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Wie Republikaner die Islamfeindlichkeit europäischer Populisten übernehmen

Der republikanische Abgeordnete Peter King, Vorsitzender des Innenausschusses (Homeland Security) im Kongress, wird in dieser Woche Anhörungen über die Radikalisierung amerikanischer Muslime halten.

Befürchtet wird eine Art Stimmungsmache gegen Muslime, was nach den Äußerungen von Peter King nicht auszuschließen ist. Er hat behauptet, Muslime würden der amerikanischen Polizei nicht bei der Aufklärung terroristischer Gefahren helfen. Die New York Times widerspricht dieser Behauptung mit Verweis auf eine Studie der Duke University, aus der hervorgeht, dass Muslime die ergiebigste Quelle von Tips im Kampf gegen die Radikalen in den eigenen Reihen sind.

Peter King reiht sich ein in die Ränge deren in den Reihen der  Republikaner und der Tea Party, die durch zunehmende antimuslimische Agitation ein großes Publikum finden.

Das ist eine interessante Entwicklung, die an das letzte Jahr mit dem Streit um die „Ground Zero Moschee“ anschließt.

Peter Beinart stellt fest, dass die amerikanischen Konservativen immer „europäischer“ werden. Europäischer im Sinne der Rechtspopulisten des alten Kontinents. Sie haben die Position aufgegeben, die noch unter George W. Bush galt: Krieg dem gewalttätigen Islamismus, Friede den Muslimen. Bush hat immer sehr darauf geachtet, dass seine religionsfreundliche Attitüde nicht als Bigotterie mißverstanden werden konnte. Er hat Moscheen besucht und Iftar gefeiert, um friedliebende Muslime von Extremisten zu unterscheiden. Der neue Dreh von Republikanern wie King besteht in dem umgekehrten Prinzip: Wo auch immer man kann, werden die Linien verwischt. Ein Kampf gegen eine „Moschee am falschen Ort“ oder gegen „zu viele Moscheen in Amerika“ wird als Kampf gegen den Islamismus definiert. Beinart:

Republicans like to claim that Democrats are the “European” party: the party that wants a big welfare state, believes in international law, and doesn’t think America is an exceptional nation. But I’ve noticed a certain Europeanification of the GOP of late, as regard to Muslims. For years, Republicans have explained that their brand of patriotism has nothing to do with blood and soil. Unlike right-wing European parties, which often fashion themselves bulwarks against the Muslim menace, Republicans—in their telling—defend the universal ideals of unfettered capitalism, traditional morality, and bucketloads for defense. They welcome anyone who adheres to those principles, no matter their complexion and faith (except perhaps if they don’t have one).

It would be nice if someone explained that to Representative Peter King.

 

Deutschlands libysche Connection

Tja, auch wer zu früh kommt, wird manchmal vom Leben bestraft. Dies ist die neue Ausgabe der Mitteilungen des „Nah- und Mittelost-Vereins„, einer Lobbyorganisation der in der Region aktiven deutschen Wirtschaft. Schwerpunkt im Januar-Heft: „Exzellente deutsch-libysche Wirtschaftsbeziehungen“.

Die Broschüre war leider schon gedruckt, als der Mann, den jetzt alle einen Diktator nennen, sein eigenes Volk zu bombardieren begann.

Und immer vorneweg: der lupenreine Freund aller Autokraten, H.E. Gerhard Schröder:

 

Der Islam gehört zu Deutschland

Die dümmste Debatte des letzten Jahres geht in die dritte Runde: Gehört der Islam zu Deutschland? Ja oder nein? „Historisch“?

Eine neue Lesart schält sich heraus: Muslime ja, Islam nein. Klasse. Das ist endlich die Lösung! Muslime ohne Islam? Das muss doch irgendwie gehen.

Never mind, dass viele „Muslime“ hierzulande ohnehin areligiös leben. Je mehr aber der neue Innenminister und andere obsessiv über „die Zugehörigkeit des Islams“ zu Deutschland reden, um so mehr wird die Identität auch nichtreligiöser Muslime „islamisiert“. Ja, so paradox ist das: Ich höre in letzter Zeit immer wieder: Ihr schafft das noch, dass ich mich als Muslim identifiziere. Oder: Erst hier bin ich zum Muslim geworden, durch das Dauerfeuer der Debatte. Wollen wir das?

