Lesezeichen
 

Merkels Werk und Steinbrücks Beitrag

Henrik SchoberAngela Merkel möchte, so ist derzeit zu lesen, Peer Steinbrück aus Dankbarkeit für die gute Zusammenarbeit beim Management der Finanzkrise für einen prestigeträchtigen Job vorschlagen, falls die SPD nach der Bundestagswahl nicht mehr an der Regierung beteiligt sein sollte. Und wie bei fast allen politischen Meldungen dieser Tage stellt sich die Frage: Hat das Auswirkungen auf den Wahlkampf?

Jedenfalls passt die Nachricht ins Bild des bisherigen Wahlkampfes der Bundeskanzlerin, der zuletzt als zu wenig aggressiv und konfrontativ kritisiert wurde. Vor diesem Hintergrund sehen vermutlich einige Wahlkämpfer diesen neuen Beweis für das trotz jüngster Attacken bis zuletzt gute Klima in der Großen Koalition kritisch. Auch mancher (Nicht-)Wähler könnte sich in seiner Meinung bestätigt sehen, dass es zwischen den Parteien und ihren Kandidaten keine klaren Unterschiede gibt. Aus dieser Perspektive könnte man vermuten, dass hier eine interne Absprache zwischen Merkel und Steinbrück ungewollt nach außen gedrungen ist.

Möglicherweise steckt aber auch ein gewisses Kalkül dahinter, dass diese Information schon heute (also vor und nicht erst nach der Wahl, wenn Personalfragen üblicherweise verhandelt werden) aus dem CDU-Umfeld an die Öffentlichkeit gelangt ist. Immerhin stellt eine solche Nachricht die Kanzlerin einmal mehr als Staatsfrau dar, die jenseits der Parteigrenzen agiert und – ganz im Sinne des Volkes, das Steinbrücks Krisenmanagement schätzt – gute Arbeit ungeachtet des Parteibuches belohnt. Dieses Bild passt zur Wahlkampfstrategie der Union, die bisher vor allem auf die überparteiliche Beliebtheit der Person Angela Merkel und ihre damit verbundene Strahlkraft auf die anderen politische Lager ausgelegt war.

Schon Gerhard Schröder hat sich eines ähnlichen Kunstgriffes bedient, als er in seiner Regierungszeit zwei Kommissionen unter der Führung prominenter Unionspolitiker, Rita Süßmuth und Richard von Weizsäcker, einsetzen ließ. Auch dies war nicht zuletzt ein Versuch, sich gerade im Unionslager als „Kanzler aller Deutschen“ zu profilieren. Und tatsächlich stand Schröder zumindest phasenweise auf einer Stufe mit Kanzlern wie Konrad Adenauer oder Helmut Schmidt, deren persönliche Beliebtheit sehr tief in das gegnerische politische Lager hineinreichte.

Für Angela Merkel bietet sich nun die Möglichkeit, kurzfristig noch auf ähnliche Weise im Lager der SPD zu punkten. Laut aktuellem Politbarometer stehen nur 60% der SPD-Anhänger hinter Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier, im Vergleich dazu unterstützen 92% der CDU/CSU-Anhänger die Kanzlerin. Hier ist aus Sicht der Union großes Potenzial für eine Kampagne vorhanden, die sich gerade an jene SPD-Anhänger richtet, die aufgrund des Kandidatenfaktors noch nicht sicher sind, wo sie ihr Kreuz setzen werden. Wenn gerade diesen Wählern demonstriert werden könnte, dass sozialdemokratische Spitzenpolitiker wie Peer Steinbrück auch unter einer schwarz-gelben Regierung zur Geltung kommen würden, könnte dies Angela Merkel und der CDU wertvolle Stimmen einbringen.

 

Dieser Twitter und die Arroganz der Macht

Schon lange war sich die große Koalition nicht mehr so einig wie nach der Verbreitung angeblicher exit poll-Ergebnisse über diesen twitter . Die CSU mahnt die Meinungsforscher zur Geheimhaltung, weil sonst Wahltagsbefragungen nicht länger erlaubt würden, während die CDU mit schärferen Sanktionen gegen twitter vorgehen möchte. Und Frau Zypries von der SPD befindet, daß es „kein Schaden für die Demokratie“ wäre, wenn durch eine Verschärfung des Bundewahlgesetzes das Instrument der Wahltagsbefragung schlichtweg abgeschafft würde.

Daß sich gerade die Bundesjustizministerin in dieser Weise öffentlich äußert, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, da hier gleich drei von Artikel 5 des Grundgesetzes garantierte Grundrechte zur Disposition stehen: das Recht, sich in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern, das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten sowie die Freiheit von Forschung und Wissenschaft, die nach den Vorschlägen der Koalition durch einfachgesetzliche Verbote noch weiter beschränkt werden sollen.

