, still controlled by old generals. They are committed to the same foreign policy as the man they forced out of office. They have promised democracy, but it is not clear that they mean it. If they mean it, it is not clear how they would do it, certainly not in a timeframe of a few months. Indeed, this means that the crowds may re-emerge demanding more rapid democratization, depending on who organized the crowds in the first place and what their intentions are now.

It is not that nothing happened in Egypt, and it is not that it isn’t important. It is simply that what happened was not what the media portrayed but a much more complex process, most of it not viewable on TV. Certainly, there was nothing unprecedented in what was achieved or how it was achieved. It is not even clear what was achieved. Nor is it clear that anything that has happened changes Egyptian foreign or domestic policy. It is not even clear that those policies could be changed in practical terms regardless of intent.

The week began with an old soldier running Egypt. It ended with different old soldiers running Egypt with even more formal power than Mubarak had. This has caused worldwide shock and awe. We were killjoys in 2009, when we said the Iranian revolution wasn’t going anywhere. We do not want to be killjoys now, since everyone is so excited and happy. But we should point out that, in spite of the crowds, nothing much has really happened yet in Egypt. It doesn’t mean that it won’t, but it hasn’t yet.

An 82-year-old man has been thrown out of office, and his son will not be president. The constitution and parliament are gone and a military junta is in charge. The rest is speculation.

Ich bin nicht der Meinung, dass das alles ist. Etwas ist passiert am Tahrir-Platz, und die alten Männer in Uniformen werden es nicht rückgängig machen können. Ich hoffe es jedenfalls. Man sieht es in diesem Clip, der auf dem Platz aufgenommen wurde.

 

Warum die ägyptische Revolution (sogar für Israel) gut ist

Auf dem Tahrir-Platz ist ein Mythos gestorben, der jahrzehntelang die Politik im Nahen Osten bestimmt hat: Wenn erst der israelisch-palästinensische Konflikt gelöst wäre, würden alle anderen Konflikte und Miseren in der Region endlich lösbar. Der bequeme Umkehrschluß lautete, ohne die Lösung der Palästinafrage könne es keine Entwicklung in der arabischen Welt geben.
Nützlich war dieser Irrglaube für alle Beteiligten, außer für die Menschen in Palästina, um die es angeblich ging: Für die radikalen Islamisten zwischen Gaza und Teheran, weil er den Hass auf den jüdischen Staat am Kochen hielt. Für die versteinerten Regime der Region bot er eine Ausrede fürs Stagnation und Unterdrückung zuhause. Der Westen mußte sich , auf den „Friedensprozess“ starrend, nicht mit den skandalösen Zuständen bei den arabischen Partnern beschäftigen. Und Israel rechtfertigte Quertreiberei, Kompromißlosigkeit und forcierte Siedlungspolitik: Es fehlte nur der richtige „Partner für den Frieden“, dann würde sich im Handumdrehen alles wenden.
So wurde der so genannte „Friedensprozeß“ zum unlösbare Konflikt, mit dem sich alle in Wahrheit bestens eingerichtet hatten – und zur Legitimation für Staus-Quo-Denken.
Dieser Deal ist vor aller Augen geplatzt. Die jungen Revolutionäre in Kairo haben keine Israel-Flaggen verbrannt, und keine Palästina-Parolen gerufen. „Wir haben genug von Diktatoren“, sagt die ägyptische Intellektuelle Mona Eltahawy, „die unser Mitleid mit den Palästinensern instrumentalisieren und diesen Konflikt missbrauchen, um unser eigenes Leben auf Eis zu legen.“ Jahrzehntelang war das einzige Ventil für den Frust der arabischen Massen der Hass gegen Israel und den Westen – auch im verbündeten Ägypten. Derselbe Mubarak, der sich als Garant des Friedens anpries und Israel half, die Blockade Gazas aufrechtzuerhalten, erlaubte und schürte gezielt den Israelhass, wenn es ihm innenpolitisch in den Kram passte. Mubarak bekämpfte Islamisten, aber er brauchte sie auch als Rechtfertigung für seine Unterdrückung jeglicher Opposition. Die Wut der Unterdrückten machte sich im Hass auf Israel, den Westen und das mit ihm kollaborierende Regime Luft. Was umgehend wiederum noch mehr Unterdrückung und das Wegsehen des Westens dabei rechtfertigte.
Es kann nicht schlecht für Israel sein, dass dieses Spiel vorbei ist. Es lieferte das beste Propagandamaterial für seine Feinde. Die Menschen vom Tahrir-Platz glauben nicht mehr, was die arabischen Regime und ihre radikalen Feinde unisono gepredigt haben: Dass der Nahostkonflikt der Schlüssel zu ihrer Misere ist. Die Demonstranten sind gegen Unfreiheit, Korruption und Ungerechtigkeit ihres eigenen Regimes aufgestanden. Es ist eine historische Ironie, dass Israel, das sich gerne als einzige Demokratie in der Region preist, nun durch die ägyptische Demokratiebewegung einen Pfeiler seiner Weltordnung wanken sieht. Israeliten an der Seite des Pharaos? Ein Widerspruch in sich.
Nicht nur Israel, sondern alle Beteiligten des „Friedensprozesses“ (der keinen Frieden brachte und längst kein Prozeß mehr war) müssen die Perspektive umdrehen: Könnte es nicht sein, dass nicht der arabisch-israelische Frieden die Voraussetzung für Entwicklung, Wohlstand und Demokratie ist – sondern umgekehrt: Demokratie und eine freie arabische Zivilgesellschaft die Voraussetzung für einen echten Frieden? Jetzt gibt es erstmals eine Chance darauf.
In Israel überwiegen noch die Mahner und Bremser: Heißt Demokratisierung in der Region nicht immer Islamisierung? Wer sichert künftig die Grenze nach Gaza, wo die Hamas, ein Zweig der ägyptischen Muslimbrüder, regiert? Wird ein demokratischeres Ägypten den Friedensvertrag mit Israel einhalten, den die Militärherrscher mit Israel schlossen und vor ihrem Volk nie zu rechtfertigen brauchten?
Das sind wichtige Fragen, wenn auch die apokalyptische Zuspitzung überrascht. Denn das Unerwartete und Befreiende an den letzten Wochen war doch, dass die viel beschworene „arabische Straße“ diesmal nichts von Israel will und auch den Westen nicht hasst.
Es scheint fast, als sei eben dies schwer zu verdauen: Für Israel liegt auch eine narzißtische Kränkung darin, dass Arabien endlich anfängt, sich mit sich selber zu beschäftigen. Doch in langer Sicht kann diese Wende für Israel eine ungeheure Entlastung und den Beginn der ersehnten Normalisierung bedeuten: Die Welt, ja nicht einmal der Nahe Osten, dreht sich nicht um Israel.
Noch überwiegt der Schock darüber, dass die vermeintlich starken Diktatoren schwach, ihre riesigen Geheimdienste ahnungslos und die garantierte Stabilität in Wahrheit brüchig war. Israels Chance liegt darin, nun den Frieden „von unten her aufzubauen“, sagt Natan Sharansky, ein ehemaliger Minister unter Ariel Sharon. Er ist noch eine einsame Stimme: Sharansky, der selber als Jude in der Sowjetunion aufwuchs und als Freiheitskämpfer inhaftiert war, erkennt sich in den jungen Tunesiern und Ägyptern wieder, die ein Leben „frei von Angst und Orwellschem Doppeldenken“ führen wollen. „Wenn die freie Welt den Menschen auf der Straße hilft und sich zu ihrem Alliierten macht,“ sagt er, „statt sich mit Diktatoren zu verbünden, dann gibt es eine einmalige Chance, einen neuen Pakt zwischen der freien Welt und der arabischen Welt zu schließen. Israel wird unter den Nutznießern sein, wenn die Araber sich mit ihren realen Problemen beschäftigen.“
Die ägyptische Armee hat signalisiert, dass sie alle internationalen Verträge garantieren will, also auch den Frieden Ägyptens mit Israel. Das sollte Israel beruhigen – und für die kommende Herausforderung stärken, die ein demokratischer Wandel mit sich bringt. Statt eines Friedens allein mit den Generälen wird man Frieden mit 80 Millionen Ägyptern schließen müssen. Und mit den 4 Millionen Palästinensern, die auch frei von Angst leben wollen.