Angesichts des Frankfurter Mordanschlags reden wir jetzt wieder über Radikalisierung: Dummerweise beruht das Hauptverkaufsargument der Salafisten für ihren Steinzeitislam auf der Unterstellung, im Westen würden nur „Muslime ohne Islam“ geduldet. Darum müssten „wahre Muslime“ zu den Wurzeln der „wahren Religion“ zurückkehren, um sich gegen diese tiefsitzende Islamfeindlichkeit zu wehren. Der neue Innenminister hat soeben Pierre Vogel, Deso Dogg/Abu Malik, Scheich Abdellatif  et alii eine erstklassige Vorlage geliefert. Der Islam gehört hier nicht dazu – das übersetzt sich in der Propaganda der Salafisten in den Satz: Dass dein Islam der richtige und wahre ist, merkst du daran, dass die anderen ihn ablehnen. Einen Islam, den die akzeptieren könnten, musst Du, im Umkehrschluss, verwerfen. Der kann nicht richtig sein.

Vielleicht sollte sich der Neue im BMI mal mit den Verfassungsschützern treffen, die an vorderster Front gegen die Radikalisierung in Teilen der islamisch geprägten Jugend arbeiten. Er würde auf eine erstaunliche Sorge treffen, was das gesellschaftliche Klima in diesem Land post Sarrazin angeht. Der VS ist darauf angewiesen, dass Muslime mit den Behörden kooperieren. Dass der Islam nicht zu Deutschland gehört, ist nicht die Arbeitshypothese unserer Verfassungschützer.

Sie müssen glaubhaft widerlegen können, dass „der Islam“ per se hier ausgegrenzt wird aus irgendeinem Vorurteil oder christlich-abendländischen Dünkel heraus. Und das ist ja auch in Deutschland nicht der Fall. Warum also diese Wahrnehmung anheizen durch „historische“ Exkurse über Fragen, in denen nie ein ernsthafter Mensch das Gegenteil behauptet hat? Wie soll man so etwas anders wahrnehmen denn als leicht verklemmte Form der Schikane?

Die Sicherheitsdienste brauchen das Vertrauen, dass unterschieden wird zwischen denen, die die Religionsfreiheit missbrauchen und denen, die sie legitimer Weise in Anspruch nehmen. Eine Aussage wie die Friedrich’sche, der Islam gehöre („auch historisch“) nicht zu Deutschland, zersetzt dieses Vertrauen. Er unterminiert die Bemühungen der Sicherheitsorgane, die Propaganda der Radikalen zu widerlegen, die einen ewigen und unüberbrückbaren Gegensatz konstruiert zwischen Islam und Demokratie, Islam und Menschenrechten, Islam und westlichen Werten.

Es gibt sehr gute Broschüren, etwa neuerdings vom VS des Landes Berlin, in denen jene islamistische Ideologie auseinandergenommen wird, die den absoluten Gegensatz zwischen Islam und unserer Rechtsordnung betont. Die „Zerrbilder von Islam und Demokratie“ werden dort auf deutsch, türkisch und arabisch widerlegt. Niemand macht sich Illusionen darüber – vor allem nicht die Verfassungsschützer – dass es noch ein langer Weg ist, bis nicht nur eine stille Akzeptanz unserer Rechts- und Werteordnung durch „den Islam“ erreicht ist, sondern bis die islamische Theologie in ihren eigenen Lehren gute Gründe für die Säkularisierung (also Entmächtigung ihrer selbst) finden wird. Der katholischen Lehre ist das (vor wenigen Jahrzehnten erst) auch gelungen, und heute tut die Kirche gerne so, als wäre ihr die Idee geradezu selbst gekommen, dass man kirchliche und weltliche Macht zu trennen habe. Der Islam wird es noch viel schwerer damit haben, das ist absehbar trotz aller Reformansätze. Vielleicht wird es auch nie zu einer klaren Sphärentrennung kommen, sondern bloß – bloß! – zu einem modus vivendi. (Mir würd’s reichen, weiß Gott.)

Das sollte die Sorge eines Innen- und damit Verfassungsministers – sein. Unsere Sicherheit hängt daran. Ein Minister, der seinen Diensten die Arbeit schwerer macht, macht Deutschland weniger sicher.

p.s. Ich habe kürzlich einen Vortrag bei einer VS-Tagung gehalten, bei der es um Radikalisierung und Strategien dagegen ging.  Meine sorgenvolle Analyse der Debatte in diesem Land hat dort erstaunlich viel Beifall bekommen. Man fürchtet dort, dass das aggressive Klima Bemühungen um Deradikalisierung konterkariert. Hier mein Text dessen Schlussfolgerungen ständigen Besuchern dieses Blogs nicht fremd sein werden:

„Können Medien der Radikalisierung junger Muslime entgegenwirken?“

Auf den ersten Blick ist das eine merkwürdige Frage: Wenn etwa in einem Leitartikel der ZEIT der militante Islamismus verdammt wird, so wird das wohl keinen gefährdeten jungen Mann davon abhalten, sich in ein Terrorcamp zu begeben. (Und das liegt nicht nur an der Schichtzugehörigkeit unserer Leser. Auch die BILD kann da nicht viel ausrichten.)
Wir erreichen solche Menschen doch gar nicht, könnte man meinen. Vielleicht wäre sogar das Gegenteil denkbar: Dass sich jemand für den bewaffneten Kampf gegen diese Gesellschaft im Namen des Islams entscheidet, gerade WEIL der Mainstream unserer Medien dies verdammt.
Islamismus ist auch, das haben wir anhand radikalisierter Konvertiten und junger Muslime der zweiten und dritten Generation gelernt, RADICAL CHIC. Es wird die totale Gegenposition zum Bestehenden gesucht, man schlägt sich gerade absichtsvoll auf die Seite der Bewegung, die am meisten gefürchtet und abgelehnt wird. In den 70ern war das im Westen der Kommunismus, heute ist es für manche der Islamismus. Dass man sich außerhalb des Mainstreams stellt, wenn man Islamist wird, ist oft Teil der Attraktion.

Menschen, für die es so weit gekommen ist, dass sie sich in absolute Ablehnung des Bestehenden begeben, erreichen wir aber weder mit einem wohl argumentierten Leitartikel wider den politischen Islam noch mit einem aufklärenden Stück über den „wahren Islam“, der Selbstmordattentate ablehnt.

Also: Wir werden zwar weiter solche Artikel publizieren, aber deren „antiradikalisierende Wirkung“ kann man sich wohl kaum so vorstellen, dass der nächste Mohammed Atta oder Fritz Gelowicz die FAZ, den Spiegel oder die ZEIT beiseite legt, nachdenklich wird und seine Reise nach Pakistan absagt.

Trotzdem halte ich es für richtig, dass Sie im Rahmen des Anti-Radikalisierungsprogramms über die Medien nachdenken. Um in den Blick zu bekommen, was die Medien in diesem Zusammenhang für eine Funktion haben, muss man freilich den Blick weiten.

Der Soziologe Niklas Luhmann hat in seinem Buch über die „Realität der Massenmedien“ gesagt:
„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“

Das ist ein radikaler Satz. Aber so weit muss man die Perspektive öffnen, um die möglichen Zusammenhänge von Medien, Islam, Islamismus, Salafismus und Dschihadismus zu erkennen. In dem Konzept, das Sie mir freundlicher Weise zugeschickt haben, werden fünf „Radikalisierung begünstigende Faktoren“ aufgezählt: Einfluss von Predigern und ehemaligen Kämpfern, Internet und Videopropaganda, unmittelbare Bezugsgruppe Gleichgesinnter, soziale Entfremdung, Gefühl des Nicht- Dazugehörens, Aufenthalt in Terrorcamps.

Weiter„Der Islam gehört zu Deutschland“

 

Der erste erfolgreiche islamistische Anschlag in Deutschland

Angesichts des zweifachen Mordes (und offenbar vielfachen versuchten Mordes) am Frankfurter Flughafen ist jetzt mancherorts von einem „historischen Einschnitt“ die Rede, weil hier zum ersten Mal einem islamistischen Extremisten ein Mord in Deutschland gelungen sei.

Also bitte: Den Gefallen sollten wir Arid U. nun wirklich nicht tun, diese abscheuliche Tat zu einer Zeitenwende zu stilisieren. Richtig ist: Bisher haben in Deutschland radikalisierte junge Muslime nur im Ausland gemordet, hierzulande blieben ihre Planungen (Sauerländer) und Versuche (Kofferbomber) meist stümperhaft oder konnten vereitelt werden. Nun ist also ein Mann mit einer Pistole auf amerikanische Soldaten losgegangen und hat zwei erschossen, zwei weitere schwer verwundet und ist an einem weiteren Opfer durch glücklichen Zufall gescheitert (Ladehemmung), worauf er überwältigt werden konnte. Und daraus sollen wir eine neue Epoche ableiten? Bitte nicht.

Dpa berichtet:

Nach Angaben der Bundesanwaltschaft hat sich die Tat folgendermaßen abgespielt: Arid Uka fuhr bewaffnet mit Pistole und zwei Messern zum Flughafen und schaute sich dort nach US-Soldaten um. Als er eine Gruppe erkannte, fragte er nach einer Zigarette und wollte sich vergewissern, dass die Soldaten tatsächlich auf dem Weg nach Afghanistan waren. Als ein Soldat dies bestätigte und sich in Richtung Bus verabschiedete, schoss ihm Arid Uka von hinten in den Kopf.

Dann betrat er laut Bundesanwaltschaft den Bus, der die Soldaten zum US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein bringen sollte. Dort richtete er erst den 21 Jahre alten Busfahrer hin, dann ging er weiter und schoss auf einen 25-Jährigen und auf einen 21-Jährigen, die beide schwer verletzt überlebten.