Daß die Kenntnis von Wahltagsbefragungen bzw. Wahlergebnissen (in den USA) vermutlich keinen Einfluß auf das Wahlverhalten hat, wurde in diesem Blog schon häufiger erwähnt. Aber selbst wenn es solche Effekte gäbe: Mit welchem Recht sollte man rationalen Wählern Informationen über den bisherigen Verlauf der Wahl vorenthalten? Warum sollen freie Bürger nicht taktisch wählen dürfen, wenn sie dies wollen?

Dazu gibt es sogar einige Zahlen: Eine Umfrage im Vorfeld der Bundestagswahl 2005, die von der Forschungsgruppe Wahlen durchgeführt wurden, zeigt dazu, dass damals rund 40 Prozent der Befragten angaben, sich „sehr stark“ oder „stark“ für Meinungsumfragen zur Bundestagswahl zu interessieren. Rund 60 Prozent taten dies nach eigenen Angaben „weniger stark“ oder „überhaupt nicht“. Von den Befragten, die sich zumindest ein wenig für die Umfragen interessieren, sagen dann über 80 Prozent, dass diese keinen Einfluss auf ihre Entscheidungen nehmen, für knapp 15 Prozent spielen Umfragen „eine gewisse“, für rund fünf Prozent sogar eine „große Rolle“. Und das sind häufig Anhänger kleiner Parteien, die in der versuchen, „taktisch“ zu wählen. So viel zu den Zahlen.

Für das im Bundeswahlgesetz enthaltene Verbot der Veröffentlichung von Wahltagsbefragungen gibt es eine einzige scheinbar plausible Begründung: Gefälschte Wahltagsbefragungen könnten genutzt werden, um das Verhalten der Wähler gezielt zu manipulieren. Bei näherer Betrachtung ist jedoch auch dieses Argument wenig stichhaltig: Seriöse Umfrageunternehmen haben ein intrinsisches Interesse daran, möglichst akurate Prognosen zu publizieren, weil ihr guter Ruf ihr wichtigstes Kapital ist, und weisen stets auf den unvermeidlichen Stichprobenfehler und andere Fehlerquellen hin. Und Bürger, denen man zubilligt, daß sie erwachsen genug sind, um an der Wahlurne über das Schicksal des Landes zu entscheiden, werden sich nicht von frei erfundenen Meldungen aus dubiosen Quellen beeinflussen lassen.

Das Veröffentlichungsverbot für Wahltagsbefragungen sollte deshalb gänzlich abgeschafft werden. In seiner jetzigen Form schränkt es die Informationsfreiheit der Bürger ein und dient primär dazu, den
Informationsvorsprung zu schützen, den ausgewählte Journalisten und Spitzenpolitiker am Wahltag haben. Daß letztere Gruppe das Veröffentlichungsverbot nun verschärfen möchte, wirft ein Schlaglicht
auf deren Demokratieverständnis.

 

2005: Mit Insiderwissen aus Exit Polls Kasse gemacht!

Wahltagsbefragungen (vulgo: Exit Polls) sind derzeit in aller Munde – vor allem wegen der vermeintlichen Gefahr von Manipulationen in Fällen, in denen die Ergebnisse solcher Befragungen frühzeitig veröffentlicht werden, zum Beispiel über „das Plauderforum“ (FAZ von heute) Twitter. Die Diskussion, darauf ist hier schon mehrfach hingewiesen worden, ist aus mehrerlei Gründen bemerkenswert: Einerseits weil es die Frage der Gleichheit aller Wahlberechtigten berührt (wer darf vorab die Ergebnisse wissen, wer nicht – und warum eigentlich?), andererseits weil wissenschaftliche Studien bislang keine stabilen, einseitigen Effekte von Umfrageveröffentlichungen auf Wahlentscheidungen nachweisen konnten. Viel Rauch um Nichts also?

Doch Vorsicht – zumindest für 2005 scheint es Insider gegeben zu haben, die die Ergebnisse von Wahltagsbefragungen kannten und dieses Insiderwissen auch zu ihren Gunsten genutzt haben. Werfen wir dazu einen Blick auf die Kurse der FDP in der Wahlstreet – einer Wahlbörse, die im Vorfeld der Bundestagswahl gelaufen ist.

Am Wahltag um 16.00 Uhr – Gerüchten zufolge war dies zumindest früher ungefähr der Zeitpunkt, zu dem den Parteien erste Ergebnisse aus den Wahltagsbefragungen zugeleitet wurden – schießt der Kurswert der FDP-Aktie um fast zwei Punkte in die Höhe, nachdem er in den Stunden und Tagen zuvor recht konstant um acht Prozent plätscherte. Das schreit doch sehr nach Insiderwissen…

 

