Lesezeichen
‹ Alle Einträge

2. Mai 2019 – Ausgabe 19

 

Leserbriefe zu „Was heißt Sozialismus für Sie, Kevin Kühnert?“ von Jochen Bittner und Tina Hildebrandt

Mit großem Interesse habe ich gerade Ihr heute erschienenes Interview mit Kevin Kühnert gelesen. Nicht zuletzt, weil es bereits in dieser seltsam subtil-provokant-zugespitzten Form angekündigt wird („… würde BMW kollektivieren…“). Leider stößt mir die Art der Fragestellung sehr übel auf. Es bleibt bei mir der Eindruck zurück, dass Sie an einer offenen Befragung gar kein Interesse haben, sondern die Ideen von Herrn Kühnert lieber abwertend in die „Achtung, Achtung, Kommunismus“-Ecke drücken möchten. Das finde ich ausgesprochen schade. Halten Sie etwa die neoliberalen Tendenzen aktueller Regierungspolitik für zukunftsfähig? Es ist doch mehr als offensichtlich, dass diese Ausrichtung gesellschaftlichen Handelns (auch und immer beunruhigender durch seine ökologischen Effekte) keine Zukunft hat.

Ich frage mich ganz ernsthaft und mit der Bitte um Antwort, was an der Idee einer konsequenten, weitsichtigen und gerechten Freiheit für alle, jenseits des kapitalistischen Status Quo, so angsteinflößend ist, dass Sie sich noch nicht mal perspektivisch neutral darauf einlassen möchten? Die Schwierigkeit der Umsetzung sozialistischer Gesellschaftsstrukturen ist und war doch hauptsächlich psychologisch – kultureller Natur: Was macht es uns so schwer, von unserem eigennützigen, besitzfixierten Denken wegzukommen? Wie finden wir zu weniger materialistischen Formen persönlichen und gesellchaftlichen Glücks? Wieso ist Eigentum normativ derart aufgeladen, dass der Mensch bereits zu sein scheint, den gesamten Planten dafür aufs Spiel zu setzten? DAS sind doch die Fragen, die langsam wenigstens mal gestellt werden müssten. Früher oder später wird laut den aktuellen (gern verdrängten) ökologischen Zukunftsprognosen BMW ja wohl keine besonders große Rolle mehr spielen… Gleichzeitig möchte Ihnen für die spitzen Fragen an Herrn Kühnert auch ein bisschen danken, dann seine Antworten finde ich sehr überzeugend, mutig und hoffnungsvoll. Bleiben Sie neugierig :-) – Christian Schellenberg

 

Nachdem den ganzen Tag in den Medien darüber berichtet wurde, habe ich das Kühnert-Interview jetzt endlich gelesen. Die Auflagensteigerung sei der ZEIT ja gegönnt, aber ein bisschen getrickst hat sie da schon. Das Beispiel BMW wurde Kühnert von den Interviewern untergejubelt. Der Shitstorm bei den ü40-Männern erscheint kalkuliert. Für die Generation Kühnerts ist aber die Automobilindustrie wirklich kein gutes Beispiel, da ihr Ende jetzt schon absehbar ist. Hätte man gefragt, ob Kühnert GAFA verstaatlichen will, wäre die Reaktion in der Öffentlichkeit anders ausgefallen. Ein Großteil der Generation ü40 hätte wohl gar nicht verstanden, was da gemeint ist, und die, die es verstehen, hätten eine GAFA-Verstaatlichung vielleicht nicht so schlimm gefunden. Auch in der ZEIT ist immer wieder zu lesen, dass der Sozialismus in Westen (USA, GB) unter jungen Leuten derzeit en vogue ist. Kühnert tritt also für eine ganz neue Art der Westbindung ein. – Peter Häußermann

 

Ich habe mich zunächst auch gefragt, was er da wohl geraucht hatte. Aber in der Woche, in der bekannt wurde, dass 3,4 Millionen Vollzeitarbeitnehmer in Deutschland mit unter 2000 Euro brutto monatlich so wenig verdienen, dass sie davon nicht ohne staatliche Zuschüsse leben können, muss ein Gedanke, wie man das grundsätzlich ändern könnte, erlaubt sein. Kevin Kühnert hat Blick von Reparaturmaßnahmen wie Erhöhung des Mindestlohns um 30 Cent hin zu grundsätzlichen Betrachtungen geöffnet. Natürlich ist, systemisch gedacht, auch die Soziale Marktwirtschaft eine sanfte und humane Spielart des profitorientierten Kapitalismus, wer das leugnet, dem fehlen grundsätzlich Einblicke. Und natürlich kommt man, wenn man den Kapitalismus überwinden und in einen demokratischen Sozialismus überführen will, zwangsläufig zu dem Schluss, dass Kollektivierungsmodelle den Anteil aller an der Wirtschaft besser verteilen würden. Kühnerts Sozialisierungsideen stellen nicht das Programm der SPD für die nächsten fünf Jahre dar. Das war auch nicht das Thema des Interviews und so darf es auch nicht diskutiert werden, wenngleich CDU und FDP daraus „Kühnert will BMW enteignen“ machen werden. Aber angesichts einer immer weiter auseinandertriftenden Einkommens- und Besitzverteilung ist es höchste Zeit, die Grundsatzdebatte über die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen, zu eröffnen.

Genau das hat Kühnert kenntnisreich und rhetorisch brillant getan. Dafür gebührt ihm Dank anstatt hämischer und böswilliger Verdrehungen. Alle, die sich als Teil dieser Gesellschaft fühlen und die Demokratie erhalten und verteidigen wollen, sollten nicht hilflos zusehen, wie Menschen aus ihren Wohnungen vertrieben werden oder wie prekäre Arbeitsverhältnisse zum Regelfall werden, weil eine Minderheit das bestehende kapitalistische System gnadenlos ausnutzt. Niemand nimmt freiwillig eine Arbeit an, von der er eigentlich nicht leben kann, aber unser Wirtschaftssystem belohnt diejenigen, die ihn dazu zwingen. Es geht nicht darum, die Familie Quandt zu enteignen, es geht darum, rechtsextremen und linksextremen Demagogen nicht noch die Argumente zu liefern. Wir könnten ja mal mit der Bekämpfung der Wohnungsnot und der Frage anfangen, ob ein Anteil von 40 % des Einkommens für die Miete noch mit einer sozialen Marktwirtschaft verträglich ist, oder dem Gegenstück, ob 15 Euro Kaltmiete für den Vermieter einer Standardwohnung einen angemessenen Preis darstellen. Daraus ergibt sich die Systemdebatte von selbst, auch innerhalb des Grundgesetzes. Wir sollten Kühnerts Anstoß aufgreifen und sie führen, solange wir das noch können, und zwar unter dem Aspekt, was für Autobahnen geht, muss auch für Menschen gehen. – Wolfgang Harnischfeger

 

Die Argumentation von Kevin Kühnert trägt einen zu einfachen ideologischen Charakter. Denn auch wenn es richtig ist, angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung ein wenig kritischer über „leistungsloses“ Einkommen wie Kapitalbesitz nachzudenken, bedeutet eine private Unternehmensform nicht zwingend, dass derartige Firmen unsozialer als andere in ihrem Auftreten sind. Schließlich gibt es Metropolen wie Hamburg, wo selbst sich in öffentlicher Hand befindene Wohnungskonzerne wie etwa jüngst im ärmeren Stadtteil Veddel* mit dem Gedanken spielen, Häuser mit günstigen Mieten abzureißen, um ihren Gewinn zu erhöhen. Deshalb sollte man lieber über eine bessere Ausbildung von Führungskräften diskutieren, zumal das Thema Wirtschaftsethik immer noch bei vielen Hochschulen in BWL- und MBA-Studiengängen überhaupt nicht im Lehrplan steht!
*https://www.mopo.de/hamburg/trotz-denkmalschutz–die-saga-will-meinen-wohnblock-abreissen-32146972 – Rasmus Ph. Helt

 

April, April!? Nein es ist Mai. Wenn jemand maximal den Wohnraum besitzen sollte, in dem er selbst wohnt, kann sich jemand, der ihn sich nicht leisten kann (also nicht bauen kann) auch nicht irgendwo anmieten. Das ist doch Nonsens. – Thomas Miesel

 

Sie haben dem „Hoffnungsträger“ letztlich der SPD die richtigen Fragen gestellt, die verschmiemelte Rhetorik des Juso-Vorsitzenden demaskiert. So kann man sie besser beurteilen. Danke! Ein Grundrecht auf Wohnung? Warum nicht auch ein Grundrecht auf Wasser und Nahrung? Jeder soll nur soviel Nahrungsmittel besitzen, also auch anbauen, wie er selbst benötigt? Kehren wir also in die Selbstversorgung der Altsteinzeit zurück (in der Jungsteinzeit gab es schon regionale Arbeitsteilung)? Oder muss man als Besucher in einem anderen Ort (Tourist, Student, Praktikant etc) der dortigen landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft beitreten und auch sein Arbeitssoll erfüllen? Jeder soll maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt? Klingt gut. Wechselt also jemand an einen anderen Ort (andere Arbeitsstätte, Lehre, Studium, Praktikum etc), so muss er dort also zunächst sich Wohnraum kaufen (und z.B. nach dem Studium gleich wieder verkaufen)? Oder hält der Staat entsprechenden Wohnraum vor (er kann ja nicht mal den Studienplatzbedarf planen) – oder eine Wohnungsgenossenschaft? Da fallen mir Wohnungsgenossenschaften ein, die in den letzten ca. 20 Jahren Wohnungen verkauft haben, um die verbleibenden zu sanieren. Oder die Neue Heimat, die vor 30 Jahren von den Gewerkschaften (die ja irgendwie mit der SPD verbandelt sind) für einen geringen Betrag verkauft wurde. Nur wenige Mieter der „Gewerkschaftswohnungen“ kauften damals die von ihnen bewohnte Wohnung. Warum? Beim nächsten Mal macht die SPD es besser? Mangelnder Wohnraum? Ist zum einen ein Verteilungsproblem (in vielen ländlichen Räumen und einigen Großstädten stehen Häuser leer) und zweitens Folge des Anspruchsdenkens: Wohnungen, in denen in den 1950er Jahren noch Familien mit Kindern lebten, reichen heute nur noch für Single mit geringen Ansprüchen, oder sind als Zweitwohnsitz nur einen geringen Teil des Jahres bewohnt. – Adolf Ronnenberg

 

Kevin Kühnert träumt also vom Sozialismus, stellt aber fest, dass man in bisherigen sozialistischen Staaten „in den meisten Fällen mit dem eklatanten Mangel an demokratischer Mitbestimmung“ zu tun hatte. Zur Erinnerung: In der DDR wurden Regimegegner bespitzelt und verleumdet und verfolgt, vom Studium ausgeschlossen, in Gefängnisse gesteckt, ihre Kinder wurden ihnen weggenommen und zur Zwangsadoption frei gegeben, bei Fluchtversuchen wurden sie an den Grenzzäunen von hinten erschossen. Dies als „Mangel an … Mitbestimmung“ zu bezeichnen ist nicht nur – milde gesagt – untertrieben, sondern ein Schlag ins Gesicht der Opfer der DDR-Diktatur, darunter auch viele Mitglieder der SPD, die ihren Widerstand gegen den blutroten Faschismus mit dem Leben oder mindestens mit ihrer Freiheit bezahlen mussten. Wie lange lässt sich die zurecht stolze SPD von diesem Typen eigentlich noch auf der Nase herumtanzen? – Volker Müller

 

Es ist sympathisch, dass Herr Kühnert auf das Gute im Menschen vertraut, aber viele Menschen in Deutschland sind wohl eher egoistisch und habgierig. Das ist natürlich auch eine Erziehungssache, und in Deutschland wird eben in der Regel nicht auf Solidarität und materielle Bescheidenheit hin erzogen, sondern auf Ehrgeiz, Durchsetzungsvermögen und Ellenbogengebrauch. Ich wäre deshalb schon froh, wenn wenigstens die schlimmsten Missstände beseitigt würden, z. B. die bislang für die Verursacher weitgehend kostenlose Umwelt- und insbesondere Luftverschmutzung und Klimawandelbeschleunigung durch Industrie, Autoverkehr, Flugreisen, Massentierhaltung etc., die leistungslose Einnahmensteigerung bei Neuvermietungen und inzwischen auch bei Bestandsmieten und nicht zuletzt der Verzicht auf eine Erbschaftssteuer, die diesen Namen verdient. Durch den faktischen Verzicht auf eine Erbschaftssteuer selbst auf größte Vermögen fördern fast alle Parteien in Deutschland die Konzentration von immer mehr Vermögen und damit auch immer mehr Macht in den Händen von immer weniger Personen/Familien. An diesen Missständen hat die SPD eine nicht geringe Mitschuld! Dass das Erbrecht einer der Schlüssel zur sozialen Gerechtigkeit und zum Erhalt der Demokratie ist, stand übrigens auch schon in der ZEIT, z. B. in „Gegenrede: Das Erbrecht ist der Schlüssel“ von Jens Beckert in der Ausgabe vom 11.4.2019. Sinnvoll wäre es meines Erachtens, auch Häuser sowie Aktien und sonstige Unternehmensanteile zur Begleichung einer angemessenen Erbschaftssteuer zu akzeptieren und in einem Staatsfond zu bündeln, so dass dauerhafte Einnahmen zur Verfügung stünden. Zur Kollektivierung: Großkonzerne muss man nicht kollektivieren, aber man muss durch Gesetze und entsprechende Kontrollen dafür sorgen, dass sie nicht nur den Profit, sondern auch das Gemeinwohl im Blick haben. Das wäre meines Erachtens durchaus möglich: http://www.ulrich-willmes.de/paradigmenwechsel.htmlDr. Ulrich Willmes

 

Auch wenn ich nicht sicher bin, ob ich Kühnert in allen Ideen (BMW vergesellschaften, Max. 1 Wohnung pro Eigentümer) im Wortlaut folgen will: Ich finde es sehr ermutigend, wenn junge Menschen heute noch Utopien einer lebenswerten Gesellschaft entwerfen, den Mut haben, sie gegen alle erwartbaren (bis ritualisierten) Widerstände auszusprechen und auch konkrete, demokratische (!) Wege aufzeigen, wie sie umgesetzt werden können. So könnte auch eine SPD aussehen, die Zuversicht hat und Zuversicht zu verbreiten vermag. – Florian Kraemer

 

Von oben herab?
Nachdem im Radio etc. schon so viel vom Kühnert-Interview zu hören war, habe ich selbiges in der „Zeit“ mit besonderer Aufmerksamkeit gelesen. Die von den veröffentlichten Reaktionen herrührende Erwartung, dass hier ein Politiker furchtbar Skandalöses von sich gebe, hat sich dabei keineswegs erfüllt; sehr bedenklich finde ich aber die herablassende Art und Weise, mit der die Zeitreporter Jochen Bittner und Tina Hildebrandt ihren Gesprächspartner behandeln. Deren Masche sieht so aus: Kühnert erklärt etwas. Die Reporter entgegnen: Sie meinen also ……und geben eine Primitivversion des Gesagten wieder, worauf Kühnert wieder korrigieren muss bzw. offenbar zu zugespitzten Aussagen getrieben werden soll. Deutlich wird an Formulierungen wie „Sie halten es also für möglich…“ oder „Gibt Ihnen das zu denken?“, dass die Reporter Kühnerts Überlegungen für völlig abgedreht halten. Sie behandeln ihn von oben herab und der Leser fragt sich, ob sie mit Frau Merkel oder Herr Steinmeier auch so reden würden. Kevin Kühnert ist ein Talent, ein politischer Kopf, der sich Gedanken macht über die Verwerfungen unserer gegenwärtigen Gesellschaft. Welcher Politiker, welche Partei hat denn gut funktionierende Rezepte gegen die Wohnungsnot, die Verarmung der unteren Schichten, gegen das Immer-reicher-Werden der obersten 2%?? Gegen die Auswüchse des kapitalistischen Systems? Welche Lösungen haben denn Jochen Bittner und Tina Hildebrandt? Ja bitte, ich höre…. Solange das so ist, sollten wir uns von kritischen Denkern wie Kühnert inspirieren lassen. Ich finde nicht alles gut, was er sagt, aber zumindest hat er den Mut, aus eingefahrenen (und erfolglosen) Gedankengängen auszubrechen und neue Ideen (so wie auch alte wie Gemeinwohl, Verpflichtung des Eigentums etc. ) ins Spiel zu bringen. – Dr. Paul Löhnert

 

SPD fast wählbar
Wenn das Programm der SPD die Vorstellungen Kevin Kühnerts von einer gerechten Wirtschaftspolitik enthielte, wäre diese Partei fast wählbar. – Dr. Karl W. Biehusen

 

Da hat sich also der Juso-Chef Kevin Kühnert in einem „Zeit“-Interview zu seinen Wunschvorstellungen über den Sozialismus geäußert, und die Aufregung darüber ist allenthalben sehr groß. Ich meine, für eine allgemeine öffentliche Diskussion eignet sich diese Thematik bestens. Denn die SPD steckt zu den verschiedenen bevorstehenden Wahlen in einem Umfragetief. Was wäre, wenn sich unsere derzeitig so zwiespältig orientierte Gesellschaft zu einer sozialistischen Grundordnung hinwenden würde? Sozialismus statt Kapitalismus also! Das so negative Beispiel des sogenannten „real existierenden Sozialismus“ in der untergegangenen DDR, kann dafür natürlich kein Vorbild sein. Nein, aber wenn eine völlig neue Form einer sozialistisch orientierten Gesellschaft gemeint ist, dann sollte darüber schon nachgedacht, gestritten und diskutiert werden. Denn der jetzige Zustand unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit ist mehr als nur besorgniserregend! Reichtum und Armut, zunehmende Gewaltbereitschaft, die offensichtliche Wandlungsunfähigkeit der regierenden Parteien sind nur Teile unserer gesellschaftlichen Gegenwart. Hinzu kommen die ungelösten Fragen, wie der globale Klimawandel wenigstens einigermaßen begrenzt werden kann. Die Menschheit steuert einer offensichtlichen Krise entgegen. Neue Lösungen sind gefragt und müssen gefunden werden! – Dieter Lehmann

 

Die Reaktionen von Verkehrsminister (be) Scheuer (t) entlarven die umwelt – und gesundheitsgefährdende Politik eines sogenannten Volksvertreters, der nicht die Bedürfnisse der Bevölkerung beachtet, sondern nur Lobbyisten und Konzerne bedient. Angesichts der Klimakatastrophe immer noch Wachstum zu propagieren ist rückwärtsgewand (Stichwort „Retro“). In einem wirklich demokratischen Sozialstaat sollten machthungrige, egoistische Politiker ihr unverantwortliches Handeln vor Gerichten erklären. – Andreas Golanowski

 

Er finde nicht, dass es „ein legitimes Geschäftsmodell ist, mit dem Wohnraum anderer Menschen seinen Lebensunterhalt zu bestreiten“, sagte der Vorsitzende der SPD-Jugendorganisation Kevin Kühnert. Zum einen: Die SPD-Jugendorganisation heißt Jungsozialisten. Die Altsozialisten nennen sich Sozialdemokraten. Zum anderen: Er sagt implizit, jeder Vermieter handelt illegitim, d. h. ungesetzlich. In seinem Sinn wäre das offenbar Ausbeutung durch Kapitalisten. Aber gegen welche Gesetze verstoßen sie? Dazu schweigt er.
„Konsequent zu Ende gedacht sollte jeder maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt.“ (O-Ton Kühnert) Dies bedeutet: Er akzeptiert persönlichen Besitz. Allerdings soll der nicht erweiterbar sein, sondern unveränderbar. Er zementiert folgerichtig mit der Aussage den Ist-Zustand. Das ist nicht mal konservativ, das ist reaktionär. Er nimmt damit den Fleißigen alle Möglichkeiten. Die Villenbesitzer bleiben demnach unter sich, die Hausbesetzer kommen leistungslos zu Wohnraum und Bewohner von 45m²-Wohnungen bleiben gefälligst dort, wo sie sind. Sozialismus a la Kühnert. Was er übersieht: Der Sozialismus ist stets die Vorstufe zum Kommunismus. Einfach mal den Marx`schen Histomat lesen. So wie der junge Sozialist Kühnert, im und vom Speck des Kapitalismus lebt, ticken Menschen, die noch nichts selbst erarbeitet haben, keine Wertschöpfung leisteten außer vermeintlich schönen Worten. Solche „Intellektuellen“ wollen offenbar nicht begreifen, dass soziale Marktwirtschaft als praktikabler Weg unter Beibehaltung von Demokratie und Freiheit etwas ist, das sich nicht mal Marx hat vorstellen können. Sozialismus-Kommunismus und Freiheit schließen sich dagegen aus. Das hat die Geschichte des 20. Jahrhunderts eindrucksvoll gezeigt. Kühnert hat seinen Karl studiert, aber irgendwie alles nicht zu Ende gedacht – oder schlicht gedankenlos Marx`sche Ideen des 19. Jahrhunderts unreflektiert nachgeplappert. Aber: Warum überall diese Aufregung? – Lothar G. Kopp

 

„ Da ist doch die sehr moderate Frage berechtigt, warum Leute Rendite erwirtschaften sollen mit etwas, das andere zum Leben brauchen“. Dieser Satz ist ebenso auf die derzeitige Situation unseres Gesundheitswesens und der Altenpflege zu beziehen. Wie kann die Politik als Entscheidungsträger und als gewählte Vertretung der Bevölkerung es zugelassen haben, dass die Pflege kranker Menschen zum Spekulationsobjekt werden konnte? Was geht in den Köpfen vor? Wie kann das geändert werden? Zu diesem Thema „Geld und Vernunft“ – und die letztere verliert meist bei Entscheidungen, die wider besseres Wissen fallen – gibt es leider schon viel zu zahlreiche weitere Beispiele. Im alten Testament steht die schöne Geschichte vom „Tanz ums goldene Kalb“. Sind wir gerade dabei? – Dr. Matthias Bantz

 

Kühnert scheint ein Sozialismus-Nostalgiker zu sein, obwohl er diesen nie life erlebt hat. Der Bengel scheint den Knall nicht gehört zu haben, dass dieses System schon vor 30 Jahren jämmerlich gescheitert ist. Ich bin seit über 25 Jahren Mitglied der SPD. Doch wenn ich so einen Unsinn höre oder lese kommt bei mir so etwas, wie Ypsilanti-Stimmung auf, wo man sich fragt, ob man in dieser Partei noch richtig ist. Umso enttäuschender für mich, weil ich diesen Burschen für so etwas, wie ein Hoffnungsträger der SPD-Zukunft hielt. Einfach dumm und unüberlegt, seine Äußerungen! – Kurt (Curd) Nickel

 

Der Aufschrei und die teilweise unsachlichen Kritiken vieler Politiker und anderer Prominenter über die Sozialismus-Thesen von Kevin Kühnert machen doch nur wiedereinmal deutlich, daß der Juso-Chef hier den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Denn es ist doch unbestritten, dass der Kapitalismus schon in viele Lebensbereiche vorgedrungen ist. Und so kann es nun wirklich nicht mehr weitergehen. Zu lange haben die Regierungen unseres Landes nur die wirtschaftliche Klientel bedient und hofiert und die Bürgerinteressen sträflich vernachlässigt. Von der einst von Ludwig Erhard propagierten sozialen Marktwirtschaft haben sich gerade Parteien wie die CDU/CSU, FDP und auch die SPD leider sehr weit entfernt. Ein konsequentes Umsteuern ist angesagt, wenn man den gesellschaftlichen Frieden nicht gefährden will! – Thomas Henschke

 

Hier stellt ein Politiker seit langer Zeit einmal wieder einen Zusammenhang zwischen Wirtschaft und menschlichen Bedürfnissen her. Wenn in niedersächsischen Gymnasien das Thema „Wirtschaft“ eingeführt wird, wird immer von diesem Zusammenhang ausgegangen. Warum also der entsetzte Aufschrei? Allerdings wird der Zusammenhang auch sehr schnell wieder unter den Teppich gekehrt. – Holger Sievers

 

Weit entfernt bin ich von den politischen Vorstellungen des Juso-Vorsitzenden. Aber angesichts unserer dahindämmernden politischen Führung in Berlin sind die Gedanken eines 30- jährigem irgendwie erfrischend. Die Reaktionen zeigen aber auch, das mancher der Kritiker das Interview entweder nicht gelesen oder es nicht verstanden hat, oder es nicht verstehen wollte. Zum Glück gibt es Deutschland – noch – kein Denkverbot, denn: „Die Gedanken sind frei…“! – Ein/e Leser/in

 

Utopisch, weil viel zu human gedacht. Da stellt doch tatsächlich jemand nicht den Gelderwerb sondern den Menschen in den Vordergrund. Ei, wo sind wir denn? Hätten wir einen Pflegenotstand wenn die Befürnisse der Menschen eine Rolle spielten? Hätten wir einen ausufernden Niedriglohnsektor, wenn es um den Menschen ginge? Hätten wir einen Lehrermangel? Hätten wir eine stigmatisierende Sozialpolitik, die die Betroffenen im Zweifel auch noch vorsätzlich in existentielle Not treibt? Nein ! Da ist der Aufschrei natürlich groß, wenn jemand indirekt offen legt, dass die Politik hierzulande seit Jahrzehnten von betriebswirtschaftlichen Interessen ferngesteuert ist. Die oben genannten Probleme sind nicht gottgewollt sondern die logische Folge einer Politik, die den Menschen ganz selbstverständlich zum Kostenfaktor degradiert. – Jürgen Engel

 

Herr Kühnert mag mit manchen seiner Ansichten recht haben, aber er wählt offenbar gern den falschen Zeitpunkt für die Veröffentlichung. Die derzeitige Veröffentlichungssucht erweist sich hier erneut als problematisch, denn wie zur Zeit der letzten Bundestagswahl und nun vor der Europa-Wahl macht er sich zum Wahlhelfer anderer Parteien. Und er fällt damit fähigen SPD-Verantwortlichen in den Rücken. Wo blieb mit denen die Auseinandersetzung hinter verschlossenen Türen? – Hermann Max

 

Vielen ist bereits sonnenklar, dass der Kapitalismus in seiner derzeitigen Form mit seiner Profitgier, Konsumismus, extremer sozialer Ungleichheit, Ausbeutung von natürlichen Ressourcen und Menschen mit der Folge der Zerstörung der natürlichen Umwelt der Menschheit keine tragbare Perspektive bieten kann. Aus diesem Grund ist es endlich an der Zeit, wieder über alternative Gesellschaftsmodelle nachzudenken, dabei darf es außer Rassismus und Menschenverachtung keine Denkverbote geben. Aus dem historisch mißlungenen Experiment einer unterkomplexen Planwirtschaft, die notwendigerweise in die Diktatur führte, müßten wir lernen, statt sozialistische Überlegungen per se zu verpönen. Wir sollten uns an die frühen Gedanken von Karl Marx erinnern, der eine Aufhebung gesellschaftlicher Entfremdung dann sah, wenn eine Transparenz zwischen Produzent und seinem Produkt gegeben ist. Außerdem lehrt uns die moderne Naturwissenschaft, dass in der Natur das Prinzip der Selbstorganisation ubiquitär ist. Wir brauchen also sowohl kollektive Strukturen als auch einen Markt, eine tiefgehende wirkliche Demokratie, eine neue Bescheidenheit und eine nachhaltige Produktion mit zyklischen Abläufen. Kevin Kühnert kommt mit seinen Überlegungen diesen Prämissen sehr nahe. Insofern verstehe ich den Aufschrei, insbesondere seiner eigenen Genossen nicht, denn die Sozialdemokratie hätte es historisch nun wirklich nötig, inspirierende Alternativen zu entwickeln, statt bei einer bloßen Umverteilung von Geldern stehen zu bleiben, ansonsten ist der Absturz in der Popularität der Bevölkerung wohl zu verstehen. Eine wirkliche inhaltliche Auseinandersetzung mit den Kühnertschen Überlegungen vermisse ich bisher! – Dr. Alexander Schulze

 

Mich verstört die von einem Langzeitstudenten ( ohne Abschluss ) ausgelöste Debatte. Die begierig fortgetragen wurde und der die Zeit ( absichtsvoll ? ) ein Forum geöffnet hat. Oder ist das der Tribut einer nachrichtenarmen Zeit? Wir hatten doch hierzulande bereits ein Lehrstück namens DDR , Anschauungsmaterial über 44 Jahre. Da ist doch für jeden etwas dabei, von Vollbeschäftigung über Kita-versorgung bis zum Staatseigentum. Vor 30 Jahren hätten trotzdem viele entgegnet: “geh doch nach drüben”! So kurz kann manches Gedächtnis sein. Ob demnächst auch AFD-Größen in den Leitmedien ihr Gedankengut ebenso prominent präsentieren dürfen? Fast schon skuril, dass einige SPD-Kader Verständnis oder gar Sympathien für diese Thesen aufbringen. Da wird mancher ehemaliger Stammwähler seufzen: alles richtig gemacht, Volkspartei ade! – Christoph Schönberger

 

Kapitalismus am Ende?
Viel Geschrei, aber auch viel Aufmerksamkeit für ein paar notwendige, wenn auch unvorsichtig formulierte Aussagen, des Juso-Vorsitzenden Kühnert. Wenn sich auch der Kapitalismus weltweit als erfolgreichstes Wirtschaftssystem erweisen konnte, in seiner späten Phase führen seine Extreme zu desolaten Zuständen (Phantasiegehälter, Risikofreistellung, Marktbeherrschung, betrügerische Geschäftsmodelle, Klimaignoranz, Lohndumping und Altersarmut, um nur einige zu nennen) und erzeugen ein Erstarken nationaler Gesinnung, gerade von denen getragen, die ihn als einzig denkbares Modell befürworten. Ein entsprechender Aufschrei industrieaffiner „rechter Socken“ folgte sofort. Und die eigene Partei, die ja weitgehend vergessen hat, was sie in Ihrem Namen trägt, zeigt sich erschrocken. Dass der neoliberalistisch geprägte Kapitalismus einer Evolution zu einer sozialeren demokratischen Form finden muss, ist überfällig. Dass dabei die Unternehmensgestaltung mehr in die Hände der das Unternehmen tragenden Beschäftigten gehört, ist eine mögliche Form, wenngleich das Risiko des Kapitalgebers auch bewertet werden muss. Und dass Wohnraum als ein Grundbedürfnis und Landeigentum als ein nicht vermehrbares Gut per Gesetz aus spekulativer Hand genommen werden sollte, versteht sich von selbst. Sicher ist der deutsche Weg einer „Sozialen Marktwirtschaft“ ein richtiger, er muss nur Priorität haben. Leider wurde er in zunehmenden Maße dem staatlichen Wettbewerb nach dem Motto geopfert, wenn das alle falsch machen, muss ich das auch, um meine Profitziele zu sichern. Herr Kühnert hat visionär geantwortet und sich nicht darum gekümmert, für welche Interessengruppe gerate eine Kleinigkeit verbessert werden kann – der Mut dessen, der noch nicht durch tägliche Kompromisse abgeschliffen wurde. Bravo! Zu hoffen ist, dass er dadurch einen Stein ins Rollen bringen konnte. – Wolfgang Clausmeyer

 

