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Netzfilm der Woche: „The Road From Karakol“

Welche Herausforderung sucht jemand, der schon die höchsten Berge der Welt erklommen hat? Der US-Amerikaner Kyle Dempster reiste nach Kirgisistan. Im Gepäck: ein Fahrrad, eine Kletterausrüstung, eine Kamera und zehn Worte Kirgisisch. Die Aufnahmen, die der Bergsteiger aus der unberührten Landschaft mitbrachte, beeindruckten den Filmemacher Fitz Cahall so sehr, dass er daraus einen Film machte.

The Road From Karakol ist ein 25-minütiges Reisetagebuch, das seinen Reiz nicht nur den Einblicken in ein weitgehend unbekanntes Land verdankt, sondern vor allem seinem Protagonisten. Schon die Einstiegsszene, in der Dempster (fast) nackt vor einem Fluss steht, zeigt, dass der Film einen ungeschliffeneren Ansatz verfolgt als viele andere Filme dieses Genres.

Nach den ersten Tagen in Gesellschaft trinkfreudiger Kirgisen zieht Dempster mit seinem Rad in die Wildnis. Straßen enden plötzlich, reißende Flüsse versperren den Weg und Militärposten verweigern die Durchreise. In einer besonders aufreibenden Szene filmt sich Dempster mit zitternder Stimme bei einer Überquerung eines Stroms. Natürlich geht alles gut aus und wir sehen Dempster in seinem wahren Element: vertikal an einer vereisten Bergwand baumelnd.

 

Netzfilm der Woche: „The Shooting Star Salesman“

Manche Filme sind eng mit den Biografien ihrer Macher verbunden. So im Fall von Kico Velarde. Der Filmemacher aus Los Angeles war 36 alt, verheiratet, hatte zwei Kinder und hangelte sich seit drei Jahren von Job zu Job. Den Großteil seines erwachsenen Lebens hatte er dem Film gewidmet und dabei als Produzent sogar einen Emmy gewonnen. Doch nun stand er kurz davor, seine Leidenschaft notgedrungen aufzugeben. Bis ihm ein Drehbuch in die Hände fiel, das seiner Situation perfekt entsprach. Ein letztes Mal wollte es Velarde mit einem eigenen Film versuchen. Die nötige Unterstützung fand er im Netz: Über Kickstarter bekam er 10.000 US-Dollar zusammen und machte sich ans Werk.

Das Ergebnis ist The Shooting Star Salesman. Der Kurzfilm erzählt die Geschichte eines namenlosen Mannes, der Wünsche in Form von Sternschnuppen verkauft. Sein geheimnisvolles Gerät hat bessere Zeiten gesehen, doch es funktioniert – solange die Menschen daran glauben. Pech nur, dass die modernen Menschen an nicht mehr viel glauben. Schon gar nicht an Sternschnuppen, die plötzlich für sie am Firmament erscheinen und Wünsche erfüllen sollen. Vereinsamt und ganz offensichtlich aus der Zeit gefallen, entscheidet sich der Verkäufer, seinen Zylinder an den Nagel zu hängen. Bis der neugierige Nachbarsjunge (gespielt von Velardes Sohn) auf den Plan tritt.

Man erkennt leicht die Parallelen zwischen der Geschichte des Films und der eigenen des Regisseurs. Doch auch ohne diesen schönen Hintergrund ist The Shooting Star Salesman mit seiner Mischung aus subtiler Fantasy und Drama sehenswert. Nicht zuletzt dank der Darbietung der ungleichen Geschäftspartner wirken die zwanzig Minuten viel kürzer als sie sind. Am Ende bleibt eine Geschichte über Motivation und Hoffnung, die glücklicherweise nie Gefahr läuft, im Kitsch zu versinken.

Update: Der Film wurde von den Machern leider wieder depubliziert.

Update 2: Der Film ist wieder online. Juhu!