Über Schaden und Nutzen von Exit Polls

Es gibt für sie nur unschöne Bezeichungen wie Wahlnachfragen, Wahltag- oder Wahltagsbefragungen. In exit polls werden am Wahltag Wähler, die gerade das Wahllokal verlassen haben (exit), mit einem Kurzfragebogen nach ihrer Wahlentscheidung, einigen wenigen möglichen Erklärungen hierfür und nach zentralen sozio-demographischen Merkmalen wie Geschlecht, Alter, Berufsgruppenzugehörigkeit etc. befragt (poll). Die Umfrageinstitute und Fernsehsender erstellen auf der Grundlage dieser Daten ihre sogenannten 18-Uhr-Prognosen, und auch für die ersten Hochrechnungen werden diese Daten immer noch mitverwendet. Darüber hinaus ermöglichen die Exit-Poll-Daten erste Einblicke in die Hintergründe der Wahl, vor allem im Kontrast zu Ergebnissen der jeweiligen exit poll bei der Vorwahl. So ließ sich zum Beispiel in den letzten Jahren immer sehr schön zeigen, wie die Linke sukzessive bei Arbeitslosen erfolgreich wurde, bei denen zuvor die SPD dominierte.

Aufgrund des Durchsickerns von Ergebnissen einiger Exit-Poll-Daten, das in diesem Blog schon länger und wiederholt von Thorsten Faas thematisiert wurde und deshalb hier per se nicht mehr diskutiert werden muss, entbrannte nun eine Diskussion über ein mögliches Verbot der Wahlnachfragen. Man müsse sicher gehen, so die Argumentation, dass jeder Wähler bis zur Schliessung der Wahllokale seine Stimme ohne Kenntnis von Zwischenergebnissen abgeben kann. Dies ist grundsätzlich ein ehrenwertes Ansinnen, das mindestens zwei Fragen nach sich zieht: 1. Beeinflusst die Kenntnis von (Zwischen)Ergebnissen die Wahlentscheidung? 2. Ist der mögliche Schaden der exit polls größer als ihr Nutzen?

Zur ersten Frage lässt sich sagen, dass eine gewisse Beeinflussung nicht auszuschliessen ist. Ein oft zitiertes Beispiel sind die USA. Hier werden nach der Schließung der Wahllokale an der Ostküste die Ergebnisse der dortigen exit polls veröffentlicht. In vielen anderen Bundesstaaten wissen also diejenigen Wähler, die bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewählt haben, wie in anderen Landesteilen gewählt wurde. In diesem Zusammenhang gibt es im Kern zwei Effekte: Scheint die Wahl deutlich auszugehen, dann ist der Anreiz, noch zu wählen, gering. Ist es knapp, dann mag erst recht jede Stimme zählen. Beide Effekte, die primär Beteiligungseffekte sind, wurden schon beobachtet.

Zur zweiten Frage wird von den Umfrageinstituten gerne auf den wissenschaftlichen Nutzen der exit polls verwiesen. Dieser ist, nüchtern betrachtet, moderat. Ohne Zweifel einmalig sind die hohen Befragtenzahlen von 20.000 Wählern und mehr, verglichen mit 1.000 bis 2.000 Befragten in üblichen Umfragen. Andererseits sind die Exit-Poll-Fragebögen in Deutschland (anders als bspw. in den USA) mit ein bis zwei Seiten sehr kurz, so dass nur sehr wenige Fragen aufgenommen und später zur Kommentierung und Teil-Analyse des Wahlergebnisses herangezogen werden können. Ohne Umfragedaten, die vor und nach der Wahl erhoben werden, lassen sich die Wahlergebnisse nicht wirklich gut erklären. Darüber hinaus werden Exit-Poll-Daten, anders als viele Umfragedaten, der Wissenschaft nicht oder nur in Ausnahmefällen zur Sekundäranalyse zur Verfügung gestellt. Und für die Umfrageinstitute ist die Wahl spätestens mit der Erstellung ihrer Wahlberichte ein bis zwei Wochen nach der Wahl „gelaufen“. Die Exit-Poll-Daten, deren Erhebung sehr viel Geld kostet (und im Übrigen von uns allen durch die Rundfunk- und Fernsehgebühren mitfinanziert werden), verschwinden in den Schubladen der Institute. Sie dienen ihnen primär als Ausweis dafür, wie „exakt“ sie das Wahlergebnis bereits um 18 Uhr „vorhersagten“ – nett, aber, wie Justizministerin Zypries bereits anmerkte, nicht wirklich wichtig, wenn bereits zwei bis drei Stunden später ein vorläufiges Endergebnis vorliegt.

Welche Schlüsse sollte man also ziehen? Exit Polls verbieten? Ich würde sagen: Nicht das Kind mit dem Bade ausschütten! Wer über Zwischenergebnisse plappert, sollte ernste Konsequenzen zu fürchten haben. Aber auch der Nutzen der exit polls sollte gesteigert werden. Letzteres bedeutet, dass das Instrument mehr Analysemöglichkeiten eröffnen, d.h. die Befragungen umfangreicher werden sollten. Dies macht aber nur dann Sinn, wenn die Fernsehanstalten schon früh am Wahlabend Analysen auf dieser Datengrundlage anbieten und nicht die erste Stunde primär mit Interviews von Wahlparties, mit Politikern und ein paar Hochrechnungen füllen. Und schliesslich – sozusagen ein Hinweis in eigener Sache – müssten zumindest die Exit-Poll-Daten der öffentlich-rechtlichen Anstalten auch der Wissenschaft zur Analyse zur Verfügung gestellt werden. Zeitnah. Ohne Wenn und Aber.

