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Schleichweg statt Broadway? Wie sich der Wirtschaftsminister beraten lässt

Der Wahlkampf hat (wenn auch nur für eine kurze Zeit) ein heißes Sommerthema gefunden: Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat von einer Kanzlei die Vorlage für ein Gesetz zur Zwangsverwaltung für angeschlagene Banken ausarbeiten lassen. Die Vorwürfe in diesem Zusammenhang sind vielfältig und nicht alle gleichermaßen stichhaltig. Zum einen heißt es, zu Guttenberg hätte die Expertise und das Fachwissen seines personell gut ausgestatteten Ministeriums nutzen sollen, um eine Gesetzesvorlage zu erarbeiten. Doch dieses Phänomen des „Outsourcing“ ist in der Politik wohlbekannt und sehr viel häufiger anzutreffen als nach außen hin sichtbar: Die immer komplexeren politischen Zusammenhänge, die viel zitierte Mehrebenenproblematik oder das Schnittstellenmanagement zwischen verschiedenen Institutionen und Entscheidungsträgern erfordern schlichtweg sehr viel und sehr spezialisierte Expertise, die ein einziges Ministerium alleine nicht immer aufbringen kann. Untersuchungen, wie etwa die vom ZDF zitierte, und wissenschaftliche Analysen (vgl. Falk/Römmele 2009) zeigen deutlich, dass der Beratungsbedarf von Ministerien und anderen öffentlichen Einrichtungen in den letzten Jahren deutlich gewachsen ist. Das Wirtschaftsministerium stellt hier keine erwähnenswerte Ausnahme dar.

Ein zweiter Kritikpunkt jedoch trifft den Kern des Problems: Eine Kanzlei hat ein wirtschaftliches Eigeninteresse und vertritt zudem eine Reihe von Unternehmen, die bestimmte Wünsche an die Politik herantragen möchten. Diese gemeinhin als „Lobbying“ bezeichneten Aktivitäten sind ebenso wie das Beanspruchen externer Berater übliche Praxis. Allerdings sind die Europäische Union und einige Nichtregierungsorganisationen darum bemüht, diese Lobbyingprozesse transparent und nachvollziehbar zu gestalten. Die These lautet: Nur wenn die Akteure und ihre Interessen bekannt sind, kann das Lobbying richtig eingeschätzt werden – und nur dann wird der Demokratie kein Schaden zugefügt. Der im vorliegenden Fall beauftragten Kanzlei wurde so gesehen die große Chance gewährt, einen sehr direkten Einfluss auf einen Gesetzentwurf nehmen zu können, ohne etwa die Namen ihrer Klienten, die von einem solchen Gesetz betroffen sein könnten, öffentlich machen zu müssen. Der Wirtschaftsminister muss sich also vorwerfen lassen, verdecktes Lobbying zugelassen zu haben.

Und drittens steht der Zeitpunkt dieses Vorganges in der Kritik. Da das Gesetz nicht mehr in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann, ist die Vorlage der Kanzlei de facto hauptsächlich Munition für den Bundestagswahlkampf. Die Forschung unterscheidet hier sehr genau zwischen verschiedenen Formen der Politikberatung. Im Falle von Gesetzesvorlagen, die also die „materielle Politik“ betreffen, sollte die Beratungsleistung „objektiv“ sein. Schließlich soll jedes Gesetz seinem Anspruch nach dem Wohle des Volkes dienen. In der Wahlkampfberatung hingegen werden Konzepte und Kampagnen verlangt, die auf die Ziele der jeweiligen Partei und die Ansprache ihrer Wähler zugeschnitten sind. Hier geht es nicht um hehre Ziele wie Objektivität oder Neutralität; kämpfen ist angesagt. Wenn nun eine der Form nach objektive Beratungsleistung für den Wahlkampf verwendet wird, lässt dies Rückschlüsse auf die Verbindungen zwischen Ministerium und Kanzlei zu und wirft Fragen nach der Objektivität vorangegangener Beratungen auf.

Übrigens: Wenn Justizministerin Brigitte Zypries nun ihr Ministerium dazu antreibt, ebenfalls einen Entwurf vorzulegen, der offensichtlich auch ihrem Wahlkampf dienen wird, macht sie sich des selben Vergehens schuldig, wie ihr Kollege zu Guttenberg. Denn egal, ob nun externe Berater oder die Ministerien selbst damit beschäftigt sind: Diese Arbeit kostet Steuergelder und aus diesem Grund darf sie nicht für den Wahlkampf verwendet werden. Wahlkampfkosten sind in Deutschland Sache der Parteien (die dann wiederum vom Bund nach bestimmten Regeln finanziert werden). Ministerien aber haben sich dem Wohle des Volkes und nicht dem bestimmter Parteien zu widmen.

