So. Nun ist es amtlich. Am Freitag bestätigte der Oberste Gerichtshof des Kongo das von der Wahlkommission verkündete Ergebnis der Präsidentschaftswahlen: Demnach hat Amtsinhaber Joseph Kabila mit 49 Prozent der rund 19 Millionen abgegebenen Stimmen gewonnen, 32 Prozent gingen an seinen größten Konkurrenten Etienne Tshisekedi.
Die Richter wischten sämtliche Beschwerden über Manipulationen hinweg. In Kinshasa blieb es auf den Straßen zunächst ruhig, was nicht so bleiben muss. Am Dienstag soll Kabilas Vereidigung stattfinden. Etienne Tshisekedi hat seinerseits angekündigt, sich am kommenden Freitag „vor dem kongolesischen Volk“ im „Stadion der Märtyrer“, Kinshasas größter Sportarena, zum Präsidenten ausrufen zu lassen. Außerdem forderte er Armee und Angehörige der staatlichen Verwaltung auf, ab sofort auf sein Kommando zu hören. Der Konflikt geht also erst einmal weiter.
An dieser Stelle sei ein kurzer Einschub zur westlichen Berichterstattung über diese Wahlen erlaubt: Der Kongo befindet sich derzeit in einer schweren politischen Krise, über deren Ursachen man trefflich streiten kann. Wenig hilfreich sind allerdings mediale Reflexe, die in den vergangenen Wochen Schlagzeilen produziert haben wie: „Nightmare Nation„ (Nation des Alptraums) oder „Fears of return to war„ (Angst vor einem Rückfall in den Krieg). Da schimmert das alte Klischee vom „Herz der Finsternis“ durch, was in der Öffentlichkeit zwangsläufig den Eindruck erweckt: Kongo? Hoffnungsloser Fall.
Ebenso wenig nutzt das mediale bashing der internationalen Staatengemeinschaft, die sich angeblich nicht mehr um den Kongo schere, nicht aggressiv genug interveniere, die Kongolesen im Stich lasse und so weiter (okay, okay, diesem Reflex verfällt auch die Autorin dieses Blogs ganz gern).
Es ist richtig, dass die zweiten Wahlen nach Kriegsende weit weniger internationale Aufmerksamkeit bekommen haben als die ersten im Jahr 2006. Es ist auch richtig, dass Proteste gegen Autokraten und für Demokratie nördlich der Sahara als Fortschritt gewürdigt werden, während ähnliche Bewegungen südlich der Sahara gern unter der Rubrik „typisch afrikanischer Gewaltausbruch“ abgeheftet werden.
Bloß ist das, was wir derzeit im Kongo sehen, noch lange kein „afrikanischer Frühling“, sondern der Zusammenprall zwischen politischen Egomanen samt radikalisierter Anhängerschaft. Mittendrin und drum herum befindet sich die Mehrheit der Kongolesen, deren Interessen man auch ohne Meinungsumfrage etwa so formulieren darf: Sie wollen kurzfristig ein halbwegs sauberes Wahlergebnis und mittelfristig eine spürbare Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse – was wiederum nicht ausschließt, dass eben jene Kongolesen ihre Stimme für ein Bier, ein paar Hundert Francs und einen Appell an ethnische Loyalitäten verscherbelt haben. Aber das ist ein anderes Thema.
Was nun die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft angeht: Kaum ein Kriegs-und Konfliktland ist in den vergangenen Jahren mit so viel internationaler Hilfe, Einmischung, Ratschlägen und Sanktionen bedacht worden wie der Kongo.
Wer der internationalen Gemeinschaft Versagen bei den Wahlen 2011 vorwirft, vergisst eines: Beim Kongo handelt es sich inzwischen um einen souveränen Staat mit einer 2006 gewählten Regierung, der man nicht eben mal die Wahlkommission oder das Auszählungsverfahren aus der Hand nehmen kann. Das führt zu der vielleicht nicht ganz befriedigenden Einsicht, dass die Interventionsmöglichkeiten der Staatengemeinschaft sehr viel begrenzter sind als 2006. Ob diese engeren Spielräume ausgenutzt worden sind, darf man bezweifeln. An mindestens zwei Punkten wäre mehr Druck nötig gewesen: Man hätte erstens – das räumen auch europäische Diplomaten in Kinshasa ein – der Wahlkommission klar machen können und müssen, die Wahlen um einige Wochen zu verschieben. Ein erheblicher Teil der Unregelmäßigkeiten ist auf logistisches Chaos zurückzuführen.