Keine Schelte – wie von von Frau Nahles wegen angeblich falscher Antworten, sondern Anerkennung für seine konsequenten Überlegungen gebührt Kevin Kühnert. Das, was jetzt an Medienaufmerksamkeit und öffentlichen und privaten Diskussionen folgt, zeigt die Dringlichkeit des Themas „bezahlbarer Wohnraum und Schutz des Wohnraums vor Spekulanten“. Die bisher von der Regierung beschlossenen Maßnahmen wie Mietpreisbremse reichen nicht aus bzw. sind nicht ausreichend wirksam.Das Übel setzt an bei der Zinspolitik, die allen Geldanlegern suggeriert und auch bestätigt, dass bei der schon viel zu lange anhaltenden Zinspolitik der größte Gewinn mit „Betongeld“ zu erzielen ist, deswegen die Überhitzung des Wohnungsmarktes mit immer weniger bezahlbarem Wohnraum. Wahrscheinlich ist Kevin Künast einer der wenigen politisch Aktiven, die kein Interesse an Wohnungseigentum haben, sondern er erkennt, dass genossenschaftliches Wohnen und genossenschaftliches Arbeiten (z. B. start-ups und andere Firmengründungen, die nicht Einzelnen zum Wohlstand verhelfen, sondern solidarische, gleichberechtigte Arbeitsplätze schaffen und nur dann auch mit einer entsprechenden öffentlichen Förderung ausgestattet werden) das Ziel unseres Miteinanders in einer sozialen und demokratischen Gesellschaft sind. Es müssen Wohnungs- und Arbeitsgenossenschaften, die ja schon gelebt werden, vermehrt vorgestellt und diskutiert werden, damit sie aus dem Nischendasein heraus kommen und der breiten Öffentlichkeit eine nachahmenswerte und zukunftsweisende Richtung geben können. – Ein/e Leser/in

 

Vielleicht sollte der gute Kevin Kühnert, die Gelegenheit gleich beim Schopfe packen, um sich in bester „Vorbildmanier“, ganz leicht und locker, aber völlig entspannt, selbst zu enteignen! – Riggi Schwarz

 

Statt in aller Ruhe über die Argumente von Kevin Kühnert nachzudenken und darüber zu diskutieren, bellt aus allen Ecken der getroffene Hund. – Geelke Braun

 

Entgegen der verbreiteten Schelte über das von Ihnen geführte Künhert-Interview, fand ich das Gespräch durchaus positiv und schreibe Ihnen meine Meinung dazu auf:
Kevin Kühnert, fast dreißig, Jusovorsitzender hat noch Visionen. Das finde ich schonmal gut. Ich verstehe nicht, warum nun alle auf ihm herumhacken. Es sind fast ausnahmslos ältere Politikschaffende, die noch nicht registrierten, dass es ein weiter so nicht geben kann. Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer. Es geht meist um Wachstum und Profit. Wohnen ist bald nicht mehr bezahlbar. Wir blasen viel zu viel CO2 in die Luft. Rüstungs- oder Verpackungsindustrie verdienen sich dumm und dämlich und zerstören mit Ihren Erzeugnissen menschliches Leben und unsere Umwelt. Es sollte viel mehr KÜHNERTS geben, damit sich hier endlich etwas ändert und dem allseits verbreiteten Egoismus endlich der Garraus gemacht wird. – Achim Bothmann

 

Die Gedanken sind frei!
Ist es nicht faszinierend, die Freiheit des Einzelnen im Blick zu haben? Haben wir nicht alle den Wunsch über unser Leben selbst zu bestimmen? Vielleicht haben wir vergessen, was eine Vision ist. Und ich bin nicht der Meinung, dass, wer Visionen hat, zum Arzt gehen sollte, denn nur so kann es eine, aus meiner Sicht dringend gebotene, (Weiter-)Entwicklung in unserer Gesellschaft geben und – welch’ ungeheuerliche Vorstellung – der Kapitalismus überwunden werden. Mich begeistern die Überlegungen Kevin Kühnerts und die Freiheit in seinen Gedankenspielen: „Was unser Leben bestimmt, soll in der Hand der Gesellschaft sein und demokratisch von ihr bestimmt werden.“ Ist es nicht gerade dies, was uns massiv verloren zu gehen droht? Wir kämpfen um unsere informationelle Selbstbestimmung, den Schutz unserer Daten, weil sie in der Hand einiger Weniger munter als lukrative Einnahmequelle benutzt werden – natürlich ohne uns vorher zu fragen! Wir stellen mit Erschrecken fest, dass das Grundbedürfnis Wohnen nicht mehr ausreichend befriedigt werden kann, dass Wohnen inzwischen bei vielen Bürgern einen Großteil ihrer Einkünfte auffrisst, im Alter allemal, und dass Immobilien zu Spekulationsobjekten werden, weil Eigentümer ihre Marktmacht ausnützen und ihre Gier befriedigen. Das hat nichts mehr mit Sozialer Marktwirtschaft zu tun. Deshalb ist es ein faszinierender Gedanke, Eigentum, das zu groß und zu mächtig wird, demokratisch zu beschränken, gar zu kollektivieren. Sind wir nicht nur „Gast“ auf Erden? Wer kann etwas „mitnehmen“?
Die Feststellung, dass Beschäftigte eines Betriebes maßgeblich zu dessen Gelingen beitragen („…Massenproduktion geht nur noch mit Beschäftigten.“) und deshalb ebenso wie ein Unternehmer oder Manager eine entsprechende Entlohnung verdienen, ist nicht wirklich neu, sondern, meines Erachtens für manche immer noch zu ‚gefährlich’, denn dies würde eine Machtverschiebung zugunsten der Arbeitnehmer bedeuten und auch die hohen Einkommen Einzelner nicht mehr rechtfertigen. Und, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Die Freiheit eines selbst bestimmten, evtl. sogar unterschiedlichen Verdienstes – für die gleiche Arbeit! – ohne Existenzangst zu genießen! Es wäre eine spannende Herausforderung und hohe Verantwortung für den Bürger und die staatlichen Organe gleichermaßen!
Kevin Kühnert zeigt hier Möglichkeiten auf, gibt Denkanstöße und bietet Alternativen.
Endlich mal eine aufrüttelnde, konstruktive Kritik an dem nimmermüden, hilflosen „Weiter so!“ Die SPD sollte dankbar sein für diese Anregungen, denn so könnte sie wirklich einen neuen, eigenen Weg einschlagen, neue Wähler gewinnen, endlich wieder einmal das „S“ in ihrem Namen vorzeigen können und nicht zuletzt auch die Partei sein, die der AFD das Wasser abgräbt. – Maria Luise Bock

 

Kevin Kühnert verfügt zweifellos über ein beachtenswertes politisches Talent, ist intelligent und rhetorisch stark. Aber all das ersetzt nicht eine breite Wissensbasis und Lebenserfahrung. Zurzeit jedenfalls läuft Kühnert und mit ihm die SPD Gefahr, sich in einem überaus diffusen Linkspopulismus zu verfangen. Und auch Deutschland insgesamt tut dieser populistisch wirkende Diskurs in der gegenwärtig ohnehin recht aufgeheizten, mitunter verrohten Debattenkultur nicht gut. Denn jede populistische Einlassung, ob von links oder rechts, führt geradewegs zur nächsten, schwächt die notwendige undogmatische Verständigung und entzieht der politischen Mitte Kraft und Zusammenhalt. Das ist nicht zuletzt für die anstehenden Wahlen in diesem Jahr ein großes demokratisches Handikap. – Ira Bartsch

 

Tagträume eines Sozialisten
Lieber Herr Kühnert, ich frage mich, welches Motiv Sie wirklich treibt, mit so einem Gesprächsinhalt an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich unterstelle Ihnen keine niederen Motive, beispielsweise im Wind aktueller populistisch verwerteter Themen zu segeln, um sich wieder stärker ins Gespräch zu bringen. Was Sie auf jeden Fall erreicht haben ist, die Menschen aufzuschrecken oder zu erschrecken. Dass die Tagträume eines Sozialisten (was Sozialismus für Sie heißt, ist mir nicht klar geworden, leider erschöpfen sich die Ausführungen nur im Plakativen) viele Adressaten auf die Palme treibt, war abzusehen. Der SPD haben Sie jedenfalls einen Bärendienst erwiesen. Ihre Visionen beschreiben ja gerade für die SPD richtige und wichtige Themen. Aber eine nur schlagwortartige Skizze eines radikal neuen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems ausgehend von der Prämisse, dass Sie mit der bestehenden Ordnung nicht einverstanden sind, generiert ausschließlich Emotionen.
Lieber Herr Kühnert, es bleibt nur die Ochsentour: Die SPD braucht ein neues Profil Konzepte ausarbeiten. Überzeugen. Mehrheiten suchen. Wie wollen Sie die SPD verändern? Dazu haben Sie leider nichts gesagt. Wann kommt Ihr Buch, in dem Sie ihr Modell ausarbeiten? – Gerhard Lösl

 

Zu der Aussage von Kevin Kühnert, jeder solle maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt, könnte man sagen, dass im Umkehrschluss, jeder, den Wohnraum, in dem er wohnt, auch selber bezahlen muss. Dass dies nicht funktionieren würde, ist offensichtlich, da ja viele gar nicht das Geld dafür haben oder auch das Wohnen in Miete dem Wohnen im eigenen Wohnraum vorziehen. Viele Menschen sind doch froh darüber, dass andere Leute ihr Geld in den Bau von Wohnraum anlegen. Völlig indiskutabel erscheint mir die von Kühnert als Begründung für seinen Vorschlag formulierte Frage, warum Leute Rendite mit etwas erwirtschaften sollen, das andere zum Leben brauchen. Mit derselben Logik könnte man dann auch sagen, es sei sei unsozial, dass Bäcker Geld verdienen mit dem Verkauf von Brot, das ja auch jeder zum Leben braucht, oder noch schlimmer, dass Zahnärzte Geld verdienen durch das Behandeln von Zahnschmerzen anderer Leute. – Walter Amann

 

Die fast unisone Aufregung um die Äußerungen und Gedankenansätze von Kühnert zur Enteignung bzw. Vergesellschaftung etc. erscheint mir scheinheilig und polemisch. Hier wurde doch nur mutig eine schon länger dringend notwendige Diskussion in die Gänge gebracht. Hat man nicht schon lange in fast allen Parteien vermerkt oder bemerkt, wie ungerecht u.a. die Vermögensverteilung oder die Lage auf dem Wohnungs- bzw. Immobilienmarkt ist?! Nur wenige der etablierten Politiker haben es wirklich gewagt, diese Missstände offen und deutlich anzusprechen bzw. sich wirklich für eine entscheidende Änderung einzusetzen. Da sei, parteiübergreifend, die liberalsoziale Marktwirtschaft vor(!)und alles bleibt wie es ist. Nur immer weiter so… Flickschusterei ist angesagt. Nunmehr wird Häme, Spott und Wut über denjenigen ausgeschüttet, der diese Missstände vom Grunde her auszusprechen wagte. Könnte es vielleicht sein, dass in unseren Politikern fast aller Couleur so etwas wie ein schlechtes Gewissen erwacht ist?! Wer steht denn auf dem Boden des Grundgesetzes? Derjenige, der dieses mit allen Artikeln anerkennt oder derjenige, der je nach Belieben, eigenem Nutzen bzw. politischem Standort, einzelne, ausgewählte Artikel ablehnt? Jeder weiß, dass nicht alle Artikel, wie z.B. Art 3 GG, Gleichberechtigung, bis heute vollständig durchgesetzt wurden aber, es ist doch interessant, dass viele unserer demokratisch en Politiker so offen, den Boden auf dem sie doch stehen wollen (müssen) verlassen. Cui bono? Eigentum verpflichtet gem. immer noch geltendem Grundgesetz weiterhin und soll auch zugleich dem Allgemeinwohl dienen. Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung …….in Gemeineigentum…. überführt werden Wieso wird nun u.a. der reale Sozialismus à la DDR heraufbeschworen, statt sachlich und mutig die nicht geleugnete Problematik anzugehen? Ich hoffe, dass sich nach gelegter Aufregung, der eine oder andere Politiker wieder dem Boden des Grundgesetzes, auf dem ja vorgeblich alle Demokraten stehen, nähert und eine sachliche Diskussion möglich ist. – Norbert Hansen

 

Herr Kühnert war der Meinung, dass eine Regierungskoalition aus CDU,CSU und SPD nicht gut für das deutsche Volk ist, und er hat dagegen gekämpft. Das war richtig, was wir täglich miterleben müssen. Was die Kollektivierung von deutschen Unternehmen angeht, so haben Frau Hildebrandt und Herr Bittner BMW, Siemens und die Deutsche Bank erst ins Spiel gebracht. Die deutsche Autoindustrie hat ihre Kunden betrogen und den guten Namen „Made in Germany“ in der ganzen Welt in Verruf gebracht, ohne dass unsere Regierung etwas dagegen unternommen hat. Warum sollte man diese Unternehmen nicht bestrafen? Das gleiche gilt doch auch für große Wohnungsgesellschaften, die ihre Wohnungen vergammeln lassen und trotzdem laufend die Mieten erhöhen. Ist das vielleicht im Sinne der Allgemeinheit? Wir müssen uns nicht wundern, wenn sich die Auffassungen von Herrn Kühnert in nicht allzu ferner Zeit Im Land weiterentwickeln. – Günter Belschner

 

Ob Kühnerts Idee nun jugendliche Naivität sind (29 ist das neue 19!) oder ob er auf der Suche nach dem „Sozial“ aus der gleichnamigen Marktwirtschaft ist, wünschenswert wäre in jedem Fall eine Rückbesinnung auf Artikel 2 GG (Eigentum verpflichtet…) – was langfristig zur „Gemeinwohl-Ökonomie“ führen könnte. Das Argument allerdings, man dürfe mit einem Grundbedürfnis (Wohnen) keine Rendite erwirtschaften, blendet zahlreiche andere Grundbedürfnisse aus, von der viele Menschen leben: Ärzte, Bauern, Krankenschwestern, um nur einige, wenige zu nennen. Das scheint mir zu sehr in Richtung einer sozialistischen Utopie zu gehen –die dem menschlichem Individualismus widerspricht. – „Meikell“ Koehn

 

Ich kann, ehrlich gesagt die Aufregung von und über Kevin Kühnert nicht verstehen. Einige seiner Forderung sind schon umgesetzt. BMW, um beim Beispiel zu bleiben, ist schon demokratisch gesteuert und in gesellschaftlichem Eigentum. Denn BMW ist eine Aktiengesellschaft. Die Aktionärsversammlung bestimmt unter anderem den Vorstand und die Verwendung der Profite. Eine weitere Forderung Kühnerts ist ebenso erfüllt: Die Freiheit. Es besteht die Freiheit des Einzelnen und der Angestellten, sich an der BMW AG zu beteiligen oder eben, es zu lassen. – Philippe Jaeck

 

„…entweder du bist ein teil des problems oder du bist ein teil der lösung. DAZWISCHEN GIBT ES NICHTS. so einfach und doch so schwer.“ Meins, Holger/1974
Die Zielformulierungen des Herrn Kühnert erscheinen schlüssig. Sie fußen auf Analyse und Kontemplation. Der Vortrag kommt kühl und unbesoffen daher, ganz anders als die darauf eingehenden Medienkommentare und (Nicht-) Statements arrivierter Akteure, nehmen wir doch nur Frau Nahles oder gern auch Herrn Scholz. Oder diesen CSU-Funktionär, dessen Name mir gerade eben entfallen ist… bescheuerter Weise.
„…besinnt Euch auf Eure Kraft und darauf, dass jede Zeit eigene Antworten will und man auf ihrer Höhe zu sein hat, wenn Gutes bewirkt werden soll.“ Brandt, Willy/1992.
Mehrwert der Lohnarbeit in die Taschen gewinnmaximierender Shareholder und Erben? Läuft!
Unsere Gesetzgebung demnächst als Arbeitsfeld pfiffiger Lobbyisten? Familienrecht in die Hände der Mullahs? Rechtspflege und Inkassoservice als Domäne suspekter Clans und Geschäftemänner? Ach, läuft auch schon…?
Boni für „Rechtsbrechende“…! Nun ja!
Aspekte der grundlegenden Daseinsvorsorge endlich privatisieren: Das Meer, Grund und Boden, Atemluft und Wasser, Energie und Mobilität, Wohnungen als Leergut und Bildung als Ware, medizinische Versorgung, Hygiene von Lebensmitteln, Abfallbeseitigung, Daten, Bodenschätze, die Bodenreinheit, das Tierwohl, die Finanzmärkte, Sicherheitsorgane … Machen wir doch alles längst. Aber nicht mit uns…oder doch?
Verantwortung für den Planeten und seine „Bewohnenden“ im Sonderangebot. Ablaßhandel mit CO² Zertifikaten. Steuerfreiheiten für Unternehmen der digitalen Ökonomie. Nochmal Freibier! Cum-Ex. Bibens!
Welcome, Friday for Future-Kids! Und grüßen Sie Kühnert bitte!
Denn diese sind auf der Höhe unserer Zeit.
„… sie wissen, der Kampf geht weiter. Und sie wissen, die Wahrheit wird siegen!“ sangen schon 1971 Ton Steine Scherben.
Wie wir das Erstrebte irgendwann einmal nennen wollen, „gerechte Gesellschaft“ oder „nachhaltiges Leben“ oder „demokratischer Sozialismus“, da wird man mal kucken müssen. – Albert Luis Ude

 

Ein Blick auf die hier einschlägigen Artikel 1, 14, 15, 20, 79/3 unseres Grundgesetzes, den Wortlaut des Interviews mit Kühnert und sein Recht auf verfassungskonforme freie Meinungsäußerung entlarven die herabsetzenden Pressemeldungen und Kommentare zu Kühnerts Überlegungen über den Zustand der Demokratie als belangloses Gefasel. Sie kommen einer Volksverdummung nahe und sind Angriffe auf die Grundwerte unserer Verfassung. Der steigende Wohlstand bei einer Hälfte und die zunehmende soziale Schieflage bei der anderen Hälfte der Gesellschaft sowie die Bedrohung unseres Lebensraumes durch mangelhafte Umweltpolitik erfordern Politiker, die sich als Repräsentanten der gesamten Gesellschaft verstehen und nicht als Vertreter von Lobby-Gruppen.

Jeder Wähler kann bei anstehenden Wahlen die Leistungen der Regierenden für sich bilanzieren, inwieweit die bekannten Probleme durch Regierungshandeln entschärft wurden, z.B. bei Mieten- und Einkommensentwicklung, Umweltproblemen, Trinkwassergefährdung und Insektensterben, der Zukunft der Automobilwirtschaft und Mobilität, Einwanderung, Asylbewerbern und Flüchtlingen, den Bildungsausgaben, der Fortentwicklung Europas, beim Anschluss an die IT-Welt. Demokratie bedeutet frei (von Angst) zu sein, gleiche Chancen und vor allem ein gemeinsames Verständnis darüber zu haben, was ein gutes Leben ist. Die Reaktionen auf das Interview mit Kühnert zeigen, dass die gewählten Volksvertreter den Kampf für die Verwirklichung einer derartigen Demokratie und eine zielstrebige Lösung bekannter Probleme nicht im Sinn haben. Die Pressestimmen zum Interview sind belanglose, überwiegend irreführende, rechthaberische und den Sachverhalt verdrehende Meinungen. Die Presse sollte ihre Medienmacht zur korrekten Unterrichtung ihrer Leser mit unstrittigen Fakten verwenden und nicht unmaßgebliche Meinungen verbreiten. – Manfred Eckelt

 

Der Aufschrei war groß. Zuallererst ist auf die Diskussionskultur in unserem Land einzugehen, in welcher unreflektiert, schlimmer ungelesen, ein Interview selbst von Parteifreunden bewertet wird und jede sachliche Diskussion in Twitter-Manier in unerträglicher Tonlage im Keim erstickt. Wie manchmal die Union an ihr C im Parteinamen erinnert werden musss, hat der JuSo-Vorsitzende an das S im Namen der ältesten Partei Deutschlands hingewiesen. Man muss Kevin Kühnert nicht in allen Punkten zustimmen, dennoch zettelt er eine dringend notwendige Debatte an, die wir als Gesellschaft führen müssen: wem gehört erwirtschaftetes Kapital, und wie wird es zum Nutzen des Gemeinwohls, dem Kreislauf aus Wirtschaft, Bildung und sozialem Ausgleich zurückgeführt? Als Führungskraft in einer der kapitalistischsten Branchen, der IT-Branche, kann ich die Schieflage unseres Wirtschaftssystems aus schmerzvoller Eigenerfahrung bestätigen. Die meisten Entscheidungen fallen nicht gemeinwohlorientiert. Daher sind neue Ansätze der Eigentumsverhältnisse dringend geboten. Genossenschaftliche Ansätze haben in Deutschland durchaus Tradition, die U-30-Generation denkt zudem längst in anderen Kategorien, wie sie die wachsende Shared-Economy seit Jahren aufzeigt. Mitarbeiterbeteiligungen sind auch keine Neuerfindung. Was wir brauchen, und das sehe ich als Kernaussage des Interviews, ist eine Demokratisierung der Wirtschaft. – André de Vere

 

Die Ängste in der SPD-Führung um eine verschreckte Wählerschaft ausgerechnet vor der Europawahl sind verständlich und es darf auch die Frage erlaubt sein, ob sich Kevin Kühnert als der „Youngster“ der SPD mit seinen publizitätsträchtigen Thesen nicht auch überschätzt und etwas zu wichtig nimmt. Aber was für ein Sturm im Wasserglas, was für ein Medienhype, über eine wenn auch überspitzte Forderung eines Juso-Vorsitzenden. Auch eine Greta Thunberg überspitzt und zieht mit bedenkswerten Äußerungen die Aufmerksamkeit auf sich. Das soll einem Juso-Chef verwehrt sein? Und allen verängstigten SPD-Mitgliedern und -Anhängern sei eine Warnung des unvergessenen Kabarettisten Wolfgang Neuss („Der Mann mit der Pauke“) ins Stammbuch geschrieben, der schon in den 60er Jahre meinte: „Wer nicht haargenau wie die CDU denkt, fliegt aus der SPD raus!“ Was ihm denn auch selbst passierte, als er im damaligen West-Berlin an einer Demonstration gegen den Vietnamkrieg teilnahm. – Wilfried Mommert

 

Man steht irgendwie einerseits deprimiert, und doch wieder hoffnungsvoll vor dem, was da abläuft. Kevin Kühnert nimmt sich doch ernsthaft die Freiheit, zu sagen was er denkt – und das ist dann pathologisch („was hat der geraucht?“ – Johannes Kahrs, SPD, aber niemals Juso), oder absurd und falsch und was ich nicht alles. Abgesehen davon, dass ich das Interview von Seiten der ZEIT ziemlich unfair finde (das müsste genauer analysiert werden), ist hier endlch jemand deutlich geworden, eckt an und zeigt Mut – und das ist wirklich gut so. Es wurde höchste Zeit, einen grundsätzlichen Diskurs anzustiften. Dass dieser Diskurs von CDU/CSU-Seite verweigert wird (z.B. Herr Ministerpräsident Kretschmer gestern bei Anne Will), zeigt deren Verständnis von Demokratie. Ich bin nach 42 Jahren Mitgliedschaft aus der SPD ausgetreten, weil auch sie diesen Diskurs („basta!“ – Gerhard Schröder) verweigert hat. SPD-Mitglieder in höheren Ämtern (Gabriel, Frenzel, oder auch das Programm der IG Metall missachtende Betriebsratsvorsitzende) sollten in sich gehen und erkennen: der Niedergang der SPD hat genau mit dieser inzwischen schon habituellen Schlafmützigkeit und Auseinandersetzungsmüdigkeit zu tun. Man muss nicht alles richtig und gut finden, was Kevin Kühnert sagt; aber er spricht genau die richtigen Probleme an, und nun ist es an den Kritikern, andere und die nach ihrer Meinung richtigen Antworten zu geben und sich nicht hinter Politgeschwätz von der Komplexität der Dinge zu verstecken. Ich bin über 80 Jahre alt, war einmal aktiver Juso, und warte seit dreißig Jahren auf eine solche lebendige Diskussion. Die greisenhaften Gedanken in jugendlich scheinenden Köpfen, wie sie bei der Jungen Union zu finden sind, können daran nichts ändern. – Alf Hammelrath

 

Er traut sich was, der Kevin Kühnert. Er traut sich, darüber nachzudenken, wofür die Buchstaben SPD stehen. Er traut sich, das einzufordern, was die Gründer der Partei vor über 100 Jahren forderten. Es ging ihnen damals um die Beteiligung und Mitwirkung aller im Staat. Wenn im Kapitalismus Vermögen und damit auch Macht immer mehr bei wenigen konzentriert wird, dann ist es ureigene Aufgabe der SPD sich dagegen zu stemmen. Bezeichnend ist, dass ein JUSO daran erinnern muss – die Etablierten in den Regierungen reden noch nicht einmal sonntags darüber. Als alter Genosse kann ich Kevin nur loben. – Werner Bohn

 

Das Interview ist “ großartig “ . Auf der nächsten Klausurtagung der SPD steht der Tagungsordnungspunkt “ Aufhebung der 5% Klausel für die nächste Bundestagswahl “ Begründung : unsere Enkel sollen wissen, daß im Deutschen Bundestag über das Jahr 2021 hinaus eine SPD existiert hat; – Burkhard kochmann

 

Die große Aufregung um das Interview von Kevin Kühnert ist für mich nicht nachvollziehbar. Kevin Kühnert spricht ja nicht einfach von Enteignung, sondern davon, dass nach seiner Vorstellung eine Vergesellschaftung von Gütern der Grundbedürfnisse Schritt für Schritt und in einem demokratischen Prozess stattfinden soll, also in mehrheitlichem Einvernehmen. Er wünscht sich „eine Welt freier Menschen, die kollektive Bedürfnisse in den Vordergrund stellt und nicht Profitstreben“. Wenn eine solche Welt gelänge, was wäre schlimm daran? Wie sozial ist eine Partei, die meint, sich von solchen Gedanken entsetzt distanzieren zu müssen? – Lore Bernecker-Boley

 

Über die kapitalismuskritischen Ideen von Kevin Kühnert kann man unterschiedlicher Meinung sein. Sie sind jedenfalls ein diskussionswürdiger Denkanstoß. Die Reaktionen unserer Politiker waren aber leider Wahlkampfrhetorik auf niedrigstem Niveau. Sie waren nicht sachgerecht, nur polemisch. Dabei ist es so notwendig, über den Kapitalismus und seine Wirkung auf den Menschen und die Natur in ein kritisches Gespräch zu kommen. Wir erkennen heute immer deutlicher, was unsere kapitalistische Wirtschaftsweise uns gebracht hat und noch bringt: Wohlstand für viele und gleichzeitig eine wachsende Aufspaltung der Gesellschaft in reich und arm, billiges Fleisch und gleichzeitig Massentierhaltung, ertragreiche industrielle Landwirtschaft und gleichzeitig Verarmung der Böden, Abholzung von Wäldern und Artensterben, Aufheizung der Atmosphäre, Flüchtlingsströme etc.,etc. Kräfte, die diese Entwicklung aufhalten wollen, treffen auf den Widerstand mächtiger Lobbygruppen. Durch die Verschiebung der Macht von der Politik hin zur Wirtschaft, wie man sie heute beobachten kann, wird unsere Demokratie aufs Schwerste gefährdet. Die von Kühnert angestoßene Diskussion muss deshalb unbedingt weitergeführt werden und in Taten münden. Weitermachen wie bisher ist jedenfalls keine Option. – Dr. Hans Peter Kubersky

 

Herr Kühnert verwechselt da wohl Sozialismus und Sozialdemokratie. Aber das sei seiner Jugend zuzuschreiben: Zur Zeit des Mauerfalls lag er ja noch in den Windeln. Nur ist diese Verwechslung für die SPD brandgefährlich: Ist sie doch der sicherste Weg in eine Partei < 10%. Die Grünen hatten ja ein ähnliches Waterloo mit der Künast-Forderung 2013 nach dem Veggie-Day in Kantinen, man erinnert sich? – Volker Goldbeck

 

Ich finde die teilweise hysterische geführte Debatte um die Sozialismus-Thesen von Juso-Chef Kühnert unmöglich, skandalös und einer Demokratie abträglich! Es muss doch wohl noch möglich sein, sich sachlich und mit guten Argumenten zu Kevin Kühnert zu äussern. Oder hat man etwa keine vernünftigen Argumente mehr? Man könnte den Eindruck gewinnen, wenn man gerade konservative Politiker so reden hören, die immer wieder in einer Endlosschleife versuchen, den Kapitalismus zu verteidigen und dann zumeist dazu übergehen, die Thesen von Herrn Kühnert in einer infamen Art und Weise diffamieren: Gerne bezeichnet man ihn dann als Sozialromantiker und Verteidiger von sozialistischen Staaten wie die DDR, Venezuela, Kuba oder gar Nordkorea. Das ist einfach unerträglich und bringt intelligente Bürger auf die Palme! Soll es etwa mit dem unmenschlichen Neoliberalismus so weitergehen, der die Reichen noch reicher macht und die Armen noch ärmer? In einem solchen Staat kann und will ich nicht leben! – Thomas Henschke

 

Für eine demokratische Gesellschaft ist es lebensnotwendig, offen und öffentlich über gesellschaftliche Problemlösungen zu diskutieren, ohne die Schere im Kopf zu haben. Die SPD sollte sich darum freuen, dass Kevin Kühnert mit dem Interview vom 2.Mai 2019 in der „Zeit“ einen Anstoß zu einer solchen Diskussion gegeben hat. Denn dass ein Funktionsträger des SPD es wagt, als Querdenker aufzutreten, und sich angreifbar macht und obendrein auch noch riskiert, bei der nächsten Wahl einen schlechten Listenplatz als „Dank“ zu erhalten, zeugt von Zivilcourage, die von vielen Politikern ständig eingefordert wird. Die Reaktion auf dieses Interview, dass Kevin Kühnnert auf richtige Fragen falsch geantwortet habe, hat mich übrigens als gelernter DDR-Bürger an frühere Zeiten erinnert. Denn für die führenden SED-Funktionäre waren die Andersdenkenden immer die Falschdenkenden. Für eine weitere Diskussion könnte hilfreich sein, was Theodor Herzl in seinem utopischen Roman „Altneuland“ die Hauptperson sagen lässt (Neuauflage Berlin 2015, S.65): „Der Einzelne wird bei uns weder zwischen den Mühlsteinen des Kapitalismus zermalmt noch von sozialistischer Gleichmacherei geköpft. Wir kennen und schätzen die Entwicklung des Individuums, so wie wir seine wirtschaftliche Basis, das Privateigentum, respektieren und schützen.“ – Traugott Lucke

 

Auffällig an der Diskussion um wirtschaftspolitische Fragen – sei es die CO2 Steuer oder Kevin Kühnerts Interview – ist die Vermeidung und Tabuisierung des Begriffs Verzicht. Warum? Weil er in der heutigen Haben-, Zerstreuungs-, Unterhaltungs- und Eventkultur vorwiegend negativ besetzt ist? Oder weil alle im Stillen wissen, dass eine klimaneutrale Gesellschaft und mehr Fairness in der Gesellschaft ohne Verzicht vieler nicht erreichbar ist? Warum also den Verzicht-Begriff nicht zunehmend wieder mit den Attributen positiv besetzten, die er immer schon hatte? Ganz einfach, weil er Alternativen eröffnet, die eigenen Ressourcen jenseits von Nonsens-Produktion und Nonsens-Konsum einzusetzen. Weil er wegführt von einer sinnlosen Konsumverstopfung und von einem wachstumsgetriebenen Wirtschaftssystem, in dem es egal ist, was produziert und konsumiert wird, solange es nur das BIP vermehrt. Weil er sich abwendet von einem System, das großenteils darauf beruht, Bedürfnisse zu wecken, deren Befriedigung zu nichts führt als zu neuer Leere. Ein System, das uns allen einen bezeichnenden Namen gibt, nämlich Konsumenten bzw. Verbraucher, in dem rein semantisch die Nachhaltigkeit keinen Platz hat. Ein System, deren Hauptakteure knallhart Dinge sagen können wie: „Es ist nicht die Aufgabe des Konsumenten, zu wissen, was er will.“ (Steve Jobs). Ein System, in dem wichtige Hinweise zur Umorientierung verhallen, wie z.B. der von Stéphane Hessel: „Wir müssen radikal mit dem Rausch des Immer-noch-mehr brechen, in dem die Finanzwelt und die Technik die Flucht nach vorne angetreten haben. Es ist höchste Zeit, dass Ethik, Gerechtigkeit und nachhaltiges Gleichgewicht unsere Anliegen werden.“ – Thomas Stadtmüller

 

Sozialismus? Da werden schlagartig Abwehrreflexe mobilisiert, als wäre in der österlichen Zeit nicht Jesus sondern Stalin auferstanden. Ja, ich verstehe, dass viele auch nichts anderes damit verbinden können, weil der sog. „real existierende Sozialismus“ des 20. Jahrhunderts tatsächlich von Tyrannen wie Stalin, Mao, Ulbricht und anderen als alternative Gesellschaftsform pervertiert wurde, in Wirklichkeit also nichts anderes war als Diktaturen mit umgekehrten Vorzeichen. Aber hatte sich Karl Marx die Alternative zum Kapitalismus tatsächlich so vorgestellt? Wohl kaum, denn für Marx war die sozialistische Gesellschaft eine Befreiung der Arbeiter aus der Abhängigkeit von kapitalistischen Oligarchen hin zu einer Gesellschaft, in der alle eine Chance haben, in menschenwürdigen Verhältnissen zu leben und mitzubestimmen. Die „Diktatur des Proletariats“ im Marx’schen Sinne war möglicherweise nicht, wie es im „real existierenden Sozialismus“ des 20. Jahrhunderts von deren Chefideologen zum Zwecke des eigenen Machterhalts interpretiert und propagiert wurde, eine de facto erneute Unterdrückung des Menschen, sondern in dem Sinne, dass es eine andere Gesellschaftsform als die, in der das „Proletariat“ an existentiellen Entscheidungsprozessen federführend mitwirken kann, nicht geben dürfe. Natürlich ist auch ein Philosoph namens Karl Marx nicht unfehlbar, und es müssen die Ursachen der Verformungen des „real existierenden Sozialismus“ des vergangenen Jahrhunderts schonungslos hinterfragt werden. Außerdem kann man, zumindest in den klassischen Industrieländern wie den europäischen, wohl kaum mehr von einer Verelendung der arbeitenden Massen, wie Marx sie vorausgesagt hat, sprechen, und die klare Typisierung der Klassengesellschaft, wie sie im 19. Jahrhundert noch möglich war, ist heute nur noch schwer vollziehbar. Nichtsdestotrotz gibt es nach wie vor wachstums- und profitorientierte Weltkonzerne in privater Hand und von ihnen abhängige Arbeitnehmer, die Leistungsstress und permanent latent und auch zuweilen konkret drohender Arbeitslosigkeit ausgesetzt sind sowie durch dieses System verursachte, total verarmte Massen in jenen Regionen der Welt, wo Rohstoffausbeutung und eine damit verbundene Naturzerstörung unerhörten Ausmaßes mehr denn je stattfinden – eine Hauptursache für Flucht, nebenbei bemerkt.