Literatur:
Falk, S., & Römmele, A. (2009). Der Markt für Politikberatung. Wiesbaden: VS Verlag.

 

Also doch nur ein Pferderennen

Nun ist es also soweit. Das große TV-Duell zwischen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier findet am 13.9., zwei Wochen vor der Wahl, statt. Die 90-minütige Debatte wird ab 20:30 von ARD, ZDF, RTL und Sat.1 übertragen. Jeder Sender stellt auch einen Moderator als Fragesteller. Ist das nun das von Reinhard Appel 1972 vielbeschworene „mehr Demokratie“ oder soll es in erster Linie der Politunterhaltung und dem Interesse der Fernsehsender dienen? Dass die kleinen Parteien ausgeschlossen sind und somit eine Möglichkeit weniger haben, flächendeckend die eigenen Wähler mit guter Rhetorik zu mobilisieren, wurde prompt von Guido Westerwelle (FDP) moniert. Er kritisierte, dass „die Opposition, die etwa 35 bis 40 Prozent der Stimmen in den Umfragen auf sich vereint, ausgesperrt wird“. Und recht hat er.

Dass die privaten Sender ein Format bevorzugen, das einen Wettkampf der Kanzlerkandidaten und somit mehr Unterhaltung verspricht, ist noch verständlich. Dass die Öffentlich-Rechtlichen aber nicht darauf pochen, im Rahmen ihrer Informationspflicht alle Spitzenkandidaten zu beteiligen, ist eher unverständlich. Vermutlich haben sich halt Merkel und Steinmeier durchgesetzt. Wohl auch, was den Termin betrifft. Schließlich will man sicher sein, dass nicht allzu viel Schaden angerichtet werden kann. Und wie die Debattenforschung in der Vergangenheit aufzeigte, sind Debatteneffekte eher kurzfristiger Natur, wirken also nur einige Tage nach.

Für die Zuschauer ist ein solches Format zwar interessant, da es den direkten Vergleich der Kandidaten im politischen Wettstreit erlaubt (im Amerikanischen „horse race“ genannt), was sicherlich auch ein Minimum an „Unterhaltungswert“ garantiert. Schade ist es aber dennoch, da die Beteiligung eines Lafontaine oder Gysi, einer Künast und eines Westerwelle sicherlich nicht nur den Unterhaltungswert der Debatte steigern würde, sondern auch sachliche Einblicke in die politischen Vorstellungen, Meinungen und Verhaltensweisen einer oder eines vermutlichen Vizekanzlers geben könnte.

 

Der Wahlkampf der CDU – gegen alle Regeln der Wissenschaft

Die Wahlkampfforschung ist eine noch recht junge aber boomende Teildisziplin der empirischen Sozialforschung. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht nur theoretische Erkenntnisse, sondern auch praktische Hinweise zur Kampagnenführung liefert. So hat die Forschung am Beispiel des „war room“ von Bill Clinton 1992 eine annähernd optimale Wahlkampfgestaltung identifizieren können, und in der Folge waren auch die Wahlkämpfe Tony Blairs 1997 unter dem Thema „New Labour“ und die „Kampa“ Gerhard Schröders 1998 an diesem Clinton’schen Modell ausgerichtet. Diese Entwicklung ist sowohl ein Erfolg der Praktiken des Clinton-Teams, die zu hervorragenden Resultaten geführt haben, als auch ein Erfolg der Wissenschaft, die bei der Übertragung der Clinton-Kampagne auf britische bzw. deutsche Verhältnisse eine wichtige Rolle spielte.

Auf Grundlage dieser Kampagnen hat die Forschung mittlerweile „best practices“ ausgemacht, mit Hilfe derer sie vermeintlich auch Antworten auf die Frage nach dem gelungenen Wahlkampf geben konnte. Das jüngste (und zurzeit fast überstrapazierte) Beispiel einer Kampagne, die alle zentralen Erkenntnisse berücksichtigt und sogar weiterentwickelt hat, ist zweifellos der Wahlkampf Barack Obamas. Ganz generell lauten die Regeln für einen gelungenen Wahlkampf in etwa so: Man sollte den Wahlkampf möglichst früh beginnen; man sollte sich zu bestimmten Fragen eine klare Themenhoheit erkämpfen und diese Themen auch personell besetzen; man sollte die wichtigsten Leitmedien („BILD, BamS und Glotze“) auf seine Seite ziehen; und man sollte strategisch wichtige Wählergruppen ausmachen und sie gezielt ansprechen.