Bei seinem fünften Opfer versagte die Pistole. Er hatte die Waffe direkt auf den Kopf des Opfers gerichtet und zweimal abgedrückt, schilderte Griesbaum den Vorgang. Die Kugeln lösten sich jedoch nicht, da eine Hülse im Lauf verklemmt war. Als der Attentäter flüchtete, nahm der Soldat die Verfolgung auf und stellte ihn wenige Meter später. Mehrere Polizisten kamen ihm zu Hilfe.

Ich lebe seit Jahren mit der Gewissheit, dass ein Anschlag in Deutschland auch einmal gelingen würde. Es ist ja eher seltsam, wie wenig hier bisher geschehen ist. Das darf man wohl auch unseren Behörden gutschreiben. In der bewegten Welt des gewaltsamen Dschihadismus sind wir zum Glück bisher ein Nebenschauplatz. Soeben wird gemeldet, dass in Pakistan im Distrikt Nowshera eine sufistische Moschee angegriffen wurde: bisher 5 Tote und 10 Verletzte. Vor wenigen Tagen erst ist dort der christliche Minderheitenminister ermordet worden. So geht das Schlag auf Schlag. Da bahnt sich vielleicht wirklich ein historisches Ereignis an: Pakistan im Griff des Terrors.

Der Frankfurter Täter aber entspricht einem Muster, das wir in jüngster Zeit immer häufiger gesehen haben: ein Einzelgänger, der sich offenbar rasend schnell selbst radikalisiert, mit Hilfe von Facebook und Youtube. Er hatte große Sympathien für die Salafisten-Szene, die seit geraumer Zeit im Zentrum der Sorgen des Verfassungsschutzes steht. Dort wird oft nicht unmittelbar zur Gewalt aufgerufen, aber die Szene ist ein Durchlauferhitzer der Radikalisierung, weil sie eine eine strikte Segregation des „wahren Glaubens“ vom „Unglauben“ predigt, weil sie die Wahnwelt eines von allen Einflüssen zu  „reinigenden“ Glaubens vertritt und den Anhängern das Bild einer heutigen Welt vermittelt, die dem Islam (wie ihn die Salafisten verstehen) insgesamt feindlich gegenüber stehe. Kürzlich war ich bei einer Gruppe des Verfassungsschutzes in Niedersachsen zu Gast, die sich mit Strategien gegen Radikalisierung befasst: (Neo)Salafismus ist die Sorge Nummer eins dort. Offenbar zu recht.

Das Problem mit Tätern wie Arid U. ist, dass sie oft keine (langen) Bindungen an Gruppen haben, die sie zu geeigneten Beobachtungsobjekten machen würden. Die Instant-Radikalisierung aufgrund von Medienereignissen und -konsum ist oft für deren Umgebung nicht einmal bemerkbar.

Man muss also die radikale Propaganda viel stärker an der Wurzel angehen. Die Anstrengungen im Internet und in den sozialen Netzwerken müssen verstärkt werden (das ist heute so wichtig wie polizeiliche Moscheebesuche, die übrigens die Regel sind). In dem Video, das der Täter zu seiner Motivation angegeben hat, sollen „angeblich US-Soldaten ein Haus in Afghanistan geplündert und ein Mädchen vergewaltigt“ haben. „Solche Gräueltaten wollte er nach seinen Angaben verhindern“, heißt es in den Bericht. Das kann natürlich auch eine ausgedachte Entlastungsstrategie sein.

DPA schreibt: „Wenn sich dieses Motiv erhärte, sei es ein klarer Beleg dafür, dass die Tat aus persönlichen Gefühlen entstanden sei – außerhalb terroristischer Strukturen, sagte der stellvertretende Generalbundesanwalt Rainer Griesbaum. Allerdings zeige sich daran auch die Gefahr der islamistischen Propaganda im Internet, die gezielt junge Männer anspreche und zu solchen Taten bringe. Deshalb müsse der Kampf gegen diese Propaganda verstärkt werden.“

Letzteres ist richtig. Aber das Wort von den „persönlichen Gefühlen“ ist hier irreführend.

Wir haben es vor allem mit einer Ideologie zu tun, die solche Gefühle erzeugt. Sie muss bekämpft werden.

 

Immer Ärger mit Erdogan

Als ich vor fast einem Jahr in den Moscheen des Ruhrgebiets (mit Sigmar Gabriel) unterwegs war, bestimmte auch gerade eine Äußerung des türkischen Premiers Erdogan die Schlagzeilen. Er hatte in einem Interview mit der ZEIT gefordert, „türkische Gymnasien“ in Deutschland zu errichten.

Nun scheinen die ungebetenen integrationspolitischen Interventionen Erdogans eine Tradition zu werden. In Düsseldorf hat er vor wenigen Tagen Aufmerksamkeit gefunden mit seiner Forderung, Kinder sollten erst Türkisch lernen, dann Deutsch. Und wie bereits vor einigen Jahren polemisierte er auch wieder gegen „Assimilation“ und suggerierte, den Türken solle ihre Kultur genommen werden als Preis für die Integration (die Erdogan befürwortete).