Ein „Weiter so“ wird es nicht geben können, sonst wird unser Planet in wenigen Jahrzehnten unbewohnbar sein. Daher ist es legitim, dass junge Menschen wie ein Kevin Kühnert sich Gedanken machen, wie es weitergehen soll und Gesellschaftsmodelle wie das des demokratischen Sozialismus mal wieder ins Spiel bringen, das die SPD zwar in ihrem Grundsatzprogramm stehen hat, aus ihrem Bewusstsein allerdings verdrängt zu haben scheint . Wer nun Sozialismus gleichsetzt mit den (zu Recht) gescheiterten sogenannten „Sozialismus“- modellen des 20. Jahrhunderts, der sollte auch bedenken, dass nahezu jedes Gesellschaftssystem nicht gefeit ist gegen Missbrauch: So wird z. B. gerne übersehen, dass in der Sozialen Marktwirtschaft das soziale Element oft eine nur untergeordnete bzw. gar keine Rolle spielt und Konzernchefs häufig ausschließlich an die eigene Profitmaximierung denken, während im Grundgesetz es einen Artikel gibt, in dem es heißt: „Eigentum verpflichtet.“ Ähnlich verhält es sich z. T. auch in religiösen Welten, wo die eigentliche Botschaft oft ebenfalls deformiert bzw. instrumentalisiert wurde (und wird) zum Zwecke der Machtausübung und ebenso des Machterhalts – sei es bei religiösen Führern selbst, wie auch bei weltlichen Machthabern. Hätte man z. B. christliche Imperative wie Nächstenliebe und Feindesliebe oder den Vergleich mit dem Reichen und dem Kamel und dem Nadelöhr oder zentrale Sätze wie „Ich war hungrig, und ihr habt mich gespeist“, „Ich war fremd, und ihr habt mich beherbergt“, „Ich war nackt, und ihr habt mich bekleidet“, von Anfang an ernst genommen bzw. konsequent in die Tat umgesetzt, so hätte sich wohl ein Karl Marx mit seiner Sozialismustheorie – zumindest im christlichen Kulturkreis – erübrigt. So jedoch ist es notwendig, – stets vor dem Hintergrund eines evaluierten Erkenntnisstands – in dialektischer Weise darüber erneut zu diskutieren. – Wilhelm Brönner

 

Pressefreiheit wird in unserem Land besonders hoch gehalten. Woran es aber mangelt ist eine Fähigkeit des unvoreingenommenen Zuhörens und darauf bezogene Fragen zu stellen. Die Frage, was Herr Kühnert mit einer geerbten Million anfangen würde, führt nicht ihn vor, sondern zeigt die Unfähigkeit der Journalisten unsere in der Gesellschaft bestehenden Gefahren (z.B. ein Rechtsruck) und die Sorgen von vielen Menschen ernst zu nehmen. Herr Kühnert hat mit seinen Ideen zu einem demokratischen Sozialismus eine seit langem bestehende Debatte zugespitzt. Wenn Pressefreiheit in unserer Demokratie darin bestehen soll, auf die angesprochenen problematischen Entwicklungen in unserer Gesellschaft mit auf Spaltung beruhendem Hetzruf zu antworten, dann zeugt das nicht von einer Auseinandersetzung auf Augenhöhe. Nach dem Motto: Kevin Kühnert will den einen was wegnehmen, damit es den anderen besser geht! Wohl unbemerkt handelt es sich dabei ja nun leider nur um die Umkehr dessen, was unhinterfragt für die größte Selbstverständlichkeit gehalten wird. – Martina Maciejewki

 

Eine geniale Idee haben Sie da, Herr Kühnert! Wenn sämtliche Großunternehmen in Deutschland durch unsere Politiker dann genauso „erfolgreich“ geführt werden, wie die Deutsche Bahn heute, dann gebe ich diesem Land keine vier Jahre, bis es den Zustand einer „blühenden Landschaft“ erreicht hat. – Volker Bosch

 

Kevin Kühnert fordert mal wieder die Einführung eines Wirtschaftsmodells, das noch in keinem Fall funktioniert hat, und dessen Geschichte auch ohne Voreiligkeit darauf schließen lässt, dass es nie funktionieren wird. Kühnert lehnt das Kompromiss- und Erfolgsmodell der sozialen Marktwirtschaft aus streng ideologischen Gründen („Kapitalismus“) ab. Im Kontext mit der Wohnungsnot und den weit überteuerten Mieten erwähnt er nicht, dass Politiker viele tausend Sozialwohnungen an Kapitalgesellschaften verkauft haben, natürlich dieselben Politiker, die heute mehr Sozialwohnungen fordern. Welchen Sinn macht ein Interview, das um eine Utopie kreist, ohne eine nicht-utopische Sozialwohnungspolitik und deren Schutz vor dem Verkauf an Miethaie auch nur zu erwähnen? Sie erwähnen die sehr wichtige Tatsache, dass EU-Gesetze das GG aushebeln. Vielleicht sollten Sie auch erwähnen, dass das blühende Kommissions- und Ausschusswesen in Brüssel demokratisch kaum legitimiert ist, die Steuerzahler*innen der EU astronomische Summen kostet, und oft an Realitäten vorbei entscheidet. Ein lockerer Dachverband der europäischen Länder wäre möglich, wirtschaftlich sinnvoll und friedensstabilisierend. Er würde nicht die Verfassungen der einzelnen Länder unterminieren. Das, was euphemistisch „Europa“ genannt wird, ist jedoch kein Dachverband, sondern ein modern-allgegenwärtiger Staat.

Schon in den einzelnen Ländern gehen politische Entscheidungen häufig an Realitäten vorbei. In einer EU, die einfach mal voraussetzt, dass z.B. die Spanier und Finnen haargenau dieselbe Lebensweise, dieselben Lebenshaltungskosten und in jeder Frage dieselben Interessen hätten, kann ja nur ein bürokratisches Monster entstehen, das sich zerstörend auf die zugehörigen Länder auswirkt – und auf ihre rechtlichen Strukturen. In eine weniger zentralistische und übermächtige EU ließen sich unterschiedliche Gesetzgebungen und Lebensweisen ohne weiteres integrieren, aber nicht in eine EU, die die Produkte ihrer Kommissionen den Verfassungen der Mitgliedsstaaten überordnet. Dass Merkel ein „Europa“ gut findet, in dem sie und ihre Kumpels auskungeln können, was sie wollen, ohne Rücksicht auf lästige Gesetze der Nationalstaaten nehmen zu müssen, ist der wirkliche Hintergrund der anti-nationalstaatlichen Entscheidungen und Begleitpropaganda in Deutschland. Die komplette Abschaffung, nicht nur Modifikation, der europäischen Nationalstaaten liegt im Interesse einer zunehmend verantwortungslosen politischen Klasse, sonst hat niemand ein Interesse daran. Wenn die Bürger*innen sich auch unter Stress hinter eine geltende Verfassung stellen, ist das eine enorme Stabilisierung und Absicherung des demokratischen Rechtsstaates. Aber wenn sie sich hinter ein GG stellen, das ausdrücklich „europäischem Recht“ untergeordnet ist, dann ist das so sinnlos wie die Idee, eine knochentrockene Grube zum Löschteich zu ernennen und als solchen für funktionstüchtig zu erklären, weil ja die Bevölkerung ihn mit ihrer Zustimmung „stabilisiere“. – Ein/e Leser/in

 

Statt wieder einmal kollektiv gegen eine Person mit unbequemen Meinungen vorzugehen (nach dem Motto: „Kühnert muss aus der SPD ausgeschlossen werden“), täte es auch dem spröden Europawahlkampf gut, Kühnerts Argumente sorgsam zu wägen. Ist es denn so abwegig, die unmenschlichen und unchristlichen Missbräuche des Kapitalismus zu geißeln und diesen „Raubtierkapitalismus“ durch alternative Modelle einzuhegen? Die Formel von Gregor Gysi lautet bekanntlich: Öffentliche Daseinsvorsorge in öffentlicher Verantwortung und (wo immer das möglich ist) auch in öffentlicher Hand – Krankenhaus, Kultur, Kunst. Gerade diese Bereiche, die Werte vermitteln, die durch kein Geld dieser Welt zu kaufen sind (Menschenwürde, Gesundheit, Ästhetik) und die bereits durch Jesus von Nazareth in seiner Tempelreinigung persönlich verteidigt wurden („Liebe ist nicht käuflich!“, vgl. Luthers Ablaßstreit), darf unsere Gesellschaft in der Tat nicht Leuten überlassen, die nur Geld verdienen wollen und dafür bereit sind, über Leichen zu gehen. Gysi ergänzt: Konzerne und Banken verkleinern, Genossenschaften fördern. Ist das angesichts der Umweltkatastrophe im Nigerdelta und der gigantischen Finanzspekulationen im Bankensektor, angesichts des Raubbaus an Umwelt und Menschenwürde im Namen des Euros und Dollars so weltfremd? Sahra Wagenknecht hält von volkseigenen Produktionsmitteln und Planwirtschaft nichts mehr, weil es „nicht funktioniert.” Gegen kleine und mittlere Unternehmen in privater Hand hat sie nichts einzuwenden. Die großen allerdings, die Aktienkonzerne, würde sie gerne neu organisieren. Stiftungsmodelle oder Genossenschaften schweben ihr vor. Die Gesellschaft könne davon profitieren, glaubt sie. “Wenn die Unternehmen weniger renditeorientiert wären, hätten sie mehr Geld für Forschung zur Verfügung.” Ist auch diese linke Meinung so realitätsfern? Etwas mehr politische Streitkultur, etwas mehr Erlaubnis, Tabus zu brechen und Gedankenverbote („political correctness“) zu übertreten, täte uns vor der Europawahl gut. – Felix Evers

 

Die beiden Fragenden hören gar nicht genau hin, als Kühnert zu Beginn des Gesprächs den Anspruch markiert, eine bessere Welt sei nicht nur denkbar, sondern auch realisierbar. Als die Hoffnung auf die Verwirklichung einer Welt freier Menschen angedeutet wird, die kollektive Bedürfnisse in den Vordergrund stelle und nicht Profitstreben, verschließen sie herablassend ihre Ohren und behaupten in belehrender Manier, dass es eine klassische Definition des Sozialismus gebe: Vergesellschaftung von Produktionsmitteln. So wird das vermeintliche Gespräch zu einer Verengung, in die Herr Kühnert hineingedrängt wird und auf die er sich gelegentlich auch selber einlässt. So vergeht eine Möglichkeit, der grundlegenden Idee der sozialen Freiheit näher zu kommen, die der Philosoph Axel Honneth in seinem Buch „Die Idee des Sozialismus“ entfaltet. In der Welt des marktförmigen Kapitalismus begegnen die Marktteilnehmer sich wechselseitig als an ihrem privaten Vorteil und der Mehrung des eigenen Nutzens interessierte Subjekte. Die Kritik des Kapitalismus geht darauf, dass Freiheit nicht länger reduziert werde auf die Verfolgung des „Privategoismus“ (Louis Blanc). In einem nicht-autoritären, in einem befreienden Sozialismus soll die Freiheit des Anderen nicht als Schranke meiner, Freiheit als Hilfe für die Verwirklichung der Freiheit des Anderen begriffen und gelebt werden. Es geht um das Ethos der „Freiheit im solidarischen Füreinandersein“. Freiheit, gebannt in die Partikularität eines privaten Egoismus, soll überwunden werden in einem solidarischen Einstehen füreinander. Dieser unaufgebbaren Hoffnung geben die Fragenden keinerlei Raum. Kühnert versucht dann, einen demokratischen Sozialismus und genossenschaftliche Projekte des Wohnens einzubringen, versäumt es aber, Grundzüge eines ökologischen Sozialismus wenigstens anklingen zu lassen. So sollte bei der in unterschiedlichen Quellen entstehenden Suche nach einer besseren Welt nicht nachgelassen werden. – Prof. Dr. Arnold Köpcke-Duttler

 

Auch Kuhnert muss zur Kenntnis nehmen, dass der Sozialismus immer kapitalistisch wirtschaftet, wenn er Output braucht. Die reine Lehre pflegt nur ein Kim, dem es gleich ist, wieviel Landsleute verhungern. Andererseits muss man schon über die Formen des Kap nachdenken, da dieser (durch ungebremste hierarchiebildende Kräfte) erstens eine extreme Ungleichheit generiert und zweitens (ganz wie der Soz) unseren Planeten unbewohnbar macht – mit dieser Menschenzahl, die nach allem was man sieht nicht ganz einfach zu verwalten ist. Wir wissen das alle, bedenken es aber nur Feiertags – werktags brauchen wir Wachstum. Dabei müssen wir nicht nur das Wachstum zum Stillstand bringen, sondern es möglichst schnell umkehern in einen Rückbau. Wir sehen dass die Erde sieben Milliarden Verbraucher überhaupt nicht aushält, haben aber noch nicht einmal den Ansatz einer Theorie für den Rückbau. Im Gegenteil – wir sind zu Renn-Lemmingen geworden. – Ernst-Wilh. Möbius


 

Leserbriefe zum Titelthema „70 Jahre Grundgesetz“ von Heinrich Wefing

Probe- Abo … und schon beim dritten oder vierten Artikel bedient: Studierende xy …Überschlagt Euch nicht vor lauter political correctness!!! – Gerhard Hoffmann

 

Menschenwürde? Gleichheit? Freiheit? Bei nahezu 20% sogenannter Einelternfamilien spüren Heerscharen von Trennungsvätern (und die Ausgebooteten sind fast immer die Väter!) herzlich wenig vom Grundgesetz, dessen Artikel 6 in Absatz 2 da lautet: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“ Wieviel Menschenwürde bleibt einem Vater, der jahrelang vergeblich durch die Instanzen prozessiert, um seine ihm „zuvörderst obliegende Pflicht“ ausüben zu dürfen, und der sich dann anhören muss, dies entspräche nicht dem sogenannten „Kindeswohl“? Wieviel Gleichheit genießt ein Vater, wenn nur die Mutter ihr „natürliches Recht“ ausüben darf, die Kinder zu erziehen? Wieviel Freiheit bleibt einem Vater noch, der durch sogenannte „erhöhte Erwerbsobliegenheit“ de facto in die Unterhaltssklaverei verdammt wurde, weil er unter dem irreführenden Begriff der „Kindesbarunterhaltspflicht“ die Mutter seiner Kinder auch noch dafür bezahlen muss, dass sie ihn aus dem Leben seiner Kinder ausgrenzt? Wenn sich Jugendämter und Gerichte, bis hin zum höchsten solchen in diesem Lande, nach Belieben über selbst die elementarsten Grundrechte hinwegsetzen, und es keine Institution gibt, die ihnen Einhalt gebietet, dann ist das Grundgesetz nicht das Papier wert, auf das man es druckt! – Torsten H Sommer

 

Der durchaus geschätzte Heinrich Wefing möge von seinem Wolkenkuckucksheim der Elogen auf das Grundgesetz doch bitte wieder auf den Boden irdischer Realitäten herunter kommen. Ja, im Gesetz steht zum Beispiel „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Ein wirklich schöner und klarer Satz. Schade nur, dass er mit der Wirklichkeit oft nicht übereinstimmt. Fragen Sie mal einen Angestellten im Öffentlichen Dienst, der die gleiche Arbeit wie sein beamteter Kollege gegenüber verrichtet, was er von diesem Verfassungsgrundsatz hält, wenn er an die Pensions- und Rentenregelungen denkt. Die Privilegierung der Beamten im Konnex mit den Ruhestandsbezügen ist ein Skandal, der allerdings vom Verfassungsgericht und den anderen Bundesgerichten mit Klauen und Zähnen, sprich fadenscheinigsten Argumenten , seit Jahrzehnten verteidigt wird! Das Grundgesetz reflektiert an vielen Stellen die verkrustete, beamtenfixierte Einstellung der Gründer, die samt und sonders aus diesem Milieu kamen. Man scheute sich nicht, neben einem klaren Satz „Die Todesstrafe ist abgeschafft“ (Artikel 102), den kleinkarierten Anspruch von Beamten auf Bundeszulagen ins Grundgesetz zu schreiben: „Bei den obersten Bundesbehörden sind Beamte aus allen Ländern in angemessenem Verhältnis zu verwenden“ (Artikel 36). Was, bitteschön, hat ein solcher Satz in der Verfassung (!) zu suchen? Dieses ist nicht etwa der einzige Artikel, der sich um unsere Beamten sorgt. – H.-Jürgen Borchelt

 

Was fuer eine tolle Ueberraschung. Mein amerikanischer Ehemann fragt mich stets, was das deutsche Grundgesetz wohl zu den diversen Problemen sagt. Obwohl ich sicherlich mehrere Ausgaben des Grundgesetzes in einem Schrank habe, ist meine Antwort meist „No idea“.? Ich freue mich auf die Serie und danke fuer die fabelhafte Idee. Ueber die Jahre war die ZEIT meine Universitaet!! – Brigitta Malm

 

Ein stabiles Grundgesetz braucht keine Mythen!
„Das Grundgesetz wurde nicht nur mit Tinte geschrieben, sondern auch mit Asche und Blut“, sowie in Artikel 6 mit Mythen und Fiktionen belegt. Schon der Philosoph Immanuel Kant stellte klar, dass die Eltern zunächst eine Verpflichtung haben, für ihren Nachwuchs zu sorgen. Ein Recht im Sinne eines Eigentums ist nicht ableitbar. Den Eltern obliegt das Erziehungsrecht in erster Priorität (nach Kant als Prioritätsthese bezeichnet). Zu Zeiten Kants, wo König Friedrich II. regierte und jeder Bürger ein Untertan des Königs war, konnten Kinder noch keine Rechtsträger sein. Die Eltern hatten insofern ein Recht am Kind und mit dem Begriff Elternrecht wurde ein Mythos (ein Märchen) geschaffen, denn der König herrschte über seine Untertanen und die Eltern konnten über ihre Kinder herrschen. Dies diente dem Staat dazu, sich einer primären Verantwortung für die Kinder zu entziehen und als „Notnagel“ zu dienen. Doch im Sinne eines Erziehungsrechts haben sowohl Eltern als auch der Staat eine gemeinsame Verantwortung und mithin jeder Erwachsene. Dazu plädiert auch der Philosoph David Archard in seinem Werk Children Rights and Childhood und bemerkt, dass das „Elternrecht“ andere Erwachsene ausgrenzt. Artikel 6 müsste lauten: „Pflege und Erziehung der Kinder sind die natürliche Pflicht der Erwachsenen, zuvörderst von Eltern bzw. Ersatzeltern“.

Auf das Mythos Elternrecht folgte naheliegend der Mythos Kindeswohl. Wie der König daran interessiert sein musste, dass es seinen Untertanen auch wohl ergeht, so müssen auch die Eltern für ihre Kinder das gleiche Interesse haben. Heute sind die Kinder als eigene Rechtsträger anerkannt und das Bundesverfassungsgericht sieht in Artikel 1 abgeleitet aus dem Begriff Menschenwürde die Kindeswürde als dem „Elternrecht“ vorrangiges Recht. Doch die Konsequenz, den Begriff Elternrecht zu streichen wurde daraus nicht gezogen. Denn Mythen (Märchen) einmal in die Welt gesetzt sind zu schön um wahr zu sein als dass sie aus der Welt geschafft werden müssten. Die Leidtragenden bleiben die Kinder, vor allem wenn sie in jungen Jahren ihre Eltern verlieren und staatliche Behörden ihre Fiktionen von Elternrecht und Kindeswohl leben. – Werner Bösen

 

Da muss man erst einmal drauf kommen, eine ‚Sexarbeiterin‘ als Verteidigerin der grundgesetzlich geschützten Menschenwürde aufzubieten. Ich sehe den Schutzweck des Art. 1 GG vielmehr darin, die täglich zehntausendfach in Deutschland, dem ‚Puff Europas‘ mit Füßen getretene Würde der Frauen zu schützen, die sich hier dank einmaliger Gesetzgebung benutzen lassen müssen . Auch nicht gerade seriös ist es, wegzulassen, dass Frau Weber aktiv in dem einschlägigen ‚Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen‘ ist, in dem die Interessen der Frauen geschickt mit denen der Bordellbetreiber vermischt werden. Vielleicht sollte man eine der ‚freiwillig‘ arbeitenden Frauen aus Osteuropa zitieren (wenn sie sich denn trauen würden), die den hiesigen Bordellbetreibern traumhafte Renditen bescheren. Denn sie sind die Mehrheit in diesem Gewerbe und sorgen dafür, dass jeder Mann in Deutschland für kleines Geld legal eine Frau kaufen und benutzen kann. Die Verteidigung des hochkriminellen, von bizarrer Machokultur, Gewalt, Ausbeutung und Menschenhandel geprägten Prostitutionsmilieus gerade durch sich als liberal und progressiv bezeichnende Kreise nimmt immer absurdere Formen an. – Götz Fuhrmann-Rüdlin

 

Die allgemeine Mystifizierung des Grundgesetzes kann ich nicht nachvollziehen. Das Grundgesetz und die Gründung der BRD haben Deutschland gespalten. Durch sie wurde eine innerdeutsche Grenze gezogen. Das muss einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden. Ich stimme Heinrich Wefing völlig zu: Nicht das Grundgesetz, sondern die nukleare Abschreckung haben uns seitdem den Frieden erhalten. Der folgende Bananen- und Dollar-Regen rieselte nicht aus Liebe zu den Deutschen, sondern war dem Konkurrenzdruck der Systeme geschuldet. Wer hat denn unsere Städte zerbombt, als der Krieg schon längst entschieden war? Sie hätten auch keine Skrupel gehabt, über Dresden, Hamburg oder Berlin eine Atombombe zu zünden. 1948 trafen sich einige Männer (!), Eliten, gewiss schon in der Nazizeit Eliten, zu einer Klausur, um ein Grundgesetz zu formulieren. Schon die Präambel des Grundgesetzes bestärkt mich in meiner Skepsis: „.. Verantwortung vor Gott und den Menschen…“ Welchen Gott hätten´s denn gern? Was ist mit der Trennung von Kirche und Staat? „.. dem Frieden der Welt dienen.. Im Artikel 1: Bekenntnis zu …“ Frieden und Gerechtigkeit in der Welt.“ Das hatten wir schon einmal: “ Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ Es fehlt eine klare Aussage: „Deutschland ist ein souveränes, demokratisches Land in den Grenzen von 1990. Die Beziehungen zu anderen Ländern basieren auf Freundschaft und friedlicher Koexistenz.“ Es gibt eine lange Liste von Formulierungen, die – nicht zeitgemäß sind. Nicht umsonst wird ständig an dem Gesetz nachgebessert. Warum nicht den Mut aufbringen, alles neu zu überdenken? Was hat sich bewährt? Was sollte verändert werden? und Was soll neu aufgenommen werden? Der Artikel 146 und der 5. Artikel des Einigungsvertrages geben uns die Möglichkeit, dies in demokratischer Weise zu tun. – Dr. Annebärbel Jungbluth

 

Ich lebte und ich lebe mein Leben hier in Deutschland, nur mit dem Grundgesetz. Ohne Grundgesetz ist Deutschland einfach nicht Deutschland! Herzlichen Glückwunsch Deutschland, für 70 Jahre Grundgesetz! – Klaus P. Jaworek

 

Jemand, für den ein Gesetzestext zur Lieblingslektüre zählt, muß schon sehr speziell sein. Vermutlich ist es der in staatstragenden Sonntagsreden so gern beschworene blutleere „Verfassungspatriot“. Das Grundgesetz hat wie die Verfassungen anderer Länder auch eine zentrale Bedeutung für die jeweilige Rechtsordnung. Insoweit ist es möglicherweise das wichtigste Buch der Deutschen – aber auch deren liebstes? Nicht einmal dem für die Einhaltung der Verfassung zuständigen ehemaligen Innenminister Hermann Höcherl lag das Grundgesetz so sehr am Herzen, daß er seinen Beamten zumuten mochte, es …“ständig unter dem Arm mit sich herumzutragen“. – Ernst-Peter Hoffmann

 

Als politisch interessierter aber juristischer Laie muß ich doch im Hinblick auf das GG konstatieren: „Chapeau“! Kommt es doch fast einer gesellschaftlichen Revolution gleich welche zivilisatorische und kulturelle Evolution das GG in Verbindung und mit Unterstützung des Bundesverfassungsgerichtes bewirkt hat. Wie waren die Verhältnisse in den 50-ern und 60-ern? Verheiratete Frauen durften ihr Vermögen nicht selbst verwalten, keinen Arbeitsvertrag ohne Zustimmung des Mannes unterschreiben. Da gab es den den Homo§en den Kuppelparagraphen (Strafandrohung wer unverheitatete gemeinsam in einem Zimmer nächtigen zu lassen), Vätervorrecht in der Kindererziehung, Abtreibung war kategorisch verboten, Straffreiheit für Vergewaltigung in der Ehe, Prügelstrafe war erlaubt u.v.a.m. Jüngst hat das Bundesverfassungsgericht den kategorischen Karfreitagsschutz gekippt, in Kürze wird hoffentlich der assistierte Selbstmord möglich werden (80% der Erwachsenen sind dafür) – „Rauchzeichen“ aus Karlsruhe sprechen dafür. In diesem Zusammenhang möchte ich auf Ausschnitte von Urteilsbegründungen hinweisen, die zeigen, daß das Bundesverfassungsgericht die Gesetzgebung verpflichtet individuelle Freiheiten zu stärken: 1BvR458/10 v. 27.10.2016: Ein Satz aus der Begründung sollte aufhorchen lassen: „Allerdings müsse der Gesetzgeber den Wandel in der Gesellschaft wahrnehmen und auf einen Ausgleich der widerstreitenden Positionen bedacht sein. So habe sich in den letzten Jahren ein ausgehfreudiges Publikum herausgebildet, dessen Tagesrhythmus sich zeitlich deutlich nach hinten verschoben habe und das daher die gesamten Regelungen zum Schutz der stillen Tage in Frage stelle.“ In der Begründung zu einem anderen Urteil (-1BvR 2857/07 v. 1.12.2009) wird festgestellt, daß: „Umfasst ist zwar die Möglichkeit der Religionsausübung an Sonn- und Feiertagen. Die Regelung zielt in der säkularisierten Gesellschafts- und Staatsordnung aber auch auf die Verfolgung profaner Ziele wie die der persönlichen Ruhe, Besinnung, Erholung und Zerstreuung….. dass die Bürger sich an Sonn- und Feiertagen von der beruflichen Tätigkeit erholen und das tun können, was sie individuell für die Verwirklichung ihrer persönlichen Ziele und als Ausgleich für den Alltag als wichtig ansehen. Die von Art. 139 WRV ebenfalls erfasste Möglichkeit seelischer Erhebung soll allen Menschen unbeschadet einer religiösen Bindung zuteil werden (vgl. BVerfGE 111, 10 <51>).“ Übrigends: Wir „feiern“ dieses Jahr 100 Jahre Verfassungsmißachtung. Seit 1919 fordert die Verfassung – wurde ins GG übernommen- die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen. Die Untätigkeit der Politik stellt einen Verfassungsbruch durch Unterlassung dar und der wird hoffentlich nicht weitere 100 Jahre bestehen bleiben. – Ulrich Thumm

Was mir in der Berichterstattung über das Grundgesetz immer wieder fehlt, ist der klare Verweis darauf, daß das Grundgesetz grundsätzlich nur im Verhältnis Staat – Bürger gilt. Im Verhältnis Bürger – Bürger gelten die diversen Gesetzesbücher (BGB, HGB, Gleichstellungsgesetz usw.). Wenn sich also Herr Rumenigge mit tränenerstickter Stimmer im Umgang mit seinen Stars auf die grundgesetzlich garantierte Würde des Menschen beruft, hätte er vielleicht vorher mal einen seiner Vereinsjuristen befragen sollen. So wird auch der elendige Rassismus im Alltag nicht durch das Grundgesetz verboten, sondern allenfalls durch das Gleichstellungsgesetz, oder im Falle von Beleidigungen durch das StgB. Auf das Grundgesetz kann man sich allenfalls dann berufen, wenn Rassismus oder anderweitige Ungleichbehandlung Grundlage behördlicher oder politischer Entscheidungen ist. Wenn man also mal wieder wegen falschen Outfits nicht in die Disco eingelassen wird, macht es überhaupt keinen Sinn, sich auf Artikel 3 GG zu berufen. – Ein/e Leser/in

