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Ein Sack voller Geduld

 

Es ist abends, ich bin bei einem Freund zu einer Party eingeladen. Im Erdgeschoss sitzen vielleicht ein dutzend Männer. Immer mal wieder verschwindet einer nach oben, wo ein paar Leute aus dem Innenministerium Verträge mit Geschäftsleuten verhandeln.

Ein junger Afghane kommt an den Tisch, er hat bei einem Politiker Werbung für seine Projekte gemacht. Er setzt sich und schenkt sich ein großes Glas Whiskey ein. Dann sagt er:

„Weißt du, Afghanistan ist anders als jedes andere Land in der Welt. Wenn du was erreichen willst, brauchst du Geduld, viel Geduld. Du musst einen ganzen Sack voller Geduld mitbringen. Ehrlich gesagt musst du auch ein Ersatz-Herz mitbringen, eine Ersatz-Leber, einen Ersatz-Magen, für alles brauchst du einen Ersatz. Du musst sie immer in deinem Auto mit dir rumfahren, damit du sie jederzeit austauschen kannst.“

Ich lache. Ziemlich laut.

„Du lachst. Willst du wissen, warum? Weil du weißt, dass ich Recht habe. Ich habe gerade so viel geredet und verhandelt und gefeilscht, deshalb bin ich runter gekommen. Ich brauche ein neues Herz und eine neue Leber, bevor ich wieder hoch gehen kann.“

„Wenn es hilft, kannst du meine ausleihen.“

„Wirklich? Die kann ich gut gebrauchen. Ich hab zehn Ersatz-Organe mitgebracht, aber deine werd ich auch brauchen. Jetzt nicht, ein Herz und eine Leber sind noch übrig, aber nacher ganz sicher. Ich werd jetzt wieder hochgehen. Davor muss ich das hier noch trinken“ – und kippt sich den Whiskey runter.