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Die gemeinsame Pressekonferenz

Peter SchrottEs ist überstanden. Das große „TV-Duell“ zwischen Merkel und Steinmeier fand statt und führte nach ersten Eindrücken und Blitzumfragen zu einer Art Unentschieden. Zumindest suggerieren das die repräsentativen Umfragen von ZDF, ARD und RTL, wie folgende Übersicht zeigt:

Umfragen zum TV-Duell

Doch war es wirklich ein großes Duell oder doch nur eine Art gemeinsame Pressekonferenz, wie wir die (amerikanischen) Debatten schon vor langer Zeit nannten? Auf jeden Fall ergingen sich die beiden Teilnehmer – inklusive der Journalisten – in netten Gesprächen, sehr sachlich und oft übereinstimmend. Nun ja, sie regieren ja auch gemeinsam.

Der Zuschauer vermisste dabei jedoch die Unterhaltungskomponente, die auch zu Provokationen und somit zu überraschenden Entgegnungen führen kann – etwa einen leicht zynischen Gerhard Schröder oder einen aufbrausenden Franz Josef Strauss, der seine Gegner des Terrorismus verdächtigen konnte und in den Fernsehdebatten der 70er und 80er Jahre regelmäßig den Buhmann mimte. Aber damals debattierten auch nicht zwei Regierungsmitglieder, sondern es prallten Weltanschauungen aufeinander.

Dennoch wird die Debatte ihren Zweck erfüllen. Sie wird den Kandidaten in ihren eigenen Lagern Vertrauen schenken und die Medien sind bereits dabei, die Debatte so zu deuten, dass sie den Wahlkampf beleben wird. Unter der Überschrift „Gespräch munterer als erwartet“ schreibt die dpa: „Der Kandidat setzt auf Angriff. Beim TV-Duell mit Bundeskanzlerin Angela Merkel versucht Außenminister Frank-Walter Steinmeier an diesem Sonntagabend zwei Wochen vor der Bundestagswahl seine letzte Chance zu nutzen“. Angriff ist in der Tat die bevorzugte Strategie eines Herausforderers um die Kanzlerschaft, während die Amtsinhaber im Normalfall auf den Verkauf ihrer Erfolge setzen. Allerdings zeigt eine Langzeitstudie der deutschen Fernsehdebatten von 1972 bis 1987, dass gerade diese Angriffsstrategie gefährlich sein mag, weil sie zu einem „Oppositionsmalus“ führen kann und dies überwiegend auch tat. Denn im Gegensatz zu den amerikanischen Debatten haben bei deutschen Debatten die Amtsinhaber oft besser ausgesehen, zumindest in den Augen der Wähler, und die Herausforderer verloren an Boden. Allerdings war diese Debatte anders, da Steinmeier ja ebenfalls in der Regierung ist und äußerst präsent in den Medien. Hier ging es wohl eher darum, zu demonstrieren, dass er auch „mehr kann“, als nur Außenminister.

Die nächsten Tage werden nun von Medien und Politikern genutzt werden, die Debatte zu analysieren und die Vorteile der bevorzugten Kandidaten herauszustellen. Man wird schreiben, dass Steinmeier seine Chancen nutzte und dass Merkel ihre Kompetenz und Führungsstärke bewiesen hat. Und hier setzt ein Prozess ein, der vermutlich noch mehr als die Fernsehdebatte selbst die Einschätzung und Einstellung der Wähler beeinflussen wird.

Und damit der politische Diskurs von den Medien auch demokratisch vertreten wird, haben die kleineren Parteien die Möglichkeit, am Tage danach eine Debatte unter sich zu führen. Man kann gespannt sein, ob der „Unterhaltungswert“ höher sein wird als bei der gemeinsamen Pressekonferenz von Merkel und Steinmeier.

Literatur:

Lanoue, D.J. and Schrott, P. (1991). The Joint Press Conference. – The History, Impact and Prospects of American Presidential Debates. Greenwood Press, Westport.

Schrott, P. (1990). Wahlkampfdebatten im Fernsehen von 1972 bis 1987: Politikerstrategien und Wählerreaktion. In M. Kaase and H. D. Klingemann (Eds.). Wahlen und Wähler. Opladen: Westdeutscher Verlag.