 

Unter den vielen Artikeln und Kommentaren, die aus Anlass des siebzigjährigen Bestehens unseres Grundgesetzes veröffentlicht werden, fand ich Ihren Beitrag besonders interessant und lesenswert. Er hat für mich nachvollziehbar und überzeugend die Frage überprüft und beantwortet, worauf die Stabilität dieser Verfassung gründet. Beim Lesen einiger Artikel über die Grundrechte habe ich zum ersten Mal bewusst wahrgenommen, wie klar, verständlich und dabei fast poetisch einige Artikel formuliert sind. Bei dem Hinweis auf die vier Frauen, die im parlamentarischen Rat vertreten waren, hätte ich mich über eine Hervorhebung von Elisabeth Seibert gefreut, deren Energie und Beharrlichkeit unser Grundgesetz im Artikel 3, Absatz 2, zumindest den ersten Satz verdankt. Das war 1948/1949 wohl nur gegen erhebliche Widerstände von vielen der 61 älteren Herren durchzusetzen. Das ist aber auch mein einziger kritischer Hinweis. – Dietrich Jacobi

 

Wer Stil hat, stellt den Schülern/Studenten das im ZEITshop gekaufte (über ca. € 6.000,-) von Markus Lüpertz gestaltete Grundgesetz , für den Politikunterricht zur Verfügung, anstelle der Volksausgabe für € 4,99 – Hartmut Wagener

 

Verfassung muss ‚gelebt‘ werden – dies gilt eben auch für das Grundgesetz – bzw. für die Menschen, die unter seinem Dach leben. Selbst geboren unter diesem Schirm 12 Jahre nach Ende des Krieges und des unseligen 3. Reiches war ich schon als Schüler fasziniert vom Versagen der Weimarer Zeit. Hier wurde die Verfassung eigentlich in einem protrahiert verlaufenden Putsch ausgehebelt, erst durch den einigermaßen ehrenvollen Kanzler Brüning, dessen Notverordnungsmandat in den späten 20er Jahren (fatal) auf die Weltwirtschaftskrise reagieren wollte, dann bereiteten auf dieser Grundlage Präsident Hindenburg und seine Spießgesellen den Untergang vor, Hitler und Göring gaben den Rest. Selbst weder Jurist noch Politikwissenschaftler und daher von schwachem Urteilsvermögen schien mir aber die verfassungsrechtlich gebotene Struktur der ‚checks and balances‘ offenbar nicht hinreichend gewährleistet. Und daran kranken vielleicht mehr Verfassungen, als man denkt – dabei ist es neben der Garantie von Freiheiten und Rechten das Regularium, das diese ihre Existenz erst erforderlich macht und rechtfertigt.
Ich lebe derzeit im Mutterland der Demokratie und erlebe, wie der Mangel eines solchen Regelwerks problematisch wird, wenn eine geschriebene Verfassung nicht besteht, die ‚checks and balances‘ auf dem Boden jahrhundertealter Traditionen (nicht) erprobt sind und essentielle nationale Krisen zur Bewältigung anstehen: Es macht einfach fassungslos, wie hilflos das große Britannien agiert, Regeln aus dem 17. Jahrhundert im Parlament bemüht, um beim Taumeln möglichst nicht hinzufallen, machtlos in der Bewältigung der sicher schwierigen Thematik des ‚Brexit‘. Ein Verfassungsgericht sehe ich hier nicht, Mitglieder einer 2. Kammer (Oberhaus) werden per Ernennung bestimmt – aber es sitzen da auch immer noch ein paar ‚hereditary peers‘ (Altadel), von Mandat per Wahl keine Rede, Abbildung regionaler Interessen in Westminster Fehlanzeige. Ich hoffe sehr, dass wir in Deutschland besser dastehen. Und dass eine mögliche Innenministerin A Weidel oder eine Verteidigungsministerin von Storch (aus momentaner Sicht ein GAU) nicht einfach per ordre mufti mit simplen Tricks und einfachen Mehrheiten die soft-powers unseres Landes einfach zerstören: Da sei Gott oder eben vielmehr unser Grundgesetz vor! – Dr. Thomas Disselbeck


 

Leserbriefe zu „Wer kommt, wer geht“ von Kolja Rudzio

Mit gewisser Freude aber auch Verwunderung habe ich die um Differenzierung bemühte Darstellung von Kolja Rudzio mit dem Titel „Wer kommt, wer geht“ in der gestrigen Ausgabe der Zeit gelesen. Zwei Dinge möchte ich dazu anmerken:

  1. Die Rolle der Migranten, die nicht über die „Asylschiene“ nach Deutschland migrieren (also insbesondere EU-Migranten) hätte ruhig etwas ausführlicher dargestellt werden können. Oft unbemerkt, weil unauffällig und häufig gewissenhaft, wird auch im Artikel ihre enorme Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung in den letzten Jahren nur im Ansatz beschrieben. Gerade im Europawahljahr 2019 eine relevante Sache, die nochmals den Nutzen des Projekts für Deutschland gezeigt hätte.
  2. Im Gegenteil zur Darstellung der Beschäftigung bei Asylsuchenden. Die auf dem Diagramm „Integration – Beschäftigungsquoten…“ beruhende Argumentationsrichtung, die einen kontrastierenden und differenzierenden Gegenpol zu den auch im Artikel erläuterten niederen Bildungsabschlüssen begründen soll, ist so nicht haltbar. Die „Erfahrungswerte 1990-2014“ enden just in dem Jahr, in dem die Anzahl der Flüchtlinge enorm anstieg und konzentriert sich damit auf die Jahre, in denen die niedrigste Asylmigration in den letzten Jahrzenten stattfand – und auch der Großteil der Westbalkanflüchtlinge der 90er Jahre das Land bereits wieder verlassen hatte. In jener Zeit waren also verhältnismäßig wenige und zudem auch verhältnismäßig gut ausgebildete Asylsuchende/berechtigte in den Arbeitsmarkt zu integrieren, was durchaus auch gelang. Vergleichbar mit den Jahren 2014ff ist dieser Zeitraum damit allerdings gerade nicht. Auch ein Vergleich der bereits damals überwiegend jungen (~2/3 zwischen 20 und 40 im Jahr 2005) und eher männlichen (~60:40 im Jahr 2005) Gruppe der Asyl-Zuwanderer mit der Beschäftigungsquote der „Deutsche[n] (Februar 2019)“ ist insofern nicht korrekt, als dass hier bei der Vergleichsgruppe die 15-64-Jährigen – und damit viele Schüler/Studenten und auch teilweise Rentner sowie ein höherer Anteil an Erziehungsarbeit leistender Mütter – doch eine ganz andere Zusammensetzung zugrundegelegt wird. Während eine solche Einordnung der eher „jungen“ und eher „männlichen“ Gruppe bei der Kriminalitätsstatistik (mit einigen guten Gründen) in der „Zeit“ in aller Regel vorgenommen wird, wird sie hier – hoffentlich nicht bewusst – unterlassen. Vielmehr liegen die aktuellen Beschäftigungsquoten der Migranten durchweg unter dem Gesamtschnitt der Wohnbevölkerung (die dem Vernehmen nach auch noch fälschlich als „Deutsche“ etikettiert wurde, obwohl hier bereits alle Ausländergruppen einberechnet sind; vgl. zu alledem S.2 des leicht zu findenden IAB-Monitors vom Februar: http://doku.iab.de/arbeitsmarktdaten/Zuwanderungsmonitor_1902.pdf).

Die positive Entwicklung bis 2014 lässt sich also kaum als Vorlage für eine Prognose nutzen und auch der Vergleich mit der einheimischen Bevölkerung ist zumindest verzerrend. Eine Unterschätzung oder ein Schönrechnen dieser politischen Herausforderung, auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung für einfache Tätigkeiten, wäre fahrlässig. – Jochen Mayer

 

76 Prozent der Flüchtlinge haben keine Ausbildung steht reißerisch über dem Artikel. Danach wird im gesamten Text nicht erwähnt, dass es in den meisten Ländern, aus denen die Geflüchteten kommen, gar keine dem deutschen Ausbildungssystem entsprechende formal definierte Ausbildung gibt. Kenntnisse werden überwiegend „Learning by Doing“ erworben. Und das beste Ausbildungssystem bricht zusammen, wenn Krieg die Menschen daran hindert, eine Ausbildung in ihrem Land abzuschließen. Zudem ist Deutschland dafür bekannt, Abschlüsse, die im Ausland erworben wurden, nicht oder nicht im vollen Umfang anzuerkennen. Ein Mensch, der 15 Jahre lang einen eigenen Betrieb erfolgreich geführt, aber den Beruf nicht „gelernt“ hat, gilt als Person „ohne abgeschlossene Ausbildung“. Dazu hätte ich mir eine relativierende Aussage gewünscht, wenn schon so plakativ Zahlen dargestellt werden, die vorhandene Vorurteile unreflektiert verstärken. – Claudia Heinrich

 

Profitiert Deutschland von der Zuwanderung?
Wer ist Deutschland? Die selbsternannten Eliten? Die Frage ist doch eher: Wer profitiert in Deutschland von der Zuwanderung, wer erfährt dadurch Nachteile. Der Vermieter kann eigentlich Unvermietbares teuer vermieten. Der Mieter zahlt jetzt mehr, wenn er noch was findet. Der Arbeitgeber findet billige Kräfte. Der einfache Arbeitnehmer gerät unter Druck. Unabhängig davon, wie der Zuzug ansonsten bewertet wird, das „Wir schaffen das!“ sollte auch von den Profiteuren Leistung beinhalten, sonst ist es ein hohles Versprechen. Ich freue mich, dass das Thema mit soliden Fakten auf den Tisch gekommen ist und wünsch mir da weiteres tieferes Hinsehen. – U.Karthäuser

 

Zur Arbeitssituation der Geflüchteten muss ich aus meiner Erfahrung als Helferin einiges ergänzen: Ich bin seit 2014 im hiesigen Helferkreis „Freundeskreis Flüchtlinge Riedstadt“ aktiv. Wir haben mit verschiedenen Geflüchteten aus Syrien und Afghanistan und Erythrea und mit Kurden aus der Türkei engen Kontakt. Mehrere meiner Mitstreiter bemühen sich, die Menschen in den Arbeitsprozess, und sei es für Hilfsarbeiten, zu integrieren. Die bürokratischen Hürden sind extrem hoch, viel Zeit geht verloren und ohne unsere häufigen Telefonate oder unsere Begleitung zu den Sozialämtern oder Jobcentern liefe in manchem Fall gar nichts.

2014 gab es noch keine offiziellen Deutschkurse, ich habe 2 Jahre lang regelmäßig einen Syrer, Familienvater und in Syrien Elektriker, unterrichtet, bis er dann über die VHS an Deutschkursen teilnehmen konnte und schnell die Prüfung „B1“ mit Bravour bestanden hat. In Syrien gibt es keine Berufsausbildung /Lehre wie bei uns. Er zählte sicher unter die in Ihrem Artikel hervorgehobenen Menschen „ohne Abschluss“. Er informierte sich über Mangelberufe und kümmerte sich um eine Arbeitsstelle in einem Altenheim, wo er nun seit 2 Jahren zur Aushilfe in der Pflege arbeitet. Er will die Ausbildung zum Altenpfleger machen, kann aber seinen Schulabschluss in Syrien nicht nachweisen. (Er floh nach einem Bombenangriff, bei dem sein Sohn verletzt wurde.) Er wird 1 Jahr lang neben seiner Arbeit die Abendschule besuchen und dann nach dem Hauptschulabschluss die Ausbildung beginnen. Der Weg in die Arbeit ist für die Geflüchteten viel schwieriger, als in Ihrem Artikel dargestellt. Die Jobcenter scheinen mir überfordert, wir Ehrenamtlichen müssen versuchen zu helfen, wo wir können. – Eva Roth

 

Und was ist mit den Herkunftsländern?
Natürlich werden Flüchtlinge aus humanitären Gründen in unserem Land aufgenommen. Steht hier ernsthaft die Frage im Raum, dass Deutschland finanziell davon profitieren sollte, wenn das Land Flüchtlinge aufnimmt? Es fehlt wie so oft der ganzheitliche Blick. Unser „Brain-Gain“, also wenn gut ausgebildete Fachleute hierher einwandern, bedeutet natürlich für das Land, wo diese Menschen herkommen, dass dort diese Menschen fehlen. Ein Einwanderungsgesetz macht die Sache noch schlimmer. Schlauer wäre es, gut ausgebildete Menschen aus Europa in Länder zu schicken, wo Flüchtlinge herkommen, um die dort dringend benötigte Arbeit zu erledigen. So ähnlich, wie es die Bundeswehr auch tut. Sie schickt Ausbilder in Länder, um sie darin zu unterstützen selber sinnvolle Strukturen aufzubauen. Eine Alternative bestünde darin, Geflüchtete hier auszubilden und dann zurückzuschicken, sobald dies gefahrlos möglich ist. – Bettina Lemke

 

Schauen Sie mal hinter Ihre Zahlen
Meiner Meinung nach ist es traurig, einen die Leser so unvermittelnden Artikel über die Folgen der „Flüchtlingskrise“ mit einem überdimensionalen Foto von einem in den Köpfen der Gesellschaft bereits bekannten „Flüchtlingstreck“ auf der Ersten Seite der Wirtschaft zu veröffentlichen. Das Ziel des Verfassers Kolja Rudzio war es wahrscheinlich, die Leser mit drastischen, oberflächlichen Zahlen zu schockieren, wie Migrantem als größtenteils Geringqualifizierte unseren Sozialstaat belasten und so Deutschland in eine „strukturelle Krise“ zwängen. Dies gelingt nur leider nicht immer, wenn man einen solchen Artikel dem zumeist kompetenten Leserpublikum der ZEIT vorlegt. Aber eins muss man Ihnen lassen, da die „Flüchtlingskrise“ vorbei, bringt man nun dramatische Zahlen hervor, wie diese Geflüchteten unserern Sozialstaat belasten, damit immer etwas Negatives über die Flüchtlinge in den Medien veröffentlicht wird. Warum sehe ich den Artikel als unkompetent an? Zum einen werden keine Analysen oder Vermutungen darüber angestellt, warum die Asylbewerber wohl kaum eine abgeschlossene Ausbildung besitzen, außer der Satz „Dabei spielt auch eine Rolle, dass Asylbewerber nicht sofort arbeiten dürfen.“ Weiterhin ist der so groß hervorgehobene Verlgeich von „76 Prozent der Flüchtlinge haben keine abgeschlossene Ausbildung. Bei Deutschen ohne Migrationshintergrund sind es nur 10 Prozent.“ so banal. Zum einen sollten nicht auch Deutsche mit Migrationshintergrund zugezogen werden oder sind dies in Ihren Augen keine Deutschen, Herr Rudzio? Und wer sind für Sie Deutsche ohne Migrationshintergrund? Zum anderen wird das Angehen einer Ausbildung an die Jugendlichen in Deutschland gewissermaßen herangetragen. Haben Sie sich schon einmal darüber Gedanken gemacht, wie die Arbeitssituation in den Herkunftsländern der Geflüchteten aussieht und dass dort eventuell nicht so viele offene Türen auf dem Arbeitsmarkt stehen?

Außerdem stellen Sie die Asylbewerber aus „Syrien, Afghanistan und sechs weiteren Herkunftsländern“, die Hartz IV empfangen, mit den Deutschen in Vergleich. Denken Sie, dass die zumeist aus Notsituationen Geflüchteten die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben wie die deutschen Hartz IV Empfänger? Und warum nennen Sie Syrien und Afghanistan an erster Stelle und wer verbirgt sich hinter „den anderen sechs Herkunftsländern“? Zuletzt ist es auch traurig, viele „junge Syrer“ als Analphabeten hervorzuheben. Sie verallgemeinern und bringen keine Mühe für Hintergründe auf. Sie heben Deutschland auf eine hierarchisch so hohe Ebene und die Länder der Geflüchteten extrem untergeordnet. Dabei muss man sich nicht zur AFD bekennen, indem Sie den „Wirtschaftsexperten“ Heribert Dieter zitieren, wenn man auch nur die Meinung derer teilt. Ich denke, um über das so große Feld der Migration zu schreiben, sollte man um einiges mehr Kompetenzen besitzen. Zum Nachdenken bringt es mich, wie Menschen, die sich so viel Mühe für so unsinnige Vergleiche geben, belohnt werden und es auf die Titelseite der Wirtschaft schaffen. – Franziska Rampp

 

Ich danke Ihnen für Ihren Artikel, dem ich zu 90% zustimme. Allerdings erlaube ich mir darauf hinzuweisen, dass der Artikel, wäre er von Ihnen 2015 oder 2016 geschrieben, Ihren „journalistischen Kopf“ gekostet hätte. Ich habe noch dabei Begriffe wie Lügenpresse u.ä. in Erinnerung. Die pessimistische Einstellung von Herrn Heribert Dieter teile ich. Der Hinweis auf die wirtschaftlichen Maßnahmen der Bundesrepublik,als in den 60ziger Jahren „Gastarbeiter“ in‘s Land geholt worden sind, ist mit der derzeitigen Situation nicht vergleichbar, da sich der Arbeitsmarkt und politische Situationen dramatisch verändert haben. Ich weiß, dass Sie sich dazu in Ihrem Artikel nicht geäußert haben-es war nur eine kleine Anmerkung meinerseits. Nochmals danke ich. – Jürgen Lungwitz

 

Ihrem Artikel wurden übersichtliche Grafiken beigefügt, aber: Stimmen Sie mit mir evtl. überein, dass der Grafik „Hilfsempfänger“ zur besseren Einordnung die absoluten EUR-Beträge hinzugefügt werden sollten. – Florian Müller

 

Ich bin extrem ärgerlich über den Artikel und überrascht, so unqualifizierte und populistische Berichterstattung in der ZEIT lesen zu müssen. Meine erste Reaktion war, mein Abo zu kündigen! Dieser Artikel ist tendenziös und diese politische Tendenz gehört aus meiner Sicht nicht in die Wochenzeitung Zeit. So findet sich auf der AfD-Internetseite der Link zu Äußerungen von Heribert Dieter, der im Artikel ungefiltert wiedergegeben wird: https://www.afd-verden.de/wenn-hochqualifizierte-gehen-und-wenig-gebildete-kommen-heribert-dieter/ Möchten Sie durch solche Artikel für eine rechte LeserInnenschaft interessant sein? In meiner Arbeit mit Geflüchteten habe ich viel Erfahrungen gesammelt und mir ein fundiertes Wissen angeeignet, deshalb fühle mich wohl persönlich angegriffen durch Ihre Berichterstattung. Ein Beispiel meiner Verärgerung möchte ich kurz erläutern: Wenn Sie die Zahl der beruflichen Abschlüsse bei Geflüchteten darstellen, wäre es aus meiner Sicht unabdingbar zu erläutern, dass es in den Heimatländern gar keine berufliche Ausbildung gibt und somit auch keine beruflichen Abschlüsse geben kann! Des Weiteren können Sie doch mit so alten Daten (2016) keine aktuelle Berichterstattung gestalten!!!

Geflüchtete sind jawohl keine Ware oder ein Wirtschaftsgut, sondern Menschen, die ihre Heimat aufgrund von unzumutbaren Bedingungen verlassen mussten. Eine Bilanzierung der Migration ist nicht angebracht und bei der Fragestellung der Integration auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht hilfreich. Deutlich qualifizierter ist mit der Frage im folgenden Artikel umgegangen: https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2019/01/arbeitsmarktstatistik-gefluechtete.html Bei Interesse an Fakten, die die Lage veranschaulichen können, empfehle ich den Newsletter Forum Flüchtlingshilfe, https://www.hamburg.de/forum-fluechtlingshilfe/12438022/forum-fluechtlingshilfe-newsletter-15/:

Immer mehr Geflüchtete in Arbeit und Ausbildung
Schneller als von vielen erwartet, gelingt in Hamburg die Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt: Mittlerweile sind rund 11.100 Geflüchtete aus den acht sogenannten Hauptasylherkunftsländern (Syrien, Iran, Irak, Afghanistan, Eritrea, Somalia, Nigeria und Pakistan) in Hamburg sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Fast 3.200 sind geringfügig beschäftigt (Minijob). Außerdem machen derzeit 1.200 Geflüchtete aus diesen Ländern eine Ausbildung. (Stand Juni 2018; Quelle: Migrations-Monitor Arbeitsmarkt – Teil IV Beschäftigte nach Staatsangehörigkeiten (Quartalszahlen), Statistik der Bundesagentur für Arbeit.)

Auch wenn ein Teil dieser Menschen nicht erst seit 2015 nach Hamburg gekommen ist, sondern schon länger hier lebt – insgesamt gelingt die Arbeitsmarktintegration vieler Geflüchteter immer besser: So stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus den genannten Ländern im Vergleich zum Juni 2017 um fast 40%, die der Auszubildenden sogar um knapp 73%. „Dies ist ein großer Erfolg der geflüchteten Menschen, die schnell Deutsch gelernt, Praktika und Qualifizierungen absolviert haben“, erklärt Petra Lotzkat, Staatsrätin der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration. „Es ist auch ein Erfolg derer, die sich für die Geflüchteten stark gemacht haben: Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ebenso wie die vielen Hauptamtlichen in Jobcenter, Arbeitsagentur, Jugendberufsagentur, bei W.I.R, freien Trägern, Kammern, Verbänden und Behörden. Und – nicht zuletzt – der Hamburger Freiwilligen, die unermüdlich Geflüchtete beraten und in oft schwierigen Situationen begleitet haben. Ihnen allen gilt unser großer Dank!“ Vier Tabellen der Agentur für Arbeit veranschaulichen diese Entwicklung. – Daniela Bargholz

 

Der Bericht zur Frage, ob Deutschland von der Zuwanderung profitiert, geht zu wenig auf die Praxis ein. Ich bin seit 3 ½ Jahren in der ehrenamtlichen Flüchtlingsbetreuung in Bayern/Franken tätig, zeitweise in meiner Nachbarschaft auch für eine Wohngruppe unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge (Afghanistan, Eritrea, Somalia). Die Erfahrung sieht so aus:

 Etliche Handwerksbetriebe nehmen durchaus auch ungelernte Flüchtlinge, die engagiert sind. Der Chef eines größeren Gerüstbauunternehmens: Die Einarbeitung bekommen wir hin, wenn die Motivation da ist. Diejenigen, die ich sonst vom Arbeitsamt bekomme, haben oft nach drei Tagen keine Lust mehr.

 Das Problem ist in Bayern ist eher, dass seit 2017 Flüchtlinge mit „geringer Bleibeperspektive“ kaum noch eine Arbeitserlaubnis bekommen, selbst wenn Handwerksbetriebe sie wegen guter Erfahrungen in einem Praktikum gerne übernehmen würden. Man zwingt die Leute also in Hartz IV. Ihnen das nun vorzuhalten ist nicht ganz redlich.

 Die Integration in die deutsche Gesellschaft und in die Arbeitswelt geht – wie in dem Bericht dargestellt – heute bereits schneller als vor 10 oder 20 Jahren. Sie könnte aber noch deutlich schneller gehen, wenn Behörden möglichst kooperativ Ehrenamtliche einschalten würden, statt zu bremsen, und die Integrationsprogramme praxisnah verbesserten. Dazu würde auch gehören, die berufliche Bildung für Flüchtlinge nicht unnötig zu akademisieren – warum ist es z.B. nötig, dass ein junger Eritreer im ersten Lehrjahr als Anstreicherlehrling lernen muss, dass Licht eine elektromagnetische Welle ist und die Farbe von deren Wellenlänge abhängt?

Insgesamt: Die Integration von Flüchtlingen „mit schlechten Startvoraussetzungen“ bedeutet natürlich einen Aufwand, aber wenn man das nicht widerwillig und die Flüchtlinge demotivierend angeht, sondern gezielt und intelligent, „amortisiert“ sich das in der Arbeitswelt in wenigen Jahren. – Ulrich Waas

 

Die Einwanderung ist durchaus positiv zu sehen, da ja auch die Kinder der Einwanderer zu berücksichtigen sind, die – hoffentlich – eine gute Bildung in Deutschland bekommen und dann langfristig auf dem Arbeitsmarkt eine Rolle spielen werden. Dazu bedarf es aber viel mehr Anstrengungen im Bildungsbereich, in den intensiver investiert werden müsste, z.B. durch mehr Lehrer, Sozialpädagogen, Erzieher, kleinere Klassen, Ganztagsschulen, Hausaufgabenbetreuung u.a. Ein gutes Beispiel dafür ist das, was Sasa Stanisic in Heidelberg erlebt hat. Ein weiterer Punkt, der mir in dem Artikel aufgefallen ist, ist das Thema der Auswanderer/Brain Drain. „Über die Auswanderer gibt es praktisch keine Daten. Nirgendwo wird registriert, welche Ausbildungen oder Motive sie haben. In dieser Hinsicht ist Deutschland blind.“ (S. 20). Diese Aussage kann ich nur bestätigen, hoffe aber, dass auch dies in nächster Zeit mal untersucht wird. Ich selbt gehöre auch zu den Auswanderern in ein deutschsprachiges Nachbarland, jedoch nicht, weil ich das unbedingt wollte, sondern weil es für mich in Deutschland keine Arbeitsmöglichkeit gab (promovierte Gymnasiallehrerin mit 1. und 2. Staatsexamen). In den 80er Jahren hat man ganze Uni-Abschlussjahrgänge aus dem Land gegrault, totzdem der Bedarf da war (Einstellungsstopp). Ich kenne zahllose Fälle. Niemand hat das verstanden: Zuerst bildet der Staat über Jahre hinweg Menschen teuer aus (dafür ist Geld da), und dann setzt man sie vor die Tür. Wir haben damals große Veranstaltungen organisiert, haben mit Ministern auf Landesebenen, mit GEW – Vertretern und anderen „wichtigen“ Leuten diskutiert. Es hat nichts genützt. Alle sind irgendwie untergekommen, teilweise in prekären Arbeitssituationen oder auch als „Multijobber“, wie man heute sagt. Ähnliches geschieht im Moment z.B. mit jungen Ärzten, mit Wissenschaftlern, die im Ausland bessere Arbeitsbedingungen haben und Deutschland verlassen. Ich verfolge die Politik in Deutschland aufmerksam und wünsche mir, dass im Bildungs- und auch im Wissenschaftsbereich mehr Gelder eingesetzt werden und auch die Arbeit, die alle leisten, besser gewürdigt und anerkannt wird. Nicht nur das Geld zählt, sondern auch die Anerkennung. – Dr. Ilse Heinecke

 

Im Beitrag von Kolia Rudzio wird das Dilemma der Eingewanderten im Soll-Ist-Saldo umrissen. Meine Erfahrungen in der Arbeit mit Geflüchteten könnte diese Sichtweise ergänzen: Als Coach im LOK-STARTup Camp international kümmern wir uns um geflüchtete Menschen, die in die Selbstständigkeit gehen wollen. Tatsache ist, dass besonders die Menschen aus den arabischen Ländern mit ihren traditionell hohen Anteil von Selbstständigen, hier in Deutschland nach ihrer Flucht und der zwangläufigen beschäftigungslosen Zeit eine neue Selbständigkeit anstreben. Die Mehrheit sind Kleingründungen im gastronomischen Bereich, aber es gibt eine Menge hochwertig akademischer Gründungen im Pharma- und IT- Bereich. Die Motivation der Gründer ist für uns Berater im Vergleich zu den Gründern mit deutschen Pass sehr viel höher.
Und erstaunlicherweise werden von den finanzierungsreifen Gründungen 60 % privat finanziert. Das Geld kommt aus allen Teilen der Welt nach Deutschland, auch aus den arabischen Ländern. Eine große Anzahl der Geflüchteten hat Verwandtschaft in anderen arabischen Ländern, Westeuropa und in den USA, die ein gutes Einkommen haben und die Gründungen hier in Deutschland finanziell unterstützen. Es fließen also auch Mittel nach Deutschland, die zu einer positiveren Gesamtbilanz beitragen, abgesehen von den Unternehmenssteuern, die sie ebenso zu zahlen haben. – Ulrich Pinkert

 

Vielleicht liegt es an der Sehschwäche des Alters (60), dass ich bei Menschen ohne Ausbildung nicht die Defizite, sondern die Möglichkeiten sehe. Im Oktober 2015 stand ich vor einem jungen Mann, der weder Englisch noch Deutsch sprechen oder schreiben konnte. Er war von Aghanistan bis nach Düsseldorf gekommen und sagte auf jede Frage, „I´m good“. 3000 km In Jogginghose und auf Adiletten. Wir sind ein reiches aber ältliches quengelndes Volk, mit der spannenden Aufgabe, in Zukunft ohne Öl, Kohle, Gas und Atom gut zu leben. Ein mutiger, zäher Mann, der Zupacken kann, kommt uns da eben so gelegen, wie eine Frau, die mit Vierzehn ihre paar Brocken Englisch einsetzt, um Eltern und Großeltern heil nach Europa zu bringen. Was fehlt, läßt sich lernen und findet sich. Dies umso leichter, wenn der Brain Drain toll gebildeter ZEIT-Leser ein paar Lichtungen hinterlassen hat, wo Neues wachsen kann. – Ingo Klamann


 

Leserbriefe zu „Keine Klassenfrage“ von Petra Pinzler

Warum reden beim CO2-Ausstoss durch den Verkehr alle immer nur vom Pendler, vom armen Fahrer eines Kleinwagens oder reicheren Fahrer eines SUV, und vergessen den Gueterverkehr ? Beispiele: Warum muessen die Einzelteile eines Autos, bevor es fertiggestellt ist, mehrmals quer durch Europa transportiert worden sein ? Das belastet nicht nur das Klima, es fordert auch Unfallopfer. Koennte man die Teile nicht dort produzieren, wo auch die Endmontage stattfindet ? Warum muessen heute 10 mal so viel Waren zwischen Europa und Ostasien hin und her transportiert werden wie von 50 Jahren ? Was gewinnen wir eigentlich dabei ? Allein die vielleicht 200 Containerfrachter im Europa-Ostasiendienst produzieren so viel CO2 wie 20 grosse Kohlekraftwerke. – Hermann Weigmann

 

