Ehe und Integration

Mitbloggerin Miriam meint:
„Diese ganze Fakten sind besorgniserregend.“
Ja, in der Tat. Aber ich habe die jungen Leute aus der Shell-Studie 2000 auch deswegen zitiert, um zu zeigen, dass es gesellschaftliche Normen sind, die Ehen bzw. Beziehungen mit Deutschen torpedieren und nicht Abneigung. Aus vielen Interviews mit Deutschtürkinnen und -Türken in der Studie ging hervor, sie würden gerne, wenn sie dürften, aber sie dürfen nicht.

„Wieviel Zeit haben wir noch?“

Diese Frage müssten sich eigentlich die türkeistämmigen Communities und Familien stellen. Sie müssten einsehen, dass Endogamie und transnationale Heirat Integrationsbarrieren sind, die sie selbst errichtet haben und die von ihnen abgebaut werden müssen.

Ich bin nicht sehr optimistisch, dass das passieren wird,
denn, wie man in diesem Blog unschwer erkennen kann, löst Kritik an arrangierten Ehen und traditionellen Normen einen Abwehrreflex aus, sogar bei den gebildeten türkeistämmigen Migranten, die Pioniere des Wertewandels sein könnten.

Ates, Kelek und Cileli werden von den eigenen Landsleuten nicht als Aufklärerinnen gefeiert, sondern gelten auch bei vielen türkeistämmigen Akademikern als Netzbeschmutzerinnen. Ihnen wird vorgeworfen, Einzelfälle zu verallgemeinern. Nach einem Vortrag von Kelek neulich sagte mir eine empörte Studentin: „Die macht es uns noch schwieriger, uns zu integrieren!“. Die an Kelek gerichteten Wortbeiträge von türkeistämmigen Zuhörern (allesamt Studierenden, z.T. mit Kopftuch) lassen sich so zusammenfassen:
„Bei uns gibt es keine Zwangsheirat, keine arrangierte Ehen und der Islam ist frauenfreundlich.“
Diese Abwehrhaltung ist es, die verhindert, dass ein Prozess der kritischen Reflexion in Gang kommt.

Um die soziale und wertmäßige Integration in die Moderne zu verhindern (d.h. um ihre Kinder nicht an die fremde Gesellschaft zu verlieren), haben sich ein Teil der türkeistämmigen Familien und Communities von Beginn der Migration an auf die Tradition berufen. Nicht bedacht wurde, dass es ohne soziale und wertmäßige Integration bzw. ohne das soziale und kulturelle Kapital, das man dadurch erwirbt, nicht möglich ist, sich erfolgreich bildungs- und berufsmäßig zu integrieren. Anstatt diese unerwünschte Nebenfolge zu thematisieren, setzt man in Teilen der türkischen Communities sogar noch eins drauf: Man beruft sich jetzt auf die Religion als eine Ebene der Legitimation des Status quo, die noch höher ist als die Tradition, um die soziale und wertmäßige Integration zu verhindern. Integrationssoziologisch betrachtet ist das Selbstsabotage. Aus Sicht der betreffenden Migranten ist es rationales Handeln, denn der Verlust der Kinder – oder der Ehre – wiegt schwerer als schulischer Misserfolg oder Arbeitslosigkeit.

Es ist schade, dass einige der klügsten deutschtürkischen Köpfe eine Lanze für die Tradition brechen. Zu ihnen zähle ich Ekrem Senol von jurblog, der auch für Milli-Görüs schreibt. Vielleicht könnte man ihn als Jurist zum Umdenken bewegen mit einem Hinweis auf Artikel 16 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung, der lautet:

„1.Heiratsfähige Frauen und Männer haben ohne Beschränkung auf Grund der Rasse, der Staatsangehörigkeit oder der Religion das Recht zu heiraten und eine Familie zu gründen. Sie haben bei der Eheschließung, während der Ehe und bei deren Auflösung gleiche Rechte.
2.Eine Ehe darf nur bei freier und uneingeschränkter Willenseinigung der künftigen Ehegatten geschlossen werden. (…)“