 

Netzfilm der Woche: „The Elaborate End of Robert Ebb“

Manchmal darf es auch ein B-Movie sein. Die wenig kostenden und billig anmutenden Streifen kommen zwar bei den Kritikern nie gut weg, erfreuen sich aber dennoch erstaunlich hoher Beliebtheit. Da kommt der Kurzfilm The Elaborate End of Robert Ebb von Clement Bolla, Fx Goby und Matthieu Landour genau richtig. So wunderbar trashig war lange kein Kurzfilm mehr.

Aber halt, das heißt natürlich, dass alles ganz ironisch gemeint ist. Oder sagen wir: nostalgisch. Tatsächlich ist The Elaborate End of Robert Ebb eine Hommage an die Horrorfilmklassiker der fünfziger und sechziger Jahre. Mit dem feinen Unterschied, dass es hier nicht ums Gruseln, sondern vor allem um die Lachmuskeln geht. Und um das Ableben des armen Wachbeamten Robert Ebb, dem ein harmloser Streich in einem Filmstudio zum Verhängnis wird, und der das ganze Dorf in Panik versetzt.

Der Kurzfilm begeistert zunächst mit seinem tollen Retro-Setdesign. Das klassische Fünfziger-Jahre-Diner, die Autos im typischen Autokino und die knalligen Klamotten – all das weckt sofort Erinnerungen an die Horrorfilmgeschichte. So auch das Monster, das natürlich nicht fehlen darf und tatsächlich aussieht, als sei es der hintersten Requisitenhölle entflohen. Ein 30 Kilo schweres Kostüm musste Schauspieler Paul Hassall dafür herumtragen. Es hat sich gelohnt: The Elaborate End of Robert Ebb ist ein frischer, unterhaltsamer und augenzwinkernder Film geworden.

 

Netzfilm der Woche: „Nullpunkt“

Dass nicht nur Schauspieler wie Benedict Cumberbatch oder Willem Dafoe gelegentlich vom Spiel- ins Kurzfilmgenre wechseln, sondern auch deutsche Stars, beweist Nullpunkt von Andreas Schaap. Hier tritt niemand geringeres als Nora Tschirner auf – wenn auch nur in einer Nebenrolle.

Im Mittelpunkt stehen andere. Nämlich die Studenten Lenny (Nic Romm) und Daniel (Max Engelke). Sie haben das ultimative Geheimnis vom glücklichen Leben entdeckt. Und das klingt zunächst ziemlich christlich: Nur wer Opfer erbringt und Schicksalsschläge erduldet, dem widerfährt auch Gutes. Pech nur, dass das vermeintliche Glück immer größere Opfer von den beiden fordert. Aus harmlosen Streichen wird plötzlich ein Spiel um Leben und Tod.

Glücklicherweise nimmt sich Nullpunkt aber nicht allzu ernst. Der Thriller im Kern wird immer wieder durch humorvolle Szenen abgelöst, die in Schnitt und mit rasanter Kameraführung durchaus an britische Crime-Comedy à la Bube, Dame, König, grAs erinnern. Und auch wenn die Ambitionen in einigen Szenen etwas mit den Machern durchgehen, bleibt Nullpunkt für deutsche Verhältnisse ein erfrischend anderer Kurzfilm.

Nullpunkt lief ursprünglich in der Reihe Shocking Shorts. Der deutsche YouTube-Originalkanal Shortcuts zeigt in Kooperation mit Universal Film auch alle anderen Kurzfilme der Reihe.

 

Netzfilm der Woche: „Lil Bub & Friendz“

Besitzer Mike Bridavsky (Mitte) mit Lil Bub (© Larry Busacca/Getty Images)
Besitzer Mike Bridavsky (Mitte) mit Lil Bub (© Larry Busacca/Getty Images)

Frei nach Loriot könnte man sagen: Ein Internet ohne Katzen ist möglich, aber sinnlos. Die Katze ist das Maskottchen des Internets. Die Faszination zeigt sich in unzähligen Memes, in Gifs, Videos, Katzenfilmfestivals und in wissenschaftlichen Arbeiten, die das Phänomen analysieren. Und sie zeigt sich in den zahlreichen vierbeinigen Stars, die das Internet hervorgebracht hat. Nachdem Grumpy Cat demnächst einen Kinofilm bekommt, hat eine andere bekannte Katze bereits ihre eigene Dokumentation: Die Vice-Produktion Lil Bub & Friendz.

