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Netzfilm der Woche: „9 Meter“

Daniel ist verzweifelt. Seine Mutter liegt im Koma, die Ärzte sehen kaum noch eine Chance. Nur Daniel glaubt, eine Reaktion zu sehen. Das Geheimnis, da ist sich Daniel sicher, liegt in seinen Weitsprungrekorden: Mit jedem neuen Rekord geht es seiner Mutter ein bisschen besser. 5,80 Meter müssen es sein, 6 Meter, 7 Meter, schließlich 9 Meter – Weltrekord! Doch Daniel läuft die Zeit davon und als die Sandgrube nicht mehr ausreicht, treibt es ihn zu immer gefährlicheren Sprüngen.

Anders Walters Kurzfilm 9 Meter ist eine Geschichte über den Umgang mit dem Tod, über Verlust und Hoffnung. Langsam entfalten sich die knapp 16 Minuten zu einem Thriller, in dem der junge Weitspringer nicht nur gegen das Maßband, sondern vor allem gegen die Realität kämpft. Als selbst die Rekordversuche ihre Wirkung verfehlen, kommt Daniel dem Abschied von seiner Mutter immer näher. Bis er schließlich vor einem letzten, dem schwierigsten Sprung steht.

Walters sagt, ihn interessiere es, wie junge Menschen mit dem Tod umgehen und wie sie in ihrer Fantasie nach Auswegen und Lösungen suchen. 9 Meter reiht sich damit ein in eine Reihe junger europäischer Kurzfilme, die sich nicht vor ernsten Themen scheuen. Wie auch der ebenfalls aus Dänemark stammende Kurzfilm Beast und die niederländische Arbeit Magnesium stellt er ein Familiendrama in seinen Mittelpunkt.

Die bis zum Schluss spannende Geschichte und tolle Komposition konnte dabei nicht nur die Jurys wie die des New York Film Festivals überzeugen: 9 Meter schaffte es in diesem Jahr sogar bis auf die Shortlist der Oscars. Bis in die Endauswahl hat es zwar nicht gereicht. Doch Anders Walter versucht es erneut: Sein aktueller Kurzfilm Helium ist ebenfalls nominiert.

 

Netzfilm der Woche: „Aningaaq“

Der Thriller Gravity, in dem Sandra Bullock als gestrandete Astronautin in der Schwerelosigkeit ums Überleben kämpft, war nicht nur ein Hit an den Kinokassen. Der Film inspirierte auch so manche Parodie im Netz. Und es gibt einen offiziellen Kurzfilm zum Kinofilm: Aningaaq. Jonas Cuarón, Sohn des Gravity-Regisseurs Alfonso Cuarón, war als Autor und Regisseur tätig. Eigentlich sollte Aningaaq im Abspann des Kinofilms laufen. Doch die Cuaróns entschieden sich dazu, den Film doch einzeln zu veröffentlichen.

Beide Filme bauen aufeinander auf, doch Aningaaq funktioniert auch ohne Gravity gesehen zu haben und enthält nur minimale Spoiler. Während Gravity gänzlich im Weltall spielt, pickt sich Aningaaq einen Schauplatz auf der Erde heraus. In einer Szene in Gravity gibt Bullock als Dr. Ryan Stone in einer verzweifelten Aktion einen Funkspruch in Richtung Erde ab. Sie erreicht tatsächlich jemanden. Doch die menschliche Stimme am anderen Ende kann sie nicht verstehen – und ihr schon gar nicht helfen.

Aningaaq zeigt uns nun den Menschen hinter dieser Stimme aus dem Nichts. Ein Fischer in der Ödnis Grönlands (der Kurzfilm wurde vor Ort und nicht im Studio gedreht) ist angetan von der Frauenstimme, die aus seinem Funkgerät knarzt und erzählt ihr aus seinem Leben. Die Einsamkeit Grönlands scheint plötzlich nicht so anders zu sein, als jene im Weltall. Und so geht es beiden Gesprächspartnern letztlich nur um den menschlichen Kontakt, die menschliche Stimme als ein Ventil, einen Ausweg aus einer aussichtlosen Situation.