Die strenge Endogamienorm in den traditionellen türkeistämmigen – sowie in anderen – Migranten-Communities verstößt gegen Artikel 16.1, denn diese Norm gebietet es den Mitgliedern, nur Menschen der eigenen Ethnie und Religion zu heiraten. Und arrangierte Ehen, wenn sie nicht auf ausdrücklichen Wunsch der künftigen Ehegatten hin in die Wege geleitet werden, verstoßen gegen Artikel 16.2. Es kommt häufig vor, dass Eltern die Ehe einfädeln und ihre Kinder erst zu einem späteren Zeitpunkt in ihre Pläne einweihen. Aus Liebe zu und Respekt vor Eltern und Familie willigen die Betroffenen in die Heirat ein. Auch ein solches Arrangement verstößt gegen Artikel 16.2, denn die „Willenseinigung der künftigen Ehegatten“ ist eingeschränkt durch gesellschaftliche Normen der Liebe, der Rücksichtnahme und des Respekts, die das Wohl des Kollektivs über das individuelle Glück stellen und genauso viel oder sogar mehr Zwang ausüben können wie physische Gewalt.

 

Auf dem Weg zur zweiten deutschen Einheit – die dritte Deutsche Islam Konferenz

Der Innenminister sagte gleich im ersten Satz der Pressekonferenz, es sei „streckenweise sehr strittig“ zugegangen. Aber daß man sich mittlerweile so unbefangen und offen die Meiunung sagen könne, sei eben auch ein bedeutender Fortschritt, so Schäuble. Recht hat er.

Die Deutsche Islam Konferenz hat sich heute zum dritten Mal im Plenum getroffen. Bei der anschließenden Pressebegegnung im Berliner Logenhaus zeigten sich alle Beteiligten bemüht, die Tatsache, daß es in manchen Fragen noch zu keiner Einigung gekommen sei, nur ja nicht als Mißerfolg darzustellen.

Was ist beschlossen worden? Erstens ist jetzt klar, daß islamischer Religionsunterricht überall eingeführt werden soll, wo Bedarf besteht. Die Länder werden – wegen ihrer Kulturhoheit – diesen Ball weiterspielen.

In Deutschland wird bekenntnisorientierter Religionsunterricht aber bekanntlich nicht vom Staat in Alleinregie organisiert, sondern in Verantwortung der Religionsgemeinschaften und unter Aufsicht des Staates. Dies erfordert, dass die islamischen Organisationen sich den Status von Religionsgemeinschaften erarbeiten.

Sie müssen sich jetzt auf der Ebene der Länder als verläßliche Partner des Staates organisieren. Ein Dachverband wie der Koordinierungsrat der Muslime kann nicht als Religionsgemeinschaft gelten, darüber herrsche Konsens, sagte der Minister. Und Bekir Alboga, der derzeitige Sprecher, nickte einvernehmlich dazu. Die Verbände müssen sich also in den Ländern von unten her neu aufbauen, und dabei auch Transparenz über ihre wahre Mitgliederzahl schaffen. Dann wird man auch endlich sehen, für wieviele Muslime sie wirklich stehen. Nach manchen Schätzungen sind bloß 10-20 Prozent in den Organisationen vertreten.
Das ist der richtige Weg: Die Muslime sind bescheiden geworden, sie wollen jetzt nicht mehr sofort den gleichen rechtlichen Status wie die Kirchen und die jüdischen Religionsgemeinschaften (Körperschaft öffentlichen Rechts). Sie wissen, dass sie dies überfordern würde. Die Bildung regionaler Zusammenschlüsse ist besser, weil transparenter und näher an den jeweiligen Bedürfnissen der Gläubigen vor Ort.

Des weiteren wird ab sofort eine „Clearingstelle“ beim BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) geschaffen, die die Zusammenarbeit der Muslime mit den Sicherheitsbehörden organisiert. Offenbar ist man sich über den militanten Islamismus als gemeinsamen Feind also einig geworden. Auch das ist sehr gut. Man denke bloss zum Vergleich an England, wo tiefes Mißtrauen die Kooperation zwischen Moscheen und Polizei verhindert.

