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NBC, eine Webserie und der Anwalt

Der amerikanische Fernsehsender NBC gibt sich gerne modern. Shows wie 30 Rock, The Office oder Parks & Recreation beispielsweise sind beliebt und geschätzt unter der jungen und gebildeten Zielgruppe. Doch wenn es um das Internet geht, zeigt sich NBC dieser Tage weder lustig noch modern noch gebildet. Das musste der Animationsfilmer Travis Richey auf unangenehme Weise erfahren.

Doch von Anfang an. In der erfolgreichen NBC-Comedy-Serie Community gibt es eine fiktive Fernsehserie innerhalb der Sendung namens Inspector Spacetime. Sie erzählt die Geschichte eines britischen Zeitreisenden, die einen der Community-Protagonisten über den Verlauf mehrerer Episoden in seinen Bann zieht.

Wie so oft ist dieser kurze Spoof so beliebt, dass Fans von Community begannen, die Geschichte von Inspector Spacetime weiterzuspinnen. Hier kommt Travis Richey ins Spiel. Er kam nämlich auf die Idee, Inspector Spacetime in einer animierten Webserie umzusetzen – als ein unkommerzielles Projekt von Fans für Fans der Sendung. Das von ihm aufgesetzte Kickstarter-Projekt fand schnell Unterstützer, binnen weniger Tage kamen mehr als 13.000 US-Dollar für die Produktion zusammen.

Doch Unterstützung der Fans war nicht alles, was Richey bekam. Er bekam auch Post von den NBC-Anwälten. Die nämlich sahen in Richeys geplanten Projekt eine Urheberrechtsverletzung und baten ihn, das Projekt doch bitte einzustellen. Richey schreibt:

Lawyers from Sony and NBC have contacted me demanding that I cease production on an Inspector Spacetime web series. Though I firmly believe the law would be on my side in producing this parody, I have no wish or ability to fight a show that I love as much as Community. I had hoped that they would embrace what is essentially a fan film and appreciate the value it adds to the character, and the audience that we would bring who are finding Community for the first time through this character, but alas, that’s not the case. So, I will be removing all references to Inspector Spacetime from this series (it only happened in the title anyway), and altering the appearance of the Inspector so that he does not look like Inspector Spacetime. What remains is 100% the creation of myself, my writing partner, and you, the fans.

Nun zum eigentlichen Irrsinn der Geschichte: Schon Inspector Spacetime ist natürlich weder eine Erfindung von NBC noch der Community-Macher: Es ist eine offensichtliche und gewollte Parodie der britischen Kultserie Doctor Who.

In anderen Worten: NBC versucht hier per Anwalt die Parodie einer Parodie zu untersagen, die wiederum zum großen Teil noch nicht mal ihrem eigenen Hirnschmalz entsprungen ist. Es ist doch immer wieder erstaunlich, mit welcher Chuzpe die altehrwürdigen Fernsehanstalten versuchen, ihre vermeintlichen Rechte durchzusetzen – und damit auch vor den eigenen Fans (d.h. Zuschauern) nicht Halt machen.

Richey jedenfalls lässt sich davon nicht unterkriegen. Er hat kurzerhand sämtliche Referenzen zu Inspector Spacetime gelöscht und nennt sein Projekt jetzt Untitled Web Series About A Space Traveler. Hier ein grobes Storyboard des Konzepts:

PS: Und weil NBC so modern ist, werden sie im Vorfeld der neuen Community-Staffel auch ein Experiment wagen. Es handelt sich um, genau, eine animierte Webserie auf Basis von Community. Facepalm, anyone?

 

„Everything is a Remix“ – endlich komplett

Die Gegner von veralteten Urheberrechtsvorstellungen und Hinterzimmerverträgen können dieser Tage zufrieden sein. Der umstrittene US-Gesetzentwurf Sopa ist vorübergehend gestoppt, gegen das internationale Handelsabkommen Acta wird aktuell europaweit demonstriert. Und doch: Patentkriege, Plagiate, Netzsperren, Abmahnwellen – die Diskussion um das sogenannte „geistige Eigentum“ ist aktueller denn je. Und damit auch die Diskussion darüber, was eigentlich genau dieses Eigentum ist, und ob man es überhaupt „stehlen“ kann, wie es die Rechteinhaber- und Verwalter so gerne behaupten.

