Vor einem Monat gab es in vielen Städten schlimmes Hochwasser. Das ist inzwischen abgeflossen. Jetzt heißt es zu Hause und in der Schule Matsch wegschaufeln. Zu Besuch in einer vierten Klasse
Von Angelika Dietrich
Wenn man die Tür zur Grundschule St. Nikola in Passau öffnet, stinkt es. Es ist ein leicht modriger Geruch, als würde man in einen alten Keller hinabsteigen. Es ist der Geruch, den das Hochwasser in dem Gebäude zurückgelassen hat.
Nur einen Monat ist es her, dass große Teile Deutschlands von einer Flut überspült worden sind. Vor allem Städte, die an den großen Flüssen Inn, Donau und Elbe liegen, waren betroffen. In Passau war auch die St.-Nikola-Schule voll Wasser gelaufen. Sie liegt direkt am Fluss. In der Turnhalle stand die braune Brühe meterhoch. Jetzt, wo das Wasser wieder weg ist, sind die Wände noch fast bis zur Decke gelblich verfärbt. Die Werkräume nebenan sind leer, weil das Wasser hier Feilen, Sägen, Farben und Holz mit sich fortgerissen hat. »Die Sachen sind wahrscheinlich bis nach Wien geschwommen«, sagt die Rektorin der Schule, Petra Seibert. In einer Ecke des Gebäudes stehen Schaufeln, damit haben die Lehrer zwei Tage lang den Schlamm weggeschippt. Jetzt stehen brummende Geräte überall herum, sie sollen die Räume trocknen.
Bis in den ersten Stock ist das Wasser nicht gestiegen. »Ich habe ein bisschen gehofft, dass es bis hier hochkommt«, sagt Sven, ein Schüler aus der Vierten, »dann hätten wir keine Schule mehr gehabt.« Denn in den Räumen oben stehen die Schulbänke, und in denen liegen fast alle Bücher und Hefte.
Schulfrei hatten die Passauer Kinder trotzdem, eine Woche lang. Schließlich waren viele Straßen und Häuser überflutet, es gab keinen Strom und dafür überall Wasser, aber keins aus dem Hahn.
Nicht bei jedem Kind stand Wasser in der Wohnung – zum Glück –, aber alle haben die Flut in irgendeiner Weise miterlebt. Max hat mit seinen Eltern Fahrräder, das Familienzelt, Kisten und die Weihnachtskrippe aus dem Keller nach oben geschleppt – und so gerettet. Vincenc sah das Sofa der Nachbarn davonschwimmen. Paul, bei dem das Wasser zu Hause bis in den zweiten Stock kam, stellte sein Fahrrad bei Sven unter und übernachtete mit seiner Mutter und seiner Schwester bei einem Schulfreund.
Bei Marie daheim war es umgekehrt: Ihre Familie rückte zusammen und nahm eine andere Familie bei sich auf. Lindas Mama ergatterte im Schuhgeschäft die letzten zwei Paar Gummistiefel, bevor das Wasser kam. Eins bekam Linda, die ihren Eltern half, das Lebensmittelgeschäft der Familie leer zu räumen und die Waren in den ersten Stock zu schaffen. Die Einrichtung des Ladens wurde vom Wasser dagegen komplett zerstört: »Jetzt sind die Schreiner da und bauen neue Regale«, erzählt Linda.
Denn als das Wasser weg war, begann überall das große Aufräumen. Paul sah zu, wie sein Haus mit dem Hochdruckreiniger abgespritzt wurde. Und er half, Sachen wegzuwerfen, die im Büro seines Vaters kaputtgegangen waren. Yannik schaufelte Schlamm aus der Kneipe seines Vaters. »Im Keller waren viele Lebensmittel«, sagt er, »die sind alle hin.«
Und auch in der Schule musste viel aufgeräumt werden. Deshalb waren die Kinder nach einer Woche Schulfrei ein paar Tage in einem anderen Gebäude untergebracht. »Das war cool, da haben wir nie Hausaufgaben aufbekommen«, erzählt Anna-Sophie. Sie hatten nicht alle Fächer, sondern ganz viel Mathe. Das Mathebuch war das einzige, das die Kinder zu Hause hatten. Die Lesebücher waren noch im verschlammten Schulgebäude, wo niemand an sie herankam.
Inzwischen sind alle wieder ins richtige Schulhaus umgezogen, auch wenn dort noch viel repariert werden muss. Die Turnhalle zum Beispiel. Und Werken findet nun im Klassenzimmer statt, gearbeitet wird viel mit Papier, weil Holz und Ton in Richtung Wien geschwommen sind. Nur die Fenster, die können sie nicht öffnen, weil der Lärm der Baufahrzeuge und Maschinen zu laut ist.
Zu Hause kehrt bei denen, deren Häuser im Wasser standen, der Alltag nur langsam zurück. Paul konnte zwar vor zwei Wochen mit seiner Familie ins eigene Haus zurückziehen. Aber die Fußböden sind noch feucht und müssen bald herausgerissen werden. Für Clara hat sich durch die Flut sehr viel verändert. Ihre alte Wohnung muss komplett renoviert werden, dahin kann die Familie nicht zurück. Viele Möbel und der Kühlschrank sind kaputt. Die Familie hat bis vor wenigen Tagen in der Notunterkunft gewohnt und ist gerade in eine neue Wohnung gezogen.
Inzwischen fließt der Inn wieder ruhig in seinem Bett an der Schule vorbei. Harmlos sieht er aus, finden die Viertklässler. Haben sie Angst vor einer neuen Flut? Das kommt darauf an, wie schlimm es einen getroffen hat, sagen die Kinder. Die meisten werden sich zumindest lange an die Flut erinnern. Nur Yannik sagt: »Scheiß drauf, jetzt geht’s normal weiter!«