Im deutschen Wahlkampf 2009 zeigt sich nun jedoch ein besonderes Phänomen: Die CDU hat gegen alle diese Regeln mehr oder weniger klar „verstoßen“. Sie führt einen Wahlkampf, wie er in diesem Blog schon einmal diskutiert wurde: kurz, knapp, Merkel. Man spürt die Kampagne kaum, hat nicht den Eindruck, dass sie schon wirklich begonnen hat. Und die im Wahlkampf medial präsenten Personen sind ausschließlich etablierte Minister und nicht etwa Wahlkämpfer, die neue Themen erobern sollen. Anders ausgedrückt: Man weiß durch Ursula von der Leyen und Karl-Theodor zu Guttenberg um die familien- und wirtschaftspolitischen und Vorstellungen der Union – wer aber würde nach einem Wahlsieg die Finanz-, die Umwelt- oder die Außenpolitik der kommenden vier Jahre gestalten?

Die Auflösung dieses Paradoxons liegt in der Ausgangslage der Bundestagswahl 2009. Die Union ist unbestritten die stärkste politische Kraft und sie stellt die Bundeskanzlerin. Dadurch kann sie sich als Partei präsentieren, die über den Dingen steht und sich nicht ins Wahlkampfgetöse stürzen muss. Denn Wahlkämpfe haben dann eine entscheidende Bedeutung und ein zentrales Gewicht, wenn die Wahl umkämpft ist. Könnte die SPD aber im August noch ein paar Prozentpunkte aufholen, so könnte sie damit die Union im September vor Fragen stellen, die diese bisher lieber nicht beantworten möchte.

 

Prognosen sind Wissenschaft – aber ohne Umfragedaten geht es wohl nicht

Letzte Woche hat Thomas Gschwend in diesem Blog eine vorläufige Prognose für den Ausgang der Bundestagswahl 2009 abgegeben. Gemeinsam mit seinem Kollegen Helmut Norpoth wagt Gschwend zum dritten Mal in Folge eine solche Prognose. Sie basiert auf einem wissenschaftlichen Prognosemodell, das einsehbar und dessen Ergebnis damit für jeden Außenstehenden nachvollziehbar ist.

Modelle wie dieses und der Mut zu einer Publikation vor der Wahl sollten uneingeschränkt gewürdigt werden. Zu Wissenschaft gehört es nicht nur, ex post zu erklären, warum eine Wahl wie ausgegangen ist, sondern auch, seriöse Prognosen abzugeben – in der Wirtschaftswissenschaft (siehe zum Beispiel die Prognosen der „Wirtschaftsweisen“) ist dies gang und gäbe. Prognosen können, und das ist das Risiko dabei, von der Realität (der Wahl selbst) gestützt oder widerlegt werden. In den Jahren 2002 und 2005 lagen die Wahlforscher richtig, und das lange vor und teilweise in Widerspruch zu den Ergebnissen und Aussagen führender Umfrageinstitute und deren „Pollster“. Dass diese zunächst spöttelten, verwundert nicht. Doch auch aus der Profession erhielten die Forscher wenig Beifall: öffenlichkeitswirksame Auftritte sind vielen Kollegen erst einmal suspekt, und insgeheim hofften wahrscheinlich nicht nur die Umfrageinstitute auf ein Scheitern des Modells. Quod esset demonstrandum!

Viel spricht dafür, dass Norpoth und Gschwend auch 2009 Recht behalten werden, auch wenn ein Erfolg dieses Mal weit weniger spektakulär wäre. Die Wiederwahl Schröders 2002 und die Große Koalition 2005 vorherzusagen, waren mutig, denn die (unreflektierten) Ergebnisse auf die hypothetische Wahlabsichtsfrage ließen einen Erfolg von CDU/CSU und FDP erwarten. Im Gegensatz dazu sprechen die demoskopischen Befunde 2009 (erneut) für einen Machtwechsel, die „Zauberformel“ diesmal allerdings auch.