 

Ankara, Teheran, Kairo

Am 11. Februar, dem Jahrestag der Iranischen Revolution, hat Präsident Achmadinedschad diese Rede gehalten, in der er wieder gegen Israel hetzt. Er spricht in bewährter Manier von einem „satanischen“, „verbrecherischen zionistischen Regime“, das der Ursprung allen Übels in der Region sei. Die westlichen Mächte der Finsternis, die es dort installiert haben, werden freundlich gebeten, das „verbrecherische, teuflische Regime“ auch wieder zu deinstallieren.
Es ist übrigens der selbe Tag, an dem die Demokratiebewegung in Ägypten Mubarak zum Teufel jagt. Eine Bewegung, die mit dem verlogenen Anti-Israel-Spiel bricht und sich um die Missstände daheim kümmert: Unfreiheit, Korruption, Ungerechtigkeit. Kairo, Tahrir, das ist in gewisser Weise das Gegenteil von dem was Machmud A. auf dem Azadi-Platz in Teheran inszeniert (der auch nach der Freiheit benannt ist). Eine postislamische, post-postkolonialistische Revolution junger Leute, die sich nicht von der Welt abschotten, sondern endlich Anschluss an sie finden wollen.

Und so ist es nur folgerichtig, wenn in Teheran gestern gerufen wurde: „Mubarak, Ben Ali, der nächste ist Seyyed Ali.“ (i.e. Khamenei)
Um noch einmal auf die Türkei zurückzukommen: Präsident Güls Besuch – 4 Tage im Iran mit über 100 Geschäftsleuten – ist unter den derzeitigen Umständen ein Skandal. Von mindestens einem Toten bei den Protesten im Iran wissen wir bisher. Wie kommt die Türkei dazu, diesem Regime einen derartigen großen Bahnhof zu bereiten? Einem Regime, dessen Kasperletheater-Parlament heute dazu aufruft, den Anführern der Grünen Bewegung als „Verderber auf Erden“ den Prozess zu machen (der dann wohl nur mit der Todesstrafe enden könnte).
Gül hatte einem Reporter der Zaman auf seinem Flug folgendes zu sagen :

Speaking to a group of reporters en route to Egypt on Monday, Gül estimated that the events in Egypt and Tunisia will have an impact across the Middle East, saying all countries in the region will get their share from what happened in Egypt.

“People are making reforms, which leaders fell short of doing,” said Gül aboard the plane, emphasizing that the Middle East has been undergoing a fundamental, albeit late, transformation. He explained that the honor of the Egyptian people was damaged during the authoritarian rule and that their anger was not addressed by the administration.

Und was ist mit der Ehre des iranischen Volks? Wird die durch die autoritäre Herrschaft seiner Führung nicht verletzt?
Ich möchte nie wieder türkische Kritik an der westlichen Doppelmoral hören.