Vor einem Jahr in den Moscheen war eine sehr gesunde Reaktion der türkischen Community zu beobachten, wenn man sie auf Erdogans Forderungen ansprach: Was denkt dieser Typ, wer er ist – und wer wir sind? Er ist für uns nicht zuständig, er soll sich raushalten. Vural Öger sagte in der Moschee in Oberhausen:

“Wir wollen keine Diasporatürken in der dritten und vierten Generation. Ankara soll sich hier gefälligst nicht mehr einmischen. Wie lange soll das noch weitergehen? Bis zur 5. Generation? Das macht die Identitätskrise der Menschen hier nur noch schlimmer, wenn sie als Stimmvieh der türkische Politik behandelt werden. Es wäre keine Schande, sondern ein Grund zum Stolz, wenn junge Leute hier besser Deutsch als Türkisch könnten. Seid endlich Deutsche – mit einem großen türkischen Herzen!”

Das wäre immer noch der passende Kommentar zu Erdogans erneuter populistischer Wahlkampftour.

Man wird solche abweisenden Äußerungen aber immer seltener hören. Und das liegt an dem katastrophal gewandelten Klima in unserer Gesellschaft. Unsere Debatte des letzten Jahres hat Erdogans Erfolg bei seinen Landsleuten den Boden bereitet. Er surft auf dem Gefühl der Menschen, nicht angenommen zu sein und niemals angenommen zu werden, weil sie Türken und Muslime sind. Die allzu berechtigten Retourkutschen gegen seine Anti-Assimiliations-Rhetorik (Was ist mit den Kurden, den Aleviten, den Christen in der Türkei?) verfangen so kaum. Denn es gibt eine Wagenburg-Mentalität unter vielen Türken, ja selbst unter den Musterbeispielen der Integration. Auch diejenigen, die mit Erdogan nichts am Hut haben, sind frustriert, enttäuscht, wütend über das türkenfeindliche Klima hierzulande. Es hilft nichts, dass auch darin viele Übertreibungen sind: So etwas hat fatale Folgen für ein Einwanderungsland.

Das Wort Integration ist so weit heruntergewirtschaftet worden, dass es gerade die Besten nicht mehr hören können. Es liegt ein Hauch von Schikane, Überheblichkeit und Resentiment in der Rede von der Integration.

Und die reflexhaften Reaktionen auf Erdogan schüren dieses Gefühl weiter. Der Herr Dobrindt von der CSU mit dem bizarr überzeichnenden Satz etwa, der Auftritt Erdogans habe die Integrationsbemühungen „um Jahre zurückgeworfen“. Welch eine Bigotterie. Erdogan ist ein geschickter Vertreter des gleichen religösen Rechtspopulismus, dem auch die CSU anhängt, wenn es um die Heimat und das kulturell-religiöse Erbe geht. Erdogan geht ganz einfach in die Lücke, die ängstliche deutsche Politiker offen lassen, weil sie die Türken nicht als eine zu umwerbende Wählerschaft wie jede andere Gruppe behandeln. Warum mieten deutsche Politiker sich nicht einmal eine Halle und laden die Türken ein und reden zu ihnen? Warum appellieren  Merkel, Steinmeier, Gabriel, Özdemir oder Westerwelle nicht an den Stolz der Deutschtürken, wie es Erdogan tut?

Das erste, was ihnen einfällt, ist die Replik, Türkisch als erste Sprache sei nicht gut, das müsse bitte Deutsch sein. Das ist einfach Humbug: Das Problem der jungen Bildungsversager ist nicht, dass sie zuerst Türkisch lernen, sondern dass sie nicht einmal ordentlich Türkisch lernen. Ist Türkisch eine schlechtere Sprache als Französisch oder Italienisch oder Polnisch? Käme irgendjemand auf die Idee, italienischen, französischen oder polnischen Eltern reinzureden, sie sollten ihren Kindern zuerst Deutsch beibringen? Der Appell sollte lauten: Bringt euren Kindern gutes Türkisch bei, lest mit Ihnen Kinderbücher, sprecht mit Ihnen über die Schule, ladet deutsche Nachbarskinder ein, bringt sie in den Kindergarten.