Aber Aningaaq beweist noch etwas anderes: Nämlich, dass Kurzfilme ein unterschätztes Mittel für Hollywood-Produktionen sind. Denn während die meisten Kinofilme lediglich die obligatorischen Trailer im Netz veröffentlichen, zeigt Aningaaq, wie man auch Monate nach dem Kinostart noch mit anspruchsvollen Extras alte sowie potenzielle neue Zuschauer erreichen kann.

 

Netzfilm der Woche: „Orange Drive“

Highschool, das bedeutet für viele junge Amerikaner den ersten Rausch, den ersten Sex, das erste Auto und die Erkenntnis, dass man sich auch um seine Zukunft Gedanken machen sollte. Mark Lester kennt das Gefühl. Er hat es zum Gegenstand seines Debüt-Kurzfilms Orange Drive gemacht.

Orange Drive ist bemerkenswert. Zum einen, weil der Film gänzlich aus der Perspektive einer einzigen Kamera auf der Motorhaube gefilmt ist. Die Zuschauer verfolgen ein Jahr im Leben des Protagonisten, eines etwa 17-jährigen Fahrers. Dessen Namen erfahren wir nicht, wohl aber eine Menge über ihn: Seine Freundschaften, seine erste Beziehung, sein erster Seitensprung und sein erster Job. All das spielt sich in kurzen Gesprächen und Momentaufnahmen hinter der Windschutzscheibe ab.

Mit schnellen Schnitten und Zeitraffern gelingt es Lester, eine Vielzahl an Gefühlszuständen des Protagonisten abzubilden: Auf die Euphorie folgt der Fall und schließlich das Wiederaufrappeln. Orange Drive ist eine Coming-of-Age-Story im Schnelldurchlauf, die manchen an die eigene Jugend erinnern dürfte.

Bemerkenswert ist Orange Drive aber auch, weil es sich um ein Studienprojekt an der Universität von Kalifornien handelt. Lester drehte den Film in nur drei Tagen, was angesichts der vielen Details und Orte erstaunlich ist. Wie Lester sagt, hatte er dafür ein 20-seitiges Drehbuch geschrieben. Einige der Szenen seien dennoch improvisiert, was die jungen Schauspieler noch überzeugender wirken lässt. Und just als die Idee nach knapp zehn Minuten beginnt, sich zu erschöpfen, lässt Orange Drive seinen Protagonisten dann doch noch aussteigen.

 

Netzfilm der Woche: „The Record Breaker“

Auf einem Hüpfball die Chinesische Mauer entlang, 14 Kilometer einen Baseballschläger auf dem Finger balancieren oder einen 3.000-Meter-Berg auf Stelzen erklimmen: Das klingt anstrengend und irgendwie…sinnlos? Nicht für Ashrita Furman. Der 59-jährige hat in all diesen Disziplinen Weltrekorde aufgestellt. Und noch viele mehr: Mehr als 450 waren es in den vergangenen 35 Jahren, 167 davon stehen bis heute. Damit ist Furman der Weltrekordler im Weltrekordaufstellen.

Grund genug für den Filmemacher Brian McGinn, den Bioladenbesitzer aus New York zu porträtieren. Die 25-minütige Kurzdokumentation The Record Breaker ist eine wunderbar erquickende Geschichte. McGinn begleitet Furman bei der Vorbereitung zu seinen nächsten Rekorden: Zum Beispiel beim Training für einen Stelzenlauf in die Tempelstadt Machu Picchu. Oder beim Laufen mit den schwersten Schuhen der Welt. Nicht selten müssen seine Kumpels als Helfer herhalten. Was sie nur allzugerne tun. Denn Furman versprüht bei jeder Aktion eine kindliche Lebensfreude, die auch auf die Zuschauer des Films übergreift.

McGinn gelingt aber noch etwas anderes. Nämlich Ashrita Furman nicht bloß über seine bizarren Weltrekorde zu definieren. The Record Breaker erzählt vielmehr die Geschichte eines hochbegabten Mannes, der mit 16 Jahren die Schule schmiss und sich stattdessen einem Hindu-Guru anschloss – und sich dabei fast mit seiner Familie überwarf. Mit neuem Selbstbewusstsein fand sich der bis dato gänzlich unsportliche junge Mann plötzlich neuen Herausforderungen gewachsen. Für seinen ersten Weltrekord im Jahr 1979 machte Furman nicht weniger als 27.000 Hampelmann-Sprünge. Es war der Beginn einer langen Leidenschaft, die auch im Alter nicht nachlässt.