Die Vereinbarung, mit der die Deutsche Islam Konferenz Zwischenbilanz zieht, erwähnt außerdem den Moscheebau als „wichtigen Schritt zu Integration des Islam in Deutschland“. Das ist sehr weitgehend, wenn man an die vielen lokalen Konflikte denkt. Ich finde es richtig und mutig. Auch islamische Bestattungen sollen erleichtert werden. Auch dies ist wichtig: Wenn Muslime ihre Toten in deutschem Boden begraben, ist das ein Riesenschritt dazu, dieses Land als ihres anzunehmen und sich ihm verbunden zu fühlen.

Im Gegenzug enthält das Bulletin ein Bekenntnis der Muslime zur „vollständigen Beachtung der deutschen Rechtsordnung und der Werteordnung des Grundgesetzes“. An die Mehrheitsgesellschaft ergeht die Forderung, „in Deutschland lebende Muslime als gleichberechtigten Teil der deutschen Gesellschaft anzuerkennen und zu respektieren“.

islamkonferenz.jpg
Die Islamkonferenz tagt. Foto: BMI/photothek

Es wurde allerdings schnell deutlich, dass trotz der gefundenen Kompromissformeln noch eine Menge zu tun bleibt: Bekir Alboga betonte, man habe sich gerne noch einmal zum Grundgesetz und seinen Werten bekannt, und dies sei keine leere Fomel: „Für uns sind Mann und Frau nicht nur vor dem Gesetz, sondern auch vor Gott gleich, der sie beide erschaffen hat.“

Man konnte sehen, wie Necla Kelek litt, als Alboga dieses Bekenntnis ablegte. Sie meldete sich denn auch und stellte heraus, es habe eben keinen Konsens in der Wertefrage gegeben, und was Herr Alboga eben gesagt habe, sei ein blosses Lippenbekenntnis. In den Gemeinden und den Familien sehe es bekanntlich anders aus, da könne von der Gleichheit von Mann und Frau keine Rede sein. Womit sie allerdings auch Recht hat.

In diesem Moment hatte ich wieder das Gefühl, die DIK sei eine sehr gute Sache, weil sie diese unterschiedlichen Kräfte an einen Tisch zwingt, die das muslimische Leben in Deutschland ausmachen. Nirgendwo sonst in Europa (in der Welt?) gibt es ein solches gewagtes, aber nötiges Experiment.

Kelek sagte, es seien Forderungen gestellt worden nach Kopftüchern im Kindergarten und nach Schariagerichten. Alboga sagte, dies seien keineswegs die Forderungen der Muslime im KRM: „Ja, es gibt Buchstabengläubige. Aber wir wollen so etwas nicht. Wir sind zufrieden mit den deutschen Gerichten.“

Als freier Kopf zeigte sich wieder einmal der Sprecher der Aleviten, Ali Ertan Toprak. Er sagte, dies ist unser Land, kein fremder Boden, kein Feindesland, und wir sind stolz, endlich auf Augenhöhe mit unserem Staat zu sprechen. Schäuble sei als der Architekt der deutschen Einheit bekannt. Wir wünschen uns eine zweite deutsche Vereinigung als Ergebnis dieser Konferenz.

Eine Sache aber hat mich ziemlich aufgeregt: Die allgemeine Medienschelte, besonders auf die deutschen Medien bezogen. Wir sollen nicht so viel von der Gewalt sprechen. Wir sollen „alltagsnahe Themen“ suchen. Wir sollen „die kulturelle Vielfalt muslimischer Mitbürger … in dem Sinne darstellen, dass sie zu unserer Kultur in Deutschland als Ganzes beiträgt“.( An die türkischen Medien mit ihrer derzeit unfasslich tendenziösen Meinungsmache hat niemand appelliert!)

Ich bin bekanntlich nicht der Meinung, dass es den „bereichernden“ Beitrag der Muslime nicht gibt. Und es gibt auch manchmal überzogene Dramatisierung in der Berichterstattung über Integration und Islam.
Aber wenn die Politik anfängt, von uns das Positive zu fordern, werde ich hellhörig. Wir sind für die Kritik und nicht fürs Predigen und Gesundbeten zuständig – im nie erreichten Idelafall für die Dinge, so wie sie halt sind.