Literaturhinweise:

Jürgen Hofrichter (1999): Exit Polls and Election Campaigns, in Newman (Hg.).: Handbook of Political Marketing.
Warren J. Mitofski (2000): Exit Polls, in: Rose (Hg.): International Encyclopedia of Elections.
Andreas M. Wüst (2002 u.a.): Exit Poll, in: Nohlen/Schultze (Hg.): Lexikon der Politikwissenschaft, Bd. 1.

 

Die Schicksalsfrage

Die Bildungspolitik ist traditionell ein prominentes Wahlkampfthema. Zur Bundestagswahl 2009 jedoch scheint sich nun jedoch ein Sprung in die Riege jener Themen abzuzeichnen, die nicht nur eifrig diskutiert werden, sondern tatsächlich wahlentscheidend sind. Einer Forsa-Studie für die Zeitschrift „Eltern“ zufolge schreiben 86 Prozent der Befragten dem Bereich „Familie, Kinder, Bildung“ einen mindestens genauso großen Stellenwert zu, wie den klassischen Wahlkampfschlagern Arbeit und Wirtschaft. Für die repräsentative Umfrage wurden Eltern minderjähriger Kinder interviewt, es handelt sich also um eine auch zahlenmäßig starke (Ziel-)Gruppe.

Die Politik hat sich darauf eingestellt: Bildung ist fester Bestandteil der aktuellen Plakatkampagnen der Parteien und die Spitzenpolitiker betonen gebetsmühlenartig den besonderen Stellenwert von Schule, Kinderbetreuung und Ausbildung. Angela Merkel hat bereits im Jahr 2008 ein deutliches Zeichen gesetzt und die „Bildungsrepublik Deutschland“ zu einem zentralen Projekt ihrer Regierung erklärt. Dieses Ziel ist nun eine tragende Säule ihres Wahlkampfes. Ihr Herausforderer Frank-Walter Steinmeier hält die Bildungspolitik gar für die „Schicksalsfrage der Nation“, und die Oppositionsparteien prangern erwartungsgemäß Versäumnisse der Großen Koalition in diesem Bereich an.

Da ist es nicht weiter verwunderlich, dass Studien und Statistiken aus dem Bereich der Bildungsforschung schnell Eingang in den Wahlkampf finden. So lesen etwa die Unionsparteien die Ergebnisse des jüngst erschienenen „Bildungsmonitors“ der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft als Bestätigung ihrer Bildungspolitik – immerhin belegen von ihnen regierte Länder die ersten fünf Plätze der Tabelle. Aus sozialdemokratischer Perspektive hingegen zieht man den Blick auf das „Dynamik-Ranking“ vor, das die relativen Verbesserungen der Länder abbildet. Hier liegen auch einige sozialdemokratisch geführte Länder auf den vorderen Plätzen und das rot-schwarz-geführte Mecklenburg-Vorpommern steht mit weitem Abstand an erster Stelle. Ein schöner Zufall für die Sozialdemokraten ist zudem, dass dort Manuela Schwesig als Sozialministerin wirkt – jene Frau also, die als Shootingstar im Kompetenzteam Steinmeiers gehandelt wird.

Gesamtbewertung der Bundesländer im Zeitablauf

Quelle: Bildungsmonitor der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (Graphik kann durch Anklicken vergrößert werden)

Just sie hat aber jüngst betont, was sonst gerne übersehen wird: Dass es nämlich zwischen den einzelnen Bereichen der Sozialpolitik nicht nur viele Berührungspunkte, sondern auch Grenzen gibt. Ihr ging es um den Unterschied zwischen Frauen- und Familienpolitik; für die Bildungspolitik ist diese Erkenntnis aber mindestens ebenso zutreffend. Wirtschaft, Integration, Familienförderung, Arbeitsmarkt, Demographie – all diese Themen und die damit verbundenen Probleme werden derzeit mit der Bildungspolitik verbunden. Politiker aller Parteien versprechen schnelle Besserung hier durch bessere Bildung da. Selten wird jedoch erwähnt, dass Kitas, Kindergärten, Schulen, Hochschulen und Ausbildungsbetriebe mit diesem Aufgabenkatalog überfordert sein könnten. Im Wahlkampf spielt das meist nur eine Rolle, wenn es um die unzureichende Ausstattung der Einrichtungen oder die Frage der Finanzierung geht.

