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Was ist ein guter Fan?

 

Lehrstunde auf der Tribüne: Lisa (links), ihre Mitschüler und der Spieler Dominic Peitz (Mitte)/ © Julian Röder/Ostkreuz

In Rostock gibt es ein besonderes Schulfach für Fußballbegeisterte: Im Unterricht lernen die Schüler, worauf es im Stadion ankommt

Von Pia Volk

Lisa trägt eine leuchtend rote Hose und einen schwarzen Kapuzenpulli, auf dem »Auf geht’s Hansa – kämpfen und siegen« steht. Im Stadion ist der Stammplatz der 13-Jährigen eigentlich die Ostkurve – da, wo die richtigen Fans stehen, wenn der Verein spielt. Heute ist sie aber nicht unterwegs, um für ihre Lieblingsspieler zu jubeln, sondern um noch mehr über Fußball zu lernen: Zusammen mit vier anderen Kindern interviewt sie den Rostocker Mittelfeldspieler Dominic Peitz. Diese Pressekonferenz extra für Schüler ist Teil eines ungewöhnlichen Unterrichtsprojekts. »Was war gestern der Grund für die Niederlage in Hamburg?«, fragt Lisa. »Schlafmützigkeit«, sagt Dominic Peitz, »wir haben unsere Chancen nicht genutzt.«

Hansa Rostock ist zwar gerade in die Dritte Bundesliga abgestiegen, aber Lisa und die anderen haben in der Schule trotzdem das Wahlpflichtfach »Hansa und ich« belegt. So ein Fach gibt es bis jetzt nur in Rostock. Im Unterricht geht es nicht darum, Fußball spielen zu lernen – dazu könnte man ja in einen Verein eintreten. Nein, etwas anderes soll hier gelernt werden: wie man ein guter Fußballfan ist. Heute steht »faires Verhalten« auf dem Stundenplan.

Denn Hansa Rostock hat leider ein Problem mit seinen Fans. Nicht mit allen, aber mit einigen: Diese Leute prügeln sich mit den Anhängern der gegnerischen Mannschaft, mit der Polizei, oder sie zünden im Stadion Silvesterknaller an. Manchmal werden sie als »Ultras« bezeichnet, manchmal auch als »Hooligans«. Hooligan kommt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt Raufbold. Gewaltbereite Fans gibt es nicht nur in Rostock, sondern auch in anderen Städten, Dresden hat zum Beispiel sehr viele, und in Köln haben Hooligans vor Kurzem einem Spieler die Nase gebrochen. In Rostock hat der Verein entschieden, dass man etwas unternehmen muss gegen diese schlimmen Prügeleien. Aber mehr Sicherheitskräfte und Überwachungskameras, noch mehr Polizeikontrollen und Alkoholverbot im Stadion – das reicht nicht.

Damit schon Kinder lernen, was alles zum Fansein dazugehört, hat der Verein das Schulfach »Hansa und ich« erfunden. Der Sonderpädagoge Christian Falkenberg wurde angestellt und organisiert den Unterricht. An drei Schulen in Rostock bietet er in diesem Schuljahr das Wahlpflichtfach an, im nächsten Jahr werden es schon sieben sein – mit insgesamt rund 100 Schülern. Die Kinder besuchen mit dem Betreuer Fußballspiele, sie treffen sich mit Spielern oder entwerfen neue Fan-Shirts und -Schals. Natürlich sind sie nicht immer im Stadion, sondern oft in der Schule, sehen Filme an und basteln Collagen. Im Fan-Unterricht gibt es keine Noten, dafür können die Schülerinnen und Schüler ausprobieren, was sie in anderen Fächern gelernt haben. In Deutsch zum Beispiel geht es gerade darum, wie man Fragen stellt und dann Texte schreibt – so ähnlich, wie es Journalisten tun. Im Stadion setzen die Kinder das Gelernte um, die Pressekonferenz mit Dominic Peitz ist ein Beispiel.

Dass Lisa und die anderen heute ausgerechnet ihn interviewen, ist kein Zufall. Peitz hat von der Deutschen Olympischen Gesellschaft eine Fairplay-Medaille bekommen, weil er einen Schiedsrichter auf eine Fehlentscheidung aufmerksam gemacht hat. Ein Spieler aus der gegnerischen Mannschaft sollte wegen Handspiels eine Gelbe Karte bekommen, aber Peitz hatte gesehen, dass der Spieler seine Hand gar nicht benutzt hatte – und sich beim Schiedsrichter für ihn eingesetzt.

»Ich mache hier mit, weil ich großer Hansa-Fan bin und es Spaß macht«, sagt Lisa. Sie hat alle Spiele der Saison gesehen – zumindest alle, die man sehen konnte. Das Spiel gegen Dresden musste der Verein in einem leeren Stadion ohne Publikum austragen, das hatte der Deutsche Fußball-Bund so beschlossen, als Strafe für die Fans, die sich nicht benehmen konnten. Sie hatten während eines Spiels gegen den FC St. Pauli aus Hamburg Fackeln angezündet und Silvesterböller im Stadion losgelassen. Auch beim Rückspiel in Hamburg durften keine Zuschauer ins Stadion. »Vor leeren Rängen zu spielen ist nicht toll«, sagt Dominic Peitz. »Es fühlt sich an wie ein Testspiel, wenn die Fans fehlen.« Auch für den Verein ist so ein Geisterspiel natürlich nicht gut, denn durch den Verkauf von Eintrittskarten verdient er Geld.

»Was würden Sie am liebsten mit den Fans machen, die Sachen auf das Spielfeld werfen?«, fragt Andre auf der Pressekonferenz der Kinder. Der Fünftklässler spielt auch Fußball. »Ich würde sie gerne selbst auf den Rasen stellen und bewerfen lassen«, sagt Peitz und lacht. Dann erklärt er, dass es nicht nur für Fußballspieler Rote und Gelbe Karten gibt, wenn sie foulen. Auch für Fans gibt es Regeln, an die sie sich halten müssen. Zum Beispiel die, dass man sich nicht mit Anhängern von anderen Vereinen prügelt. »Wer das nicht schafft, darf nicht mehr kommen«, sagt Peitz. Andre findet das fair. Auch Lisas Fazit ist nach dem Gespräch mit Dominic Peitz klar: Weder die Freude über einen Sieg noch den Frust über eine Niederlage sollte man so ausleben, dass andere darunter leiden.