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Alle (fünf) Jahre wieder…

Geschichte wiederholt sich – zumindest, wenn es um die Wahlen zum Europäischen Parlament geht. Seit 1979 haben die Bürgerinnen und Bürger im Fünf-Jahres-Takt die Möglichkeit erhalten, ihrer Zustimmung bzw. Ablehnung gegenüber dem europäischen Integrationsprozess manifesten Ausdruck zu verleihen. In zwei Monaten, am 7. Juni, ist es wieder soweit, ohne dass dies in der Medienberichterstattung bislang zum Ausdruck käme. Das Paradoxe daran: Je weiter das Projekt „EU“ in den vergangenen Jahren vorangetrieben wurde, je mehr sich die EU geografisch ausgeweitet und strukturell verfestigt hat, desto weniger waren die Völker Europas bereit, ihr „Bürger-‚Recht der Rechte'“ (Jeremy Waldron) – ihr Wahlrecht – zu nutzen. Bei den vergangenen Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 2004 verzeichneten 18 von 25 Mitgliedsländern eine Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent, in fünf der osteuropäischen Staaten, die kurz zuvor, am 1. Mai 2004, der EU beigetreten waren, beteiligte sich weniger als ein Drittel an der Europawahl. In den fünf EU-Ländern mit Wahlpflicht (blaue Balken in der Abbildung, siehe auch die Blogbeiträge von Thorsten Faas zum Thema Wahlpflicht) konnte immerhin zumeist mehr als die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger motiviert werden, sich an der Wahl zu beteiligen.

Die Wahlbeteiligung bei der Europawahl 2004

(blau: Länder mit Wahlpflicht, rot: EU-15, gelb: neue Mitgliedsstaaten, grün: Deutschland; die Abbildung kann durch Anklicken vergrößert werden)

Wenngleich in der journalistischen Kommentierung durchaus üblich, wäre es doch zu kurz argumentiert, diese Europa umspannende Wahlabstinenz (wie auch die gescheiterten Verfassungsreferenden in den Niederlanden, Frankreich und Irland) als sinnfällige „Rote Karte“ der Bürgerinnen und Bürger für das Arkanum EU zu interpretieren. Näher liegt, die Nicht-Wahl vor allem als einen rationalen Akt zu interpretieren: Geht es um Europa, scheint für die Bürgerinnen und Bürger – aus deren subjektiver Sicht – schlichtweg weniger auf dem Spiel zu stehen, als bei den Wahlen auf nationaler, regionaler oder kommunaler Ebene. Die EU ist weit weg, außerhalb der alltäglichen Reich- und Sichtweite (Walter Lippmann). Die Europawahlen erscheinen als folgenlos für die nationale Politik und das eigene Leben, die Bürger interessieren sich nicht besonders für die EU und erfahren auch wenig über sie. Selbst in Wahlkampfzeiten stellt die Berichterstattung eine quantité négligeable dar, eine Restgröße unterhalb der durchschnittlichen Wahrnehmungsschwelle. Warum sollte man sich also an so einem Projekt beteiligen, wenn doch die aufzubringenden Kosten für die Wahl (Informations-, Wege- und Opportunitätskosten) auf jeden Fall den zu erwartenden Nutzen der Wahlbeteiligung übertreffen würden? Anthony Downs hat zu diesem Wahlparadoxon einen „Rettungsanker“ eingebracht: Man kann durch die Beteiligung an der Wahl einen Beitrag für den Fortbestand des demokratischen Gemeinwesens leisten. Allerdings kann dies bei einem supranationalen Gemeinwesen mit eingeschränktem Demokratiecharakter wie der EU und angesichts von Wahlen, aus denen keine Regierung unmittelbar hervorgeht, nur wenig überzeugen.