Am Geld alleine jedoch kann es nicht liegen, der „Bildungsmonitor“ konnte keinen Zusammenhang zwischen dem BIP eines Landes oder dem Einkommen seiner Bürger und seiner Leistung im Bildungsbereich feststellen. Eher lässt sich sogar die leichte Tendenz ausmachen, dass die wirtschaftlich schwächeren Länder etwas bessere Werte erzielen, wobei hierbei natürlich verschiedenste regionale Besonderheiten zu berücksichtigen sind. Nichtsdestotrotz weist dies darauf hin, dass es der Politik oftmals nicht nur am Geld, sondern auch an den passenden Konzepten fehlt.

Und so spitzt sich die Debatte derzeit auf eine wahlkampftaugliche Ja-oder-Nein-Frage zu: Soll der Bund in der Bildungspolitik wieder mehr Einluss erhalten? 91 Prozent der von Forsa befragten Eltern befürworten das. Die SPD nutzt die Gunst der Stunde und macht sich für die Abschaffung des Kooperationsverbotes zwischen Bund und Ländern stark – obwohl sie es im Rahmen der Föderalismusreform (nach einigen Protesten) mitgetragen hat.

Die Themenhoheit im Bereich der Bildungspolitik ist zwischen den Parteien hart umkämpft. Das ist keine besonders gute Voraussetzung für einen inhaltlichen Austausch jenseits plakativer Forderungen und polarisierender Debatten. Trotzdem sollte man versuchen, die derzeitige Prominenz des Themas für zukunftsweisende Reformprojekte zu nutzen.

 

Prognosen sind Wissenschaft – aber ohne Umfragedaten geht es wohl nicht

Letzte Woche hat Thomas Gschwend in diesem Blog eine vorläufige Prognose für den Ausgang der Bundestagswahl 2009 abgegeben. Gemeinsam mit seinem Kollegen Helmut Norpoth wagt Gschwend zum dritten Mal in Folge eine solche Prognose. Sie basiert auf einem wissenschaftlichen Prognosemodell, das einsehbar und dessen Ergebnis damit für jeden Außenstehenden nachvollziehbar ist.

Modelle wie dieses und der Mut zu einer Publikation vor der Wahl sollten uneingeschränkt gewürdigt werden. Zu Wissenschaft gehört es nicht nur, ex post zu erklären, warum eine Wahl wie ausgegangen ist, sondern auch, seriöse Prognosen abzugeben – in der Wirtschaftswissenschaft (siehe zum Beispiel die Prognosen der „Wirtschaftsweisen“) ist dies gang und gäbe. Prognosen können, und das ist das Risiko dabei, von der Realität (der Wahl selbst) gestützt oder widerlegt werden. In den Jahren 2002 und 2005 lagen die Wahlforscher richtig, und das lange vor und teilweise in Widerspruch zu den Ergebnissen und Aussagen führender Umfrageinstitute und deren „Pollster“. Dass diese zunächst spöttelten, verwundert nicht. Doch auch aus der Profession erhielten die Forscher wenig Beifall: öffenlichkeitswirksame Auftritte sind vielen Kollegen erst einmal suspekt, und insgeheim hofften wahrscheinlich nicht nur die Umfrageinstitute auf ein Scheitern des Modells. Quod esset demonstrandum!

Viel spricht dafür, dass Norpoth und Gschwend auch 2009 Recht behalten werden, auch wenn ein Erfolg dieses Mal weit weniger spektakulär wäre. Die Wiederwahl Schröders 2002 und die Große Koalition 2005 vorherzusagen, waren mutig, denn die (unreflektierten) Ergebnisse auf die hypothetische Wahlabsichtsfrage ließen einen Erfolg von CDU/CSU und FDP erwarten. Im Gegensatz dazu sprechen die demoskopischen Befunde 2009 (erneut) für einen Machtwechsel, die „Zauberformel“ diesmal allerdings auch.

Viel hängt nach der Prognoseformel vom sogenanten „Horse Race“ ab, dem bevorzugten Kanzler. Bei einer so deutlichen Unterlegenheit des Herausforderers (derzeit 25:62 im ZDF-Politbarometer) wäre alles andere als ein Sieg der Kanzlerin und ihrer Wunschkoalition mit der FDP eine Überraschung. Dennoch bleibt sowohl in der Umfrage-Realität als auch im Prognosemodell eine Hintertür offen: 50,6 Prozent bedeuten nicht, dass das Rennen – oder sagen wir besser die Wahl – schon gelaufen ist. Verschiedene Möglichkeiten, vor allem über Themenkompetenz und Mobilisierung noch aufzuholen, wurden in mehreren Beiträgen dieses Blogs bereits aufgezeigt.

Gschwend und Norpoth werden allerdings, wie bei den letzten beiden Wahlen auch, erst Mitte August eine endgültige Prognose für den Wahlausgang abgeben. Warum das? Kann das Modell doch weniger als postuliert wird? Nun ja, sagen wir es einmal so, es ist nicht ganz von kurzfristigen Entwicklungen unabhängig. Denn für die Prognose bedarf es eines kurzfristigen Indikators, den nur Umfragedaten liefern können: die Kanzlerpräferenz. Wahrscheinlich könnte es auch ein anderer kurzfristiger Indikator sein, den man allerdings wieder über Umfragen integrieren müsste: die Bewertung der Regierung, der Parteien oder gar die Wahlabsicht?