Der New Yorker Filmemacher Kirby Ferguson versucht in seiner Webserie Everything is a Remix mit der Mär vom „Originalinhalt“ aufzuräumen. In den ersten drei Episoden zeigte er am Beispiel der Musik-, Film- und Computerbranche, dass der sogenannte „Remix“ kein neues Phänomen ist, sondern seit Jahrzehnten, wenn nicht gar Jahrhunderten, die treibende Kraft der Kulturindustrie ist: Erst wenn wir uns bestehenden Wissens angenommen haben, können wir etwas Eigenes schaffen. Etwas, das wiederum nicht neu ist, sondern vielmehr die Transformation einer Idee. Kreativität ergibt sich vor allem, so Ferguson, aus dem Verbinden von bestehenden Ideen, oder kurz: im Remix. Henry Ford hat das getan, als er zwei bestehende Ideen (das Auto und die Fließbandarbeit) kombinierte, und auch Apple hat sich während der Entwicklung des Macintosh großzügig bei der Konkurrenz bedient.

Fergusons Argumentation ist nicht neu. Aktivisten und Theoretiker wie Lawrence Lessig sprechen sich seit Jahren für eine freie Kultur aus, weil gerade das Internet die alten Konzepte von Eigentum und Urheberrecht auflöst. Und schon die poststrukturalistische Literaturtheorie um Roland Barthes sprach vom „Gewebe von Zitaten“, aus dem der Autor unwissend schöpft – eine Theorie, die sich problemlos auch auf andere kulturelle Sphären erweitern lässt. So genügt beispielsweise ein Blick auf die Kinoszene der letzten Jahre, in der vor allem Fortsetzungen und Adaptionen die größten Erfolge feierten.

Doch viele Rechteinhaber denken noch immer anders. Sie fordern einen Schutz des geistigen Eigentums, den es in dieser Form eigentlich nicht geben kann. Sie argumentieren, häufig unbewusst, gemäß dem Motto: „Kopieren, ja, aber nicht von mir!“.

Genau dieses Dilemma greift Ferguson im letzten und besten Teil von Everything is a Remix mit dem Titel System Failure auf. Auf sachliche und gut verständliche Weise erklärt er, wie Urheber- und Patentreche im vergangenen Jahrhundert auf die vermeintlich falsche Spur geraten sind. Statt, wie ursprünglich gedacht, Innovationen anzustoßen und zu fördern, hat sich die Kultur- und Kreativindustrie in eine Position gebracht, in der Geltungssucht, Profitgier und die Angst vor disruptiven Technologien überwiegt. Entwürfe wie Acta und Sopa sind dabei lediglich die aktuellsten Versuche, fehlgeleitete Annahmen durchzusetzen anstatt sich auf die ursprüngliche Idee der „soziokulturellen Evolution“ zu besinnen: dem Allgemeinwohl.

Abgesehen von dieser Feststellung bleibt Ferguson, der für dieses Jahr ein Projekt über den US-Wahlkampf plant, eine Lösung schuldig. Das ist nicht weiter schlimm und letztlich der Komplexität des Themas geschuldet. Aber auch so ist Everything is a Remix ein guter und wichtiger Beitrag, der deutlich macht, dass neue Überlegungen über unser „geistiges Eigentum“ überfällig sind.

Die ersten drei Episoden der Serie gibt es nach dem Klick.

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Misery Bear am Valentinstag

Schon länger habe ich mich gefragt, wie ich den Misery Bear der BBC hier noch einmal platzieren kann, obwohl er schon zu den gestandenen Persönlichkeiten im Netz zählt. Nehmen wir doch einfach den Valentinstag zum Anlass, um eine klassische Episode aus dem Leben des traurigen Teddybären vorzustellen. Denn er wäre ja nicht der Misery Bear, wenn er nicht traurig wäre, richtig? Und irgendwie kennen wir die Situation ja alle.