Viel hängt nach der Prognoseformel vom sogenanten „Horse Race“ ab, dem bevorzugten Kanzler. Bei einer so deutlichen Unterlegenheit des Herausforderers (derzeit 25:62 im ZDF-Politbarometer) wäre alles andere als ein Sieg der Kanzlerin und ihrer Wunschkoalition mit der FDP eine Überraschung. Dennoch bleibt sowohl in der Umfrage-Realität als auch im Prognosemodell eine Hintertür offen: 50,6 Prozent bedeuten nicht, dass das Rennen – oder sagen wir besser die Wahl – schon gelaufen ist. Verschiedene Möglichkeiten, vor allem über Themenkompetenz und Mobilisierung noch aufzuholen, wurden in mehreren Beiträgen dieses Blogs bereits aufgezeigt.

Gschwend und Norpoth werden allerdings, wie bei den letzten beiden Wahlen auch, erst Mitte August eine endgültige Prognose für den Wahlausgang abgeben. Warum das? Kann das Modell doch weniger als postuliert wird? Nun ja, sagen wir es einmal so, es ist nicht ganz von kurzfristigen Entwicklungen unabhängig. Denn für die Prognose bedarf es eines kurzfristigen Indikators, den nur Umfragedaten liefern können: die Kanzlerpräferenz. Wahrscheinlich könnte es auch ein anderer kurzfristiger Indikator sein, den man allerdings wieder über Umfragen integrieren müsste: die Bewertung der Regierung, der Parteien oder gar die Wahlabsicht?

Ohne Umfragedaten, deren Erhebung und Publikation zurecht kritisch hinterfragt werden, geht es auch bei der „Zauberformel“ nicht. Dass hierfür nicht Daten verwendet werden müssen, die erst kurz vor der Wahl erhoben werden, spricht für die Erkenntnisse der Wahlforschung und deren Integration in das Modell. Die Wahlforschung weiss, dass es in den letzten Wochen vor der Wahl die Regierung und der amtierende Kanzler bzw. die amtierende Kanzlerin ist, die den Vorsprung vor der Opposition und dem Herausforderer normalerweise ausbauen. Verkompliziert wird die Lage dieses Mal dadurch, dass die Opposition nicht den Herausforderer stellt, sondern der mit auf der Regierungsbank sitzt. Die bisherigen Erkenntnisse darüber, was passiert, wenn Große Koalitionen zu einer Wahl antreten, sind gering und partiell widersprüchlich. Deshalb wird die Bundestagswahl 2009 nicht nur für die Zauberformel eine recht interessante Wahl werden.

 

Schröder, Steinmeier und die Stimme, auf die es ankommt

„Der klingt wie früher Schröder“ – ein derzeit des Öfteren gehörter Satz, wenn es um Auftritte des SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier geht. Für Steinmeier ist das wahrlich nicht das Schlechteste! Die sonore Stimme Schröders war ein echtes „Pfund“ des Kanzlers. In Umfragen etwa nach dem zweiten TV-Duell zwischen Schröder und Stoiber 2002 stimmten rund 75 Prozent der Befragten der Aussage „Er hat eine angenehme Stimme“ zu; bei Stoiber waren es weniger als 30 Prozent. Wenn es Steinmeier gelingt, diese Stimmenanalogie zu kultivieren, könnte er dieses Mal davon profitieren, so wie Schröder 2002 gegenüber Stoiber.

 

Die Botschaft des Dick Morris

Seit dem heutigen Tage ist Thomas Steg nicht mehr stellvertretender Regierungssprecher. In diesem Amt hat sich der SPD-Mann – auch beim Koalitionspartner – einigen Respekt verschafft, und umgekehrt steht auch er selbst der Bundeskanzlerin nach jahrelanger intensiver Zusammenarbeit positiv gegenüber. Dass er nun ins Zentrum des SPD-Wahlkampfes wechselt, mag da manchen wundern. Ist politisches Feingefühl wirklich eine Qualität, die sich mühelos von einer auf die andere Situation übertragen lässt?