Ohne Umfragedaten, deren Erhebung und Publikation zurecht kritisch hinterfragt werden, geht es auch bei der „Zauberformel“ nicht. Dass hierfür nicht Daten verwendet werden müssen, die erst kurz vor der Wahl erhoben werden, spricht für die Erkenntnisse der Wahlforschung und deren Integration in das Modell. Die Wahlforschung weiss, dass es in den letzten Wochen vor der Wahl die Regierung und der amtierende Kanzler bzw. die amtierende Kanzlerin ist, die den Vorsprung vor der Opposition und dem Herausforderer normalerweise ausbauen. Verkompliziert wird die Lage dieses Mal dadurch, dass die Opposition nicht den Herausforderer stellt, sondern der mit auf der Regierungsbank sitzt. Die bisherigen Erkenntnisse darüber, was passiert, wenn Große Koalitionen zu einer Wahl antreten, sind gering und partiell widersprüchlich. Deshalb wird die Bundestagswahl 2009 nicht nur für die Zauberformel eine recht interessante Wahl werden.

 

Merkel macht’s: Eine Prognose zum Wahlausgang

Bei der Bundestagswahl im Herbst zeichnet sich eine neue Mehrheit ab unter Leitung der amtierenden Regierungschefin. Die Deutschen mögen Merkel. Die aktuellen Popularitätswerte der ersten Kanzlerin in der Geschichte der Bundesrepublik sind im Vergleich zu denen ihres Herausforderers, Frank-Walter Steinmeier, auf einem historischen Hoch. Seit der Wiedervereinigung war der Abstand zwischen den Popularitätswerten eines amtierenden Kanzlers und des Herausforderers noch nie so groß gewesen. Sofern die Popularitätsraten der Spitzenkandidaten vom Frühjahr stabil bleiben, wird Merkels Popularität entscheidend sein, um einer von ihr geführten CDU/CSU-FDP-Koalition eine absolute Mehrheit der Zweitstimmen zu sichern.

Diese Einsicht verdanken wir einem von uns entwickelten Prognosemodell, das sich bei den letzten beiden Bundestagswahlen bewährte. Abgeleitet von theoretischen Ansätzen zur Erklärung von Wahlverhalten haben wir ein statistisches Modell entwickelt, das bereits im Sommer vor den letzten beiden Bundestagswahlen 2002 und 2005 exakte Vorhersagen liefern konnte und auf den richtigen Sieger tippte, während die Ergebnisse der Meinungsforschungsinstitute, basierend auf den Umfragewerten der Parteien, daneben lagen. Unser Verfahren lieferte einen Monat vor der Wahl sogar genauere Werte für die Regierungskoalitionen als alle etablierten Meinungsforschungsinstitute, einschließlich deren 18-Uhr-Prognosen am Wahlabend selbst.

Für die Entwicklung unseres Vorhersagemodells fragten wir uns, was wir aus den zurückliegenden Bundestagswahlen in der Geschichte der Bundesrepublik lernen können. Uns interessierte dabei besonders der gemeinsame Stimmenanteil der jeweiligen Regierungskoalition. Dies verwandelt die Wahlentscheidung zwischen beliebig vielen Parteien in zwei handliche Hälften: die Wahl für oder gegen die Regierung. Weil die amtierende Regierung sich selbst als Notlösung sieht, nachdem keines der politischen Lager 2005 eine Regierungsmehrheit auf sich vereinen konnte, sagen wir für die kommende Bundestagswahl den Stimmenanteil der von der Kanzlerinnenpartei präferierten Regierungskoalition bestehend aus CDU, CSU und FDP voraus.

Ob auf einen Sieg einer solchen Koalition gehofft werden darf, erklären wir mit dem Zusammenwirken von lang-, mittel- und kurzfristigen Einflussfaktoren. Da ist zunächst erstens der langfristige Wählerrückhalt der Regierungsparteien – gemessen als durchschnittlicher Wahlerfolg bei den vorangegangenen drei Bundestagswahlen. Hinzu kommt zweitens der mittelfristig wirksame Prozess der Abnutzung im Amt – gemessen durch die Zahl der Amtsperioden der Regierung. Drittens geht die Popularität des amtierenden Kanzlers ein, gemessen als mittlerer Wert jeweils ein und zwei Monate vor einer Bundestagswahl. Mit Hilfe statistischer Analyseverfahren können wir das Zusammenwirken dieser drei Faktoren und deren Gewichtung für die Stimmabgabe zu Gunsten einer Regierungskoalition äußerst genau bestimmen.