 

The Perennial Plate: Ein Roadtrip für die Nachhaltigkeit

Die Geschichte von The Perennial Plate, einer Webserie für „spannendes und nachhaltiges Essen“, beginnt im Herbst 2009 in Minnesota mit einem Geburtstag und einem Schwein. Das nämlich bekommt der Koch und Filmemacher Daniel Klein von seinem Cousin geschenkt – zum Schlachten und anschließenden Zubereiten. Selbst für Klein, der als Koch bereits in namhaften Restaurants wie Heston Blumenthals The Fat Duck aushalf, ist das eine ungewohnte Situation. Doch sie inspiriert den damals 26-Jährigen. Er fragt sich, welche Rolle die eigene Nahrungsproduktion unter seinen Landsleuten überhaupt noch einnimmt – und wie man das Thema spannend umsetzen könnte.

Seine Antwort gibt Klein in Form einer Webserie. Im Februar 2010 begibt er sich gemeinsam mit der Kamerafrau Mirra Fine unter dem Namen The Perennial Plate auf die Suche nach Menschen, die ihr Essen nicht nur im Supermarkt kaufen. In der ersten Staffel fahren die beiden mehrere Monate durch ihren Heimatstaat Minnesota. Seit Beginn dieses Jahres sind sie im ganzen Land unterwegs. Die Route bestimmen die Zuschauer: Über Twitter und Facebook schlagen sie dem Team Projekte und Menschen vor. Viel Vorbereitungszeit bleibt den Machern dabei nicht. Doch das Format lebt von einer improvisierten Herangehensweise, indem sich Klein unvoreingenommen mit den jeweiligen Protagonisten trifft und ihnen – aktiv und vor der Kamera – zur Seite steht.

Rund 80 Episoden haben Klein und Fine, auch dank finanzieller Hilfe mittels Kickstarter, inzwischen produziert. Darin zeigen sie unter anderem, wie man Apfelwein herstellt, fliegende Fische fängt, Hühner in der Großstadt hält, Eichhörnchen zubereitet und Krabben ködert. Die Schauplätze wechseln mit jeder Episode von städtischen Gemüsegärten zu Schlachthöfen, von Öko-Farmen auf Fischerboote. Oft geht es vegetarisch zu, gelegentlich wird es blutig – auch wenn das nicht immer bei allen Zuschauern ankommt. „Uns ist wichtig“, sagt Fine, „alle Seiten der Nahrungsproduktion zu zeigen.“

Und doch geht es in vielen Episoden auch weniger um das Essen als die Menschen, die es zubereiten. In New Orleans beispielsweise sind es Fischer, die im Zuge der Ölkatastrophe um ihre Zukunft fürchten. In Detroit zeigt ein Urban-Gardening-Projekt, wie man dem Zerfall der Stadt entgegenwirken kann. In Arkansas besucht das Team eine Gruppe Hippies, die erfolgreich Pilze züchten.

Gerade diese zwischenmenschlichen und gesellschaftskritischen Inhalte zeigen Kleins Erfahrung als Dokumentarfilmer und Aktivist. Sie sind es, die The Perennial Plate von typischen Lifestyle-Formaten absetzen. So geht es zwar im Kern stets um nachhaltige Ernährung, doch an vielen Stellen werden auch die Probleme deutlich, die den Protagonisten begegnen: Klimawandel, Arbeitslosigkeit und steigender Druck der Lebensmittellobby auf kleine, unabhängige Produzenten. Und letztlich möchte The Perennial Plate nicht nur gutes Essen zeigen, sondern den Menschen bewusst machen, dass es Alternativen zur Supermarktware gibt.

Alle Episoden gibt es auf der Website des Projekts.