Jetzt wird Erdogan seine Ambivalenz vorgehalten, seine „vergiftete Liebeserklärung“ für die hiesigen Türken. Leider ist die Botschaft der hiesigen Politik und der gesellschaftlichen Debatte genauso voller Ambivalenz und Gift. Und das ist – es tut mir leid – das größere Problem – denn nicht Herr Erdogan ist politisch verantwortlich für den Erfolg/Mißerfolg der Türken hier, sondern dieselben deutschen Politiker, die ihn kritisieren. Politisch, wohl gemerkt: Denn ein Hauptproblem von Deutschen und Türken – da haben sie mal was gemeinsam – ist ihre Staatsverliebtheit. Beide Völker mit ihren obrigkeitstaatlichen Traditionen erwarten viel zu viel vom Staat und zuwenig vom einzelnen Bürger. Türken und Deutsche  fragen zuviel, was das Land für sie und zu wenig, was sie für das Land tun können. Da haben sich zwei gefunden!

Ein Problem ist, dass die Deutschtürken von zwei Seiten mit mixed messages beschossen werden: Erdogan sagt: Integriert euch, aber assimiliert euch nicht (als gäbe es da akademisch anerkannte feine Grenzen). Die deutsche Gesellschaft kommuniziert: Wir sind ein Einwanderungsland, aber ihr seid die falschen Einwanderer.

Wenn man einem national-religiösen Populisten wie Erdogan etwas entgegensetzen will, muss man ein klare und selbstbewusste Botschaft haben:  Lass diese Leute in Ruhe. Die gehören zu uns. Sollen sie mit Ihren Kindern Türkisch sprechen! Aber gutes Türkisch muss es sein, damit darauf dann gutes Deutsch und Englisch aufbauen können.

 

Revolution in Arabien: Schlecht für Al-Kaida? Hart für Europa? Gut für die Türkei?

In einem Kommentar im DLF hatte ich letztes Wochenende versucht zu zeigen, dass Al-Kaida bisher – bisher!- vor einem Desaster steht angesichts der Umstürze in der arabischen Welt. Nun geht die New York Times dem gleichen Thema nach und kommt zu einem gemischten, wenn auch leicht optimistisch eingefärbten Bild. Hier meine Einschätzung (alles lesen und hören – hier):

Die Autokratien des Nahen Ostens wanken – und ihr größter Feind schweigt. Osama bin Laden müsste eigentlich jubeln, wenn die Herrscherhäuser zittern, die er stürzen will, um das Kalifat wieder zu errichten. Doch El-Kaida bleibt stumm, während eine Welle demokratischer Proteste – nach Tunesien und Ägypten – nun sogar Staaten wie Bahrain und Libyen erfasst. Für das Terrornetz wäre es ein Desaster, wenn die Protestbewegung zeigen könnte, dass Araber auf friedliche Weise von der Diktatur zur Demokratie übergehen können. Diese neue Generation ist gewaltlos, sie ist nicht antiwestlich, und sie ist nicht islamistisch. Statt mit Selbstmordattentaten begann ihr Aufstand mit Selbstverbrennungen. Und alle Gewalt geht bisher von den Unterdrückern aus. Die Bewegung ist nicht antireligiös, aber sie will auch keinen Gottesstaat. Kann sein, dass die Ereignisse der letzten Wochen uns mehr vorangebracht haben als zehn Jahre Krieg gegen den Terrorismus.

Auch wir im Westen schauen immer noch ungläubig auf diesen post-islamistischen Aufstand: Kann es wirklich sein, dass Muslime gewaltfrei für eine gerechtere Gesellschaft mit mehr demokratischer Teilhabe auf die Straßen gehen? Vielleicht haben wir uns innenpolitisch so sehr an den Muslim als Problembären der Nation gewöhnt, dass wir für den größten außenpolitischen Bruch seit Jahrzehnten keinen Blick mehr haben? Die demokratische Welle in der arabischen Welt ist ein Anlass, den Blick zu drehen: Was die mutigen jungen Leute in Tunis, Benghazi, Kairo und Bahrain tun, muss auch unsere Debatte zuhause über den Islam und die Moderne verändern. Ganze Bibliotheken drohen obsolet zu werden, in denen aus Religion und Tradition erklärt wurde, warum der muslimische Nahe Osten Freiheit und Demokratie einfach nicht kann. Gewonnen haben die jungen Revolutionäre noch nicht. Zwei Herrscher sind gestürzt. Aber niemand kann heute garantieren, dass sie nicht durch andere ihres Schlages ersetzt werden. Auch Chaos und Bürgerkrieg sind nicht ausgeschlossen. Extremisten könnten davon profitieren. Da ist es verständlich, dass wir im Westen angstvoll auf mögliche Flüchtlingswellen starren, auf die Muslimbrüder und auf den gefährdeten Friedensprozess zwischen Palästinensern und Israelis…

Scott Shane meint:

So for Al Qaeda — and perhaps no less for the American policies that have been built around the threat it poses — the democratic revolutions that have gripped the world’s attention present a crossroads. Will the terrorist network shrivel slowly to irrelevance? Or will it find a way to exploit the chaos produced by political upheaval and the disappointment that will inevitably follow hopes now raised so high?