Eine CO2-Steuer bzw. ein funktionierender CO2-Zertifikatehandel sind sicherlich gute Instrumente, um die Energiewende voranzubringen und die Klimaziele zu erreichen. Viel besser, gerechter und effizienter wäre es allerdings den Strompreis nach unten anzugleichen, und damit die Energiewende vor allem für private Haushalte zu verbilligen. Zur Erinnerung: Erdgas kostet 5 bis 7 Cent pro Kilowattstunde, Benzin 12 bis 15 und Strom, auch regenerativer, fast 30 Cent pro Kilowattstunde. Der Herstellungspreis für Strom beträgt aber nur 6,2 Cent, das sind nur 20% des Preises. Der Rest setzt sich aus Netzentgelten (25%) und und Abgaben (z.B. EEG, Steuern) zusammen. Würde der Kunde für Strom aus Windkraft, Wasser und Sonne nur etwas mehr als den Herstellungspreis bezahlen, wäre der kohlenstoffbasierte Strommarkt bald abgewickelt. Die Kunden würden mit dem Geldbeutel abstimmen! (Bem: Strom aus Windkraft kann schon für 3 ct/kWh hergestellt werden). Eine Anpassung des Strompreises für Strom aus regenerativen Quellen nach unten wäre eine gerechte* und äusserst effiziente Maßnahme zur Erreichung der Klimaziele. Natürlich muss der regenerativ erzeugte Strom auch für die Bereiche Heizen und Mobilität eingesetzt werden (Stichwort: Sektorkopplung), um den Umstieg auf eine CO2-freie Energiewirtschaft zu schaffen.
*zumal ja die Gas- und Benzinpreise indirekt subventioniert sind (z.B. keine exorbitanten Netzentgelte, keine EEG-Umlage). – Robi Banerjee

 

Ist die CO2-Steuer wirklich die Idee, deren Zeit gekommen ist ? Letztlich wird sie nur auf Besitz und nicht auf reales Verhalten erhoben. Wer mit viel Geld ein schickes E-Auto und ein super gedämmtes Haus erwirbt, zahlt auch wenig Steuer. Es wird Druck aufgebaut, Altes zu entsorgen, um Neues, (vermeintlich ?) Umweltfreundliches zu kaufen. Der Umgang mit den neuen Dingen kann dann sorglos geschehen. Wohlhabende decken sich mit den neuesten Produkten ein, mit welchen eine Änderung des individuellen Verhaltens überflüssig erscheint. Die Wirtschaft freut sich, es wird gekauft und konsumiert, Rohstoffe werden verbraucht und CO2 produziert. Mittel – und Geringverdiener werden Schwierigkeiten haben, aufzurüsten. Ein Auto mit den neuesten Umweltstandards ? Das Haus umbauen ? Finanziell nicht möglich. Egal wie sensibel man sich in dieser Gruppe zeigt, egal ob man schon seit Jahren sein Alltagsverhalten verändert hat, das Haus nur zimmerweise heizt, das alte Auto möglichst wenig fährt und vieles mit Bahn und Fahrrad erledigt, auf Flugreisen sowieso verzichtet, man wird in dieser Gruppe zur Kasse gebeten werden. Wer hat nun wirklich den dickeren CO2-Abdruck ? Wie kann man diesen differenziert und unabhängig von bloßem Besitz ermitteln ? Nur dann wäre die Zeit für eine solche Steuer angebrochen. – Frank Genkinger

 

Im Artikel zur CO2-Steuer auf der Titelseite der Ausgabe 19 wird einmal mehr die Schweiz als Vorbild gelobt. Dort wird die «Verteilung des Ertrages aus Umweltabgaben» an die Bevölkerung über die Krankenkassenbeiträge zurückgeführt. Ich bezahle pro Monat rund Fr 400.- an Krankenkassenprämie und bekommen aus den Umweltabgaben lächerliche Fr 6.40 zurück. Das ist eine Farce. Sinnvoll wäre es ein Rückerstattung um die Fr 2000.-. Dann wären die zu erhebenden CO2-Abgaben tatsächlich lenkend und gleichzeitige bekäme jeder Bürger etwas ähnliches wie ein bedingungsloses Grundeinkommen. Einzige Bedingung damit die Bürger/innen dieses Grundeinkommen «behalten» können, wäre ein Ressourcenschonender Lebensstil. – Martin Novotny

 

In Ihrem Artikel ist alles Nötige gesagt. Wenn man aber Minister Altmeier bei Illner oder die Aussagen von lau-lau Laschet gehört hat, dann muß man folgern, daß von denen das Klima nicht gerettet wird. – Dr. Walter Engel

 

Heute ist Samstag, der 04. Mai 2019, ein kühler und verregneter Tag, den ich eigentlich zur gemütlichen Lektüre verschiedener Zeitungen und Bücher nutzen wollte. Die erste Zeitung, die ich heute zur Hand nahm, war „Die Zeit“. Und gleich beim Lesen des ersten Artikels auf der Titelseite bin ich dann hängen geblieben und vor lauter Ärger erstmal nicht mehr weitergekommen. Daher schreibe ich nun, zum ersten Mal in meinem Leben, einen Leserbrief mit der dringenden Bitte um Veröffentlichung!
Egal um welches Thema es in der öffentlichen Debatte derzeit geht: immer haben meine Frau und ich den Eindruck, auf der falschen Seite zu stehen und im bisherigen Leben alles falsch gemacht zu haben. Ja: wir haben ein großes Haus, ein großes Auto (wenigstens keinen SUV), sogar mehrere Autos, darunter auch Diesel (Pfui Teufel), ich pendele nicht, sondern arbeite von zu Hause aus (Pech gehabt) und uns gehören sogar noch mehrere Wohnungen (Oh Gott), die wir vermieten! Dass wir damit zum Feindbild der politischen Kaste rund um die Kühnerts und Habecks dieser Welt gehören, ist mir ja seit einiger Zeit klar geworden. Was mich aber masslos ärgert ist die Tatsache, dass nun auch noch derlei sinnfreie Artikel in Ihrer sog. liberalen Zeitung veröffentlicht werden! Und noch dazu auf der Titelseite.

Ob man überhaupt weitere Steuern und Abgaben in Deutschland einführen muss, einem Land, in dem die Steuer- und Abgabenlast sowieso erdrückend hoch und die Überschüsse des Staates auf Rekordniveau sind, sei einmal dahingestellt! Aber wie kommt eine Frau Pinzler dazu, eine Lösung als „einfach, gerecht und intelligent“ zu preisen, die nichts anderes ist, als eine reine und weitere Umverteilung zu Lasten derjenigen in unserem Lande, die ohnehin schon die Hauptlast der Steuern und Abgaben tragen? Die jeden Morgen aufstehen und zur Arbeit gehen, die sich etwas erarbeitet und aufgebaut haben, die ihren Müll sauber trennen und entsorgen, die ihre Kinder ordentlich erzogen haben, die im Vertrauen auf die Regierung und die Autoindustrie vermeintlich saubere Diesel gekauft haben, die keine sog. Superreichen sind, die ihr Vermögen ins Ausland gebracht haben oder in der sozialen Hängematte liegen und sich von der Allgemeinheit aushalten lassen, die hohe Einkommensteuern zahlen und seit Jahrzehnten den Soli, der längst abgeschafft gehört hätte, die wegen eines – selbst ersparten – großen Hauses bereits hohe (und künftig wohl noch höhere) Grundsteuern sowie höhere KfZ-Steuern für ein größeres Auto zahlen. Diese Liste wäre noch beliebig zu erweitern aber das bringt uns hier nicht weiter.

Meine entscheidende Kritik an der vermeintlich optimalen Lösung von Frau Pinzler ist, dass es doch ein bürokratisches Wahnsinnsprojekt wäre, den Bürgern zunächst eine CO²-Steuer abzuknöpfen und dieses Geld danach wieder in einem unendlich komplizierten Verfahren umzuverteilen. Mal abgesehen davon, dass bei solchen Prozessen ja immense Summen an administrativen Bearbeitungskosten entstehen, die einen guten Teil dieser Einnahmen de facto wieder auffressen würden. So einfach, wie Frau Pinzler es hier darstellt, wäre es natürlich nicht, wie ja bereits jahrzehntelange Erfahrungen mit der Vermögen-, Erbschafts – oder jetzt auch der Grundsteuer zeigen. Großes Haus = hohe Steuer, kleine Wohnung = niedrige Steuer? Leider werden in Frau Pinzlers Artikel viele klassische Klischees bedient. Da ist von „reichen Singles mit SUV und großem Apartment“ die Rede – wer soll das sein? In meinem Bekanntenkreis kenne ich da niemanden. Ich darf aber sagen, dass wir unser „großes“ Haus nach dem Kauf aufwendig renoviert und auch ökologisch saniert haben (Komplettdämmung, neues Dach, neue Fenster). Es entstehen sehr geringe Heizkosten und eine alte Ölheizung haben wir auch nicht. Außerden haben wir auch einen großen Garten mit vielen Pflanzen, die CO²-freundlich sind. Möglicherweise hat sich auch gerade der verhasste reiche Single mit SUV eine superteure große Penthousewohnung in einem ganz neuen, klimaneutralen Gebäude gekauft? Größe allein kann hier also nicht die entscheidende Rolle spielen, vielmehr wird dann wieder ein weiterer monströser bürokratischer Prozess ins Leben gerufen werden müssen, der die einzelnen Gebäude nach Ihrem jeweiligen Maß der CO²-Erzeugung bewertet. Klagen und Prozesse hierzu vor dem Verfassungsgericht natürlich inbegriffen.

Desweiteren frage ich mich, welche aktiven Steuerungseffekte denn dadurch entstehen sollen, dass die Bürger einfach nur zufällig für ihre jeweilige Lebenssituation belohnt oder bestraft werden? Jemand, der ein kleines Auto fährt, das möglicherweise eine alte Dreckschleuder ist, hätte ja nach Frau Pinzlers „Lösung“ überhaupt keinen Anreiz, etwas zu ändern, weil er ja noch Geld rausbekäme. Und dem mit der kleinen Wohnung und er schmutzigen alten Ölheizung wäre es ja dann auch egal. Umgekehrt würden die Bürger mit den größeren Häusern und Autos diese neuerlichen Steuerbelastungen der „Mitte“ vermutlich ebenso stillschweigend „schlucken“ wie den „Mittelstandsbauch“ und den endlosen Soli. Die „Mitte“ geht ja bekanntlich nicht auf die Straße, daher kann man die ja immer weiter belasten. Vor den „kleinen Leuten“ und dem Proletariat dagegen zittert die Regierung – auch eine Art Kapitulation des Staates vor seinen Bürgern (wie in Frankreich). Am besten würden meine Frau und ich unser schönes Haus verkaufen und uns eine winzige Wohnung – nicht kaufen – sondern mieten! Denn dann könnten wir ja auch noch den Vermieter als Kapitalisten und Spekulanten beschimpfen und auf eine, wie sagt man kaum dreissig Jahre nach dem Untergang der DDR wieder, „Enteignung, Vergesellschaftung oder Kollektivierung“ der kleinen Wohnung hoffen. Und dann dort mietfrei wohnen.

Zu guter Letzt wird dann auch wieder das Klischee vom „armen Pendler“ bedient, der natürlich gerettet werden muss! Auch der (oder die) muss seine Verhaltensweise nicht ändern, sondern wird staatlich subventioniert und kann weiter mit seiner alten Dreckschleuder die Umwelt belasten! Aber es zwingt ihn doch keiner, so weit weg von der Arbeit zu wohnen. Wir müssen uns irgendwann nochmal neu entscheiden: wollen wir in einer liberalen, freien, selbstbestimmten und marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaft leben oder in einem planwirtschaftlich gelenkten und unfreien System, das von Vorschriften und Verboten gekennzeichnet ist? Übrigens habe ich dann beim Weiterlesen einen interessanten Artikel im Wirtschaftsteil der heutigen FAZ zum Thema alternative Antriebe für Autos gelesen („Wettlauf um den Elektroantrieb“). Aus diesem geht ganz klar hervor, dass die Zurückhaltung der Industrie und der Verbraucher in Sachen Elektromobilität vor allem auch damit zu tun hat, dass doch nach wie vor gar nicht geklärt ist, was wirklich der Antrieb der Zukunft sein wird (Batterie oder Brennstoffzelle). Leider hat sich die Politik hier in ihrer seit Jahren typischen Manier ohne Not vorschnell und hektisch auf die Batterien festgelegt. Nur kann man es den Verbrauchern an dieser Stelle nicht vorwerfen, dass sie nach dem Dieseldesaster zunächst weiter auf die von Frau Pinzler als „herkömmliche Autos“ bezeichneten Fahrzeuge setzen. – Klaus Bingel

 

Die Idee, mit noch einer neuen Steuer zu versuchen, den CO2- Ausstoß zu verringern ist keineswegs sinnvoll: Dies funktioniert weder beim Strom- nach beim Gaspreis, vom Benzinpreis ganz zu schweigen (gesamte Steuern ca. 71 %). Der Anstieg der CO2- Emissionen in Deutschland ist nämlich in erster Linie der verkorksten Energie- und Klimapolitik der Regierung zuzuschreiben (mehr Kohle statt Kernkraft) und nicht den angeblich so sorglosen Bürgern. Völlig naiv ist schließlich der Vorschlag, die Einnahmen aus einer CO2- Steuer an die „armen Menschen, die eher auf kleinem Fuß leben“ zurückzuzahlen, was gleichzeitig den Gerechtigkeits- Hype bedienen soll. Man mag sich gar nicht ausdenken, welch ein Behördenmonster und Verwaltungsaufwand notwendig wäre, um die Sache halbwegs „gerecht“ zu realisieren. Die CO2- Steuer wirkt nicht! Der Gewinner wäre das Finanzministerium, die Erdatmosphäre ginge leer aus. – Michael Deil

 

Keine Klassenfrage, aber Klassenkampf !
Die Einteilung der Gesellschaft in gute und schlechtere Mitglieder wird auch mit diesem Artikel forciert. Die Vermessung der Bürger soll nun auch über die Klimafrage erfolgen, wie schon in anderen Bereichen, also gute Mieter gegen böse Vermieter, gute Junge gegen weiße Alte, gute Radfahrer gegen aggressive Autofahrer, kleine Wohnungen gegen die Apartments der „Reichen“, oder schlimmer noch, mit Einzelhaus und Ölheizung ! Also, ärmere Bürger automatisch die Klimafreunde, die anderen die Klimafeinde. So kann sich jeder selbst einordnen in Gut und Böse oder er wird zwangsweise eingeordnet über die geniale Umverteilung mittels CO 2- Steuer. Man sieht schon den reichen SUV-Fahrer anhand der KlimaApp verzweifeln, die ihm sein schädliches Tun über das „Klimageld“ deutlich macht und sofort nach einer kleinen Wohnung suchen lässt, Allmächtiger ! Schade nur, dass die dann eintretende Klimaverbesserung über den 2 % Anteil Deutschlands am Weltklima mit keiner der heute bekannten Rechenarten messbar ist. Ich werde jedenfalls weiterhin z.B. Bananen und Kaffee von Farmen aus fernen Ländern kaufen und lasse mich gern damit einordnen. – Heinz Gutzeit

 

Wenn Politiker im Zusammenhang mit der Diskussion um Reduktion von CO2 über die Einführung einer Steuer diskutieren, so muss die Ernsthaftigkeit bezweifelt werden, diese Einnahmen tatsächlich auch für den Klimaschutz verwenden zu wollen. Denn Steuern werden in Deutschland nicht aufgabenspezifisch, sondern nach dem Gesamtdeckungs- oder auch Non-Affektationsprinzip erhoben. Das heißt, dass sämtliche Steuereinahmen zunächst in den großen Haushaltstopf fließen und erst im Zuge der Haushaltsverhandlungen auf die einzelnen Ressorts und hier auf einzelne Aufgaben verteilt werden. Wieviel von einer CO2-Steuer dann letztlich für die Luftverbesserung verwendet werden würde, ist völlig offen und müsste zudem Jahr für Jahr neu verhandelt werden. Wem es -wie von Frau Pinzler intendiert- also nicht um die Staatskasse, sondern um die Umwelt geht, der sollte um Gottes willen keiner neuen Steuer das Wort reden. – Dr. Cornelia Mattern

 

Auf der Titelseite der aktuellen Ausgabe regt Frau Petra Pinzler zur Diskussion über die sogenannte Co2 Steuer an. Ich persönlich bin bei diesem Thema sehr gespalten. Natürlich klingt es auf den ersten Blick sinnvoll, dass Klimasünder zur Kasse gebeten werden sollen. Doch auf den zweiten Blick treten Probleme auf: Ich nehme als Beispiel einen alten Bauern, der sich wegen seines geringen Verdienstes schlichtweg keine moderne Heizung leisten kann. Das einzige, was er im Winter hat, ist ein alter Kohleofen. Muss dieser Mann dann extra bezahlen, weil er sich keine moderne Heizung leisten kann? Und wie ist es mit Urlaub? Muss man künftig Strafe dafür zahlen, wenn man eine Kreuzfahrt macht, oder mit dem Flugzeug verreist? Was ist mit Leuten, die zwar ein altes Auto haben, aber in Deutschland Urlaub machen und so auf das Flugzeug verzichten? Oder Leute, die zwar ein Elektroauto haben, aber sehr viel heizen? Für all diese Einzelfälle müssten extra Entscheidungen getroffen werden. Deshalb halte ich die Co2 Steuer für nicht umsetzbar. – Dominik Heil

 

Eine Abgabe auf den CO2 Ausstoß kann im ökologischen Sinne nur gerecht sein, wenn mehr CO2 Ausstoß auch eine höhere Abgabenlast bedeutet. Hier kann es nicht um Umverteilung gehen, so dass ärmere Familien vom Energieverbrauch reicherer Singles profitieren. Vieles in Deutschland, welches die Atmosphäre mit Klimagasen und anderen Schadstoffen belastet, ist im Vergleich zu seinen schädlichen Auswirkungen nahezu lächerlich preiswert. Solange wir die ökologischen Auswirkungen unseres Handeln nur dadurch erkennen, dass wir unsere Windschutzscheibe nicht mehr so oft von lästigen Insekten befreien müssen, werden schmerzhafte Eingriffe, egal wie das Kind dann heißt, politisch noch nicht einmal diskutiert. Der letzte Sommer war doch toll, oder? – Frank Ullrich

 

Es ist eine unbequeme Wahrheit, dass sich hierzulande die Diskussion um die CO2 – Steuer in zunehmendem Maße von naturwissenschaftlichen Grundlagen entfernt und vor allem von kurzfristigen parteipolitischen Überlegungen diktiert wird. Dazu passt eine immer öfter auftretende unzulässige Darstellung des CO2 als Giftstoff, die jeder Alternative in der Energiegewinnung den Vorzug gibt, die (oft nur scheinbar) ohne CO2-Emissionen auskommt. Auch wenn es sprachlich sehr sperrig ist sollte korrekterweise ausschließlich von einer „Besteuerung des CO2 aus fossilen Quellen“ gesprochen werden. Diese ließe sich sehr einfach und exakt auf die jeweiligen Energieträger anwenden: Die individuelle Besteuerung eines jeden Liters Heizöl, Diesel oder Benzin beispielsweise ist nicht abstrakt wie die Angaben der KFZ-Hersteller zu ihren Modellen im Verkaufsprospekt (die unter wenig realistischen und idealen Bedingungen ermittelt wurden), sondern nimmt jeden Endverbraucher in die Verantwortung, z.B. auch in Bezug auf den Fahrstil. Alternative, nachhaltig gewonnene Energieträger auf Kohlenstoffbasis könnten so finanziell attraktiv werden. Sie könnten dazu beitragen, dass CO2 aus der Atmosphäre effektiver gebunden wird. Noch fehlen Strategien und vor allem Technologien, die dieses Ziel in großtechnischem Maßstab verfolgen. Die Chancen, die sich für ein Land mit einem Erfinder- und Entwicklungs-Potential wie Deutschland bieten, werden momentan kaum genutzt. Der derzeitige politische Tenor behindert die dringend notwendige Entwicklung dieser wirklich langfristigen Strategien. Langfristig bedeutet in diesem Zusammenhang über die Dekaden hinausblickend und wirklich global denkend. Weltweit werden die auf Kohlenstoff basierenden Energieträger kaum durch Technologien ersetzt werden können, die zur Zeit in unserer national geprägten Diskussion präferiert werden wie z.B. die Elektromobilität. Das ist auch politisch brisant. Zum einen entdecken politische Randgruppen diese Schwachstelle und versuchen sie in einem national-autarkem Sinne zu nutzen. Zum anderen dokumentieren sich in Äußerungen wie jenen des Vorstandsvorsitzenden von VW, Herbert Diess, auf dem Weltwirtschaftsgipfel 2018 in Davos, der offen ausspricht, dass sich Einige das nicht leisten können, großkapitalistische Zukunfts- und Wert-Vorstellungen, die ein immer größer werdender Anteil der Weltbevölkerung so nicht hinnehmen wird. – Thomas Wartusch


 

Leserbriefe zu „Die Letzten ihrer Art“ von Christiane Grefe

Danke, dass Sie das Thema „Höfesterben“ aufgegriffen haben! Noch drastischer stellt sich die Entwicklung dar, wenn Sie die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe nahe dem Höhepunkt (in der BRD z.B. von 1949) als Vergleich gewählt hätten. Die weitere Entwicklung sehe ich ähnlich wie von Ihnen dargestellt. Schon 1972 sagte mir ein Bauer, die Entwicklung laufe auf einen „Bundeshof“ hinaus, gemeint war nur noch 1 Hof in der Bundesrepublik. Doch dies ist nur eine gedankliche Projektion. – Adolf Ronnenberg

 

Bauern waren immer Abhängige, Getriebene und Untergebene, ob von Feudalherren, Kirche oder Kapitalismus. Früher waren sie nur „dumme“ Bauern, dann wurden sie Landwirte und heute sind sie Agrarlobbyisten. Es bestimmte und bestimmen immer andere, was sie zu sein, zu liefern oder zu denken hatten und haben. Die Vereinigung von Kapitalismus, Demokratie und Bildung führt unweigerlich dazu, dass nur der gut Ausgebildete, der medial Offene und wirtschaftlich Erfolgreiche den Job machen wird. Die Mehrheit möchte aber kein Lückenbüßer für verlorene kulturelle Vielfalt, verlorenes Brauchtum oder ländliche Romantik sein. Wer Kapitalismus will, darf sich nicht wundern, Bauern zu verlieren. Mehr Demokratie = weniger Bauern. Mehr Kapitalismus und Globalisierung = weniger Bauern. Mehr Bildung = weniger und weniger dumme Bauern. Jede Gesellschaft bekommt die Bauern, die es verdient. – Reinhard Seevers

 

Die Vorstellung vom „bäuerlichen Familienbetrieb“, die den freien Bauern auf eigener Scholle, im Einklang mit der Natur wirtschaftend, beinhaltet, ist kein „jahrhundertealtes Modell“ sondern ein Mythos! Der selbständig und eigenverantwortlich wirtschaftende bäuerliche Betrieb mit Ackerbau und integrierter Viehhaltung auf eigenem Boden hat als Normalfall bäuerlicher Landwirtschaft nur etwa 100 jahre existiert. Vor den Agrarreformen Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Höfe einer festen Agrarverfassung mit Gemeinschaftsweide (Allmende bzw. Gemeinheit) und der Dreifelderwirtschaft mit Flurzwang unterworfen, also keineswegs eigenständig und unabhängig! Seit Beginn des Strukturwandels ab Mitte des 20. Jahrhunderts sind die Höfe in zunehmendem Maße vom Markt mit wachsender Konzentration des vor- und nachgelagerten Handels sowie von den Agrarsubventionen, also der staatlichen Agrarpolitik, abhängig. „Brauchen wir noch Bauern?“ ist überhaupt nicht die Frage. Wir, d.h. die Politik bzw. die Gesellschaft, müssen dringend entscheiden, welche Form der Landnutzung wir wollen, und zwar im Rahmn der wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten heutiger Agarwirtschaft (einschlielich Digitalisierung, Automatisierung und precision farming) , der ökologischen Grenzen und Erfordernisse (einschlielich Naturschutz, Biodiversität und Klimaschutz) sowie der wünschenswerten Ernährungs- und Nahrungssicherheit. Der Blick muss in die Zukunft gehen, da helfen Erinnerungen an eine oft auch noch romatisch verklärte bäuerliche Landwirtschaft sicherlich nicht. Den „bäuerlichen Familienbetrieb“ können nur die glorifizieren, die ihn nicht erlebt haben. Ich bin auf einem kleinen Familienbetrieb mit 2 Pferden, 6 Kühen, Schweinen, Hühnern, 2 Katzen und einem Hund aufgewachsen. Der Betrieb setzte Kinderarbeit und mithelfende Familienangehörige voraus, kostete meine vier älteren Geschwister einen höheren Schulabschluss und die Möglichkeit einer individuellen, begabungsgerechten Berufslaufbahn. Sämtliche Schulferien einschließlich mehrerer Semesterferien dienten der Mitarbeit im elterlichen Betrieb. Ich selbst konnte glücklicherweise von dieser Prägung profitieren, weil ich im Geographiestudium bis hin zur Promotion bzgl. Landnutzung und Agrargeographie einen kaum aufzuholenden Vorteil gegenüber Studierenden mit anderer familiärer Prägung hatte. – Dr. Artur Behr

 

„die Letzten ihrer Art“ – wie immer in der Natur: sie sterben lautlos! Erst verschwindet der Hausarzt, dann der Dorfschullehrer, der Pfarrer, und hoffentlich zuletzt der Bauer! Immer nur politische Lippenbekenntnisse, man kann sie nicht mehr hören: das Land fördern, das Dorf stärken! Das Leben inmitten und mit der Natur, mit Wild- und Haustieren, zwischen Wäldern, Wiesen, Feldern, in kleinen Häusern mit großen Gärten, Überlebensinseln für heimische Flora und Fauna – ein Leben, das Stadtmenschen nur noch von Bildern her kennen, nach dem sie sich vielleicht manchmal sehnen, das dennoch keine nachhaltige Anziehungskraft ausübt! Landfrauen, freiwillige Feuerwehr, Gesangs-, Geschichts- und Schützenverein, Nachbarschaftshilfe – dieses enge Geflecht, das ein Dorf zusammenhält, zerbröselt, löst sich auf – wenn es bald nur noch medizinische Versorgungszentren, internationale Großschulen, ökumenische Zentralkirchen, Agrarindustrie gibt! Grund zum Traurigsein? Mitnichten! Globalisierung wird’s schon richten! Brauchen auf nichts zu verzichten! Haben dann mehr Zeit zum Dichten! Für das leibliche Wohl all der Dichter und Denker werden Bauern aus fernen Ländern sorgen! Prosit, wohl bekomm’s! – Dr. med. Ulrich Pietsch

 

Der Beitrag ist instruktiv, macht betroffen und ist doch in hohem Maß unbefriedigend: Der Konzentrationsprozess in der „Agrarindustrie“ bleibt vage, der offenbar stattfindende Prozess der radikalen Veränderung der Dispositions- bzw. Eigentumsrechte im Verborgenen:
Da ja nicht denkbar ist, dass der besagte Konzentrationsprozess dazu führt, dass die nun angestellten Landwirtschaftsbetreiber zu Pendlern werden wie auch ihre Schweine und Kühe, die jetzt in der Stadt wohnen und morgens zur Arbeit aufs Land fahren oder gefahren werden, muss man eher zu der Vermutung geraten, dass es vielmehr so ist, dass die vom Reisenden oder Wanderer wahrgenommen Strukturen die dahinter verborgenen Veränderungen (der Dispositions- und Eigentumsrechte) nicht mehr erkennen lassen. Und es ist auch klar, dass die Einbindung der lokal Tätigen in die Hierarchie eines Großunternehmens mit einer Unzahl von Zweigstellen eine völlig andere Motivation an den Tag legen, weil ihnen auch völlig andere Restriktionen zugemutet werden wie dem vordem eigenständigen Landwirt. Mit einem Wort: Ein „follow-up“ des betreffenden Beitrags, in dem die Andersartigkeit des vordergründig Beobachtbaren erläutert wird, ist überfällig. – Wolfgang Weigel

 

So ist das im Kapitalismus: Die Großen fressen die Kleinen, bis nur noch ein paar Monopolisten oder Oligopole übrig bleiben und sofern die Kleinen keine Nische finden, die für die Großen uninteressant ist. Die überlebenden Großunternehmen können dann die Bedingungen und Preise diktieren und die Politiker(innen) Gesetze nach den Wünschen der Unternehmen verabschieden lassen. Das ist ja jetzt schon vielfach so! Natürlich könnte man politisch gegensteuern und z. B. Betriebsgrößen beschränken und Unternehmen aufspalten und große Betriebe nicht auch noch finanziell fördern, aber die meisten deutschen Politiker(innen) glauben halt an die Weisheit des Marktes und daran, dass Politiker(innen) auf keinen Fall gotteslästerlicherweise in den Markt eingreifen dürfen. – Dr. Ulrich Willmes

 

Wie organisiert man einen Aufschrei ? Das ganze Elend der europäischen Agrarpolitik hat den bäuerlichen Familien nicht geholfen. Das sieht man an der abnehmenden Zahl der Höfe. Die Massentierhaltung der Schweine, der Puten und der Hühner mit den bekannten Problemen durch Antibiotikaeinsatz und nachfolgender Resistenzen bei Menschen, der Kraftfuttererzeugung zu Lasten des Regenwaldes und der Gülleverbringung zu Lasten des Grundwassers ist eine gewollte Agrarpolitik die geändert werden muß ! Die Vermarktung in der EU erzeugter subventionieter Überschüsse in Drittländer führt dort zu unfairer Konkurrenz und nicht selten zum Niedergang der dort heimischen Landwirtschaft. Wann wird diese falsche Agrarpolitik endlich geändert ? Es geht durchaus auch anders! Informieren sie sich doch bitte mal (und vielleicht berichten Sie auch) über die „Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall“. – Rudolf Keine

 

Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihren Beitrag über das „Bauernsterben“! Seit letzten Herbst bin ich Mitglied des Wirtschaftsrates der ZEIT, und moniere in dieser Funktion regelmäßg, dass im Wirtschaftsteil ausgerechnet die Mutter aller Wirtschaftszweige, die Landwirtschaft, nur eine untergeordnete Rolle spielt, obwohl ich sie wirklich für essenziell halte. So einen Bericht wie den Ihrigen würde ich mir im Wirtschaftsteil wünschen, freue mich aber, dass das Thema wenigstens in „Wissen“ aufgegriffen wird – weiter so! Manchmal, so wie in dieser Ausgabe, lese ich den Wissensteil lieber als den Wirtschaftsteil, aber pssssst! Sollte es einmal einen „Wissensrat“ geben in Ihrem Ressort, bewerbe ich mich schon heute dafür (-: – Anuschka Eberhardt

Im Artikel äußert sich der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, zum Höfesterben in diffuser Weise. Tatsächlich gehört Herr Ruckwied laut SZ zu einer kleinen Gruppe von Abgeordneten, Verbandsfunktionären und Agrarkonzern-Managern, die die Landwirtschaftspolitik in Deutschland und der EU prägen. Herr Ruckwied bekleidet neben seiner Abgeordnetentätigkeit 18(!) weitere Posten in Verbänden und Konzernen. Er setzt Konzerninteressen durch, verhindert, dass ökologische Landwirtschaft, Umwelt- und Tierschutz berücksichtigt werden und ist für das Höfesterben im hohem Maße verantwortlich.
(Quelle: Bislang unveröffentlichte Studie des Instituts Arbeit und Wirtschaft (IAW) der Universität Bremen, die der Süddeutschen Zeitung und dem SWR vorliegt. SZ, 28.4.2019)
Dies ist ein Beispiel, wie Konzerne über willfährige Abgeordnete die Politik nach ihren Interessen gestalten, und es ist besonders bitter, dass die Bauern nicht einen Präsidenten wählen, der ihre Interessen vertritt, sondern der sie in die Insolvenz treibt.“ – M. Welter

 