 

Das Half-Life-Intro als Kurzfilm

Das Computerspiel Half-Life revolutionierte bei seiner Veröffentlichung im Jahr 1998 das Genre des Ego-Shooters. Eine der heute bekanntesten Szenen ist das minutenlange Intro, in denen die Spieler dem Protagonisten Gordon Freeman auf seinem Weg durch die Black Mesa Forschungsstation folgen, bevor das Spiel schließlich beginnt. Dieses Anfangssequenz hat die Gruppe von InfectiousDesigner nun verfilmt. Das Spieleportal Kotaku schreibt: „It doesn’t really get the feel of the game’s intro, but for fan work it’s still pretty slick.“

Es ist nicht das erste Mal, dass sich InfectiousDesigner dem Half-Life-Universum annehmen. Schon zu Beginn des Jahres brachten sie mit Beyond Black Mesa einen vielbeachteten Fan-Film heraus, der lose auf der Geschichte von Half-Life basiert.

Und nicht zuletzt sei an dieser Stelle auch noch einmal auf Freeman’s Mind hingewiesen – einer Webserie aus dem Jahr 2008, die den Gedanken des pathologisch wortkargen Gordon Freeman auf seinem Weg durch Black Mesa folgt. Das ist mäßig spannend für alle, die Half-Life nicht kennen, aber bei Fans des Spiels dürfte es die ein oder andere Erinnerung wecken.

 

Oddisee: Die Serie mit den Außenseitern

Sie nennen sich Juggalos, Lichtesser oder Furrys. Sie malen sich Clownsgesichter, nähren sich mit Energie oder verbringen ihr Leben als Plüschtier verkleidet. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie gehören Subkulturen an, die sich ihre eigene Realität erschaffen haben und sich in kleinen Gruppen oder Internetforen zusammenfinden. In der Öffentlichkeit sieht man sie dagegen selten – zu groß sind die Vorurteile und das Unverständnis der Mitmenschen.

Annikki Heinemann und Anna Piltz, zwei junge Berlinerinnen, möchten das ändern. Seit knapp einem Jahr porträtieren sie auf oddisee.tv Menschen, die nicht in klassischen Dokumentarfilmen auftauchen. Ohne Kommentar und Erklärungen zeigen die kurzen Filme die Menschen in ihrem Alltag. Was bei einer Gruppe Nacktwanderern in den Alpen durchaus heiter wirkt, weicht in anderen Episoden schnell einer bedrückenden Einsamkeit. Es bleibt die Erkenntnis, dass es sich hier eben nicht um „Freaks“ handelt, sondern um Menschen, denen ihre Eigenart als Ventil dient, um dem Alltag ein Stück zu entfliehen. Den Macherinnen geht es nicht um Bloßstellung, sondern um die Geschichten dahinter. Und tatsächlich sind die Gefilmten häufig ganz anders, als man zunächst erwartet.

ZEIT ONLINE: Oddisee bezeichnet sich als Dokumentation „fernab bekannter Wege“. Woher kam Ihr Interesse an Subkulturen?

Annikki Heinemann: Anna und ich haben zusammen Kulturwissenschaften studiert und unser Studium war thematisch beschränkt auf Hochkultur, Theater und Museum. Wir haben angefangen, uns für das Gegenteil zu interessieren und das dann im Verlauf des Studiums zu unserem Steckenpferd gemacht. Das Interesse an Sub-, Gegen- und Jugendkulturen und auch die Theorie dahinter kam also noch vor dem Filmen.

ZEIT ONLINE: Warum haben Sie sich entschieden, daraus eine Serie im Netz zu machen?

Anna Piltz: Teilweise aus Frustration. Wir hätten das Projekt gerne für das Fernsehen produziert. Aber die Sendeplätze sind so strukturiert, dass Konzepte, die keine Stimme aus dem Off haben, die nicht mit dem Finger zeigen und erklären, einfach keinen Platz finden. Wir haben uns entschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Das Internet war die nächstliegende Option.