Bis auf den Wert der Kanzlerunterstützung kurz vor der Wahl liegen alle benötigten Modellwerte bereits vor. Es ist jedoch noch nicht möglich, schon heute eine exakte Prognose für den Ausgang der Bundestagswahl im Herbst zu erstellen. Die kann es nach der Logik unseres Modells erst Mitte August geben. Allerdings können wir auf Grund hypothetischer Popularitätswerte der Bundeskanzlerin, die sie kurz vor der Wahl im Vergleich zu Ihrem Herausforderer genießen könnte, schon heute sehen, welches Ergebnis unser Modell dann vorhersagen würde.

Nach den letzten veröffentlichten Politbarometern vom Mai und Juni, bereinigt um die Unentschlossenen, liegt die Zustimmungsrate für Merkel bei 65 Prozent. Steinmeier rangiert dagegen nur bei 35 Prozent. Bliebe es dabei, würde unser Prognosemodell komfortable 50,6 Prozent für das schwarz-gelbe Lager vorhersagen. Damit würde es für einen Regierungswechsel für eine CDU/CSU-FDP-Koalition nach der Wahl im September reichen.

 

Warum ist der Ausgang von Wahlen trotz schwankender Umfrageergebnisse vorhersagbar?

Umfragen vor oder zu Beginn eines Wahlkampfes sind notorisch ungenau und meist erst kurz vor dem Wahltag relativ aussagekräftig. Paradoxerweise ist der Ausgang einer Wahl bereits Wochen bzw. Monate vor dem Wahltag vorhersehbar, zumindest so genau, wie es Umfragen am Tag vor der Wahl ermitteln könnten. Warum fluktuieren Umfragewerte so stark, wenn Wahlen dann doch vorhergesagt werden können? Ist der Wahlkampf somit unnötig? Nein. In einem Bundestagswahlkampf wird normalerweise keines der jeweiligen Lager eindeutig vom Wahlkampf profitieren können, sofern nicht einer Seite das Geld ausgeht (bei weniger wichtigen Landtags- oder Kommunalwahlen ist das anders). Im Wahlkampf werden der Wählerschaft Informationen und Handreichungen gegeben, mit Hilfe derer sie ihre Wahlentscheidungen treffen können. Die „Überzeugungstäter“ müssen motiviert werden zur Wahl zu gehen, die „Unparteiischen“ mit politischen Angeboten überzeugt und die „Apathischen“ auch mit unpolitischen Image-Kampagnen politisch „verführt“ werden. Aus der akademischen Wahlforschung wissen wir, dass Wahlentscheidungen nicht beliebig fabriziert werden können wie der Absatz von Zahnpasta, sondern sich aus fundamentalen Bestimmungsfaktoren zusammensetzen, wie z. B. der Bewertung von politischen Parteien, Kandidaten sowie politischen Themen.

Die Handreichungen im Wahlkampf helfen den Wählerinnen und Wählern, sich wieder politisch ins Tagesgeschäft einzuschalten und sich zu orientieren. Dabei lernen sie den Wert dieser fundamentalen Bestimmungsfaktoren erneut kennen, falls sie es in der wahlkampfarmen Zeit vergessen haben sollten. Neben dieser Erinnerungsfunktion, die der Wahlkampf für die „Überzeugungstäter“ bietet, biete sich hier eine weitere Möglichkeit, durch die Ausgestaltung der Kampagne bei den „Unparteiischen“ eine Gewichtsverschiebung dieser fundamentalen Bestimmungsfaktoren zu erreichen. Für den einen kann ein politisches Thema vorrangig sein, für andere kann die Bewertung eines Kandidaten wichtiger sein als die der zugehörigen Partei. Erst wenn politische Kampagnen bestimmte, einfach verfügbare Bewertungskriterien liefern, die bei den noch unentschiedenen unparteiischen Wählern zu einer anderen Gewichtung der fundamentalen Bestimmungsfaktoren oder ihrer Erwartung über den Wahlausgang führt, kann sich die Wahlentscheidung dieser Wähler bis zum Wahltag noch ändern.

Die akademische Wahlforschung kann Angebote machen, wie ihre Expertise hinsichtlich der Erklärung individueller Entscheidungsprozesse sowie der Entwicklung von Vorhersagemodellen genutzt werden kann, um die Schwächen von Umfragen als Mittel zur Beurteilung politischer Kampagnen auszugleichen. Beispielsweise haben schon vor einem halben Jahrhundert die Autoren der „Bibel“ der Wahlforschung The American Voter mit ihren Modellen die tatsächliche Wahlentscheidung von Befragten vor einer Wahl genauer vorhersagen können, als es die Befragten selbst zu diesem Zeitpunkt konnten. Die Umfragen vor der Wahl lieferten also damals schon ein verschwommeneres Bild als die statistischen Modelle der Godfathers der Wahlforschung. Warum ist das so? Politikwissenschaftliche Modelle des Wahlverhaltens messen die fundamentalen Bestimmungsfaktoren und können daher prinzipiell Vorhersagen über das Wahlverhalten treffen. Der einzelne Befragte hingegen muss sich die Antwort auf die Wahlabsichtsfrage in der Interviewsituation immer wieder selbst zusammenreimen. Erfahrungsgemäß werden lange vor einer Wahl nicht unbedingt diese fundamentalen Bestimmungsfaktoren dafür verwendet. Der einzelne lernt gewissermaßen diese Faktoren im Laufe des Wahlkampfes erst wieder kennen und wird sie dann für seine Wahlentscheidung heranziehen.