Einzig das mit den Stelzen und dem Machu Picchu gelang Furman nicht: Die peruanischen Behörden stoppten ihn auf dem Weg nach oben. Den Rekord hält Furman dennoch: Er hat ihn einfach wenig später in Kalifornien aufgestellt.

 

Netzfilm der Woche: „Lovely Wolf“

Eine Werwölfin zu sein ist für Lauri schon schwer genug. Immer wieder wacht sie nackt im Wald auf. Als sie sich in Tom verliebt, gehen die Probleme richtig los. Wie erklärt sie dem überzeugten Vegetarier das viele Fleisch im Kühlschrank? Wie zur Hölle soll er sie bloß seiner Familie vorstellen? Und wo ist eigentlich der Postbote abgeblieben? Probleme, Probleme. Aber von dem bisschen Vollmond lässt sich das frisch verliebte Paar nicht aufhalten. Man tut, was man eben tun muss: Man organisiert sich.

Eine „romantische Gruselkomödie“ nennen die Macher von Lovely Wolf – Regisseur und Drehbuchautor Benjamin Bechtold und Fearling Entertainment – ihren Kurzfilm. Das klingt zunächst nach einer ganz schön, nun ja, gruseligen Mischung. Doch Lovely Wolf ist trotz einiger ungelenker Momente charmant genug, um nicht albern zu sein, und ironisch genug, um sich nicht zu ernst zu nehmen.

Entstanden ist Lovely Wolf an zehn Drehtagen im hessischen Langgöns. Das Budget lag bei gerade einmal 3.000 Euro. Nach einigen Preisen bei kleineren Festivals wie den Shorts at Moonlight war der Film gerade als Bester Kurzfilm für den Hessischen Film- und Kinopreis nominiert. Für einen Sieg reichte es zwar nicht, aber für neue Motivation bei den Machern. Das nächste Projekt ist bereits geplant: Ein Thriller „über eine Frau, die von einem Psychopathen als Hund abgerichtet wird.“

 

Netzfilm der Woche: „The Rider and the Storm“

Im Oktober 2012 traf Hurrikan Sandy auf die US-Ostküste. Besonders stark traf es Breezy Point, den südlichsten Zipfel des New Yorker Stadtteil Queens. 130 Häuser brannten am 29. Oktober vergangenen Jahres nieder. Eines davon gehörte der Familie des Stahlarbeiters und Hobby-Surfers Timmy Brennan.

Zum Jahrestag des Hurrikans Sandy erzählt The Rider and the Storm Brennans Geschichte. Die beiden Regisseure David Darg und Bryn Mooser Brennan bei den Aufräumarbeiten direkt nach der Katastrophe. Durch die verkohlten Ruinen graben sich Brennan und seine Familie zu den letzten Überbleibseln ihrer Heimat – und Timmys Surfbrett.

Dem Brett wird eine besondere Rolle zuteil: Zum einen macht es dem Protagonisten bewusst, dass das Meer vor der Haustür nicht bloß dem Vergnügen gilt, sondern eine Naturgewalt ist. Zum anderen steht es für die Verbundenheit der Bewohner dieser abgeschiedenen Enklave: Breezy Point ist eine sogenannte Kooperative, eine Art privater Gemeinde, die viele Kosten untereinander aufteilt. Und die  dafür sorgt, dass Timmy letztlich wieder seiner Leidenschaft nachgehen kann.

Leider verpasst es The Rider and the Storm, neben den eindrücklichen Aufnahmen der Zerstörung, Bilder von der heutigen Situation in Breezy Point einzufangen. Im Gegensatz zu anderen betroffenen Orten und trotz bürokratischer Schwierigkeiten hat es die Gemeinde nämlich verhältnismäßig schnell wieder auf die Beine – oder eben aufs Surfbrett – geschafft. Auch darum geht es den Produzenten des Films: Die New Yorker Plattform RYOT verknüpft Nachrichten mit Spenden- und Charity-Aktionen. Für The Rider and the Storm arbeiten sie mit der Hilfsorganisation Operation Blessing zusammen, die sich für die Hurrikanopfer einsetzt.