Positive Diskriminierung in der Berichterstattung ist das letzte, was eine Gruppe brauchen kann, die sich mal zu Recht, aber oft auch zu Unrecht, diskriminiert fühlt. Wir müssen heraus aus dieser paternalistischen Behandlung. Wir müssen die Debatte als (angst)freies Gespräch unter Erwachsenen führen, die sich die Meinung sagen und auch einmal eine Polemik der anderen Seite aushalten. Die Deutsche Islam Konferenz bringt uns dabei voran, Schritt um Schritt.

 

Nachtrag zur Islamdebatte mit Giordano

Zu dem ziemlich unsäglichen Schauspiel, das Ralph Giordano kürzlich auf Phoenix in einer Phoenix-Debatte mit Necla Kelek, Cem Özdemir, Ayman Mazyek, Raphael Seligman und Guido Knopp bot, schreibt Chajm alles Wesentliche:

Giordano, der „scheinbar einige hassende Fans mitgebracht hatte und ansonsten leider keine Argumente, sondern ausschließlich beängstigende Meinungen. Er hat nicht verstanden, oder will nicht verstehen, dass man all seine Argumente auch spielend gegen einen Synagogenbau einwenden könnte und nach wie vor bin ich überzeugt, dass eine Mehrheit der Menschen gegen einen Synagogenbau stimmen würde, wenn sie darüber abstimmen dürften. Selbstverständlich wurde er schnell zur Stimme der Kölner Moscheegegner und Seligmann wendet in dieser Runde natürlich zu Recht ein:

Wenn eine Jude sich zur Stimme des Volkes macht, dann wird er schnell missbraucht

Verblüffend ist die Offenheit, mit der Giordano hasst. Hier in der Talkrunde wiederholt er, dass er den Islam für das Problem hält. Stellen wir uns vor, jemand tritt öffentlich auf und sagt „Das Judentum ist das Problem”. Mit Sicherheit würde Giordano gegen diesen Menschen auftreten.
Dann schreit er heraus:

Wenn die offenen Haare die muslimischen Männer so derartig in Aufruhr versetzen, dann wäre es besser, ihnen Handschellen anzulegen als den Frauen Kopftücher.

Damit bedient er vielleicht den Mob, aber was ist wirklich dran? Vielleicht hat Herr Giordano schon bemerkt, dass es Jüdinnen gibt, die ihre Haare bedecken. Ist er bisher dagegen vorgegangen?“

 

Jede Generation ist die erste Generation

Ein sehr gut recherchierter Beitrag im New York Times Magazine über den türkischen Heiratsmarkt in Deutschland. Durch arrangierte Ehen und Importbräute wird jede Generation immer wieder zur ersten Generation, was die Intergration angeht. Caldwell beschreibt, warum die Türken auf arrangierte Ehen setzen, wie sie die deutschen Familien sehen, und was die integrationspolitischen Kosten dieses Heiratsmarktes sind.

Zitiert wird in dem Stück unter anderem der Gastgeber dieses Blogs:

Like Ayaan Hirsi Ali in the Netherlands, Kelek has been accused of “Enlightenment fundamentalism,” a tendency to defend secular values too dogmatically. Last year, a group of 60 “migration researchers” wrote an open letter to the weekly paper Die Zeit attacking Kelek’s writing as “unserious” — an odd criticism to level at a memoirist, even one trained in sociology. Others say she has made Islam too central to her explanation of violence against women.

chris.jpg

Christopher Caldwell

Marriage among Turks has become a cause célèbre partly because of Turks’ resistance to German ways. But Turks’ acceptance of German ways, particularly by this first generation of Turkish-German feminist writers and intellectuals, plays a role too. “I think a lot of Germans are positively embarrassed by how patriotic these women are,” writes Jorg Lau, an admirer of both Kelek and Ates who often writes about Muslim issues for Die Zeit. For the first time, negative verdicts on the Turkish model of relations between the sexes are coming out of the Turkish community itself.