In den USA – zweifellos das Mekka des modernen campaigning – hat man sich an solche fliegenden Wechsel mittlerweile gewöhnt. Dick Morris beispielsweise war für die Republikaner tätig, bevor er ins Clinton-Lager wechselte und einer der Strippenzieher der erfolgreichen Wiederwahl-Kampagne von 1996 wurde. Er galt als Experte für das Überzeugen von Unentschlossenen und Wechselwählern; sein Rezept war, den Demokraten Bill Clinton ein bisschen „republikanischer“ auftreten zu lassen. In diesem Fall ging das Kalkül des Clinton-Teams, sich ein bisschen Stallgeruch der Gegenseite zuzulegen, also voll auf. Und auch James Carville, wichtiger Berater während der ersten Clinton-Kampagne 1992, ist von der Universalität gewisser Wahlkampf-Lehren überzeugt. Er hat nach seinem Einsatz für Bill Clinton unter anderem Tony Blair und Ehud Barak beraten, der von ihm geprägte Ausdruck „It’s the economy, stupid“ fand weltweit in Wahlkämpfen Beachtung. Eine Gegenspielerin im US-Präsidentschaftswahlkampf von 1992, George H. Bushs Wahlkampfmanagerin Mary Matalin, hat Carville übrigens ein Jahr später geheiratet. Es scheint also allen parteipolitischen Gegensätzen zum Trotz viele Gemeinsamkeiten zwischen unterschiedlichen Wahlkämpfen und auch zwischen den Wahlkämpfern zu geben.

Die deutsche Wahlkampfforschung wendet dagegen ein, dass enge und produktive Zusammenarbeit auch auf langfristigen Werten wie etwa der Parteibindung basiert. Schließlich haben Parteien in Deutschland einen höheren Stellenwert und eine prägendere Funktion im politischen System, als es in den USA der Fall ist, wo Seiteneinstiege von unpolitischen Personen in politische Ämter an der Tagesordnung sind. Auch die deutschen Wahlkampfberater selbst raten mehrheitlich von schnellen Wechseln ab und betonen, dass gewachsenes persönliches Vertrauen die Grundsubstanz guter Zusammenarbeit ist.

Die Skepsis gegenüber sprunghaften Beratern scheint begründet. Dick Morris jedenfalls arbeitet inzwischen wieder für die Republikaner, nachdem er sich mit Hillary Clinton überworfen hat, und mancher fragt sich nun, ob er je ein echter Anhänger der Demokratischen Partei war. Thomas Steg hingegen scheint in der SPD verwurzelt zu sein. Aber wer weiß schon, was Angela Merkel eines Tages noch mit ihm vorhat…

 

(K)ein Wahlkampf mit der Rente?

Es gibt schätzungsweise 24,7 Millionen Rentner in Deutschland – eine Zahl, die Medien, Unternehmen und Parteien gleichermaßen beeindruckt. Sie alle sehen hier wichtige Zielgruppen, die es zu umwerben gilt. Insgesamt sind im September nun 62,2 Millionen Menschen zur Wahl aufgerufen und zwei von fünf Wahlberechtigten sind Rentner.

Das eigentlich Überraschende an der momentanen Rentendebatte ist somit auch nicht, dass sie stattfindet. Interessanter war da schon der Versuch der Parteien im Vorfeld, einen rentenpolitischen „Burgfrieden“ zu erreichen und das Thema mittels einer Rentengarantie aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Diese Pläne hat Finanzminister Peer Steinbrück nun jäh durchkreuzt und man fragt sich, ob es jenseits seiner inhaltlichen Einwände gegen eine Garantie in der Rentenversicherung auch wahltaktische Motive für diesen Schritt gibt.

Die Union kommt zumindest nicht aus der Deckung und behandelt das Thema mit großer Vorsicht. Gab es in den letzten Jahren – zumeist aus den Reihen der Jungen Union – kritische Vorstöße zur Frage des Ausgleichs zwischen den Generationen, ist die Partei im nun anstehenden Wahlkampf um Geschlossenheit bemüht. Kein Wunder, profitiert sie doch mit weitem Abstand am stärksten von einer Wahlbeteiligung der Rentner. Bei der Europawahl hat annähernd jeder zweite, der zur Urne gegangen ist, sein Kreuz bei den Unionsparteien gesetzt. Hinzu kommt, dass die Wahlbeteiligung unter Rentnern eher überdurchschnittlich hoch ist – würde der Anteil der Union stabil bleiben, so könnte die Partei konservativ geschätzt 20 Prozentpunkte allein durch die Stimmen der Rentner gewinnen.

Was Rentner wählen…

Ergebnis der Europawahl in Prozent. Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung.