Eine Familie aus Indiana hatte vor zwei Jahren eine kleine Katze in ihrer Scheune gefunden, die offensichtlich von ihrer streunenden Mutter verlassen worden war. Als Kümmerling des Wurfes wurde Lil Bub – wie auch Grumpy Cat – mit gleich mehreren Behinderungen geboren: Kleinwüchsig, zahnlos und stets die Zunge rausstreckend, mit Stummelbeinen und einem Zeh mehr an den Pfoten.

Dass sie zu einem der größten Internetphänomene des vergangenen Jahres werden würde, konnte Mike Bridavsky, der Bub adoptierte, kaum erwarten. Doch es reichten wenige Fotos auf Facebook und Tumblr, um weltweite Anteilnahme zu erwecken.

Von Katzen und Phänomenen

In vier Teilen erzählt Lil Bub & Friendz diese Erfolgsgeschichte. Es geht aber nicht nur um Bub, der Film ist eine Dokumentation über die Faszination von Katzen im Netz und die Meme-Kultur im Allgemeinen. Keyboard Cat und Colonel Meow, Nyancat und Grumpy Cat haben kurze Auftritte.

Lil Bub & Friendz schildert die Evolution eines Internetphänomens – und dessen geschäftliche Seite: Längst haben erfolgreiche Memes eigene Manager, die aufwändige Marketingaktionen mit Merchandise, Büchern oder eben Filmen organisieren.

Deshalb gibt es immer wieder berechtigte Zwischenrufe, die vor einer Ausbeutung der Tiere warnen. Auch Mike Bridavsky gibt im Film offen zu, dass er von Bubs Beliebtheit finanziell profitiert und „ein Teil der Story“ ist. Dennoch wird auch im Film deutlich, dass Bubs Besitzer um die Gesundheit ihrer Katze besorgt sind. Bridavsky spendet nicht nur einen Teil der Einnahmen an Tierschutzorganisationen, er hat inzwischen auch noch weitere Katzen aufgenommen. Diese hegen übrigens keinerlei Starambitionen.

(Deutsche Untertitel lassen sich unten im Player über das Symbol „Captions“ aktivieren)

 

Netzfilm der Woche: „Love’s Routine“

Routine bestimmt unser Leben. Und auch wenn es niemand gern zugibt: Sie bestimmt auch unsere Beziehungen. Im Kurzfilm Love’s Routine von Shirlyn Wong dreht sich alles um Routine. Das ungleiche Paar Barry und Margie lebt seit Jahrzehnten in trauter Harmonie zusammen. Zum Abendessen gibt es Fisch und später ein Eis vor dem Fernseher. Ein gutes Leben. Bis eines Tages die Zweisamkeit abrupt endet.

Für die New Yorker Filmstudentin Wong war die Produktion Love’s Routine in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Nicht nur durfte sie während des Drehs das Gesicht des Hauptdarstellers und Hollywoodstars Willem Defoe in Position kneten. Sie fand sich auch zwei Tage lang an einem professionellen Set mit einer Crew wieder und musste dafür ausnahmsweise nichts bezahlen.

Wong gehört nämlich zu den drei Gewinnern des diesjährigen Jameson First Shot Wettbewerbs. Mit ihrem Drehbuch zu Love’s Routine konnte sie die Jury überzeugen, zu der auch Kevin Spacey gehörte. Der Schauspieler, der sich vergangene Woche für Online-Videos aussprach, spielte im vergangenen Jahr die Hauptrolle in den Kurzfilmen. In diesem Jahr übergab er diese Aufgabe an seinen Kollegen Willem Defoe und kümmerte sich stattdessen um die Betreuung des Wettbewerbs.