Und hier ist Christopher Caldwells These zum neuen muslimischen Antisemitismus in Europa.

 

Mozart als Muslim-Test. Die Berliner Wiederaufnahme des „Idomeneo“

In Berlin geht man jetzt nicht mehr einfach in die Oper. Man checkt ins Opernhaus ein wie am Flughafen.

Metalldetektoren, Taschenkontrollen, grimmig dreinschauende Herren mit Kabel hinterm Ohr. Und da kommt auch schon der Innenminister mit seinem Tross, für den sich magische VIP-Schleusen öffnen.
So war es jedenfalls am Montag, als an der Deutschen Oper der »Idomeneo« zur Wiederaufführung kam, der im September in vorauseilender Selbstzensur abgesetzt worden war.

Man hatte Anschläge von Islamisten befürchtet, weil in der Schlusszene die abgetrennten Häupter von Poseidon, Buddha, Jesus und Mohammed zu sehen waren. Den weltweiten Aufruhr nach der Absetzung der Oper hatte Wolfgang Schäuble elegant gekontert, indem er die gesamte Islam-Konferenz zum gemeinsamen Besuch der Wiederaufnahme einlud – eine schöne Gelegenheit, etwas für die Rede- und Kunstfreiheit zu tun.
Schäuble hat damit auch etwas für die Deutsche Oper getan, wie sich zeigte: So voll war das krisengeschüttelte Haus seit Jahren nicht mehr. Man sollte in Betracht ziehen, das Kulturressort wieder ins Inneniministerium zurückzuverlegen.
Denn dieser Minister kann kulturpolitische Weihnachtswunder bewirken. Zum Beispiel vermag er halbtote Opern zum Leben erwecken. Die Berliner Gesellschaft war vollständig erschienen, um sich zur Kunstfreiheit zu bekennen. Und um die anderen dabei zu beobachten, wie sie es tun.

Und ein wenig auch um selbst dabei gesehen zu werden. Ist das nicht der Kulturstaatsminister Neumann, der da auf Englisch mit Al-Dschasira parliert? Und das ist wohl die Integrationsministerin Böhmer, die dem japanischen Fernsehen Rede und Antwort steht? Und dies dort muss der Autor Peter Schneider sein, der, ebenfalls auf Englisch, einen Vortrag über Idomeneo und Abraham hält.Sie waren alle gekommen – die Stölzls und Döpfners, die Künasts und Pflügers, die Lammerts und Körtings und Wowereits.
Schäuble hatte viel riskiert mit seiner Einladung an die Muslimvertreter, sich einen Ruck zu geben und demonstrativ die Oper zu besuchen. Das wurde gerade in den letzten Tagen deutlich, als die Repräsentanten des Zentralrats der Muslime und des Islamrats ihren Boykott verkündeten.

Mit einem mal schien nicht nur die symbolische Opern-Aktion, sondern das ganze große Islam-Projekt des Innenministers auf Messers Schneide zu stehen. Doch es war nur Theaterdonner, und am Ende hatte Schäuble alles richtig gemacht.
Ali Kizilkaya vom Islamrat hatte Schäubles Einladung »ein wenig populistisch« genannt: »Jetzt läuft es nach dem Motto: Nur wer zur Oper geht, ist integriert. Die anderen sind noch nicht so weit.«

Und Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime fühlte sich gar »politisch instrumentalisiert«: »Ich gehe in die Oper, um mich zu entspannen und nicht, um Religion, Kunst und Poltitik in einen Topf zu werfen.«

Mazyek blieb trotzig weg. Kizilkaya aber kam zur Oper, und blieb doch der Aufführung fern. Er war freilich gerne bereit, seine Haltung vor Journalisten zu begründen. So kam es, dass der Muslimvertreter, der die Oper nicht gesehen hatte, am meisten auf Sendung war.
Schäuble gab sich nachher im Gespräch zufrieden selbst mit dieser Haltung: Wenn jemand durch seine Anwesenheit dafür eintrete, dass die Oper aufgeführt werden könne, reiche ihm das.
Und die Opernverweigerer vom Zentralrat der Muslime? Haben Sie nicht auch das gute Recht, fernzubleiben? Niemand sollte zum Besuch einer Oper genötigt werden, um seine freiheitliche Gesinnung zu beweisen.