 

Nur die Liebe zählt…? „Höhepunkte“ der TV-Debatte 2005

Auch für die TV-Debatte 2005, in der Gerhard Schröder gegen Angela Merkel antrat, gibt eine Echtzeit-Messung, die durch die Universitäten Kaiserslautern, Landau und Mainz durchgeführt wurde, Einblicke in die spontanen Reaktionen der Zuschauer auf die Aussagen der Kandidaten (Abbildung 1). Die Untersuchung unter rund 50 ostdeutschen Zuschauern zeigt, dass der damalige Kanzler erneut seine besten Momente hatte, als er in seinem Auftakt- und Schlussstatement auf den Irak-Krieg einging – ein Thema, dass 2005 weder in der TV-Debatte noch im Wahlkampf ein zentrales Thema war. Schröder rekurrierte dennoch darauf – mit Erfolg, wie die Ausschläge zeigen. Günstig für ihn erwies sich auch die Kritik am Krisenmanagement von George W. Bush im Zusammenhang mit Hurrikan Katrina. Merkel wiederum gelang es mit Wirtschaftsthemen (Steuerflucht, Strompreise) die Zuschauer auf ihre Seite zu ziehen. Zudem punktete sie mit ihren Aussagen zur Gleichstellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt.

Echtzeitbewertungen von Schröder und Merkel, TV-Duell 2005
deb2005

2005 gab es aber auch persönliche Momente während der Debatte, über deren Wirkung in der Nachlese heftig spekuliert wurde. Dies gilt insbesondere für die Liebeserklärung Gerhard Schröders an seine Frau („Sie lebt das, was sie sagt […] und das ist nicht zuletzt der Grund, warum ich sie liebe“). Während der Emnid-Chef Klaus-Peter Schöppner sogar implizit mutmaßte, dass Schröder die Liebeserklärung geschadet hat („Viele Wähler könnten den Verdacht haben, dass es sich nur um einen Wahlkampfgag gehandelt hat“) war die Chefredakteurin der „Bunte“, Patricia Riekel, „ganz sicher, dass ihm die Liebeserklärung Stimmen gebracht hat“. Edmund Stoiber verstieg sich sogar in der Nachbetrachtung des Bundestagswahlkampfes zu folgender Behauptung: „Heute wissen wir, dass diese Aussage eine Schneise geschlagen hat in der Zustimmung zu Gerhard Schröder und zur SPD“.

Die RTR-Daten sprechen zunächst einmal eine andere Sprache. Sie zeigen, dass die ostdeutschen Rezipienten überhaupt nicht reagierten, als Schröder Süßholz raspelte. Möglicherweise haben die Zuschauer die Aussage überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Dennoch kann Schröder der Einblick in sein Privatleben genutzt haben – und zwar weil die Experten dieser Aussage im Nachhinein so viel Bedeutung zugemessen haben. Damit kommt ein vierter Akteur ins Spiel, der neben den beiden Kandidaten und den Fernsehzuschauern über die Effekte von TV-Debatten entscheidet: die Massenmedien, die über Debatten breit berichten – und zwar höchst selektiv und stark wertend. Sie sind in der Lage, persönliche Beobachtungen zurechtzurücken; sie sind auch in der Lage, Einschätzungen, die vorher nicht existiert haben, zu generieren – wie etwa die große Bedeutung der Schröderschen Liebeserklärung.

Literatur:

Maurer, M./Reinemann, C./Maier, J./Maier, M. (2007). Schröder gegen Merkel. Wahrnehmung und Wirkung des TV-Duells 2005 im Ost-West-Vergleich. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

 

Afghanistan – wieder ein außenpolitisches Thema zur heißen Wahlkampfphase?

Andrea Römmele In Wahlkämpfen, so die Forschung, spielen vor allem innenpolitische Themen und Positionen eine Rolle. Seit 1972, als die Ostpolitik Willy Brandts im Zentrum stand, gab es kaum einen Wahlkampf mehr, in dem ein außenpolitisches Thema heiß diskutiert wurde. Die einzige Ausnahme aus der jüngeren Vergangenheit war die Auseinandersetzung über den bevorstehenden Irak-Krieg im Jahr 2002. Gerhard Schröders SPD gelang es damals, sich als Stützpfeiler der „Friedensmacht“ Deutschland (so der Titel eines SPD-Plakates) zu präsentieren und damit zugleich die Wähler von der außenpolitischen Kompetenz der Partei zu überzeugen. Angesichts der heftigen Kritik, die die Regierung zuvor etwa für ihre Haltung im Kosovo-Krieg einstecken musste, war dieser außenpolitische Rückenwind nicht unbedingt zu erwarten. Die Umfragedaten von damals zeigen aber deutlich, welchen Stellenwert der bevorstehende Krieg im Irak im deutschen Wahlkampf hatte: Laut ARD-Deutschlandtrend vom September 2002 war für 47 Prozent der Befragten die Außen- und Sicherheitspolitik ein wichtiges Thema, 74 Prozent lehnten einen US-Militärschlag im Irak ab. Schröders Nein hat diese Wähler mobilisiert und SPD und Grünen die entscheidenden Stimmen für die Fortsetzung der Koalition eingebracht.