So steckt die Europäische Union in einem Dilemma: Sie benötigt – wie jedes „zwangsfreie“ politische System – Rückhalt und Legitimation, um sich weiter entfalten zu können. Für den Großteil der Bürgerinnen und Bürger ist die EU aber schlichtweg eine Selbstverständlichkeit geworden, die es – ganz rational betrachtet – nicht lohnt, aktiv zu unterstützen. Zugleich ist die emotionale Bindung an die EU für viele (noch) zu schwach ausgeprägt, als dass mit dem Wahlgang ein expressives Bedürfnis befriedigt werden würde. „Ja, ich stehe zur EU“ könnte nur dann ein Wahlmotiv sein, wenn andere dieses Gefühl teilten und das Dazu-Stehen gesellschaftliche Anerkennung fände. Soweit sind die Bürgerinnen und Bürger Europas aber nicht. Inwieweit die Kommunikationsbemühungen der EU-Kommission in den vergangenen Jahren (Stichwort: „Plan D“) einen Beitrag dazu geleistet haben, diese emotionale Kluft zu schließen, bleibt abzuwarten. Im Moment scheint es jedoch so, als ob auch die nächsten Europawahlen weitgehend unbemerkt von Parteien, Massenmedien und Bürgerinnen und Bürgern stattfinden werden oder sich – zumal in Deutschland – bestenfalls als nationale Vor-Wahlen im europäischen Gewand entpuppen werden. Diese Art der Domestizierung mag zwar – wie die Wahlpflicht in einigen Ländern – die Wahlbeteiligung am 7. Juni erhöhen. Sie wird aber dem eigenständigen Charakter europäischer Wahlen nicht gerecht und forciert auf lange Sicht eher das Legitimationsdilemma der EU, als es zu beheben.

 

Europa: Lost in translation?

Es ist Wahlkampf in Europa und bereits heute darf vermutet werden, dass der entscheidende Faktor für den Ausgang und die Auswirkungen der Wahl einmal mehr die Wahlbeteiligung sein könnte. Seit der ersten Direktwahl im Jahr 1979, wo 63 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgaben, ist sie konstant rückläufig und lag im Jahr 2004 noch bei knapp 46 Prozent. Nun hat das Europäische Parlament die Kampagne gestartet, mit der dieser Trend gestoppt werden soll. Das Motto lautet „Deine Entscheidung“ und Mechthild Rothe, Vize-Präsidentin des Parlaments, betont insbesondere die Diversität der EU: „Der Schlüsselfaktor ist es, die Sprache zu sprechen, die von den Menschen gesprochen wird, gerade auch in Bezug auf Gefühle sowie politische und kulturelle Unterschiede der einzelnen Mitgliedstaaten.“

Der Hinweis auf die angemessene Sprache ist durchaus wörtlich zu nehmen. Die Bürgerferne der EU und die nur schwach ausgeprägte europäische Identität werden nicht zuletzt an sprachlichen Barrieren festgemacht. So wirkt die am Dienstag verabschiedete Resolution des Europäischen Parlaments wie ein Weckruf an das europäische Bewusstsein der Bürger: Die Parlamentarier bekennen sich zur Sprachenvielfalt in der EU und fordern einen höheren Stellenwert des Sprachunterrichts an Schulen, jeder Schüler solle zwei Fremdsprachen erlernen.

Es klingt dabei wie ein Treppenwitz, dass am Tag nach der Verabschiedung dieser Resolution ein „Übersetzungsfehler“ (so die offizielle Darstellung) zu einem Eklat im Europäischen Parlament geführt hat. Der geschäftsführende tschechische Ministerpräsident Mirek Topolanek sprach in seiner Rede vor dem Europäischen Parlament über den Wertpapierhandel der USA mit Bonds (tschechisch: „bondy“), in den Dolmetscherkabinen wurde daraus der Handel mit Waffen (tschechisch: „bomby“). Noch bevor dieses Missverständnis aufgeklärt werden konnte, wurde die auch ansonsten fragwürdige Rede scharf kritisiert. Es zeigt sich, dass Anspruch und Realität in der EU bezüglich der Mehrsprachigkeit noch weit auseinander liegen.