Heinemann: Die Redakteure und Produzenten, die beim Fernsehen sitzen, sind doch sehr konservativ und wenig offen Leuten gegenüber, die nicht schon 50 Projekte vorzuweisen haben. Wir hatten mit einigen Leuten gesprochen und es hieß häufig, das Thema sei „zu spitz“ und nicht fernsehtauglich. Aus finanzieller Sicht ist es jetzt natürlich schwieriger. Um mit so etwas im Netz Geld zu machen, braucht man utopisch hohe Klickzahlen. Dafür sind wir aber nicht kommerziell genug.

ZEIT ONLINE: Wie findet man die Menschen, die von Ihnen porträtiert werden?

Heinemann: Das ist sehr unterschiedlich. Meistens versuchen wir, die Leute über Foren zu finden. Wenn wir sie erst angesprochen haben, reagieren die meisten überraschend positiv. Das liegt vermutlich auch daran, dass wir eben eine Indie-Produktion sind und nicht RTL, wo die Leute meist vorgeführt werden.

Piltz: Viel Recherche gehört dazu. Wir sind teilweise tage- oder wochenlang in Foren unterwegs, in Chats und in E-Mail-Kontakt mit Leuten. Während der Dreh und das anschließende Schneiden meist an einem oder zwei Tagen oder einem Wochenende durch ist, brauchen wir manchmal drei Monate, um die richtigen Personen zu finden. Wir müssen das natürlich immer auch mit unserer normalen Arbeit abstimmen.

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2/28 – Eine Webserie über HIV

Am 28. Februar 2008 erfuhr der damals 26-jährige Benjamin M. Piety aus Los Angeles, dass er mit dem HI-Virus infiziert ist. Noch am gleichen Tag begann er, zunächst anonym, darüber zu bloggen. Fast auf den Tag genau ein Jahr lang schrieb er von hoffnungsvollen Arztbesuchen, von seinen Ängsten, von zerrütteten Beziehungen mit Freunden und ehemaligen Liebhabern. Two Twenty Eight wurde in kurzer Zeit zu einem der bekanntesten und persönlichsten Blogs, die sich um das Thema HIV und Aids drehten.

Drei Jahre später geht es Piety gut. Seine Viruslast ist weiterhin unauffällig, er ist gesund und arbeitet als Filmemacher. Kurz, er hatte Glück: Sein Leben geht weiter – auch mit der Krankheit.

In der Webserie 2/28 greift Piety seine eigene Geschichte – und die seines Blogs – nun erneut auf. In einer Mischung aus Dokumentation und Fiktion verfolgt die Serie das Leben des Erzählers vom Zeitpunkt der Diagnose an. Die einstigen Blogeinträge bilden dabei den Rahmen. Sie werden, größtenteils im Original-Wortlaut, aus dem Off vorgelesen. Zwischen die Blog-Passagen ist eine fiktionale Geschichte verwoben, in der es für den Erzähler, gespielt von Daniel Taylor, ein zusätzliches Problem zu lösen gilt: Ein kleiner Junge tritt, ähnlich wie die Krankheit, in sein Leben – plötzlich, ungefragt und scheinbar ohne Logik. Der Erzähler muss sich auf beide unerwünschte Gäste einstellen, die im Kern das gleiche Problem darstellen.

2/28 ist eine ebenso experimentelle wie nachdenkliche Serie, die auf kreative Weise die emotionalen Auswirkungen einer HIV-Diagnose auf den Betroffenen zeigt. Ursprünglich als Spielfilm gedacht, hat sich das Format der Webserie für Piety als ideales Medium entpuppt: Das Episodenhafte spiegelt die Entwicklung des Blogs und die Erfahrung des Erzählers wider und lockert die längeren Monologpassagen auf, die nie ermüdend wirken, sondern ähnlich eindringlich sind wie seine Blogeinträge.

Und natürlich ermöglicht die Veröffentlichung im Netz den direkten Austausch mit Zuschauern. Denn letztlich geht es Piety nicht bloß um Vergangenheitsbewältigung. Die Serie soll vor allem auch über die Krankheit und deren Verarbeitung informieren. Schon das fantastische Intro zeigt, welch wichtiger Beitrag 2/28 zu einem noch immer schwer zu behandelnden Thema ist.