Auch die SPD wurde von überdurchschnittlich vielen Rentnern gewählt, auch für sie handelt es sich also um eine wichtige Zielgruppe. Es ist daher nicht anzunehmen, dass Steinbrück dies ignoriert hat, als er sich als „Anwalt der Jungen“ dargestellt und auf die Frage der Generationengerechtigkeit hingewiesen hat. Unwahrscheinlich ist aber auch, dass er in der Gruppe der Rentner adressieren und eine Diskussion über dieses Thema anstoßen wollte. Schließlich gelten Rentner, etwa in Milieu-Studien, als traditionsverwurzelt und sind mehrheitlich als klassische Stammwähler einzuordnen.

Vielleicht war Steinbrücks Initiative tatsächlich nicht als Wahlkampfthema angelegt – genau das ist aber nun daraus geworden…

 

Aktueller Wahlkampfwasserstand: Ruhe vor dem Sturm

Das Fahrwasser ist aktuell noch ziemlich ruhig – vor allem wählerseitig ist der Wahlkampf noch vergleichsweise weit weg. „Die Ferien, nicht die Wahlen sind wichtig“, könnte man sagen. Online-Umfragen im Vorfeld der Europawahl haben gezeigt, dass bislang kaum eine Politisierung der Wählerschaft zu beobachten ist. Nur jeder fünfte Wähler hat sich demnach für den Europawahlkampf interessiert. Auch seit dem lassen sich keine Anzeichen zunehmender Politisierung finden.

Aber: Das ist eher die Ruhe vor dem Sturm: Die Parteien (und auch die Wähler) rollen sich erst langsam warm – ganz wie bei einer Flachetappe der Tour de France (die Europawahl wäre demnach etwa ein eher müder Zwischensprint oder aber eine Bergwertung der Kategorie 4 gewesen). Die Musik spielt dabei am Ende – und so wird es auch dieses Mal sein: In der gleichen Umfragen vor der Europawahl sagen rund zwei Drittel der Befragten, dass der Ausgang der Bundestagswahl für Sie wichtig ist. Ein Politisierungspotenzial ist eindeutig vorhanden.

Dass moderne Wahlkämpfe erst spät in Fahrt kommt (und auch immer Wähler sich erst spät entscheiden), zeigt auch ein Blick zurück auf die Wahl 2005. Erst mit dem TV-Duell zwei Wochen vor der Wahl hat die SPD ihren Wahlkampf (und ihre Attacken v.a. auf Kirchhof) massiv intensiviert – und damit ist es ihr gelungen, eigene Anhänger zu mobilisieren und ihre Aufholjagd zu beschleunigen. Umfragen aus dem damaligen Wahlkampf zeigen, dass die Wähler – nach eigenen Angaben – sich spät entschieden haben: Jeder zehnte Wähler hat sich erst am Wahltag selbst entschieden; insgesamt ein Viertel der Wähler in den Tagen vor der Wahl (einschließlich des Wahltags). Die Aufholjagd der SPD ebenso wie das überraschend starke Abschneiden der FDP, das waren beides Ergebnisse sehr später Bewegungen.

Allerdings ist die Situation für die Regierungsparteien – und hier insbesondere für die SPD, die aktuell sicherlich noch den größten Mobilisierungs- und Überzeugungsbedarf hat – schwieriger als 2005: Es ist ein schmaler Grat zwischen Mobilisierung und Kabinettsdisziplin, Wahlkampf und Regierungskooperation. Die Politisierung von Themen fällt ihr bislang schwer und man darf gespannt sein, wie sich die SPD hier thematisch und personell in den kommenden Wochen aufstellt, um diesen Balanceakt zu meistern. Je näher der Wahltag aber rückt, umso legitimer wird es, Wahlkampf zu führen. Das Unbehagen, das auf allen Seiten – Parteien, Medien, Wählern – sowohl im Kontext von Arcandor als auch jetzt im Zuge von Krümmel noch zu beobachten ist, wird dann nachlassen. Der Wahlkampf wird in Schwung kommen – und die Wähler werden bereit sein.

 

Der Parteitag der Linken – keine Krisenlösungskompetenz in Sicht

Die Vorzeichen des Parteitages der Linkspartei waren einigermaßen paradox: Die Linken möchten die Krise nutzen, derzeit aber kriselt die Linke selbst. Unermüdlich prangert man das Scheitern der „neoliberalen“ Politik der Regierungsparteien an, die das Land in die Krise gestürzt habe – das Kernthema der Linken schlechthin. Und doch stagnieren die Umfrageergebnisse.