Der Regisseur Hans Neuenfels hat selbst bekannt, es gehe in seiner Inszenierung »um die Infragestellung von Autorität, von politischer wie geistlicher, denn hier kämpft ein Menschenkönig gegen einen Gott.«

Es wäre widersinnig, ausgerechnet ein Kunstwerk, das kritisch-subversiv sein will wie diese Neuenfels-Inszenierung, zum Geßlerhut der politischen Korrektheit zu machen, vor dem sich jeder zu verneigen hat, der dazugehören will.

Wer Mozart als Muslim-Test benutzt, tut der Kunst einen Tort an. »Als Vertreter einer Religionsgemeinschaft bin ich weder Kunstkritiker noch zuständig für Geschmacksfragen«, hatte Aiman Mazyek, der Generalsekretär des Zentralrats seine Absage begründet.
Im Karikaturenstreit hatten die beiden Muslimvertreter, die sich jetzt so zurückhaltend gaben, allerdings wenig Hemmungen gezeigt, als Kunst- und Geschmacksrichter im Namen einer ganzen Weltreligion aufzutreten. Man wird sie daran erinnern müssen.
Der Abend in der Oper hat gezeigt, dass es unter Muslimen viele nuancierte Haltungen zur Freiheit der Kunst gibt.

Bekir Alboga, Vertreter des größten Moscheeverbandes, der türkeinahen Ditib, stand die ganze Vorstellung mannhaft und mit guter Laune durch, wenn auch am Ende ein wenig mit zusammengebissenen Zähnen, als die blutigen Köpfe auf die Bühne kamen. Geklatscht hat er bei dieser Szene nicht. Aber es scheint, als hätte auch ihn das Stück nicht kalt gelassen.

Es geht darin – sehr ernst und unmozartisch – um einen Vater, der in die tragische Lage geraten ist, seinen Sohn opfern zu sollen – und die grausamen Götter um Gnade bittet. Das ist ein Thema, das wahrlich auch Muslime angeht. Bei Mozart sind die Götter am Ende gnädig, unter der Bedingung, dass König Idomeneo auf die Macht verzichtet.
Manche Muslimvertreter scheint der Prozess, den Wolfgang Schäuble durch die Einberufung der Islam-Konferenz gestartet hat, einstweilen zu überfordern. Sie kommen noch nicht mit der neuen Situation klar, dass sie nun Partner sind und sich nicht mehr als mißverstandene Opfer sehen können.

Zentral- und Islamrat haben Probleme mit der Zusammensetzung der Islam-Konferenz. Es paßt ihnen nicht in den Kram, daß die Konferenz die ganze breite des muslimischen Lebens in Deutschland zu repräsentieren versucht – Konservative, Liberale, Säkulare und Islamkritikerinnen wie Necla Kelek und Seyran Ates. Sie werden damit leben müssen.
Wolfgang Schäuble spielt einen hohen Einsatz, indem er die Islam-Konferenz zu seinem großen persönlichen Projekt gemacht hat.

Er hat die Teilnehmer nicht in die Oper eingeladen, um sie moralisch zu erpressen, sondern um zu beweisen, dass auch Muslime Rede- und Kunstfreiheit zu schätzen wissen – selbst da, wo es weh tut.

Dass der Kulturkampf bei einem gemeinsamen Opernbesuch beigelegt wird – bestrickt von Mozarts Musik, die die Verschonung eines Opfers durch gnädige Götter feiert – ist sicher eine sehr deutsche Idee. Doch der sympathische kulturprotestantische Idealismus des Innenministers ist diesmal aufgegangen.

p.s. Man kann das ja jetzt so sagen, da wir diesen Pseudo-Kulturkampf überstanden haben: Die Neuenfels’sche Schluss-Idee mit den abgeschlagenen Köpfen ist einfach nur Blödsinn: Die Versöhnung hat ja in der Oper schon stattgefunden. Idomeneo wird von der Blutttat verschont, wenn er die Macht aufgibt.