Im Hinblick auf die Prognose von Wahlen gibt es mittlerweile auch eine Reihe vielversprechender Ansätze, die nicht nur auf Interpretationen des Antwortverhaltens von Befragten auf die hypothetische „Sonntagsfrage“ beruhen. Auf der Basis von nur drei Faktoren – Kanzler(innen)popularität, Wählerrückhalt der Regierungsparteien und Abnutzung einer jeweiligen Regierung im Amt — konnte ein von Helmut Norpoth und mir entwickeltes Modell den Stimmenanteil der amtierenden Regierungskoalition bei den letzten beiden Bundestagswahlen 2002 und 2005 (in diesen Fällen also SPD/Grüne) einen Monat vor dem jeweiligen Wahltag genauer vorhersagen als es die Umfragen zum Teil noch mit ihren 18-Uhr-Prognosen am Wahlabend vermochten. Auch für diesen Herbst werden wir eine Prognose erstellen. Mehr dazu am kommenden Sonntag.

 

Sind Umfragen das Allheilmittel zur Begleitung politischer Kampagnen?

Wir können uns glücklich schätzen, dass uns für die professionelle Begleitung politischer Kampagnen in der Bundesrepublik mehrere sehr gute Meinungsforschungsinstitute zur Verfügung stehen. Viele Institute externalisieren auch in einem gewissen Maß die Qualitätskontrolle ihrer Datenerhebung, weil sie sogar nach einiger Zeit ihre Rohdaten der interessierten wissenschaftlichen Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Diese potentielle Möglichkeit einer Kontrolle – auch wenn sie erst im Nachhinein geschehen kann – ist ein großer Fortschritt, der uneingeschränkt zu begrüßen ist. Die Institute sehen sich bei der Durchführung von Umfragen vielen praktischen Herausforderungen gegenüber (einzelne wurden exemplarisch von Andreas Wüst und anderen in diesem Blog bereits thematisiert), die üblicherweise nicht in akademischen Lehrbüchern zu finden sind und die sie trotz widriger Randbedingungen erfolgreich meistern.
Jedoch selbst in einer perfekten Umfrageforschungswelt mit einer wirklich zufällig realisierten Stichprobe, guten Frageinstrumenten sowie erreichbaren und auskunftswilligen Befragten sind Schlussfolgerungen, die auf Umfragedaten basieren, mit Vorsicht zu genießen. Eigentlich benötigen sie einen Beipackzettel (siehe dazu auch meinen letzten Blog-Beitrag). Das gilt insbesondere dann, wenn für ein bestimmtes Merkmal (etwa die beabsichtigte Wahl einer Partei) Veränderungen über die Zeit hinweg interpretiert werden sollen: „Steht die SPD besser da als vor zwei Wochen? Hat die FDP doch keinen Nutzen aus XY ziehen können?“
Ein großer Teil der beobachteten Veränderungen im Zeitverlauf ist nicht real, sondern rein zufällig und statistisch bedingt, weil eben nicht alle Wahlberechtigten befragt werden (können), sondern bestenfalls nur ein zufälliger Teil. Aus der Wahrscheinlichkeitstheorie wissen wir, dass wir, um eine Veränderung von einem (bzw. zwei) Prozentpunkt(en) mit 99 %-iger Sicherheit feststellen zu können, etwa einen Stichprobenumfang von 100.000 (bzw. 25.000) Befragten benötigen. Umfragedaten für solche präzisen Angaben kann und will natürlich niemand bezahlen. Typische Umfragen werden bei 1.000 bis 2.000 Befragten erhoben. Begnügt man sich mit einer Sicherheit von 90 %, dann genügen 2.000 Befragte einer perfekt realisierten Zufallsstichprobe bestenfalls, um eine Veränderung von 5 Prozentpunkten festzustellen.
Als Fazit bleibt daher festzuhalten: Die Anzahl der Befragten ist zu klein, um reale Veränderungen der aktuellen Stimmungslage in typischen Umfragen, wie sie vor der Bundestagswahl gemacht werden, zu entdecken. Trotzdem werden in den Medien vermeintliche Trends aufgezeigt und oft ad hoc interpretiert, als seien sie real. Mit der Berichterstattung über Umfragen wird so aufgrund bestimmter Anreizstrukturen der Medienlandschaft (Change ist sexy – wenn nichts passiert, kann man auch nichts berichten) ein künstlicher Hype produziert, den die Politik auch für sich instrumentalisieren kann. Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass dies mit einer Beschreibung und Interpretation der aktuellen Stimmungslage dann nichts mehr zu tun hat.