Man hätte, zweitens, Kabila und seinem Machtzirkel in den vergangenen Jahren immer wieder verdeutlichen müssen, dass es inzwischen gezielte Sanktionen gibt gegen Politiker, die ihre Auslandskonten mit der Beute aus der Staatskasse füllen. Kurz vor den Wahlen am 28. November hatte Eric Joyce, Vorsitzender der Arbeitsgruppe zur Region der Großen Seen im britischen Parlament, einen Bericht veröffentlicht, wonach Kabila und Co. Rohstoffkonzessionen weit unter Wert an ausländische Scheinfirmen (zugelassen auf gute Freunde des Präsidenten) verscherbelt und die öffentliche Hand damit um über fünf Milliarden Dollar geprellt haben. Das entspricht nach Berechnungen des Kongo-Experten Jason Stearns 80 Prozent des jährlichen Haushaltsbudgets.
Dass so etwas immer noch möglich ist, ist ein Skandal. Dass es inzwischen zum Untersuchungsgegenstand eines europäischen Parlaments wird, ist ein Fortschritt – so viel investigative Energie würde man sich auch im Bundestag mal wünschen. Was (noch) fehlt, sind politische Konsequenzen. Also konsequenter Druck seitens des IWF und anderer Geldgeber, Untersuchung weiterer Fälle, gezielte Sanktionen.
Der Kongo war übrigens vor wenigen Tagen auch dem amerikanischen Senat eine Anhörung wert. Darin wiederholte der für Afrika zuständige Staatssekretär im US-Außenministerium, Jonnie Carson, einige der Vorwürfe über Unregelmäßigkeiten und Manipulationen, welche sowohl die Wahlbeobachter des Carter Center als auch der EU zu der Schlussfolgerung veranlassten: Es ist nicht klar, wer gewonnen hat. Die einzige zulässige Schlussfolgerung daraus kann eigentlich nur lauten, dass man dann eben noch Mal nachzählen muss.
Davor schreckte Carson allerdings zurück. In der Anhörung verlegte er sich auf eine „Lösung“, die eigentlich keine ist: Weil man angeblich nicht mehr klären kann, ob die Unregelmäßigkeiten und Manipulationen tatsächlich Wahl entscheidend waren, belässt man es halt bei Kabilas Sieg.
Darauf wird es wohl auch hinauslaufen. Die Frage ist nun, wie viel Protest und (Staats-)Gewalt dies nach sich ziehen wird. Tshisekedis Ankündigung, sich am Freitag zum Präsidenten des Volks ausrufen zu lassen, lässt da nichts Gutes ahnen. Sie macht auch erneut deutlich, wie problematisch der Mann inzwischen ist. Seine Verdienste um die zivile Opposition im Kongo sind unbestritten. Doch in den vergangenen Jahren hat er seinem Land und seinen Anhängern zwei Mal einen Bärendienst erwiesen: 2006, als er die Wahlen von vorne herein für gefälscht erklärte und sie deswegen boykottierte. Und 2011, als er sich bereits Wochen vor dem Wahltag in einem Interview zum Sieger erklärte. Das zeugt nicht gerade von Respekt für den Wählerwillen. Denn dass der Mann im ganzen Land mehrheitsfähig wäre, darf man mit Fug und Recht bezweifeln. Seine Politikfähigkeit sei ebenfalls dahingestellt. Die Opposition hätte eine reale Chance gehabt, Kabila abzuwählen, wenn zwei der oben erwähnten Egomanen, Tshisekedi und der im Osten populäre Präsidentschaftskandidat Vital Kamerhe, sich zusammengetan hätten. Aber das Ego war eben größer als der strategische Sachverstand.
Auch wenn’s nicht passieren wird – man kann sich zum Abschluss ja mal einen kongolesischen Frühling ausmalen: statt am Freitag ins „Stadion der Märtyrer“ zu pilgern, würden die Wähler in Kinshasa (und in anderen Städten) Sitzstreiks organisieren, Plätze besetzen, ihre (leider durch und durch opportunistischen) Musikstars zu spontanen Straßenkonzerten mobilisieren, sich von den Knüppeln der Polizei nicht provozieren lassen – bis es zu einer Neuauszählung der Stimmen unter internationaler Beobachtung kommt. Und die wird dann auch von allen Kandidaten akzeptiert.