 

Netzfilm der Woche: „Bet She’an“

Eine Krähe fliegt durch die Wolken auf die Stadt Bet She’an zu und lässt sich wie auf einem Thron auf einem Berggipfel nieder. Die Straßen sind verlassen, die Bewohner verschwunden. Nur von Weitem hallt das Geräusch eines Meißels von den Häuserwänden wider. Klack, klack. Ein letzter Mensch, greis und ausgemergelt, arbeitet fieberhaft an einer übergroßen Statue, dem letzten Monument einer schwindenden Zivilisation.

An pathetischen Gesten und Anspielungen mangelt es dem animierten Kurzfilm Bet She’an nicht. Schon der Titel erinnert an die gleichnamige antike Stadt in Israel, die einst der Mittelpunkt einer neuen, aufstrebenden Gesellschaft war und hier nun das Ende bedeutet. Und natürlich die Krähen: Sie haben die Stadt und deren Bewohner übernommen, als groteske Chimären lugen sie aus dem Dunkel und beobachten den scheinbar letzten Menschen bei dessen Arbeit, sie kreisen ihn ein und übernehmen letztlich auch ihn.

Es ist vor allem diese unheimliche Atmosphäre, ein Spiel mit langen Schatten und dezenter Musik, die die Zuschauer sofort in den Film hineinziehen. Doch Bet She’an ist mehr als ein pseudo-biblisches Endzeitszenario. Die vier jungen Filmemacher von Bandits Collective, die sich einst auf der französischen Animationsschule Supinfocom kennenlernten, haben ihrem Film einen zusätzlichen Dreh gegeben: Mit seinen braunen Farbtönen und dem an moderne Graphic Novels erinnernden Rendering wirkt er zunächst wie in der Antike angesiedelt. Doch immer wieder blitzen Hinweise auf die Moderne auf: Wir sehen Kameras, Musikinstrumente. Das geschickte Spiel mit den Epochen mündet schließlich im Finale: Die Statue, die Erinnerung an die scheidende Menschheit, sieht vielleicht nicht so aus, wie man es erwartet hätte. Und es stellt sich die Frage: Welches Bild bleibt tatsächlich übrig von unserer Zivilisation?

 

Netzfilm der Woche: „Medieval Land Fun-Time World“

Eddie Stark hat es nicht leicht. Als Betreiber der Medieval Land Fun-Time World hat er nur noch eine Woche, bis der beste Mittelalter-Erlebnispark in ganz Westeros eröffnet. Und ständig muss er sich mit seinen inkompetenten Mitarbeitern herumschlagen. Denise Targaryen, Terry Lannister und JoJo Baratheon unterhalten sich nämlich lieber über Pokemons, die neusten Hits von Kanye West, Zahnpasta und wirken generell so, als wären sie ein paar Mal zu oft vom Gaul geflogen.

Serienkenner wissen natürlich sofort, worum es geht: Der Fake-Trailer zu Medieval Land Fun-Time World ist der neuste Beitrag in einer Reihe von Parodien der erfolgreichen US-Serie Game of Thrones – und eine der bis dato besten.

Hinter dem Clip steckt der YouTube-Kanal Bad Lip Reading. Dessen Macher, ein bis dato namenloser Musikproduzent aus Texas, veröffentlicht seit 2011 in unregelmäßigen Abständen Videos, in denen er Musikclips, Serien und Interviews nachsynchronisiert. Keine neue Idee, aber eine, die gut ausgeführt sehr erfolgreich ist: Mehr als 230 Millionen Abrufe hat der Kanal inzwischen. Vor allem die Synchronisationen der US-Politiker im Wahlkampf und eine der Football-Liga NFL zu Beginn des Jahres haben Bad Lip Reading bekannt gemacht.

Die Game of Thrones-Parodie ist noch einmal ambitionierter. Nicht nur gelingt es Bad Lip Reading erneut, den Figuren bizarr-komische Sätze in den Mund zu legen. Erstmals versucht der Macher auch, aus den Szenen eine mehr oder weniger zusammenhängende Geschichte zu erzählen, und sie mit kleinen visuellen Effekten zu verstärken. Das funktioniert so gut, dass viele Zuschauer inzwischen schon um eine Spielfilmversion bitten. Winter kann kommen!