Ein Aufschrei vom Verbraucher wird es nicht geben. Der Verbraucher hat nicht seine Zukunft als Arbeitnehmer, als Bürger, als Lebewesen dieses Planeten im Sicht, sondern nur sein Geldbeutel. Und anders als der Theologe Martin Niemöller wird er nichts begreifen, wenn er selbst Opfer seiner Ignoranz werden sollte. – Dr. Efstratios Rigos

 

Ich danke Ihnen sehr für Ihren ausführlichen, ausgewogenen undt mitfühlenden Artikel über die Landwirte. Leider gibt es gerade jetzt mehr Artikel über Artensterben als über Landwirte, wobei doch die Zusammenhänge mehr als offensichtlich sind. Ich freue mich immer, wenn ich von Ihnen in DIE ZEIT lese. Ihnen immer gute Gedanken und Zeiten – Hans Bichler


 

Leserbriefe zu „Herr Unfehlbar“ von Giovanni di Lorenzo

Obgleich ich mich niemals erdreisten wollte, die Unfehlbarkeit der ZEIT – immerhin ja die Kirchenzeitung des dunkelgrünen Cäsaromamismus – anzuzweifelnd, sei mir die korrekte Beantwortung der Ihrerseits immerhin erkannten Frage gestattet, weshalb sowohl die Linkspartei als auch die Freien Dentisten seit 2017 schwächeln:
Während bei den Bundestagswahlen 2005 und 2009 das sozioökonomische Cleavage – Stichworte Arbeitsmarktreformen und Bankenrettung, genau die Themen also, bei denen FDP und Dunkelrote stark positioniert sind – vorherrschend war, kam es seither zu einer Bedeutungsverschiebung hin zur soziokulturellen Konfliktachse, bei der eben Grüne und AfD klare Vorstellungen haben. (Nähere Informationen zu den Cleavages finden Sie in APuZ 46-47/2019, insbesondere in diesem Beitrag: https://www.bpb.de/apuz/279819/lassen-sich-parteien-noch-klassifizieren?p=all). Ihre Interpretation der letzten Bundestagswahl finde ich sehr oberflächlich. Der strukturelle Unterschied zum Ergebnis von 2013 besteht darin, dass es nun weder eine rotrotgrüne noch eine schwarzgrüne Mehrheit gibt – entsprechend hätten die Wahlverlierer mehr Rücksicht auf die Liberalen nehmen müssen. Ihre Vorhersage, Lindner werde nach Neuwahlen mit erstarkten Ökos reden müssen, gilt nur, wenn Merkel bis 2021 regiert. Einen vorgezogenen Urnengang wird es vielleicht geben, wenn die SPD die Regierung verlässt – und in der Opposition kann sie als Partei des demokratischen Kevinismus die vielen „rot aber“-Wähler zurückgewinnen, die aktuell die Acht-Prozent-Partei träumen lassen. – Stefan Riedl

 

Immer sollte es Verdacht erregen, wenn Politiker als Heilsbringer gefeiert werden. Sie begeben sich ungern in die Niederungen der Realpolitik, denn dort wird ja meist ihr vermeintlicher Zauber entlarft. Deswegen wohl die Absage Herrn Lindners an die Jamaika-Koalition. Einem, der politische Inhalte verkaufen will wie Steve Jobs das neueste Iphone, kommt es wohl eher auf die Präsentation seiner selbst an. Schon mit achtzehn Lenzen hatte er sich so präsentiert, als „Unternehmensberater“. Eloquenz sollte nicht davon abhalten, die ausgesprochenen Inhalte zu überprüfen. Vorsicht darum vor einem weiteren „Heilsbringer“ in der CDU: „Sozialdemokratisierung der CDU“, „Verspargelung der Landschaft“ etc. Der Artikel von Giovanni di Lorenzo war schon längst überfällig. – Heinz-Josef Fischer

 

Natürlich weiss auch Christian Lindner, dass “der Weg der Erkenntnis mit Irrtümern gepflastert ist”! Aber warum hätte er sich dann den grünen Unfehlbarkeitsaposteln mit ihrem Weltenversteher Habeck und ihrer Säulenheiligen Thunberg anschließen sollen? Wohin wandern dann jene 8-10% liberalen “letzten Mohikaner”, die sich der Strangulierung des Staatshaushalts mit einer übersteigerten Bürokratisierung sämtlicher Lebensbereiche bedingt durch offenbar unstillbare soziale Anspruchshaltungen und Gleichheitsfantasien widersetzen wollen? – Hans Hardenberg

 

Christian Lindner, der Alleininhaber der FDP, läßt, so gut es eben nur geht, (meist) immer nur seine eigene Meinung gelten! – Klaus P. Jaworek

 

Ich stimme sehr Vielem zu! Aber das Dümpeln der FDP liegt auch an Ihnen persönlich! Vielleicht war Lindners „geflügeltes Wort“ das Ehrlichste, was in jenen Wochen gesprochen worden war!! Denn wenn ein Gaul hinten und vorne lahmt, sollte man besser nicht auch noch aufsteigen! DAS sollte Ihr Kommentar sein, nicht das Vorgestrige , noch mal aufgewärmt! Sind Sie mglw auch ein „Herr Unfehlbar“? . Gehen Sie doch mal mit der FDP so um wie mit der AfD, von Ihnen unter der Gürtellinie als die „In D ist alles schlecht“- Partei genannt, und verunglimpfen Sie die FDP- Wähler ähnlich wie die AfD-Wähler: schon kann auch die FDP viel mehr Kraft schöpfen! Aber die FDPler müssen alles aus eigener Kraft bestreiten – die kriegen keine Schlagzeile „frei Haus“ geliefert! . Wie ist das mit den Steinen? – Franz Berger

 

Vielen Dank für diesen Kommentar – zwischen den Zeilen drückt Herr Di Lorenzo in sehr deutlicher Weise aus, dass unser Land die FDP mehr denn je braucht – und da hat er absolut Recht. Längst haben wir in der politischen Landschaft zwischen den ewig gestrigen Rechten auf der einen und den den Bürger bevormunden wollenden Parteien in der Mitte und auf der Linken auf der anderen Seite ein Vakuum, welches eine Partei braucht, die die individuelle Freiheit und Selbstverantwortlichkeit des einzelnen Bürgers als oberste Handlungsmaxime auf ihre Fahnen geschrieben hat – und das war und ist die FDP. Nach dem von Roessler, Brüderle und anderen angerichteten Desaster war diese Partei klinisch fast tot – zur Rettung brauchte es ein mit hoher Intelligenz ausgestattetes politisches Alphatier wie Lindner. Jetzt, wo die Partei wieder sehr lebendig ist, muss eben noch lernen, sich als solches auch manchmal zurückzunehmen und andere Tugenden in den Vordergrund zu rücken – weg vom Einzelkämpfer, hin zum Teamplayer, der politische Macht immer wieder als eine vom Wähler nur auf Zeit verliehene Macht begreift. Wenn ihm dies gelingt, darf man sich auf eine endgültig wiedererstarkte liberale Partei freuen, die an die Zeiten von Genscher, Baum und anderen anknüpft und wieder das politische Korrektiv darstellt, das unser Land dringender denn je braucht. – Manfred Hensler

 

In Ihrem Artikel empfehlen Sie Herrn Lindner, zu berücksichtigen, dass der Weg der Erkenntnis mit Irrtümern gepflastert ist. In diesem Zusammenhang ist auf das Interview mit Herrn Lindner – „Ich gebe keine Seele verloren“ – in der Beilage der ZEIT „Christ und Welt“ No 2/2019 zu verweisen. Darin sieht Herr Lindner nicht im Christentum die Hauptquelle unserer Werteordnung, sondern in den Gedanken der Aufklärung, der Französischen Revolution, des Römischen Rechts sowie des antiken Verständnisses von Wirtschaft und Demokratie. Es ist an dieser Stelle deshalb eindringlich auf die konstitutive Bedeutung des Christentums für die Entstehung der, unsere Gesellschaft bestimmenden Faktoren, und somit auch für die Entwicklung des Liberalismus, zu verweisen. Das Wissen über diese Zusammenhänge ist ganz offensichtlich bei Herrn Lindner nicht vorhanden. Eine Erkenntnis seiner Irrtümer kann von ihm wohl auch nicht erwartet werden. – Helmut Stadermann


 

Leserbriefe zu „Links oder rechts“ von Jens Jessen

Sie müssen einsehen, dass es in der Tat viele politische gefärbte Äußerungen gibt, die für den unbedarften Zuschauer nicht erkennbar sind. Beispielsweise beginnt jede Tagesschau mit den Worten: „… 20 Uhr…“. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung, die Journaille sei mehrheitlich links, manifestiert sich hier doch eindeutig rechtes Gedankengut, schließt diese Aussagees doch 23 Vierundzwanzigstel der Welt einfach aus. – Michael Koehn

 

Was ist heute noch links? „Befreiung von den Ketten …“ – der Arbeiter, der sozial Benachteiligten, der Frauen, der Homosexuellen, der MigrantInnen, … – ja! „Gleichmacherei“ – ja! „Universalismus“ – ja! „Identitätspolitik“ – eher nein, jedenfalls nicht im eigentlichen Sinne. Sicher, man kann es Schwarzen nicht vorwerfen, wenn sie sagen: „Ich werde immer nach meiner Hautfarbe beurteilt! Meine Hautfarbe macht, dass ich als ‚anders“, oft auch ‚weniger wert‘ wahrgenommen werde. Meine Hautfarbe bestimmt meine Identität und ich möchte, dass sie endlich etwas Positives ist!“ Man kann es auch den Nachfahren der aus der Türkei stammenden „Gastarbeiter“ nicht vorwerfen, wenn sie sagen: „Mein türkischer Name, meine Religion, … führen dazu, dass ich als ‚anders‘, ‚fremd‘, auch als ‚weniger wert‘ wahrgenommen werde! Immer waren wir für euch nur ‚die Ausländer‘, die ‚Kanaken‘, nie durfte ich so richtig ‚deutsch‘ sein. Das hat meine Identität bestimmt. Jetzt möchte ich, dass die Herkunft meiner Eltern/Großeltern, mein türkischer Name, meine Religion, … etwas Positives sind!“ Solche Statements sind verständlich und berechtigt. Nur darf man dabei auch die andere Seite nicht aus den Augen verlieren. Man muss aufpassen, dass da nicht aus: „Da kommt ein Bekannter von mir! (Er ist schwarz)“ erst: „Da kommt ein schwarzer Bekannter von mir!“ wird und dann irgendwann: „Guck mal, der Schwarze da – den kenne ich!“. Und überhaupt, wenn der „andere“ schwarz ist, bedeutet das, dass ich „weiß“ bin. Bin ich es? Schwarz, weiß, „of Color“, christlich, muslimisch – muslimisch genug? So richtig mit Kopftuch und einem kräftigen Schuss Orient? Erkennbar muslimisch? Oder aber unsichtbar „anders“? Ohne Kopftuch, „verwestlicht“? Wenn schwarz, „of Color“, „nicht weiß“, muslimisch, usw. Identitäten sind, sollte es einen außerdem nicht überraschen, wenn auf der anderen Seite mit „weiß!“, „christlich!“, „deutsch!“ gekontert wird.

Demzufolge bin ich dann Orientromantik oder deutsche Eiche, Afro-Beat oder Schweinshaxn mit Sauerkraut. Aber bin ich ein Klischee? Als ich jung war, hätte ich auf die Frage „Wer bist du?“ eher Antworten wie: „Ich mag/interessiere mich für …“, „… kann ich, glaube ich, ganz gut/liegt mir überhaupt nicht“, „… wünsche ich mir für die Zukunft/war ein besonders schönes/unerfreuliches Erlebnis in meinem Leben“ usw. gegeben. Dabei hätte immer ein bisschen mit angeklungen, dass ich in 20 Jahren vermutlich einiges anders sehen werde. Die Frage ist also: Bin ich ein Individuum oder eine Nationalität, eine Ethnie, eine Kultur, eine Religionszugehörigkeit? Und ist (ursprünglich linke) Minderheitenpolitik nicht eigentlich längst zu rechter Identitätspolitik geworden? Linke Minderheitenpolitik will nämlich eigentlich sogar mit den Minderheiten Schluss machen. Wenn alles so läuft, wie Linke sich das vorstellen, dann würden die Minderheiten als solche sich in der Mitte der Gesellschaft auflösen und die Mitte der Gesellschaft wäre, so die linke Utopie, so breit, dass oben und unten und an den Rändern sowieso kein Platz mehr wäre. Es liegt in der Natur der Sache, dass Linke sich nicht groß mit dem Sarrazin-Stereotyp aufhalten, mit dem Rechte Politik machen: das „Kopftuchmädchen“ – dem Manne (oft ein Gemüsehändler) untertan, mit unzähligen Kindern und schlechten Deutschkenntnissen, insgesamt nicht so besonders helle und oft auch vorsätzlich in unser Sozialsystem eingewandert – Quatsch!

Aber Linken schwebt als Ideal auch nicht so sehr die „selbstbewusste Migrantin“ vor, dieser neue, identitätspolitische Typ, der in den Medien hochgehalten wird: die coole Chick mit Migrationshintergrund, die Kopftuch trägt, weil sie zu ihrer Andersartigkeit steht und sich tough ihren Weg in dieser Gesellschaft bahnt, mit „White men can’t jump!“ als Credo, denn – vallah! – „Kartoffeln“ bringens eh nicht, wobei sie, die natürlich perfekt Deutsch spricht und überhaupt sehr smart ist, patriotisch zu der Heimat ihrer Eltern/Großeltern hält – da liegen schließlich ihre Wurzeln! – und von daher hier die türkische oder arabische Perspektive einbringt (was natürlich sehr interessant und lehrreich sein kann, aber sie ist eben – das muss einem klar sein -, eine Botschafterin „ihrer“ Kultur, die nicht „unsere“ ist und es auch nicht sein soll, sondern eine „andere“ .). Dennoch – Linke haben eher jemand anderen im Sinn: eine junge Frau, eher unspektakulär, die vielleicht als Krankenschwester oder als Ärztin arbeitet (wobei egal ist, ob sie es zur Ärztin „gebracht“ hat oder „nur“ Krankenschwester ist, denn Status zählt nicht. Sie kann mit beidem sehr zufrieden sein.). Sie trägt Kopftuch? – Na, dann ist sie wohl Muslima und ihre Religion ist ihr wichtig, vielleicht ist sie ein wenig konservativ. In ihrer Freizeit schreibt sie vielleicht Gedichte oder spielt Fußball. Vielleicht ist sie ziemlich intelligent oder aber ihre Stärken liegen in anderen Bereichen. Für die Zukunft wünscht sie sich vielleicht einen netten Mann und 2 Kinder, vielleicht auch 6, vielleicht macht sie sich darüber aber auch keine Gedanken und genießt ihr Single-Dasein in vollen Zügen.

Vielleicht interessiert sie sich für die Türkei, Syrien oder den Libanon, weil ihre Eltern/Großeltern da herkommen und sie eben – das ist nicht zu verleugnen (und muss es auch nicht!) – familiäre Wurzeln dort hat, vielleicht spielt es für sie aber auch keine Rolle (Das ist genauso in Ordnung!). Vielleicht ist sie sehr selbstbewusst, tough muss sie jedenfalls nicht sein, sie muss die Faust nicht ballen und braucht niemandem den Stinkefinger zu zeigen, denn es gibt keinen Weg, den sie sich gegen alle Widerstände bahnen müsste – der Weg ist frei. Vielleicht trägt sie auch gar kein Kopftuch, vielleicht ist sie auch Deutsche – „Gleichmacherei“ eben, „Universalismus“. Aber wir meinen, wenn wir über „links“ und „Linke“ reden, ziemlich sicher nicht unbedingt mehr immer alle dasselbe. Wenn man so guckt, wofür linke Zirkel, Bewegungen, Think Tanks oder Parteien plädieren, wenn man durchs Internet scrollt und mit AktivistInnen spricht, dann muss man Jens Jessen in vielerlei Hinsicht recht geben. „Links“ scheint mittlerweile eher ein „Lebensgefühl“ zu sein, eine „Haltung“, ein Adjektiv, das eine Person näher beschreibt. Es steht für Toleranz und Weltoffenheit, für Kosmopolitismus. Sehr oft ist es gleichbedeutend mit einer höheren Bildung, mit verhandlungssicheren Englischkenntnissen und einem gewissen Wohlstand. Man könnte an Spielplätze im Prenzlauer Berg denken: ein soziales Gewissen – ja! Aber zu weit sollte es nicht gehen, man muss nicht übertreiben. Engagement – Ja! Aber auch Distinktion, Abgrenzung, ein klares Bewusstsein für kleinere und größere Unterschiede – keine „Gleichmacherei“, gerade das eben nicht! Man kann eine solche Einstellung als „pomo“, „antideutsch“ und „Verrat an der Arbeiterklasse“ abtun (nicht immer, aber sehr oft entpuppt sich, wer das sagt, irgendwann als stramm rechts). Man kann es aber auch ganz sympathisch finden. Ich glaube bloß, es ist eigentlich eine Art moderner (wenn man das so sagen darf), mittiger und sehr liberaler Konservativismus. Es ist nicht links. Ist das schlimm, das so offen zu sagen? – Ein/e Leser/in

 

Das Thema erscheint mir nicht so wirklich wichtig zu sein. In der jetzigen Zeit geht es immer nur um ja oder nein, gefällt mir, gefällt mir nicht, etc. Ob eine Äußerung oder ein Gedanke von irgend einem als links oder rechts apostrophiert wird, ist nicht mal diskussionswürdig. Diskussionswürdig ist die Äußerung und nicht die Meinung von jemand. Aber die Sprache von Herrn Jessen ist wieder einmal unübertroffen. Sie regt meinen Verstand an. Danke dafür. Es kommt nicht so häufig vor. – Hartmut van Meegen

 

Vor 50 Jahren hörte ich einst folgendes Gedicht:
Zu dem Adler sprach die Taube
Wo das Denke aufhört, da beginnt der Glaube.
Recht so spricht jener, mit dem Unterschied jedoch,
wo du schon glaubst, da denk ich noch.
Der zweite Reim davon widerspricht aber sowohl der menschlichen Individual- & Gruppen-Psychologie, als auch der politischen Wirklichkeit. Das stärkste Gefühl des Menschen ist letztlich das Bedürfnis nach Richtigkeit der eigenen Persönlichkeit, und damit der eigenen Glaubensinhalte. Richtig müsste der Reim also zum Beispiel lauten:
Recht so spricht jener. Doch was nützt des Denkens Fron.
Wo du noch denkst, da glaub ich schon.
Diese Abänderung entspricht auch besser den Machtverhältnissen zwischen Adler und Taube, weil die „allzu wissenden Adler“ aggressions-bereiter als die „zweifelnden Tauben“ ihre Ansichten durchsetzen. Die beklagte Entartung der Debattenkultur ist einfach ein Symptom davon., und die breite Verfügbarkeit der „neuen sozialen Medien“ haben einfach den allgemeinen Geräuschpegel der Debatten ausgebreitet und erhöht. Aber was wir trotzdem erhoffen können, ist die Überlebensfähigkeit der „Tauben“ und ihrer Gedanken. Bis jetzt ist es noch gut gegangen. – Dipl. Math. i.R. Günter Hess

 

Autor Jens Jessen lässt mich nach dem Lesen seiner Abhandlung, Überschrift: „Links oder rechts“, leider ziemlich hilflos zurück. Was will er eigentlich sagen? Drei volle ZEIT-Spalten füllt er mit pseudophilosophischen Betrachtungen, ohne dass erkennbar ist, was er beweisen oder bessern/ändern helfen will. Was ist „hasserfüllte Mechanik“, „politische Ware“, „Sprachpolitik“ oder „Heterogenität der Zwecke“, „skeptisch-resignatorischer Frieden”, dazu die Wortschöpfung „das Dilemmatische“? Die Aufzählung ließe sich zeilenweise fortsetzen. Seine auf die konträren Lager links und rechts bezogenen Allgemeinfeststellungen hätte er besser an Namen von jeweils dort verorteten, allseits bekannten Personen binden sollen. Das zumindest hätte etwas zum Verständnis beitragen können. Hätte der gute Jens Jessen eine Zusammenfassung zu seinem Text schreiben müssen, wäre ihm gewiß dessen Verquastheit bewusst geworden. Zu spät, aber vielleicht ein Tipp für nächste ZEIT-Beiträge. – Hans Anhoeck

 

Als Mensch, der sich im Links-Rechts-Spektrum wahrscheinlich sehr weit Links einordnen würde, fühle ich mich regelmäßig von den Beiträgen Jessens beleidigt. Ich verspüre jedes Mal eine gewisse Genugtuung, wenn ich mich wütend frage, wer denn ein solchen Artikel verfassen kann und dann den Namen Jens Jessen lese. Auch wenn ich diese Gefühle nicht gerne habe, weiß ich dennoch die Beiträge Jessens zu schätzen und empfinde sie als wertvoll. Vielleicht bin ich dadurch der lebendige Beweis, dass Jessens „Links oder Rechts“ Kommentar von der mangelnden Kommunikation zwischen den „Lagern“, nicht auf alle der Bewohner dieser zutrifft. Während früher Spiegelkolumnist Fleischhauer, auf meiner Liste der Redakteure mit denen ich mich gerne streiten würde Spitzenreiter war, hat Herr Jessen mit seinen klugen, aber falschen ;), Beiträgen Herrn Fleischhauer abgelöst mit Leichtigkeit abgelöst. Danke dafür. – Michael Spiegel


 

Leserbriefe zu „Von Aristoteles bis Antisemitismus“ von Constantin Schreiber

Ihnen, Herr Schreiber, danke ich für Ihre offene, unvoreingenommene Sicht auf das Zeitgeschehen. Der Redaktion danke ich für Ihren Mut, über Tatsachen zu berichten, die ideologisch besessene Zeitgenossen zu gern verschweigen oder relativieren und damit verharmlosen möchten. Es genügt m. E. jedoch nicht hierüber zu berichten. Vielmehr sollte sich die Öffentlichkeit mit diesen Tatsachen und den erforderlichen Schlussfolgerungen auseinandersetzen. Ist das nicht auch eine Aufgabe von Journalisten? Viele sprechen über den Islam. Sie kennen denselben jedoch kaum. Erkennbar ist das an den oberflächlichen Äußerungen von Politikern über den Islam. Sehr oft fehlt diesen „Eliten“ jedes authentisches Grundwissen über diese Religion, wie z. B. deren Grundverständnis von der unterschiedlichen, „gottgegebenen“ Rolle von Mann und Frau im irdischen Leben. – R. Schmolling

 

Constantin Schreiber fragt: „Was geschieht, wenn junge Menschen, die einer solchen Bildung ausgesetzt waren, nach Deutschland kommen.?“ Dieser Frage in einem noch umfassenderen Sinn gehe ich schon seit längerem nach. Seit 2014 bin ich ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit tätig, habe Deutschunterricht erteilt und viele junge Flüchtlinge kennen gelernt. Da es aus jedem Land solche gibt, die eine höhere Bildung genossen haben, also auch Englisch sprechen, habe ich auch Gespräche führen können, die weit über die üblichen Höflichkeitsfloskeln hinausgingen. Ich habe sie gefragt: Was ist für dich Integration? Sprache lernen, Arbeit finden, Steuern zahlen. Ich würde dem inzwischen noch hinzufügen: ein Auto kaufen. Glaubst du, dass die Anwesenheit der Flüchtlinge Deutschland verändert? Nein. Ist es in Ordnung, dass in deinem Heimatland Frauen gesteinigt werden, wenn sie Ehebruch begehen. Ja. Warum bist du nach Deutschland gekommen? Weil ich in Frieden und Freiheit und Sicherheit leben will. Wenn du eine deutsche Frau heiratest (oder eine Nichtmuslimin aus Moldawien), muss sie zum Islam konvertieren? Ja. Wenn du eine Frau aus deinem Heimatland „importierst“, wie muss sie sich in Deutschland verhalten? Fromme Muslime: Kopftuch tragen, ein dschellabaähnliches Gewand tragen, weniger fromme: egal. Das Thema : Wie und wo findet der junge Muslim eine Frau wäre mal einen Extraartikel wert. Magst du Bücher, Filme, Musik? Fromme Muslime: nein. weiniger fromme: ja, arabische. Folgen einer Erziehung , wie sie Schreiber skizziert. Dazu kommt eine verinnerlichte Ablehnung der Christen verbunden mit einem Überheblichkeitsgefühl besonders bei gebildeten, sehr frommen Muslimen. Diese Haltung führt dazu, dass sie kritiklos jedes christenverunglimpfende Video glauben, dass sie allem glauben, was in ihrer jeweiligen community geäußert wird, Das geht soweit, dass sie in Gerichtssachen Rechtsanwälte nehmen, die von Flüchtlingsfragen keine Ahnung haben, sondern sich im Mietrecht spezialisiert haben.

Was kann man dagegen tun? Oder besser: was kann man dafür tun, dass sie den Einfluss ihrer Erziehung, ihrer Prägung durch eine m.E. teilweise mittelalterliche Religion (Steinigung!) zumindest erst einmal erkennen? Dass sie erkennen, dass Frieden und Freiheit und Sicherheit nicht nur bedeuten, dass es in Deutschland keinen Krieg gibt und jeder nach seiner facon leben darf, sondern dass diese Freiheit auch innerhalb der Familie gilt und die Würde des Menschen für jeden. Wie wir inzwischen wissen, sind es nicht nur die Männer, die das lernen müssen, sondern auch die Mütter, die in der Familie das Sagen haben. Es gibt viel zu tun und ich rechne der ZEIT hoch an, dass sie sich dieser Themen immer wieder annimmt. Ich werde im Bekannten-und Freundeskreis der gesinnungsethischen Fraktion zugerechnet, entdecke aber zunehmend auch meine verantwortungsethische Seite. Beiden Sichtweisen versuche ich mit Helfen und Diskutieren ein bisschen gerecht zu werden. Ich habe 6 Kinder erzogen und versuche jetzt, jungen Menschen aus anderen Kulturkreisen zu helfen, ihnen Mut zu machen, aber ihnen auch aufzuzeigen, dass Integration nicht nur darin besteht, die Sprache zu lernen und Steuern zu bezahlen. – Marie-Luise Plümpe

 

Nachdem ich den Artikel gelesen habe und dabei erfahren musste, dass unser Geld für die Ausbildung der Islamisten wahllos ausgegeben wird, kann ich nur, etwas abgewandelt, Brecht zitieren: Nur die dümmsten Kälber finanzieren ihre Schlächter selber. – K.Göggel

 

Ich bin Vorsitzende des Vereins Afghanistan-Schulen – Verein zur Unterstützung von Schulen in Afghanistan e.V. Gerade von einer Projektreise zurückgekehrt, haben wir einen Bericht an unseren Unterstützerkreis geschickt, der nun fast zeitgleich mit dem o.g. Artikel zu lesen ist. Wahrscheinlich wird dies negative Auswirkungen auf unsere Arbeit haben, und deshalb hoffe ich, dass Sie diese Mail zur Kenntnis nehmen werden. Ich habe nach Einholung von Information bei unseren afghanischen Projektpartnern mit meiner E-Mail unten einer besorgten Spenderin geantwortet (s. unten), einer anderen am Telefon Auskunft gegeben. Ich bitte Sie mir mitzuteilen bzw. von Herrn Schreiber oder dem Ullstein-Verlag mitteilen zu lassen, an welchen Stellen in welchen afghanischen Schulbüchern die in Ihrem Artikel zitierten Stellen zu finden sind („…. Jedoch werden alle „anderen“, also die Nichtmuslime, als Feinde dargestellt. So warnt das afghanische Buch ausdrücklich vor „Ungläubigen“ – wer nicht dem Islam folge, befinde sich im „Irrtum“ und verdiene es, „gequält zu werden“. An anderer Stelle: Im afghanischen Schulbuch heißt es, die Juden würden „aus Rache die Menschen „vom rechten Weg abbringen“, daher rufe der Koran dazu auf, die Taten der Juden abzulehnen und zu schmähen“. – Marga Flader

 

Dass Constantin Schreibers anti-islamischen „Enthüllungsbücher“ in erster Linie einer dreisten Geschäftsidee folgen, hätte eigentlich auch der ZEIT auffallen können. Da nutzt einer leidliche Arabischkenntnisse, um dem überaus dankbaren Publikum gezielt solche Islam-Fundstücke herauszupacken, die sich eins zu eins mit den liebgewordenen Klischees decken. Die Leser sind begeistert, sie müssen nicht umdenken und wähnen sich aus erster Hand bestätigt. Die Übung an sich ist denkbar einfach: dass in Ländern mit islamischer Staatsreligion manches etwas anders formuliert wird als hierzulande, auch manches Frauenbild zuweilen schief hängt: mag ja sein, aber ist das wirklich eine Nachricht? Schon Schreibers „Moscheereport“ war unseriös: Hetzpredigten habe ich in zahlreichen deutschen Khutba-Besuchen nie zu hören bekommen, das sind durchweg moralische Apelle an die Hörer selbst – man mag sie ja finden, wenn man gezielt nach ihnen sucht, aber es ist unseriös, das als Normalität auszugeben, nur weil die Leute genau das hören wollen. Leider ist diese Haltung, Untoleranz als Liberalität auszugeben, bei der ZEIT gesetzt. Auch im Artikel „Auf Tuchfühlung“ muss das islamische Frauenbild pauschal als „unappetitlich“ herhalten – soll das Respekt für muslimische Frauen sein, für die man doch Empathie vorgibt? Diese Art political correctness durch Bevormundung will 21. Jahrhundert sein und ist doch tiefstes 19. Jahrhundert: als westliche Rechthaberei erst gar nicht hinterfragt wurde. – Tom Leiermann

Ich habe Ihren Artikel mit Interesse gelesen; das Thema – Inhalte der Schulbücher – ist interessant und auch bezeichnend für die Sicht der Dinge in diesen Ländern. Aber gerade deshalb sollten „wir“ uns bemühen, Probleme sauber zu definieren und zu benennen und damit auch eine mögliche Basis zur Lösung zu liefern. Zitate aus Ihrem Artikel:
a. Ein ägyptisches Buch behauptet, daß der „Zionismus expansive Ziele“ verfolge und Israel ein …….
b. So kommt es, daß ein Teil der frauenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Ausfälle in Schulbüchern anderer Länder durch deutsche Steuergelder ……
In Ihrem Artikel haben Sie wie die überwiegende Mehrzahl der deutschen Öffentlichkeit nicht differenziert zwischen Antisemitismus und Antizionismus, obwohl es sich hierbei um vollkommen verschiedene Begriffe handelt. Daß es interessierten Kreisen gelungen ist, die Unterschiede zu verwischen und selbst in der UNO teilweise beide Begriffe als Synonyme verwendet werden, macht die Sache auch nicht besser. Antisemitismus ist ein Begriff, der Menschen aufgrund Ihrer Rasse ausgrenzt, Antizionismus ist ein historischer Begriff, der heute das imperiale und menschenverachtende Verhalten der israelischen Regierung/Arme in den besetzten Gebieten sehr treffend beschreibt (Es lohnt sich, Literatur von israelischen Autoren, die nicht mehr gedruckt werden dürfen, zu lesen; die Berichte über die Ereignisse im Westjordanland sind erschütternd). Antisemitismus ist inakzeptabel und mit nichts zu rechtfertigen, aber Antizionismus ist aufgrund des Vorgehens des israelischen Staates in den besetzten Gebieten gegen die Bevölkerung absolut nachvollziehbar. Gerade wir in Deutschland sollten uns um eine klare Unterscheidung bemühen und auch nicht vor Kritik an der israelischen Regierung zurückschrecken; eine offene politische Diskussion des Themas würde der deutschen Öffentlichkeit gut tun; einerseits würde sie mithelfen, daß jüdischen Mitbürgern mehr Akzeptanz entgegen gebracht wird und andererseits würde auch den Muslimen das Gefühl vermitteln, daß wir ihre Probleme zumindest verstehen. – Klaus Lehr


 

Leserbriefe zu „Der Industriekanzler“ von Roman Pletter

Was denkt er sich dabei? Nun, er denkt – im Gegensatz zu labernden Politikern und deren Presse. Schlimm, wenn er wegen Merkel & Co. samt den EU-Lakaien den Iran „vergessen“ muß. Als Lakai der USA ist diese EU überflüssig. Eine solche EU braucht Europa nicht. Was Europa braucht ist eine demokratische Union, die europäische Interessen vertritt, keine Quasi-Diktatur im Interesse und abhängig von den USA. Welches Volk wählt die Kommission? Keines und demokratisch schon gar nicht. – K. Alt

 

Jetzt weiß ich endlich, warum mir der Vorstandsvorsitz eines internationalen Großkonzerns nie erstrebenswert erschien. Man muss augenscheinlich folgende Voraussetzungen mitbringen: Verzicht auf eigene Überzeugungen, Anpassungsfähigkeit bis zur Selbstaufgabe, Rücksichtslosigkeit, Missachtung von Anstand und Würde.
Zusammen gefasst: Charakterlosigkeit. – Sven Herfurth

 

Seit langem ärgere ich mich über die zunehmende Boulevardisierung und Psychologisierung des ZEIT-Dossiers. Statt komplexer Zusammenhänge gibt es immer öfter Porträts von Einzelpersonen. Diesmal widmet sich das Dossier Joe Kaeser, dem Chef von Siemens. Und das mit einer Einleitung, in der tatsächlich eine halbe Seite darauf verschwendet wird, zu verbreiten, das Kaeser mit dem kalifornischen Gouverneur Small-Talk hält. Spätestens da habe ich aufgehört zu lesen. Einen Artikel über Siemens hätte ich gerne gelesen, Joe Kaeser als Person interessiert mich jedoch nicht. Hat die ZEIT es wirklich nötig, ihr kostbarstes Ressort ausgerechnet einem Wirtschaftsführer zu widmen, der in erster Linie durch Anbiederung an autoritäre Regime und durch Massenentlassungen aufgefallen ist?