For many specialists on terrorism and the Middle East, though not all, the past few weeks have the makings of an epochal disaster for Al Qaeda, making the jihadists look like ineffectual bystanders to history while offering young Muslims an appealing alternative to terrorism.

“So far — and I emphasize so far — the score card looks pretty terrible for Al Qaeda,” said Paul R. Pillar, who studied terrorism and the Middle East for nearly three decades at the C.I.A. and is now at Georgetown University. “Democracy is bad news for terrorists. The more peaceful channels people have to express grievances and pursue their goals, the less likely they are to turn to violence.”

If the terrorists network’s leaders hope to seize the moment, they have been slow off the mark. Mr. bin Laden has been silent. His Egyptian deputy, Ayman al-Zawahri, has issued three rambling statements from his presumed hide-out in the Pakistan-Afghanistan border region that seemed oddly out of sync with the news, not noting the ouster of President Hosni Mubarak of Egypt, whose government detained and tortured Mr. Zawahri in the 1980s.

“Knocking off Mubarak has been Zawahri’s goal for more than 20 years, and he was unable to achieve it,” said Brian Fishman, a terrorism expert at the New America Foundation. “Now a nonviolent, nonreligious, pro-democracy movement got rid of him in a matter of weeks. It’s a major problem for Al Qaeda.”

Robert D. Kaplan glaubt in der Washington Post, dass die Umwälzungen der arabischen Welt für Europa viel größere Auswirkungen haben werden als für Amerika. Und dass die Türkei einer der großen Gewinner sein könnte:

The uprisings in the Middle East will have a more profound effect on Europe than on the United States. Just as Europe moved eastward to encompass the former satellite states of the Soviet Union after 1989, Europe will now expand to the south. For decades North Africa was effectively cut off from the northern rim of the Mediterranean because of autocratic regimes that stifled economic and social development while also facilitating extremist politics. North Africa gave Europe economic migrants but little else. But as its states evolve into hybrid regimes, the degree of political and economic interactions with nearby Europe will multiply. Some of those Arab migrants may return home as opportunities are created by reformist policies. The Mediterranean will become a connector, rather than the divider it has been during most of the post-colonial era.

Of course, Tunisia and Egypt are not about to join the European Union. But they will become shadow zones of deepening E.U. involvement. The European Union itself will become an even more ambitious and unwieldy project.

The true beneficiary of these uprisings in a historical and geographical sense is Turkey. Ottoman Turkey ruled North Africa and the Levant for hundreds of years in the modern era. While this rule was despotic, it was not so oppressive as to leave a lasting scar on today’s Arabs. Turkey is an exemplar of Islamic democracy that can serve as a role model for these newly liberated states, especially as its democracy evolved from a hybrid regime – with generals and politicians sharing power until recently. With 75 million people and a 10 percent economic growth rate, Turkey is also a demographic and economic juggernaut that can project soft power throughout the Mediterranean.

The Middle East’s march away from authoritarianism will ironically inhibit the projection of American power. Because of the complexity of hybrid regimes, American influence in each capital will be limited; Turkey is more likely to be the avatar toward which newly liberated Arabs look. America’s influence is likely to be maintained less by the emergence of democracy than by continued military assistance to many Arab states and by the divisions that will continue to plague the region, especially the threat of a nuclearized, Shiite Iran.

Mitigating the loss of American power will be the geopolitical weakening of the Arab world itself. As Arab societies turn inward to rectify long-ignored social and economic grievances and their leaders in hybrid systems battle each other to consolidate power domestically, they will have less energy for foreign policy concerns.

Letzteres könnte man, glaube ich, eher begrüßen.

 

Raubkopierer sind Verbrecher

Ich finde den Clip sehr passend, aber die Frau Guttenberg ist überhaupt nicht gut getroffen :-):

 

Guttenbergs good looks

Zitate des Tages:

Wäre Guttenberg hässlich, hätte er schon längst zurücktreten müssen. (Eckhard Fuhr, Die Welt)

“In my opinion, any future defense secretary who advises the president to again send a big American land army into Asia or into the Middle East or Africa should ‘have his head examined,’ as General MacArthur so delicately put it,” Mr. Gates told an assembly of Army cadets here (in West Point). NYTimes, 26.2.2011

 

You say you want a Revolution: Westerwelle in Kairo

Morgens um sechs liegt Dunst über Kairo. Die Sperrstunde endet gerade, die Stadt erwacht. Auf diesen Brücken zur Nilinsel haben sich Dramen abgespielt, die die ganze Welt beobachtet hat. Kairo ist verwandelt. Der Verkehr ist wieder so dicht wie früher, es wird gehupt und gestikuliert. Aber trotz der üblichen Härte und dem Schlendrian liegt eine fragile Hoffnung über dem Alltag. Immer noch haben nicht alle Schulen geöffnet, und Großväter bringen ihre Enkelkinder zum Tahrir-Platz, als könnte man dort schon das neue Ägypten sehen, auf das alle hoffen.