Die Förderung der Mehrsprachigkeit genießt einen hohen Stellenwert in der EU, seit 2007 gibt es einen eigenen EU-Kommissar für dieses Ressort. Der rücksichtsvolle Umgang, gerade mit Minderheiten, gebietet dabei, dass das Thema mit einem großen Maß an kultureller Sensibilität behandelt wird und nicht für Wahlkampfzwecke instrumentalisiert wird. Die jüngste Resolution jedoch war ein solches Politikum: Der Text wurde bei vielen Gegenstimmen letztendlich von einer linken Mehrheit der Parlamentarier angenommen, ein ähnlicher Entwurf aus dem konservativen Lager war kurz zuvor gescheitert. Diese Uneinigkeit über ein an sich unumstrittenes Ziel könnte den Europaskeptikern in die Hände spielen. Für sie ist der Erhalt der nationalen Sprachen eine Kernforderung, der EU stehen sie kritisch gegenüber. Wenn nun gerade diese Gruppierung von den jüngsten Unstimmigkeiten profitieren würde, wäre dies ein Rückschlag für das europäische Projekt.

 

Der Europawahlkampf der FDP: Alter Wein in neuen Schläuchen

Bei der diesjährigen Europawahl setzt die FDP wieder auf Altbewährtes: ihre Spitzenkandidatin Silvana Koch-Merin, mit der es der Partei schon bei der letzten Europawahl im Jahre 2004 gelungen war bei den Wählern zu punkten. Wie heißt es so schön: „never change a winning team“, und so setzt die FDP auch dieses Mal auf das attraktive Konterfei ihrer Kandidatin. Fast alle Wahlplakate ziert ein Foto Koch-Merins, die Europawahlkampfstrategie der Partei ist offensichtlich: Personalisierung. Diese Strategie ist gerade für Europawahlkämpfe fruchtbar, da der Wähler für dieses komplexe und abstrakte politische System in besonderem Maße eine Orientierungshilfe braucht. Wer als Partei Köpfe mit Themen verbindet ermöglicht den Bürgern einen sogenannten „information-shortcut“, d.h. eine Art „Gedächtnisstütze“, da politische Botschaften nachweislich besser wahrgenommen und verarbeitet werden, wenn sie in Verbindung mit Personen vermittelt werden. Dabei sind die europapolitischen Wahlkampfbotschaften der FDP, genau wie die Kandidatin, nicht neu. Wie im letzten Europawahlkampf steht die FDP für Bürokratieabbau und Bürgerrechte, lediglich das Thema „soziale Marktwirtschaft“ hat sich im Schatten der Finanzkrise seinen Platz auf der Wahlkampfagenda erkämpfen können.

Doch nicht alles ist beim alten geblieben. Die FDP setzt wie noch nie auf das Internet als Organisations- und Mobilisierungstool für den Europawahlkampf. Zum Auftakt der Kampagne zur Europawahl hat die FDP ihre Internetplattform „MitMach Arena“ gestartet, in der alle Beteiligungsangebote der Liberalen konzentriert angeboten und mit den communitys im web 2.0 vernetzt werden. Durch diese multimediale Internetplattform erhalten Parteimitglieder und freiwillige Wahlkampfhelfer Informationen zum Wahlkampf, vor allem jedoch wird hier der Wahlkampf von unten, das sogenannte „grassroots-campaigning“ gesteuert. So setzt die FDP explizit auf die Multiplikatoren der internet communitys wie youtube, facebook, xing oder studiVZ. Als angemeldeter Wahlkampfhelfer der Partei kann man sich sogar eine eigene Europawahlkampfhomepage einrichten, wählen kann man zwischen dem Europawahl Paket FDP Homepage Baukasten Classic für 119 € und dem Modell für Fortgeschrittene, dem Europawahl Paket FDP Homepage Baukasten Professionell für 179€. Parteimitglieder und Freiwillige werden aktiv in den Wahlkampf eingebunden, direkte Kommunikation über neue Informations-und Kommunikationstechnologien ist eine der Säulen des FDP Europawahlkampfes. Bundesgeschäftsführer Hans-Jürgen Beerfeltz fasst diese Strategie als „direkten, dezentralen und selbstständigen Wahlkampf“ zusammen und betont die Wichtigkeit des direkten Dialogs mit den Wählern. Aus Sicht der Wahlkampfkommunikationsforschung ist diese Strategie vielversprechend. Fraglich ist nur, ob den Wählern der alte Wein aus diesen neuen Schläuchen auch schmeckt…