Und bei alledem kein einziger Artikel über die Parlamentswahlen in Spanien oder die Wahl in Nordmazedonien! Ich habe bisher die Zeit immer verteidigt gegenüber Bekannten, die der Meinung sind, man könne sie nicht mehr lesen angesichts der vielen Boulevard-Stories. Gerade im Wirtschaftsteil finden sich oft interessante Artikel, bei denen auch über Personen berichtet wird – aber im Zusammenhang mit originellen Ideen (Dennis Snower, Stephanie Kelton). Auch gibt es ja immer noch Autoren, die komplexe Zusammenhänge anregend vermitteln können Angesichts der Provinzialisierung des Dossiers – früher ein Flaggschiff der Zeit – fällt mir die Verteidigung allerdings immer schwerer. – Dr. Dirk Kerber

 

Roman Pletter zeichnet ausführlich das Bild Joe Kaesers als eines Mannes, bei dem man am Ende nicht weiß, wofür er tatsächlich steht. Dass Industriepolitik nicht ausschließlich Sache einflussreicher Wirtschaftslenker global agierender Konzerne sein darf. Deren persönlicher Wertekanon auch bei näherem Hinsehen undurchschaubar bleibt und die sich gerne überschätzen. Darin autokratischen Herrschern nicht unähnlich. Mir jedenfalls fiel bei der Lektüre auf, dass es nach übereinstimmender Einschätzung von Freunden wie Gegnern – Zitat – kaum einen Manager gebe, der so berechnend denke wie er. Es ist die typische Erfolgsgeschichte eines sozialen Aufsteigers, der offenkundig seine Ellbogen ebenso einzusetzen weiß, wie sich mancher Intrige zu bedienen. Mich hätte die Frage eines persönlichem sozialen Engagements abseits der hehren Unternehmensziele interessiert. Und wie „Omar Sharif vom Wittelsbacher Platz“ Kaeser ad personam auf gelegentliche Niederlagen reagiert. Bekanntlich wollte Siemens jüngst sein Zuggeschäft mit seinem französischen Konkurrenten Alstom zusammenlegen. Um dem mittlerweile weltgrößten Schienenfahrzeughersteller aus China Paroli bieten zu können. Die Fusion kam durch Intervention aus Brüssel nicht zustande. Fehlte es da womöglich an einer vertrauenswürdigen Unternehmerpersönlichkeit an der geplant vergrößerten Konzernspitze? – Jochen Freihold

 

Man könnte das in weiten Teilen auch Hofberichterstattung nennen. Der „Industriekanzler“ darf indirekt drei Seiten nutzen, um uns seine Arbeitswelt zu schildern und nachvollziehbar zu machen, warum er sein Geld wert ist. Aber was erfahren wir Neues? Welche interessanten Perspektiven eröffnet dieser Artikel? Das Instrumentarium eines Topmanagers ist vergleichsweise schmal, wenn es darum geht, die Profitabilität und das Wachstum seines Unternehmens zu gewährleisten (Personalabbau, Portfolioanpassungen, Umstrukturierungen, Beziehungspflege). Dieses erfolgreich zu handhaben ist unstrittig ein Verdienst. Mindestens gleichrangig zu werten ist beispielsweise die Arbeit von Kreativen und Entwicklern, die neue Lösungen generieren. Und Politik ist in diesem Kontext letztendlich nur eine Spielart von Geschäftsentwicklung und Vertrieb, die sich so nennen darf, weil die Gesprächspartner Staatsoberhäupter und Regierende sind. – Daniel Hardt


 

Leserbriefe zu „Auf Tuchfühlung“ von Martin Eimermacher

Die Diskussion über das Kopftuch wird leider überwiegend von persönlichen Emotionen bestimmt, nicht von Tatsachen. Diese werden einfach negiert. Viel Wissen über den Koran, der angeblich das Kopftuch für die Frau vorschreibt, ist ohnehin nicht verbreitet. Im Zeitalter des Bolämie-Lernens bleibt nicht viel „zwischen den Ohren“ hängen. Es wird wiedergegeben, was andere bereits darüber gesagt oder geschrieben haben. Meinungen, persönliche Gesinnungen und Ideologien sind daher für manche Stellungnahme zum Thema wichtiger als Tatsachen. Der Koran regelt die Verhüllung des Schlitzes (des Ausschnitts), nicht des Kopfes. Frauen wie Männer sollen jedoch die Augen niederschlagen, wenn sie einander begegnen. Frauen sollen sich nicht schmücken, keine enge, körperbetonende Kleidung tragen usw. Im Gegensatz dazu wird das Kopftuch sehr selten im Sinne der Vorschriften des Koran getragen. Es geht um das Signal, dass die Trägerin ihre Anonymität in der Öffentlichkeit aufgibt und sich als Angehörige einer besseren Gruppe zeigen möchte. Dabei geht es um die Abgrenzung von den anderen, schlechteren, ungläubigen, unmoralischen Menschen. – R. Schmolling

 

Der Fall ist symptomatisch – und deshalb besorgniserregend: An den Universitäten wird zunehmend versucht, bestimmte Diskurse zu verunmöglichen. Der Claim ist dabei eigentlich immer der Gleiche: Allein einer tatsächlich oder vermeintlich marginalisierten Gruppe wird das Recht zugesprochen, das Ob und Wie diese Gruppen betreffende Diskurse zu bestimmen. Ersatzweise übernehmen das – solidarisch – die ideologisch wasserdicht in Seminaren zu Intersektionalität, Othering oder Critical Whiteness imprägnierten AktivistInnen auch selbst. Damit können Diskursteilnehmer jederzeit delegitimiert werden. Unangreifbare Ideologie, Delegitimation von Menschen? Gerade in Deutschland sollten dabei eigentlich die Alarmglocken schrillen! – Dr. Markus Holt

 

Vielen Dank für den wunderschön süffisanten und ironischen Artikel. Gute Sprache, logische Schlussfolgerungen. Die Diskussion wegen eines Kopftuches erschien mir immer surreal. Ich kenne viele Muslima. Einige tragen ein Kopftuch, andere nicht. Einige tragen auch bei 30 Grad einen Mantel mit Kapuze, andere gehen halbnackt. Gehen Sie mal auf eine türkische Hochzeit, dann wissen Sie, was ich meine. Und es stört keinen, wer was anhat. Es ist kein Thema. Wenn ich eine Muslima mit schönem Kopftuch sehe, bringe ich das durch ein Kompliment respektvoll zum Ausdruck. Bis jetzt hat sich noch jede bedankt und gelächelt. – Hartmut van Meegen

 

Die von Frau Schröter als Antwort auf die Ausstellung „Muslim Fashion“ im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst organisierte Tagung zur Bedeutung des muslimischen Kopftuchs finde ich berechtigt und bin gleichzeitig der Auffassung, dass man das Thema nicht allzu hoch hängen sollte. Denn die Motive dafür oder dagegen sind breit gestreut, und es lassen sich nur selten Abweichungen einmal eingenommener Positionen feststellen. Worum es dabei unabhängig von Positionierungen eigentlich geht, ist in der breiten Debatte noch gar nicht angekommen. Kopftücher sollen aus den bekannten Gründen also das weibliche Haar bedecken. Nun sind die Kopfhaare aber der Teil des Körpers, der die vielfältigsten Gestaltungsmöglichkeiten zulässt: Färben, Schneiden, Kämmen und vieles mehr. Und gerade diese Freiheit persönlichen Ausdrucks wollen traditionelle Muslime in der Öffentlichkeit verhindern, was Rückschlüsse auf deren Religionsverständnis zulässt: Der Islam als bewahrendes Instrument phlegmatischer Passivität und damit Hemmnis auf dem Weg zu persönlicher Eigenständigkeit – obwohl gerade die positive Entwicklungen der gegenwärtigen gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzungen beflügeln könnte. Natürlich aufgrund eigener Erfahrungen im Zusammenwirken mit anderen. – Christoph Müller-Luckwald

 

Dem Artikel von Martin Eimermacher fehlt es an Klarheit. Die Wortprägung „antimuslimischer Rassismus“ ist kein „Begriff“, sie ist eine moralisch aggressive Verunklarung von Sachverhalten: Wenn ein nach Deutschland geflüchteter arabischer Muslim sagt, er steige nicht mit einem Sudanesen in den Aufzug, weil Schwarze stinken, dann ist das eine rassistische Äußerung. Wenn deutsche Identitäre einen Brandsatz auf eine Moschee werfen, dann ist das ein islamfeindlicher Gewaltakt. Wenn man die dem Kopftuch tief eingeschriebene Zurücksetzung von Frauen problematisiert, ist das ein Fall von Religionskritik. Er richtet sich auf eine religiös verbrämte Ungleichheitspropaganda, die nicht minder scheinheilig ist als der Ausschluss von Frauen aus dem katholischen Priesteramt. Kurz: Der „antimuslimische Rassismus“ ist nur eine polemische Kampfvokabel, um den Islam einer wohlverdienten Religionskritik zu entziehen, die in Europa schon andere Konfessionen zumindest halbwegs geläutert hat. – Prof. Dr. Stefan Hirschauer


 

Leserbriefe zu „160 Jahre Wahnsinn“ von Uwe Jean Heuser

Interessant, aber als Argumentation zu der Diskussion über eine CO2-Steuer eigentlich nicht brauchbar. Wir haben in Deutschland bereits eine CO2-Steuer mit Einnahmen für die Bundeskasse von mehr als 40 Milliarden, zuzüglich 19 % Umsatzsteuer sogar 50 Milliarden PRO JAHR: Die Energiesteuer auf Kraftstoffe, die bis 2006 Mineralölsteuer hieß.
Die Steuersätze sind seit vielen Jahren unverändert, man hat nur in einem neuen Gesetz den Namen in Energiesteuer geändert. Warum bleibt in der Diskussion unerwähnt, dass es diese Steuer schon seit Jahrzehnten gibt ! Weil die Emission von CO2 eine feste Größe ist – 1 Liter Benzin emittiert 2,36 kg und 1 Liter Diesel 2,62 kg CO2 ist diese Steuer bereits leicht nachvollziehbar schon immer eine CO2-Steuer ! Warum wird dies in der heißen Diskussion über eine CO2-Steuer (besser: Carbon-Abgabe) derzeit sowohl von Politikern als auch von der Presse unterschlagen ?

  Benzin Diesel Heizöl
Steuersatz € pro Liter 0,6545 0,4704 0,0614
+ 19 % Umsatzsteuer 0,1244 0,0894 0,0117
= Brutto 0,7789 0,5598 0,0731
CO2-Emission kg pro Liter 2,36 2,62 2,62
Steuersatz pro kg CO2 0,3300 0,2137 0,0279
*1.000 = pro Tonne CO2 330 214 28

Die diskutierten Größenordnungen für eine CO2-Steuer bewegen sich bei 1/10 der doch bereits vorhandenen Energiesteuer auf Kraftstoffe: 330 EURO für Benzin gegenüber etwa 30 EURO für CO2-Zertifikate. Zu dem Thema findet man im Internet eine “Kurzstudie” für die Mineralölwirtschaft aus 2017 (20 Seiten) unter: www.afm-verband.de/files/2714/9855/4362/MEW_Studie_01_17_Komplett.pdf

Auf Seite 14 wurde in dieser Analyse damals bereits der Preis einer Tonne CO2 aus der Umrechnung der Energiesteuer mit 237 EURO ermittelt (Durchschnitt aus Benzin und Diesel). Die starke Differenzierung des Steuersatzes von Diesel zu Benzin wurde dabei unterschlagen. Längst überfällig ist die Anpassung der Steuersätze für Diesel an die für Benzin. Das wäre ein wirklich dringendes Thema. Eine Erklärung, warum der Dieselmotor durch diesen großen Unterschied gegenüber Benzin gefördert wird, sollte die Presse in Erfahrung bringen können. Das wäre interessanter als die “160 Jahre Wahnsinn” – Benzin (weniger umweltschädlich) wird mit einer 54 % höheren CO2-Steuer belastet als Diesel (obwohl doppelt umweltschädlich). Es würde mich freuen, wenn Sie diese Aspekte aufgreifen und Ihre Leser unterrichten. – Beißwenger

 

Wäre der Beitrag von Uwe Jean Heuser ein Schulaufsatz, stände darunter: Thema verfehlt! Eine CO2-Steuer ist keine Benzinsteuer. Der CO2-Gehalt der fossilen Brennstoffe hängt in keiner Weise mit dem Rohölpreis zusammen. Eine echte CO2-Steuer könnte die Preisschwankungen also weder verstärken, noch hinge sie davon ab. Besser als eine CO2-Steuer wäre allerdings eine zweckgebundene CO2-Abgabe. Mit diesen Einnahmen könnte die Energiewende beschleunigt und könnten soziale Härten abgefedert werden. Erheben könnte man diese Abgabe direkt bei den Importeuren und Produzenten. Man muss es nur wollen und darf die Augen nicht länger vor der Dringlichkeit der Energiewende verschließen. – Volkmar Heitmann

 

Nach Heusers sehr guter Übersicht über den Ölmarkt seit 1859 bis heute zwei Anmerkungen:

Bei gegebener Nachfrage käme eine weltweite CO2-Steuer zu dem Paket aus Förderkosten + Royalty für die knap­pe Ressource hinzu, so dass der Gesamtpreis der Verbraucher stiege und die Förderung zurückgefahren werden muss. Neu-Explorationen würde sich zumindest eine Zeitlang weniger lohnen. Faktisch hieße das Teilenteignung der Ressourcenbesitzer!

Eine rein nationale CO2-Steuer für einen „globalen Schadstoff“ ist hingegen im EU-Binnenmarkt mit einem CO2-Emissionshandel für etwa 50 % der CO2-Emissionen Deutschlands und 98 % des Kohleeinsatzes ein merkwürdiges Konzept, das ohne Abstimmung mit den europäischen Partnerländern völlig meschugge ist (Heizöleinkauf in den Niederlanden, Tanktourismus nach Luxemburg, …). – Prof. emer. Dr. Wolfgang Ströbele

 

Die erste Ölbohrung der Welt fand 1813 in Pechelbronn (Elsass) statt, siehe Zeit Nr 26/2012 „Pech gehabt“. Nebenbei: hier wurde auch die „moderne“ Bohrtechnik durch die Brüder Schlumberger erfunden. – Peter Pielmeier


 

Leserbriefe zu „»Das war fahrlässig«“ von Mark Schieritz

Dass ein Teil der Grünen nun ernsthaft den Parteiaustritt Ihres besten Politikers fordert ist wirklich traurig. Die Anzeige der DB um die es hier geht ist wahrscheinlich von der überwältigten Mehrheit der Bundesbürger genauso interpretiert worden wie von Herrn Palmer. Er hat mit seiner Einschätzung 100%tig den Punkt getroffen. Dies mit Rassismus zu vergleichen ist wirklich Tatsachenverdrehung und schmutzige Hetze Der oberste dieser Demagogen, ein gewisser Herr Pofalla, ein ausgemusterter großkotziger Mann mit allerschlechtesten Manieren der nur auf einem mit 2,5 Mill. Dotierten Posten sitzt weil ihm gleichgesinnte auch dubiose Parteifreunde dazu verholfen haben. Leider gibt es viel zu wenig Realpolitiker vom Kaliber eines Boris Palmer – dafür zu viele allerunterstes Mittelmaß wie Van der Leyen, Karliczek, Schulze, Scheuer, Heil, Altmaier u.a., allesamt beliebig austauschbar – Heiko Kramer

 

Nein, das war nicht fahrlässig, sondern die spontane Reaktion eines gesunden Menschenverstands. Sicher, Vielfalt kann durchaus auch bereichern, aber sie ist deshalb noch kein Wert an sich. Warum will ein elitärer Zeitgeist, der sich für das Maß aller Dinge hält, dem „harmlosen Durchschnittsbürger“ ständig seine abgehobene Mulikulti-Ideologie einhämmern, und wundert sich dann, dass er diesen dann zügig der AfD in die Fänge treibt? Nein, ich persönlich werde mangels Alternative auch diesmal wieder die Grünen wählen (müssen), wegen Boris Palmer, trotz Claudia Roth. – Gebhard Boddin

 

Spätestens im Zeitalter nach D. Trump müsste doch jedem klar sein: Ein kluger Kopf äußert sich nicht in den sog. sozialen Medien, denn er weiß genau, dass sie wie das Fernsehen nur der Unterhaltung dienen und nicht der Information und schon gar nicht der Problemlösung. Auf dem Weg zur Wahrheitsfindung setzen sie unüberwindbare Stolperfallen, über die vor allem geltungsbedürftige Menschen all zu leicht zu Fall kommen: 1. zu schnell, 2. zu kurz, 3. zu einfach. – Klaus Kandel

 

Wenn man der Überlieferung Glauben schenken darf, wurde im Mittelalter der Überbringer der schlechten Nachricht mitunter geköpft. Bekanntermaßen trug das im günstigsten Fall nichts zur Lösung des vom Boten ausgesprochenen Problems bei. Ganz grundlos musste dieser sein Leben hergeben für etwas, wofür er nicht verantwortlich war. Sehr weit von dieser absurden Denkweise scheinen wir uns noch nicht gelöst zu haben. Heutzutage müssen wir diejenigen, welche die jenseits jeder Ideologie objektiv vorhandenen gesellschaftlichen Probleme beim Namen nennen, die wir in vielfältiger Weise mit der Integration von Flüchtlingen und Migranten haben, zwar nicht mehr köpfen. Es reicht aus, sie von den vermeintlich auf der politisch korrekten Seite Stehenden mit einem Mausklick an den Pranger der Migrationsfeindlichkeit und Intoleranz zu stellen, sie als Gegner der offenen Gesellschaft zu brandmarken (wo, bitteschön, ist die eigentlich zu finden und wie soll sie aussehen?), um sie der gesellschaftlichen Ächtung auszuliefern. Ihre gesellschaftliche Existenz wird auf diese Weise einer bedrohlichen Gefahr ausgesetzt, bei der selbst Morddrohungen keine Seltenheit mehr sind. Nun hat es Boris Palmer erwischt und ich befürchte, dass es Constantin Schreiber mit seiner neuen Publikation zum Bildungswesen in den islamischen Ländern ganz ähnlich ergehen wird. Was haben wir damit erreicht? Für die Lösung der vorhandenen Probleme im günstigsten Fall gar nichts, für den Ausbau weiterer Denkblockaden und Einschüchterungsszenarien viel. – Armin Brost


 

Leserbriefe zu „Die Königin der Shirizzels“ von Antonia Baum

Vielen Dank für Ihren kurzweiligen Artikel über Shirin David. Was diese allerdings zwischendurch einfliessen lässt sind keine „Ad-Lips“, sondern ad-libs bzw. ad-libbing (Lat. ad libitum), also freie Improvisationen. Doch haben Sie recht, denn am Ende kommt alles „über die Lippen“ heraus… – John Gabriel

 

Ein Artikel über deutsche Rapperinnnen und Feminismus OHNE ein einziges Wort über Sookee?! Das geht gar nicht. Also wirklich. – Astrid Raimann

 

Der Artikel von Antonia Baum wirf für mich zwei Fragen auf: Einerseits, ob angesichts des exzessiven Gebrauchs von Anglizismen – Lyrics, Style, Look, Message, Credits u.v.a. – das „Denglisch“ nun auch bei einer seriösen Zeitung wie der ZEIT Einzug gehalten hat. Andererseits, und noch irritierender für mich, warum die Autorin die dargestellte Künstlerin als „feministisch“ bezeichnet. Dem zu dem Artikel gehörigen Foto nach zu urteilen, bedient sie doch genau das Frauenbild, das von feministischer Seite normalerweise und zu Recht als misogyn kritisiert wird. Der Hinweis, sie stelle sich zwar dar wie eine „Schlampe“ oder „Hure“ (ich zitiere lediglich aus dem Text), sei aber im Gegensatz zu solchen Damen „auf keinen Fall zu haben“, reicht hier offensichtlich nicht aus. Wird eine Frau heute schon dadurch zur Feministin, dass sie nicht mit jedem ins Bett geht? Dann würde der Begriff allerdings seine Substanz verlieren. Oder besteht der neue Feminismus darin, sich als Lustobjekt zu inszenieren, um sich anschließend genüsslich über die so provozierten „sexistischen“ Reaktionen der Männerwelt erregen zu können? – Dr. phil. David Egner

 

Sie haben etwas geschafft, was ich mit Reden und Erziehung nicht geschafft habe. Am Donnerstag kam die neue ZEIT und mein Sohn (15, Teenie, kaum 5 Worte am Tag) hat sie mit den Worten geschnappt „die brauche ich“ und hat sich in seine Höhle verzogen. Später hat er die Zeitung seinem Bruder (13, Teenie, Zahnspange) gebracht, auf Ihren Beitrag über Shirin David gedeutet und gesagt „Lies mal“. Mir ist der Mund offen stehe geblieben. Ich kann Ihnen nicht genug danken, denn 1. Haben Sie zwei Teenies zum Zeitunglesen gebracht 2. Mit einem gut recherchierten coolen Beitrag und das 3. Auch noch aus Frauensicht. Einfach nur Wow! Klasse! Und bitte: mehr davon! – Eli Schmid


 

Leserbriefe zu „Rente ’n’ Roll!“ von Michael Allmaier

Ein guter Artikel von Michael Allmaier. Er macht deutlich, dass die Musikszene eben nicht nur von den früh verglühten Genies, Stichwort „Club 27“ (also z.B. Hendrix, Joplin, Morrison, Cobain und Winehouse) geprägt wurde, sondern auch von den Altmeistern, die immer noch Zulauf haben. Schön, dass hier auch Neil Young erwähnt wird. Zu dem ihm zugeschriebenen Ausspruch ist allerdings eine kleine Korrektur veranlasst. Das Zitat lautet: It´s better to burn out than to fade away“. Der „Rost“ ist gleichwohl erwähnenswert, denn das Zitat findet sich auf dem 1979 erschienenen Album „Rust never sleeps“, vor Jahren besprochen von Christoph Dieckmann im Feuilleton der ZEIT unter „50 Klassiker der Moderne“. Was Young im Sinn gehabt haben mag, wird in seinem Lied „Thrasher“ deutlich. Wer mit seiner Musik weiter aufs Ganze gehen will, muss sich von Weggefährten absetzen, die inhaltlich leer geworden sind (vgl. Edo Reents, Neil Young, Rowohlt, 1.Aufl. 2005, S. 184/185). Das haben die tourenden Rentner, die noch immer die Stadien füllen und von denen der Artikel berichtet, ganz offensichtlich geschafft. – Prof. Dr. Winfried Born

 

Ich bin, gelinde gesagt entsetzt, dass Ihre Autor Michael Allmaier plant, beim Konzert von The Who im Sommer 2019 in London die Songs „mitzugrölen“. Mitgrölen ist vortrefflich geeignet für die Gesänge während eines Fußballspiels in der Bundesliga; mitsingen ist etwas für den Gottesdienst am Sonntag in der Kirche – und sogar erwünscht. Während eines Konzertes möchte ich nicht die Sangeskünste meines Konzertnachbarn vernehmen; dann könnte er ja auch z.B. seine Geige in ein klassisches Konzert mitnehmen, um alle Umsitzenden von seinen Fähigkeiten zu überzeugen. Ich bin mir nicht sicher, ob die permanenten Rhythmusklatscher, Smartphonefilmer, Dazwischenquatscher oder Mitgröler die schlimmere Spezies sind. Ich frage mich jedoch, warum sie in ein Konzert gehen und sich nicht stattdessen einfach bei Bier und Chips eine DVD/Bluray eines Who-Konzerts auf dem heimischen Großbildschirm anschauen, um sich von ihren Lieben für ihre Karaoke-Gesangeskünste abfeiern zu lassen – und nicht anderen Konzertbesuchern auf die Nerven gehen. – Achim Gedrat

 

Ein wahrhaft „süßer“ Bericht über die „armen“ (Mega)Stars, die ihr Dasein als Rentner, absolut nicht genießen wollen oder auch nicht genießen können! Sie leiden nicht an der „gemeinen“ Altersarmut, denn arm an Mut, das sind sie beileibe nicht, und das gefällt mir sehr. „Ich mach mein Ding“, das singt Udo Lindenberg, und der macht in der Tat, noch immer sein Ding, auf der Bühne und auch im Hotel, ohne dass er die (ganze) Hoteleinrichtung zu Kleinholz zertrümmern muss!
„Und ich mach mein Ding,
egal was die andern sagen.
Ich geh meinen Weg,
ob gerade, ob schräg, das ist egal.
Ich mach mein Ding,
egal was die anderen labern.
Was die Schwachmaten*) einem so raten,
das ist egal, ich mach mein Ding.“
(„Ich mach mein Ding“, Song von Udo Lindenberg, 2008)
*) Dummköpfe – Klaus P. Jaworek


 

Leserbriefe zu „Nur weil ich im Rollstuhl sitze, heißt das ja nicht, dass ich dumm bin, sagt Lea„ von Björn Stephan

Liebe Lea, ich habe großen Respekt vor Deiner Leistung, vor Deinen Eltern, vor Deiner Schwester. Ich wünsche Dir viel Erfolg im Studium. Es machte mich traurig und gleichermaßen auch froh, den Bericht über Dich zu lesen. Hast Du doch geschafft, was die Läufer Dir nie zutrauten. Du bist in Deiner Bewegungsfreiheit zwar stark eingeschränkt, aber Deine Gedanken sind frei! Und wirklich krank sind in meinen Augen eigentlich die Leute, die mit Dir nicht klar kommen, die Dich mobben, die meinen, Sie seien etwas Besseres. Ich wünsche Dir für Dein Studium alles Gute! – Achim Bothmann

 

Das Thema „Inklusion“ ist vorbei, wenn ein Gehandicapter nach der Schulzeit von 12 Jahren keinen gültigen Schulabschluss vorweisen kann: Mit Schulbegleitern/Integrationshelfern an Regelschulen lernt man zwar mehr als an den Förderschulen … aber trotzdem bleibt nur noch die Behindertenwerkstatt als Arbeitsort für die nächsten 20 Jahre – damit man dann nach 20 Jahren dort eine Erwerbsunfähigkeitsrente von 800 Euro bekommt – anstatt Grundsicherung: Nach verpflichtenden Tests mit 18/20 Jahren bei der Arbeitsagentur auf Ausbildungsreife (oder nicht) und Feststellungen durch einen Amtsarzt der Arbeitsagentur und der Feststellung der Behinderung des Integrationsamtes ist jeder Gehandicapte endgültig auf dem Abstellgleis der Gesellschaft gelandet: In den WfbM (Werkstätten für behinderte Menschen) arbeiten nicht nur tatsächlich Behinderte, sondern auch sehr viele Leute, die wegen psychischen Problemen, längeren Krankheitsausfällen oder nach etlichen erfolglosen Vermittlungsversuchen „nicht mehr vermittelbar sind“ und/oder auf dem regulären ersten Arbeitsmarkt gekündigt wurden.