So ging es dieses Mal mehr um das Demonstrieren von Zusammenhalt und Einigkeit, als darum, Wahlkampfstimmung zu machen. Wieder so ein Parteitag also, auf dem man einander bestätigt und sich auf die kommende Zeit einschwört. Ob es Lafontaine & Co. aber gelingt, nur durch das Anreißen der heiklen Themen und ohne klare Lösungskonzepte die Sympathisanten und Wähler hinter sich zu bringen, ist fraglich.

Sicherlich: Personen (und ihre Redekraft) sind im medialen Zeitalter wichtig, darauf wurde auch gerade in diesem Blog schon häufiger hingewiesen – aber es ist auch die wahrgenommene Problemlösungskompetenz des Kandidaten, die für den Bürger ausschlaggebend ist. Und hier punktet die Linke zu wenig – es sind ihre Themen, die in der Krise gefragt sind, und eigentlich auch ihre Lösungskonzepte: Mindestlohn, Reichensteuer, die Änderung der Hartz-IV-Gesetze. Interessanterweise (aus Sicht der Linken: fatalerweise) wird aber die Lösung der sozialen Probleme eher der großen Koalition zugetraut.

Was ist die Konsequenz dessen? Mehr Drama vielleicht? Wirtschaftliche Schreckensszenarien könnten die Wähler von den Regierungsparteien abwandern lassen und der Linkspartei Stimmen bringen. Oder mehr Sachlichkeit? Moderate Haltungen zu bestimmten Themen könnten die Partei – auch mit Blick auf die Landtagswahlen am 30.8. – koalitionsfähig und damit wählbar erscheinen lassen.

Beide Varianten wurden auf dem Parteitag angetestet, das Wahlprogramm ist eine Kompromissformel. In den kommenden Wochen und Monaten muss die Partei jedoch Farbe bekennen, denn es ist offenkundig, dass das bloße Thematisieren und Artikulieren von Missständen nicht ausreicht. Es gilt für die Parteiführung nun, substanzielle Richtungsentscheidungen zu treffen – darin muss sie sich noch bewähren.

 

Vor dem Wahlparteitag der SPD: Vergleich der Stimmungen 2005 und 2009

Die SPD gilt als Kampagnenpartei, also als eine Partei, die im Wahlkampf an Fahrt gewinnt und auf der Zielgeraden mit dem politischen Gegner aufholt. Dies haben wir in den Jahren 2002 und 2005 recht eindrucksvoll erlebt. Allerdings sind die Ausgangsbedingungen heute deutlich schwieriger als 2009 und das liegt u.a. an der Kanzlerin! Schauen wir uns die Zahlen hierzu kurz an.

Die Stimmung 2005, also kurz vor dem Wahlparteitag der SPD Ende August, und einen knappen Monat vor der Wahl lagen die Sozialdemokraten bei der Sonntagsfrage 29%, die CDU/CSU bei 42% Prozent.

Allerdings, und das ist der zentrale Unterschlied, lag Kanzler Schröder in seiner Gunst deutlich vor seiner Herausforderin Angela Merkel: 48% zu 41%. Auf dem Wahlparteitag – wir erinnern uns – spielte Schröder dann auch erfolgreich die negative-campaigning-Karte mit Paul Kirchhoff, dem Professor aus Heidelberg.
Was ist 2009 anders? Die SPD stürzt in ein erneutes Umfragetief mit 22 %, bei der Sonntagsfrage erlangt sie nur 25% – und sie profitiert nicht von der im Vergleich zu 2005 schwächeren CDU. Und der Retter ist eben nicht in Sicht und das ist der große Unterschied zu der Situation 2005: der Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier liegt mit 29% im direkten Vergleich deutlich hinter seiner Chefin Angela Merkel, für die 58% der Befragten votieren.

Und auch mit der Waffe „negative campaigning“, die 2005 auf dem Wahlparteitag noch voll zur Geltung kam, wird Steinmeier wohl vorsichtig umgehen, denn das zu Guttenberg-bashing kam beim Wähler nicht gut an.
Was kann ein Wahlparteitag hier ausrichten: Steinmeier kann mit einer Blut- und Schweißrede die eigenen Leute einschwören, hinter sich bringen, eine solche Rede kann durchaus eine Strahlkraft entfalten – ob ihm dies gelingt und wenn ja wie werden wir heute sehen.