Die Götter wollen bei Mozart kein Blut sehen. Dass der König den Religionsstiftern dann trotzdem die Köpfe abschlägt, ist eine aufgesetzte Religionskritik für Dumme. Und im Falle von Jesus, wenn ich das so sagen darf, leuchtet es am allerwenigsten ein. Er hat sich schließlich schon kreuzigen lassen.

 

Wie die deutschen Parteien ihre Einwanderungspolitik neu sortieren

Diesen Text habe ich auf Einladung der Deutschen Botschaft Washington und der dortigen Heinrich-Böll-Stiftung am Mittwoch, den 15. November 2006, vor dem „Human Rights Caucus“ im amerikanischen Kongress vorgetragen. (Zum Rückübersetzen fehlt mir leider die Geduld.)

Testimony before Congressional Human Rights Caucus, Washington, November 15.

Ladies and Gentlemen,

the issue of national identity and belonging – who we are as a nation and what keeps us together – has always been a crucial and delicate one in Germany.

It has been delicate for ethnic Germans during the postwar era for obvious reasons.

And it is also a pretty tough one for those who migrated to Germany in the last decades. There is a lot of talk about integration in Germany today. The word is often used as if it was a self-evident term. The foreigners, the „Ausländer“, the migrants, the muslims, the Turks are told they’re supposed to better integrate into German society.

This concept is hardly ever questioned anymore. And why should it be? It really sounds self-evident, doesn’t it? Well, of course, it isn’t. Because if you want someone to be better integrated, this supposes that you have a fairly clear idea of what he should integrate himself into.

Let me tell you a little story to show you how tricky and ironic these things can get in Europe, and in Germany especially… Weiter„Wie die deutschen Parteien ihre Einwanderungspolitik neu sortieren“

 

Die neue Kopftuchdebatte – Anfang vom Ende des muslimischen Machismo?

Seit die grüne Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz vor etwas mehr als zwei Wochen an die muslimischen Frauen in Deutschland appelliert hat, das Koptuch abzulegen und im Hier und Jetzt anzukommen, ist ihr Leben auf den Kopf gestellt. Die 1971 in der Türkei geborene Deligöz, die sich selbst als Lobbyistin für Migranten sieht, ist zur Hassfigur für Fundamentalisten und Nationalisten geworden, die sich in ihrem Macho-Gehabe nicht nachstehen. Sie wurde als „Nazi“ beschimpft, mal auch als neue Ayan Hirsi Ali, es gab Morddrohungen. Nun lebt sie unter Personenschutz.

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, schrieb einen Brief an den türkischen Botschafter in Deutschland, Irtemcelik. Der ließ die Bitte um Hilfe kalt abtropfen: Es sei nicht Sache des türkischen Staates, sich in diesen Streit einzumischen. Künast solle sich lieber an die türkische Presse wenden. Wenn es darum geht, sich über vermeintliche Türkenfeindlichkeit beschweren, ist die Botschaft nicht so zurückhaltend. Der Botschafter sollte seine Haltung überdenken: Der größte islamische Verband in Deutschland, Ditib, wird de facto vom Religionsministerium in Ankara und von der Botschaft in Berlin aus gesteuert. Und da sollte der Botschafter nichts zu einem Thema zu sagen haben, dass säkulare und religiöse Türken in Deutschland spaltet?

Um so erfreulicher, dass sich eine breite, überparteiliche Front vor Ekin Deligöz aufbaut, um sie gegen das Klima der Einschüchterung zu beschützen. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sagte im Deutschlandfunk, der Gesetzgeber müsse »mit aller Entschiedenheit durchsetzen«, dass man seine Meinung äußern darf. »Wenn man bedroht wird, dann ist was nicht in Ordnung.« Solange dies so sei, bekomme Deligöz Polizeischutz. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla sagte: »Ein solches Klima des Hasses gegen eine Person, die lediglich ausspricht, was viele denken, ist nicht hinnehmbar.« Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) sagte dem Sender n-tv: »Wir müssen jetzt alle Rückgrat zeigen, und sie hat die uneingeschränkte Solidarität der ganzen zivilisierten Gesellschaft verdient.«