Das schon teilweise in Kraft getretene Bundesteilhabegesetz will das zwar ändern, damit für mehr Gehandicapte Auswege aus der Werkstatt möglich werden, um als „Außenarbeitsplätze“ einer Werkstatt oder auf dem 1. Arbeitsmarkt wieder integriert werden zu können mit finanziellen Hilfen – aber die Wirklichkeit zeigt, dass die Zahl der Werkstattplätze in den letzten Jahren verdoppelt wurden. Welches „System, das sich selbst erhält“ hat schon Lust, die leistungsstärksten Leute gehen zu lassen? „Unter drei Stunden leistungsfähig“, trotzdem 38,5 Stunden pro Woche in einer Werkstatt mit „arbeitnehmerähnlichen“ Bedingungen zu arbeiten, mit dem Bus gebracht und wieder nach Hause geholt für einen Stundenlohn von 1,36 Euro arbeiten. Inklusion meint, dass diese „Sonderwelt“ eigentlich ein Ende haben sollte ?!? – Rosemarie Altmann & Eleonore Altmann

 

Der Bericht geht unter die Haut, zeigt er doch auch das breite mit Inklusion verbundene Spektrum an Herausforderungen. Da sind zum einen die Betroffenen mit einem mehr oder weniger starken Handicap und zum anderen die Menschen, die tagtäglich mit ihnen zu tun haben wie Lehrer, Schüler und Eltern einer Schule. Der Laie denkt vielleicht, dass Inklusion bei einem körperlich Behinderten keine großen Probleme bereitet, wenn die äußeren Voraussetzungen gegeben sind. Das Beispiel aber zeigt, wie wichtig das Verhalten der Mitmenschen ist. Unterstützen sie den Behinderten, ermutigen sie ihn oder machen sich über ihn lustig, helfen ihm nicht, trauen ihm nichts zu ? Lehrer können viel dazu beitragen, dass Schüler mit diversen Handicaps Empathie erfahren und gut integriert werden. So dürfen sie etwa Mobbing auf keinen Fall durchgehen lassen. Der Schulalltag wäre für Lea einfacher gewesen, wenn sie mehr Unterstützung gehabt hätte. – Gabriele Gottbrath


 

Leserbriefe zu „Die Rolle seines Lebens“ von Joachim Riedl

Angriffe auf die Freiheit der Medien sind grundsätzlich Angriffe auf die Demokratie. Wer aus welchen Gründen auch immer unzufrieden ist mit demokratischen Strukturen, weil sie, eben wie Mensch und Volk, nicht perfekt sind, sollte das bedenken. Von einer ersten, marginalen Einschränkung bis hin zur (faktischen) Abschaffung von Informations- und Meinungs- freiheit bleibt nicht selten nur ein schmaler Grat, diktierte Irreführungen und Demagogie inklusive. Es muss also niemanden wundern, dass die, die gerne „eigene Wahrheiten pflegen“, an freiem Denken, Kommuni- zieren und Kritisieren nicht interessiert sind. Und bekanntermaßen gibt es die Versuche, derartige Restriktionen und Spaltungen zu betreiben, nicht nur in Österreich. – Ira Bartsch

 

Beim Lesen des Artikels von Joachim Riedl über den Fernsehmoderator Armin Wolf und die Reaktionen der FPÖ auf sein Interview mit ihrem Spitzenkandidaten kann ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass hier ein Neider am Werk ist. Wie lassen sich sonst Formulierungen erklären wie „das emsige Arbeitstier“, das „die Karriereleiter zügig nach oben“ klettert und sich seine Rolle „zäh erarbeitet“ hat. Hier wird ein Journalist, der seine Arbeit sehr ernst nimmt, von einem anderen Journalisten zwischen den Zeilen als Streber dargestellt. „Er raucht nicht. Er trinkt nicht.“ Was tut das zur Sache? – Jutta Gehrig


 

Leserbriefe zu „In Tante Tittis Garage“ von Christof Siemes

In dem Artikel ist davon die Rede, dass am Boekelberg, waehrend des Spiels das einzige Mal ein Tor zusammenbrach. Das war 1971.. Tatsache ist jedoch, daß bereits 1953 im Spiel KSC gg Jahn Regensburg (zweimaliger HSV Bezwinger:) durch einen Kopfball des Jahnlers Hubeny das Tor zusammenbrach. Und nachdem wir schon bei Superlativen sind, es war ein Jahnspieler, der das erste Tor des Monats erzielte Es war ein Jahnspieler, der wohl das kurioseste Eigentor jemals erzielte. Nach seiner Einwechslung startete Otto Baumgartner einen Sololauf um aus 18 m seinen eigenen Torwart zu bezwingen. Der Jahn war wahrscheinlich der erste Verein, dem die Stadtwerke wg nicht bezahlter Rechnungen den Strom abdrehte. Der Jahn hat das erste Mal eine eigene Übertragung aus einem fremden Stadion ins Jahnstadion übertragen (Radio) in den 50er oder 60er Jahren Auch hat er dem HSV Zuhause die höchste Profiniederlage beigebracht. – Christian Meier

 

Da habe ich herzlich befreit geschmunzelt, als ich das Interview mit Ex-Fußballstar Rainer Bonhof las. „In Tante Tittis Garage“ weist also nicht etwa auf Obszönes von der Reeperbahn hin. Es war mein Lacher des Tages zum lesenswerten Interview mit einem mittlerweile Grandseigneur der Bundesliga. – Jochen Freihold


 

Leserbrief zu „Strandhotel Abgrund“ von Thomas Assheuer

Mir fällt auf,dass Sie in jüngster Zeit sich mehr auf Film-/Opern-Kritik konzentrieren.Ihre Titel-Zeilen wie „Hassgift in Kinderseelen“ und heute „Strandhotel Abgrund“ sprechen dafür für sich selbst. Das erinnert mich schmerzlich an Friedrich Nietzsches „Morgenröte“! Darin schreibt er treffend:“Böse denken heißt böse machen“-„Die Leidenschaften werden böse und tückisch,wenn sie böse und tückisch betrachtet werden!“ So ist es auch dem Christentum verbal gelungen,aus Eros und Aphrodite-großen idealfähigen Mächten -höllische Kobolde und Truggeister zu schaffen;die durch die Martern und Verteufelungen ,welche es in den Gewissen der Gläubigen erst entstehen ließ.viel Unheil gegeben hat. Gleiches machen Sie ,lieber Feuilletonist,frei nach Theodor Fontane mit ihrer heutigen Oper-Kritik an Detlev Glanerts „Oceane“ !! Ich möchte als vorurteilsfreier Beobachter /Leser nur an das Maß an Toleranz für die Unerfüllbarkeit der eignen Ansprüche an Literatur/Oper selbst erinnern dürfen. Es ist für mich schrecklich und illustrativ zu gleich zu lesen,wie notwendige und regelmäßige menschliche Empfindungen und Leidenschaften (wie hier bei Oceane zu finden) zu einer Quelle des inneren Elends aller gemacht werden.;und dergestalt als das innere Elend /Verdorbenheit bei jedem Menschen notwendig und regelmäßig heraus gestellt werden zu müssen.(Gesellschafts-Kritik)

Das spiegelt sich eindeutig in den Worten:“Ihre Freiheit ist nur Negation,sie weigert sich,den versteinerten Bürgern Tribut zu zollen.“-„Chiffre des Lebendigen,aber sie hat nicht das bessere Leben…genauso geteilt und zerrissen ,genauso unglücklich ,wie die Gesellschaft der ökonomischen Menschen.“-„Das ist nicht spätes Kaiserreich,das ist früher Faschismus.“(Das ist starker Toback)-Die Frau als Markenbotschafterin der Natur,die schaumgeborene Jungfrau ,die unter den Platzhirschen der männlichen Gesellschaft keinen Ort findet.und dorthin zurück muß,wo sie herkommt-ins Wasser.(das erinnert mich an „Göbbels-Wasserlaiche“). „All die Spalttöne und spätromantischen Zitate,die Oceanes Auftritt begleiten ,haben etwas Unwahres,genauso wie die saturierte Tonalität,mit der Glanert die Bürgerseelen in Szene setzt“. Das ist für mich ,lieber Feuilletonist ,die Geisteshaltung des Nihilismus in Perfektion!Diese Welterfahrung verneint nämlich radikal alle moralischen Normen und Werte. Die ontologischen Nihilisten leugnen sogar das SEIN und setzen ihm das NICHTS als letztgültige Wahrheit entgegen.Also alle Wahrheiten leugnen,um sie dann doch durch eine neue Wahrheit(die eigne) zu ersetzen . In diesem Vorgehen sehe ich eine dekadente und disaströse Entwicklung der abendländischen Kultur und auch im ZEIT-Feuilleton selbst!An deren Ende sich die Protagonisten letzlich nur sich selbst betrügen und selbst zerstören. Wenn wir irrenden Menschen zu der Anschauung der ganzen Welt(einschließlich Film/Literatur /Musik ) gelangen wollen,bedarf es laut Immanuel Kant der Vernunft,wie auch der Urteilskraft,die beide ebenfalls zur Welt der Erscheinungen gehört.Deshalb ist es falsch ,den Zustand einer Gesellschaft aus der Zeit Theodor Fontanes („Oceane“)in unsere Gegenwart zu übertragen.Und damit als Zeitgeist dem einer „Weltanschauung“ gleichsetzen zu wollen. Mein Fazit:Fremde Fehler fallen uns leicht in die Augen,aber die eigenen übersehen wir gern sogar im eignen Wort-Spiegel. Als Goethe -Freunde darf ich Sie an eine Kritik -unseres Dichter-Fürsten erinnern:“Mit Mädchen sich vertragen,Mit Männern rumgeschlagen.Und mehr Kredit als Geld,So kommt man durch die Welt.“ – Lothar Hantel


 

Leserbrief zu „LISSABON MIT BISS“ von Fabienne Hurst

Danke für das sehr schön geschriebene Porträt des portugiesischen Kochs José Avillez. An zwei Stellen werden ihm aber Verdienste zugeschrieben, die ihm aber bei allem Respekt vor seiner außerordentlichen Leistung nicht gebühren.
1. Das Café Lisboa befindet sich in der Lissabonner Oper, die vom Großbrand im Chiado damals überhaupt nicht betroffen war. Es klingt so als hätte der das neu aufbauen müssen.
2. In der Alfama gab es seit längerem rund um sein neues Restaurant eine ganze Menge anderer, guter Restaurants. Da braucht es keinen José Avillez, um den Stadtteil vor dem Massen zu retten (wenn das überhaupt geht).
Alles in allem aber ein sehr lesenswerter Text! – Johannes Beck


 

Leserbrief zu „Lärmschutz“ von GRN

Die Meldung von Ulrich Greiner zeugt von atemberaubender Ahnungslosigkeit. Für ein erstes Einlesen ins Thema, das für alle Orchestermusiker von größter Bedeutung ist (Gehörschäden sind bei ihnen die häufigste Berufskrankheit), empfehle ich die folgenden Links:
https://www.faz.net/aktuell/wissen/medizin-ernaehrung/schwerhoerigkeit-bei-berufsmusikern-dem-ohr-ist-musik-auch-laerm-12935166.html
https://www.sueddeutsche.de/kultur/eu-schutz-fuer-orchestermusiker-die-gefaehrlichkeit-des-schoenen-1.266695
https://www.aerzteblatt.de/archiv/62817/Gehoerschutz-fuer-Musiker-Man-gibt-ein-Stueck-seiner-Seele
Ein Mindestmaß von Recherche im Sinne von „kurz googeln“ ist vielleicht noch drin, bevor man ein nicht ganz unwesentliches Problem, das für viele Menschen die Berufsunfähigkeit bedeutet, dermaßen abwertet. – Kornelia Roßkothen


 

Leserbrief zu „Göttlich über alle Maßen“ von Alexander Cammann

Sie schreiben gleich im 1. Abs.: „Am 2. Mai 1519, vor genau 500 Jahren also, starb Leonardo …“. Das ist aber falsch, weil ein Trugschluss, denn der 2.5.1519 ist ein Datum des Julianischen Kalenders, der aber bekanntlich 1582 durch den heutigen Gregorianischen Kalender dadurch ersetzt wurde, dass 10 Tage des Julianischen übersprungen wurden. Die julianisch-gregorianische Differenz ist seit 1582 weiter auf den heutigen Wert von 13 Tagen angewachsen. Der exakte 500-jährige Todesgedenktag ist also der 15. Mai 2019. Merke also: Julianische Kalenderdaten sind NICHT datums-identisch auf heutige Daten übertragbar. Dieses Wissen sollte eigentlich zum Handwerkszeug von ZEIT-Journalisten gehören! Aber „trösten“ Sie sich: Selbst Minister- und Staatspräsidenten (Conte/IT bzw. Macron/FR) waren von ihren Leuten so schlecht beraten, dass sie sie vorgestern Leonardos Grab in Amboise zum „500-Jährigen“ aufsuchen ließen. – Volker Morstadt


 

Leserbrief zu „Schluss mit lästig“ von Tina Hildebrandt und Bernd Ulrich

Nachdem ich mich mit „Schluss mit laestig“ wieder einmal durch einen Beitrag gekaempft habe, der sich vor allem durch Geruechte und Spekulationen auszeichnet, haette ich einen Vorschlag: Wie waere es, wenn ZEIT Beitraege zukuenftig durch eine Art Ampel gekennzeichnet wuerden? Diese koennte wiedergeben, welcher Anteil des Beitrags auf Fakten beruht, welcher auf Geruechten, welcher auf Spekulationen und wieviel des Ganzen die Meinung der AutorInnen ist. Es mag ja sehr vergnueglich sein, auf Basis von Geruechten drauf los zu spekulieren, aber fuer mich als Leserin sind solche Beitraege eher nervig, wenn ich Informationen erwarte. Und es ist auch aergerlich, wenn manche Beitraege nicht klar zwischen Fakten und Meinungen trennen. Beides hat seinen Wert, aber eine unklare Trennung erweckt den Verdacht, dass entweder die AutorInnen sich ueber den Unterschied nicht im klaren sind oder aber die LeserInnen im Unklaren lassen wollen. Beides faende ich bedenklich. – Sabine Moehler


 

Leserbrief zu „Regensburg noir“ von Ursula März

Ich habe herzlich gelacht. Sehr schön. – Christine Förster


 

Leserbrief zur Deutschlandkarte „Fahrrad fahren“ von Friederike Milbradt und Laura Edelbacher

Die Gründe für den unterschiedlichen Anteil des Radverkehrs am gesamten Verkehr auf nationaler Ebene stellen Sie m.E. sehr sachlich und nüchtern dar. Ich frage mich allerdings , ob diese Methode der derzeitigen verkehrspolitischen Situation gerecht wird. U.a. schreiben Sie, der Anteil des Radverkehrs in Münster und Oldenburg sei hoch, weil „es hier viele Studenten gibt, die sich kein Auto leisten können“. Entschuldigen Sie bitte, aber diese Begründung passt besser in die Zeit der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts. Man kann doch heute nicht ignorieren, dass sich viele Städter und natürlich auch viele Studenten kein Auto mehr halten wollen. So sieht es wohl auch das BMVI auf der ersten Internetseite der Präsentation der Studie (siehe unten, Hervorhebung durch Fettdruck von mir). In der Verteilung des Anteils des Radverkehrs auch in der Fläche Deutschlands liegt verkehrspolitische Sprengkraft wie noch nie (Klimakrise, Automobilkrise, Luft- und Lärmbelastung, Radentscheide u.s.w.). Warum, frage ich mich, findet das auch nicht im Ansatz eine Erwähnung? Das Bild, das ich von Ihrem nüchternen und unpolitischen Text habe, wird komplettiert durch die Illustration: Viele fröhliche Radfahrer, ob klein, groß, Frau oder Mann, alle radeln unbedrängt in frischer Luft. Das einzige abgebildete Auto parkt oder es fährt ohne Auspuffgase. Schön wär’s! – Dietrich Bohse


 

Leserbrief zu „Waffen streicheln“ von Alice Bota

Das Präsentieren von, möglicherweise, erbeuteten Waffen hat auf mich auch eine sehr befremdliche Wirkung, zumal dies hier wohl sehr unreflektiert und massentauglich passiert. Kritik daran ist verständlich und auch notwendig. Allerdings erschließt sich mir nicht, warum im selben Artikel auf solche plumpe Weise gegen Russland agitiert wird. Beispielsweise wird ein skurriler Zusammenhang zwischen einem Gefühl der Bedrohung in der russischen Bevölkerung und der Erstürmung des Reichstages hergestellt, der sich weder faktisch noch in übertragener Weise erschließt. Darüber hinaus wird überhaupt nicht darauf eingegangen, dass dieses Gefühl durchaus seine Berechtigung hat. Seit dem Mauerfall hat sich ein USA-geführtes Militärbündnis immer weiter Richtung Osten erweitert. Mittlerweile ist sogar der letzte europäische Pufferstaat zwischen NATO und Russland, die Ukraine, zumindest de facto, ein Bündnispartner der NATO. Würden wir uns nicht bedroht fühlen, hätte sich die Russische Föderation bzw. der Warschauer Pakt nach 1989 wieder bis nach Polen ausgebreitet?

Des Weiteren weisen Sie mit großer Begeisterung darauf hin, dass Aussagen, wie die, der Westen habe Terroristen unterstützt, von den Russen nicht belegt werden. Dies hat auch seine Richtigkeit. Allerdings übersehen sie, dass die USA in ihrer jüngeren Geschichte des Öfteren (para-)militärische Gruppierungen völkerrechtswidrig unterstützt haben. Das führt aber dazu, dass die genannte Aussage der Russen mindestens nachvollziehbar ist. Schließlich fehlt Ihnen scheinbar die Demut, anzuerkennen, dass es auch vonseiten der NATO mehrfach haltlose Vorwürfe gegen unliebsame Staaten gegeben hat, die zu völkerrechtswidrigen Angriffskriegen geführt haben. Als illustrierende Beispiele seien nur die Brutkastenlüge und die Massenvernichtungswaffen des Iraks genannt. Am Ende ihres Artikels betonen Sie die Abwesenheit von Tafeln, die über die Opfer von offenen und geheimen Kriegen aufklären. Diese ist tatsächlich sehr bedauerlich. Genauso bedauerlich wie die Tatsache, dass in der Zeit bzw. allgemein in den deutschen Tageszeitungen oder dem Rundfunk kaum über die Opfer von NATO-Einsätzen gesprochen wird. Als Beispiele seien nur die missglückten Versuche der NATO erwähnt, in Libyen oder Syrien einen Regimechange herbeizuführen. Bevor wir den Russen den Schwarzen Peter zuschieben, sollten wir vor unserer eigenen Haustür kehren, da haben wir Dreck genug. Schade, für Schwarz-Weiß-Färberei à la „Wir führen Krieg für die gute Sache und die anderen sind die Bösen.“ habe ich die Zeit nicht abonniert. Bitte überdenken Sie diese sehr einseitige Berichterstattung. – Nick Schneider


 

Leserbrief zu „»Damit haben wir nicht gerechnet«“ von Ulrich Schnabel, zu „Links oder rechts“ von Jens Jessen und zu „Wie stabil ist das Grundgesetz?“ von Heinrich Wefing

Zuallererst müssen wir in Deutschland ganz offensichtlich wieder lernen, in demokratischer Sprache miteinander zu sprechen. Das bedeutet Dialoge zu führen, dabei Begriffe klar zu definieren und zu verwenden, zuzuhören und nachzufragen, Kritik differenziert vornehmen und bewerten. Populismus jedenfalls lässt sich nicht mit Populismus bekämpfen, Fake News nicht mit Scheinargumenten, rechts nicht mit links. Und wir brauchen eine breite(re) gesellschaftliche Aufklärung, die verdeutlicht, dass Meinungsfreiheit und politische Korrektheit einander nicht ausschließen und dass nicht zuletzt unser großartiges Grundgesetz – seit nunmehr siebzig Jahren – aus guten Gründen gegenseitige Achtung und Toleranz einfordert. Der Missbrauch von Freiheiten, ob nun im analogen oder digitalen Raum, ganz gleich von welcher Seite, führt unwillkürlich zu Intoleranz, Unfreiheit und Unfrieden; auf das bekannte Diktum des vor Kurzem verstorbenen Verfassungsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde über das Risiko einer modernen Demokratie sei aus gegebenem Anlass hingewiesen. – Ira und Matthias Bartsch


 

Leserbrief zu „Eine Frage des Verkehrs“ von Christine Lemke-Matwey

Es ist mehr als nur bedauerlich, wie in einer viel gelesenen Wochenzeitung wie „Der Zeit“ mit diesem für Viele wichtigen Thema, der Sicherheit und Fairness auf den Fußwegen, umgegangen wird. Statt, wie die Autorin es tut, sich unterschwellig lustig zu machen über die offensichtlich Schwächeren im (Fußgänger-) Verkehr und sie als ganz seltsam übertrieben Ängstliche darzustellen, hätte das Thema verdient, auch schon früher potentiell Betroffene stärker zu Wort kommen zu lassen und Kritiker nicht in die Ecke der Abseitigen zu stellen, die überall den Wolf sehen. Dazu eine überhaupt nicht ironische, sondern sehr viel alltags-nähere Stellungnahme zu dem Thema: Stellungnahme zu dem Vorhaben, E-Scooter auf Fußwegen bzw. auf Radwegen zuzulassen Nach über 20 Jahren Fußgänger-Erfahrung in und um Berlin mit ca. 1,5 Stunden täglich, kann ich nur warnen vor einem solchen Beschluss. Er würde sich definitiv gegen die Schwächsten im Verkehr, nämlich gegen die Fußgänger, richten und auch die letzten etwas sicheren und manchmal auch beruhigten Bereiche vernichten. Schon die Praxis von Fußgängern und Radfahren hat gezeigt, dass sich letztere eben nicht an Radwege halten und die Fußwege all zu oft als Rennstrecken benutzen und – entsprechend einem scheinbar unumstößlichen Gesetz, dass der Stärkere sich auch durchsetzt. Leider hat die tägliche Praxis im Kleinen gezeigt, dass sich eine erhebliche Zahl von Radfahren an keine Vorschrift hält und über gelegentliche Kontrollen herrscht unter ihnen nur Gelassenheit und allgemeine Heiterkeit. Das Gleiche wird sich bei den E-Scootern einstellen – schon deshalb, weil Verführung und Beweglichkeit deutlich höher sind. Diejenigen, die die Fußwege zu einer Art 2. Fahrbahn machen wollen und Fußgänger zu einer Art beliebiger Verschiebemasse, sollten sich vielleicht klarmachen, dass ein Fußweg ein Bereich mit grundsätzlich anderen Geschwindigkeiten und Verhaltensweisen ist. Hier bewegen sich eben auch ältere Menschen, seh- und hörbehinderte und Menschen, die auch mal einfach einen Schritt zur Seite machen und zwar ganz plötzlich, unvorhersehbar und ohne zu Blinken. Im Übrigen sind in vielen Gemeinden die Gehwege effektiv nicht breiter als 1,20m. Da fragt man sich, wie weit die Macher der E-Scooter -Welle überhaupt gedacht haben.

Ich möchte dem Hype der E-Scooter – Begeisterten und deren „Wird schon gut gehen“- Werbung mal ein leider selbst erfahrenes Alltags-Beispiel entgegensetzen. Mein Weg zur Arbeit führt entlang einer ruhigen asphaltierten Straße mit normal breitem, wenig begangenen Fußweg. Etwa parallel dazu gibt es einen Weg durch den Park – nicht breiter als der Fußweg, mit Bänken an der Seite zum Ausruhen. Der wird gerne von Fußgängern, besonders älteren benutzt. Eigentlich alles klar: Etwaige Radfahrer müssten die Straße benutzen. Aber nein, 90% der Radfahrer sind auf dem Weg durch den Park unterwegs – und da man zur Arbeit will oder nach Haus: nicht langsam. Konservativ geschätzte Geschwindigkeit: ca. 20 bis 35 km/h. Da gibt es für sie nur eine Art von Hindernissen: Fußgänger. Und wenn dann gar noch zwei von denen nebeneinander laufen! Da gilt es, deutlich Ranfahren oder mit vielleicht 20 cm Lücke an ihnen vorbei. Das beeindruckendste Beispiel von einem „voll entwickelten“ Radfahrer erlebte eine jungen Frau auf schon erwähntem Parkweg. Sie hatte mit Ihrem gerade laufenden Kleinkind nachmittags auf einer der dafür vorgesehenen Bänke am Rande des Parkweges Platz genommen. Und nun erlaubte sich das Kleine auch noch, einige Schritte auf dem Parkweg hinaus von der Mutter weg zu laufen. So schnell wie niemand gucken konnte, war ein Radfahrer mit selbstbewussten etwa 40 km/h heran und ging wohl noch davon aus, dass das Kind ja wohl schnell verschwinden müsse, wenn er kommt. Doch nicht nur die Passanten, auch die Mutter hatte mit dieser Sekunden-Aktion überhaupt nicht gerechnet. Es kam zu einer dramatischen Bremsaktion des Radfahrers, die um „cm“ mit dem Totalschaden des Kindes geendet hätte. Der Mutter stand der Schock in den Augen. Aber was dann folgte, hat sehr mit der beabsichtigten Zulassung von weiteren schnellen Gefährten auf Gehwegen oder nahe davon zu tun. Der Radfahrer stieg vom Rad und beschimpfte die Mutter auf das Übelste und es hätte nicht viel gefehlt und er hätte sie mit seinen ausladenden Bewegungen auch körperlich zurechtgewiesen. Was haben auch Spaziergänger oder Mütter mit Kleinkindern auf Parkwegen zu suchen?!

Hier handelt es sich um ein Selbstbewusstsein, das sich offenbar einstellt bei vielen von denen, die wissen, sie bleiben in einer Auseinandersetzung die Stärkeren und haben keine wirklichen Konsequenzen zu fürchten, weil für sie keine Regelungen gelten, die durchsetzbar sind. Alle Vorschriften hinsichtlich Geschwindigkeit und Fahrbahn von E-Scootern sind in der Realität schlichtweg nicht umsetzbar. Diese Vorschriften oder Hinweise oder Empfehlungen oder sonst noch irgend etwas werden sich als fadenscheinige Vorwände entpuppen, um Erfahrungen zu ignorieren und auf einen aktuellen Mode-Zug aufzuspringen. Die Zulassung von E-Scootern, gleich welcher Geschwindigkeit, wird auch nicht den Autoverkehr spürbar verringern, sondern bestenfalls dazu führen, dass Autofahrer auch noch die letzten 100m oder 500m statt zu Fuß per E-Scooter zurücklegen werden. Damit werden neben der vorhersehbaren Verunsicherung und Gefährdung im Fußgängerbereich auch die Bemühungen von Gesundheitsexperten zunichte gemacht, die deutlich mehr Laufen für mehr Gesundheit fordern. – Alfred Walter


 

Leserbrief zu „Emmanuel Macron gilt vielen als letzte Hoffnung für Europa. Aber man kann ihn sehr unterschiedlich sehen. Zwei einseitige Porträts des französischen Präsidenten“ von Elisabeth Raether und Matthias Krupa

Dass Emanuel Macron der EU nützt, steht für mich außer Frage. Da wir Deutschen ihn ja nicht wählen können bei der EU-Wahl (die Parteien wussten sicher ganz genau, weshalb sie länderübergreifenden Listen nicht zugrstimmt haben), hätte mich die Frage: „nutzt Angela Merkel der EU – oder schadet sie ihr“ viel mehr interessiert. – K. Wittmann


 

Leserbrief zu „»Ich polier dir die Fresse«“ von Manfred Bissinger im ZEIT Magazin

Jetzt ist er mir wieder gegenwärtig, der große, ungehobelte Horst Janssen, dank der „ZEIT“. Irgendwie war er mir entglitten, dieser „Allround-Künstler“, Weiberheld und Alkoholiker, der viele, nicht nur seine „Kunst-Spuren“, hinterlassen hat. Mit sehr großer Freude habe ich über die „polierte Fresse“ gelesen, über sein Leben, über seine Ehen und Beziehungen, über seine Kinder und über seinen „Balkon-Sturz“! Vielleicht besuchen wir demnächst mal das „Horst-Janssen-Museum“ in Oldenburg! – Klaus P. Jaworek


 

Leserbrief zu „Über die Angst vor der Küchenkatastrophe“ von Harald Martenstein im ZEIT Magazin

Gerne möchte ich meine Meinung zum oben genannten Artikel von Harald Martenstein äußern. Hier erklärt Martenstein im Nebensatz die Angst vor einer Klimakatastrophe psychologisch, als Ausdruck der Angst vor dem Tod. Er leugnet damit, dass diese Angst berechtigt ist, also auch die Gefahren des Klimawandels. In einem Artikel in dem vom Förderverein Solarenergie herausgegebenen Solarbrief wurde neulich gefordert, das Leugnen des Klimawandels, ähnlich wie es für das Leugnen des Holocausts gilt, unter Strafe zu stellen. So weit würde ich nicht gehen wollen, schließlich ist die Meinungsfreiheit ein sehr hohes Gut. Trotzdem sind Witze über den Klimawandel angesichts der Situation ähnlich wenig witzig wie Witze über Juden vor dem Hintergrund des Holocausts. Ich nehme hier eine Diskrepanz zwischen der gedruckten Zeit und Zeit online, wo das Thema ja sehr ernst genommen wird, wahr. Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen sich an frühere „Umweltkatastrophen“ wie das Ozon-Loch und das Waldsterben erinnern, die dann relativ schnell mit einfachen Maßnahmen in den Griff zu bekommen waren (wobei der Wald heute durch den Klimawandel in einem schlechteren Zustand ist als damals beim „Waldsterben“). Von dieser Erfahrung schließen sie darauf, dass das auch beim Klimawandel der Fall sein wird. Dabei wird aber übersehen, dass negative Folgen des Klimawandels bereits eingetreten sind und bisher alles ziemlich genauso gelaufen ist, wie von Wissenschaftlern vorhergesagt, nur war es leider eher schlimmer und ging es schneller als gedacht. Ich würde mir wünschen, dass auch beim Lesen der Zeit spürbar würde, mit welcher ernsten Herausforderung wir es zu tun haben, und dass das (nicht geringe) Risiko besteht, dass die Menschheit es nicht schafft, und dass das dann ihr Ende ist. Das ist traurig, aber es ist wahr. – Swantje Notzon


 

Leserbrief zu „Hauptsache, der Mann hat Arbeit“ von Astrid Herbold

Astrid Herbold tappt in ihrem kurzen Artikel über Geschlechterrollen in die klassische Wertungs-Falle: der Mann werde zu sehr von den Frauen unter Druck gesetzt, wenn er nicht Brotverdiener wird, also nach Ausbildung/ Studium keine gescheite Arbeit findet. Armer Mann! So verstehe ich Frau Herbolds Interpretation der Studie über die Stabilität von Partnerschaften. Wie wäre es denn mit einer anderen Erklärung? Der Mann ist oft nicht bereit, die Rolle des Hausmannes anzunehmen. Wenn die Frau von der Arbeit nach Hause kommt, ist oft weder der Haushalt erledigt noch das Essen auf dem Tisch (plakativ gesagt). Erst wenn der ‚Hausmann‘ versteht, dass auch die Tätigkeit der ‚Hausperson‘ eine vollwertige, sinnvolle, zu respektierende Arbeit darstellt – zu der auch die emotionale Unterstützung der ‚Außer-Haus-Arbeitenden‘ gehört -, wird er sie zufriedenstellend ausführen und den Respekt seiner Partnerin erlangen, die ihm zutrauen wird, auch bei Gründung einer Familie die Verantwortung für Haushalt und Kinder zu übernehmen. Während die Frau in vielen Bereichen hinsichtlich der Gleichstellung aufgeholt hat, fehlt vielen Männern noch die Flexibilität, sich in ‚traditionellen‘ Frauenrollen zu sehen. Vielleicht liegt es auch daran, dass gesamtgesellschaftlich die ‚traditionelle‘ Arbeit der Frau nie richtig wertgeschätzt wurde/ wird???? – Pascale Jarlman


 

Leserbrief zu „Ewiges Element“ von BEL

Frank Zappa (1940 bis 1993) hatte der Musik-Welt relativ jung, seinen Rücken zugekehrt. Bei uns hatte Frank Zappa einen Riesen-Hit mit seinem „Bobby Brown“, dessen Inhalt wohl auch niemand, so richtig verstanden hat. Des Menschen Dummheit habe keine Halbwertzeit, so Frank Zappa; auch er war nur dieses „dumme Menschenkind“! – Klaus P. Jaworek


 

Leserbrief zu „»Damit haben wir nicht gerechnet«“ von Ulrich Schnabel

Herr Schnabel hat in dem Gespräch mit Herrn Zick sachlich fundiert auf gravierende Schwächen der Studie (wie Suggestivfragen, Scheinalternativen, mehrdeutige Aussagen, unkorrekte Interpretationen) hingewiesen, die Herrn Zick die Möglichkeit eröffnet haben, seine Fragen und seine eigenen Schlussfolgerungen kritisch zu hinterfragen. Stattdessen attackiert er seine Kritiker so pauschal wie er die Fragen seiner Studie gestellt hat: „Ergebnisse, die politisch nicht opportun sind, haben sofort Anlass gegeben, uns, die Forschenden in Frage zu stellen“. Auf kuriose Weise bestätigt Herr Zick das von ihm erfragte Misstrauen vieler Bürger gegenüber „sogenannten Experten“, das nicht „auf Gefühlen“ beruhen muss, sondern – wie bei seiner vorliegenden Studie – durchaus sachlich begründet ist. – Karl-Heinz Schneider