Alle drei Filme sind nicht zuletzt dank Willem Defoes Darbietung sehenswert. Doch Love’s Routine sticht heraus. Obwohl der Film ausschließlich in drei Räumen im Haus des Ehepaars spielt, gelingt Wong eine erstaunliche Detailgenauigkeit. Denn in Love’s Routine ist nichts, wie es zunächst scheint. Erst am Ende erkennen die Zuschauer, dass die Auflösung schon die ganze Zeit vor ihren Augen lag.

 

Netzfilm der Woche: „Inseparable“

Joe und Charlie sind Zwillinge, doch ihr Leben könnte kaum unterschiedlicher sein. Joe hat Frau und Kind, er steht mitten im Leben. Charlie verbringt seine Zeit mit Trinken und Wetten, die er meist verliert. Das Schicksal bringt die Brüder wieder zusammen: Als bei Joe ein unheilbarer Hirntumor festgestellt wird, bekommt Charlie plötzlich eine zweite Chance im Leben.

Bis der Zuschauer durchschaut, dass es sich bei Joe und Charlie tatsächlich um zwei Personen handelt, braucht es einige Minuten. Langsam entfaltet sich die Story von Inseparable. Und spitzt sie zu auf ihren großartigen Hauptdarsteller: Benedict Cumberbatch, bekannt als Sherlock Holmes in der gleichnamigen TV-Serie, spielt die Doppelrolle der Zwillinge.

Wie allen guten Kurzfilmen gelingt es Inseparable, eine Geschichte, die problemlos auch einen Spielfilm füllen könnte, auf den Punkt genau zu erzählen. Erstaunlich ist, wie wenig Dialog und Schauplätze der Regisseur Nick White dafür benötigt. Keine Szene des Films, produziert britischen Studios Area 17 wirkt gezwungen oder überhastet. Alles ist fokussiert auf den Protagonisten in seiner Doppelrolle, dessen Regungen und Gesichtsausdrücke die Story fast alleine tragen. Einzig das Ende bleibt fast schon standesgemäß offen – und damit auch die Antwort auf die Frage, ob eine zweite Chance wirklich immer wünschenswert ist.

 

Netzfilm der Woche: „One Rat Short“

Ratten und Filme, das ist eine ebenso schwierige Angelegenheit wie Ratten und Menschen. Die einen sehen sie als keimtragende Nagetiere, die anderen halten sie als schlaue Haustiere. Im Film sind sie gerne ein Zeichen für Schmutz und Tod, oder, wie bei Ratatouille, Erfinder und Überlebenskünstler.

Ein Jahr bevor Ratatouille den Ruf der Filmratten wieder etwas aufpolierte, erschien One Rat Short. Der animierte Kurzfilm von Alex Weil des New Yorker Studios CHRLX räumte im gleichen Jahr den Best of Show Preis auf dem renommierten SIGGRAPH Animationsfestival ab. Doch abgesehen von seinen pelzigen Protagonisten haben die beiden Filme nicht viel gemeinsam.

So verzichtet One Rat Short weitestgehend auf Anthropomorphismus: Die Ratten bleiben, nun ja, Ratten. Keine großen Kulleraugen, keine Hände, kein Dialog. Stattdessen sehen wir eine neugierige Ratte, die, von einer leeren Chipstüte angezogen, den Weg in ein High-Tech-Labor schafft. Dort trifft sie auf viele Artgenossen, die bewacht von einem HAL9000-mäßigen Roboter auf ihr schnelles Ende warten. Glück für sie, dass unser Held, wenn auch eher ungewollt, etwas dagegen hat.

Dass One Rat Short in den vergangenen Jahren immer mal wieder auftauchte und trotzdem nie wirklich den Durchbruch schaffte, ist überraschend. Nicht nur ist die Animation für die damalige Zeit exzellent, auch heute noch kann der Film mit anderen, aktuellen Animationen problemlos mithalten. Zum einen gelingt es den Machern hervorragend, den Kontrast zwischen der heruntergekommen Stadt und dem sterilen Labor einzufangen. Zum anderen gelingt One Rat Short in der kurzen Zeit mühelos der Spagat zwischen Action und Story. Deren Ende dann aber doch menschlich, allzu menschlich ist.