Das ist eine überraschende schwarz-grüne Koalition: Über den Umweg der Kopftuchfrage entdecken die Innenpolitiker der Union den Feministen in sich. Aber man sollte nicht spotten: Die Union spricht neuerdings mit grösserer Glaubwürdigkeit in diesen Dingen. Seit Wolfgang Schäuble den Muslimen durch die Islam-Konferenz eine ausgestreckte Hand geboten hat und seine Absicht erklärt hat, den Islam hier einzubürgern, können Äusserungen zum Kopftuch und zum Verhältnis von Religions- und Meinungsfreiheit nicht mehr als Islamophobie abgetan werden.

Es kommt noch ein Aspekt hinzu: Die Debatte wird zum Glück nicht mehr nur zwischen Deutschen und Türken, Christen und Muslimen, zwischen Mehrheit und Minderheit geführt. Der Kampf der Kulturen findet tatsächlich statt, aber zunehmend innerhalb der jeweiligen Lager. Es stehen auch im Islam immer häufiger selbstbewußte Reformer gegen Konservative. Heute sind es vor allem Frauen mit – schreckliches Wort – Migrationshintergrund, die sich den Mund nicht mehr verbieten lassen und ihre Rechte einfordern – so wie die Anwältin Seyran Ates, die Soziologin Necla Kelek, die Autorin Serap Cileli, die SPD-Abgeordente Lale Akgün und nun auch die Grüne Ekin Deligöz. Die deutschen Türken könnten eigentlich stolz sein, eine ganze Reihe solcher bemerkenswerter Frauen hervorgebracht zu haben.

Aber leider werden sie von Männern repräsentiert, die den weiblichen Freigeistern um Jahre hinterherhinken. Sie haben sich in der Pose des Opfers eingerichtet. Alles dreht sich um Ehre, Respekt und Anerkennung. Sie sind stets vorwurfsvoll und leicht kränkbar, egal ob es um den EU-Beitritt, das Kopftuch oder den Genozid an den Armeniern geht.

Diese Repräsentanten haben grosse Probleme, sich auf die neue Lage einzustellen, die durch Schäubles Integrationsinitiative entstanden ist: Sie müssen nun von Minderheitenlobbyisten, die ihre Hauptaufgabe darin sehen, sich (leider oft zu Recht) über Diskriminierung zu beschweren, zu Partnern werden, die auf Augenhöhe darüber verhandeln, welchen Beitrag sie zum Gedeihen des Landes leisten können.

Die Vertreter der islamischen Verbände haben nun zwar betont, sie teilten Deligöz‘ Meinung über das Kopftuch nicht, sie lehnten die Drohungen aber scharf ab. Das ist immerhin ein Anfang – auch wenn erst wochenlanger öffentlicher Druck sie dazu bewegt hat. Wenn sie als Teil der Zivilgesellschaft Respekt verlangen und anerkannt werden wollen, müssen sie in Zukunft endlich von sich aus die Menschenrechte verteidigen – und zwar nicht nur dann, wenn es um die Rechte der Kopftuchträgerinnen geht.

Die frechen Frauen, die keine Lust haben, sich länger von ihnen vertreten zu lassen wollen, passen natürlich nicht in den Kram. So ist es zu erklären, dass der Islamrat Deligöz in rüder Sprache zurechtwies, sie solle „ihr Brett vom Kopf“ entfernen, bevor sie übers Kopftuch redet. So ist die Entgleisung des Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde, Kenan Kolat, zu verstehen, der gestern nach der Aussprache mit Deligöz sagte: „Was sie gesagt hat, ist für mich Unsinn.“ Wichtig für ihn sei aber auch, „dass sie diesen Unsinn verbreiten darf“.

Diese gönnerhaft-unverschämte Art – nie würde man über einen männlichen türkischen Politiker derart herziehen! – kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Macht der Machos in der türkisch-muslimschen Community schwindet. Wenn der Schmerz darüber nashlässt, werden die angehalfterten Patriarchen sehen, dass Ekin Deligöz und die anderen mutigen Frauen auch ihnen einen Dienst erweisen.