Bislang sind sieben von 25 Episoden erschienen. Alle bisherigen und künftigen Folgen gibt es auf der Website oder im Vimeo-Kanal.

 

Ihre Neurosen sind der Star!

Der folgende Artikel von Nina Pauer ist in der ZEIT 41/2011 erschienen.

Sie leiden unter Neurosen? Ab ins Netz damit! Ein paar Klicks, das mentale Problemchen geht online und – verschwindet. „Ihre Neurosen sind der Star!“, propagiert die Expositionsmaßnahme nach Verbier, die die klassische Methode der Konfrontation mit den eigenen Spleens nun um die Zurschaustellung im Internet erweitert und als neuestes Heilsversprechen der modernen Psychotherapie bereits nach einigen Wochen im Netz beachtliche Erfolge zu verbuchen scheint.

Wie genau die virtuelle Spontanheilung funktioniert, macht ihr ominöser Erfinder, der Kölner Therapeut Dr. Hanno Verbier persönlich vor. Auf Facebook und auf YouTube demonstriert der Doktor mit Glatze und Cordanzug, wie sein Methodenmix aus Gesprächs-, Verhaltens- und Experimentaltherapie bei Gert, dem „Patienten Null“ anschlägt. Einmal die Woche wird an ihm exerziert, was die Demonstrationsfilmchen auf Verbiers Website versprechen: Der Mensch überträgt die Auseinandersetzung mit seinem Leiden per Video ins Internet, wo es sich langsam – „im Verhältnis 1:Bodensee“, wie die sonore Stimme Verbiers die Infografik erläutert – auflöst.

Nicht gerade gering war die Verwirrung, als das von der Film- und Medienstiftung NRW geförderte Onlinekunstwerk des Pseudotherapeuten Dr. Hanno Verbier, dargestellt vom Schauspieler Hanns Zischler, erstmals online ging. So seriös ist sein Internetauftritt inszeniert, dass Zischler für eine wahre Figur gehalten und seine Methoden in Psychologieforen ernsthaft diskutiert wurden. Mittlerweile sind Verbier und sein Patient Gert allerdings als fiktiv entlarvt worden und dafür zu Webstars avanciert. Elf Sitzungen gibt es bereits online zu sehen, von der Konfrontation mit der Höhenangst, die sich in der nächsten Sitzung als „Höhlenangst“ (die Urangst vor der Mutterhöhle) entpuppte, bis zur hypnotischen Reise ins gemeinsam gebaute Fantasieland. Pannen sind dabei Standard: Gerts Abgrenzung zum eigenen Vater scheitert fast daran, dass der Therapeut vor lauter Sympathie mit dem Alten vergisst, seinen Patienten daran zu erinnern, wie gesund es wäre, den Kontakt zu ihm für immer abzubrechen.

Zischlers Filmchen beflügeln das neue Genre der Webserie. Ihre Stärke liegt in der gnadenlosen Ernsthaftigkeit. Der Klamauk wird unvorbereitet eingestreut, nie zuckt auch nur der Mundwinkel der Schauspieler, die mit dem Kontrollverlust der eigenen Psyche Pingpong spielen. Verbier, der Onlinetherapeut, schafft es nicht nur, den zeitgenössischen Pathologisierungs- und Therapierungswahn auf die Schippe zu nehmen, indem er das humoristische Potenzial im Psychologenvokabular ausspielt. Er karikiert auch das ewige Ausstellen der User im Netz, der „Weltgemeinde WWW“, wie er sie nennt, wobei ihm gerne mal ein „W“ zu viel rausrutscht. Es ist dieser zwischen Pseudoprofessionalität und völligem Irrsinn changierende Tonfall, der Verbiers Therapie so komisch und die Neurosen tatsächlich zum Star macht. (Nina Pauer)