Der Herr rechts im Bild heißt Salah und stellte sich als Geschäftsmann vor. Er stand mit Bekannten vor dem KFC-Laden am Tahrir-Platz, als wir gestern dort ankamen. Wir kamen gleich ins Gespräch über das neue Ägypten:

Wissen Sie, was das Problem war in diesem Land? Wir Ägypter lieben uns selbst nicht. Ihr in Europa, ihr liebt euch selbst. Wir nicht. Mit solchen Leuten können Sie alles machen. Die erwarten nichts vom Leben, sie finden sich ab, sie haben kein Selbstwertgefühl. All das hat sich durch die Revolte der Jungen verändert. Die Menschen haben erfahren: Ich zähle etwas, auf meine Stimme kommt es an. Ich bin etwas wert. Das haben wir hier auf dem Platz erfahren, und das kann uns keiner mehr nehmen, auch wenn es noch sehr lange dauert, bis das die Gesellschaft insgesamt verändert. Aber sehen Sie, als die Demonstranten nach Ende des Protests selber aufgeräumt haben, das war ein bedeutender Moment. Was sie sagen wollten, war: Diese Stadt, dieses Land sind nicht darum so heruntergekommen, weil wir so sind. Es waren Korruption, Unfreiheit und Aussichtslosigkeit, die uns all das haben akzeptieren lassen. Nur wer sich selber liebt, kann mit anderen in Frieden leben. Wir sind noch lange nicht so weit. Aber hier auf dem Platz hat etwas angefangen, das uns keiner mehr nehmen kann.

Überall um den Platz herum, wie hier vor dem Sitz der Arabischen Liga, stehen noch Panzer. Die Bevölkerung empfindet die Soldaten nicht als Bedrohung, sondern als Versicherung. Sie gehen vergleichsweise sanft und höflich vor. Die Menschen hören aber nicht immer auf die Kommandos. Etwas hat sich verändert. Polizisten sieht man nirgends, die Armee regelt sogar den Verkehr und wirkt schon sehr überfordert mit ihrer Verantwortung für das zivile Leben. Immer noch kommen Ägypter zum Platz, um sich vor den Panzern ablichten zu lassen. Sie bringen ihre Kinder her, damit sie den Platz sehen. Viele arme Leute kommen mit allerlei Beschwerden hierher, in der Hoffnung, einen Mächtigen und Einflussreichen zu finden, der sie erhört. Manche brauchen eine Wohnung, Hilfe bei den Arztkosten, einen Job. Mit der Revolution soll das alles einfacher werden: Man ahnt, welche Enttäuschungen bevorstehen. Aber erst einmal regiert die Hoffnung.

Mancher hat schon ein kleines Geschäft aus der Revolte gemacht und verkauft patriotisch-revolutionäre Devotionalien wie dieser junge Mann oben.

Fliegende Händler verkaufen selbstnähte Fahnen an die Revolutionstouristen. Die Fußballassoziation ist nicht unpassend: Der 1. FC Tahrir hat die Hinrunde gegen Dynamo Mubarak gewonnen. Der Trainer ist ausgewechselt worden. Aber wer am Ende den Pokal davon trägt, ist noch nicht klar.

Als der deutsche Außenminister auf dem Platz erscheint, in Begleitung mehrerer Kamerateams, kommt Bewegung in die Passanten. In Nullkommanichts ist eine Menge von Hunderten zusammen, die alle möglichen Parolen zu rufen beginnen: „Hoch Ägypten, hoch Deutschland!“ „Das Volk und die Armee sind eine Hand!“ „Sei stolz, Du bist ein Ägypter!“ (Siehe Film unten.) Der bärtige Herr auf diesem Foto rief islamistische Parolen, wurde aber sofort von den Umstehenden zurechtgewiesen, er solle die Klappe halten und nicht stören.
Westerwelle verglich den Platz mit dem Brandenburger Tor. Hier sei Weltgeschichte gemacht worden. Er war sichtlich bewegt von dem überschwänglichen Empfang. Die Menschen freuten sich, dass ein westlicher Politiker ihre Leistung würdigt und ihnen den Rücken stärkt. Er hatte bei allen öffentlichen Statements immer wieder betont, man werde den Demokratisierungsprozess beobachten und unterstützen, der ja hoffentlich „unumkehrbar“ sei. Eben davon sind durchaus nicht alle überzeugt: Viele glauben, das alte Regime spiele auf Halten. Westerwelle hat überall klar gemacht, dass man sich damit nicht zufrieden geben werde. Und so hat er sich sein erstes Bad in der Menge als Außenminister verdient.

Hier klicken für Video: Westerwelle auf dem Tahrir-Platz