Und jetzt? Haben wir mit dem unglaublich bedauerlichen Zwischenfall in Afghanistan wieder einen solchen Fall im Wahlkampf? Wohl kaum. Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, der ebenfalls noch während der Zeit der rot-grünen Regierung beschlossen wurde, wird nur von der Linken offen abgelehnt. Alle anderen Parteien tragen diesen Einsatz mit, der Spielraum für grundsätzliche Auseinandersetzungen ist damit weit weniger groß als 2002. Das Reden von einer „Exit-Strategie“ für die Bundeswehr in Afghanistan ist weder realpolitisch noch emotional mit einem Nein zum Irak-Krieg gleichzusetzen.

Dennoch ist der Afghanistan-Einsatz ein Thema, das nicht ignoriert werden darf. Eine klare Mehrheit von 69 Prozent der Deutschen war schon im Juli für einen schnellen Abzug, die Tendenz ist steigend. Wenn der Bevölkerung also nicht vermittelt werden kann, warum dieser Einsatz wichtig und notwendig ist, werden sowohl die Partei der Kanzlerin als auch die des Außenministers Einbußen hinnehmen müssen. Es gibt daher gerade für Union und SPD zwar nur wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren. Die Aufarbeitung der jüngsten Geschehnisse in Afghanistan ist somit nicht Teil der außenpolitischen Kür der Regierung, sondern einfach ihre Pflicht.

 

Schröder gegen Stoiber, Teil II

Der Premiere zwischen Schröder und Stoiber 2002 – die taz hatte damals das „Zeitkonto“ zum Sieger dieses Duells erkoren, weil der Blick auf Selbiges zum dominanten Element des ersten Duells geworden war – folgte zwei Wochen später (und zwei Wochen vor der Bundestagswahl 2002) das zweite Aufeinandertreffen zwischen Schröder und Stoiber. Dieses Mal übertragen von ARD und ZDF – und dieses Mal auch deutlich lebhafter und weniger reglementiert. Als „Sieger“ (was ist das eigentlich bei einem TV-Duell?) ging Gerhard Schröder aus diesem Duell hervor, wie Umfragen einhellig zeigten.

Doch auch die Echtzeitmessungen des zweiten Duells zeigen Chancen und Gefahren solcher Ereignisse – Duelle sind „High Risk Television“. Gerhard Schröder konnte in der ersten Hälfte der Debatte, die folgende Grafik zeigt es, mit seiner Absage an eine Zusammenarbeit mit der PDS punkten, vor allem aber, wie schon im ersten Duell, mit seiner Ablehnung des Irak-Kriegs. Dass TV-Debatten tatsächlich „Miniatur-Wahlkämpfe“ sind, zeigt sich auch darin, denn dieses Thema dominierte den Wahlkampf 2002 bekanntlich insgesamt.

Echtzeitbewertungen von Schröder (rot) und Stoiber (blau) in der ersten Hälfte der zweiten Debatte 2002
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Noch interessanter ist der erste markante Ausschlag, der für die zweite Debattenhälfte zu beobachten ist: Gerhard Schröder berichtet in sehr persönlicher Weise über seinen Bildungsweg (und wird dafür von den Teilnehmern der Studie mit positiven Bewertungen belohnt), Edmund Stoiber attackiert ihn dafür („Das sind schöne Worte“) – und erntet dafür eher negative Bewertungen.

Echtzeitbewertungen von Schröder (rot) und Stoiber (blau) in der zweiten Hälfte der zweiten Debatte 2002
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Was bedeutet das für Sonntag? Eine persönliche Geschichte einzustreuen (was ja auch beide Kontrahenten bei den bisherigen Auftritten im TV wiederholt getan haben), kann sich lohnen; den Gegner (zu) heftig und (zu) persönlich zu attackieren, bringt Gefahren mit sich. Dies gilt umso mehr, als jedes Wort gerade im Nachgang der Debatte auf die Goldwaage gelegt werden wird. Dem bisherigen Grundtenor, der die Erwartungen im Vorfeld der Debatte prägt, nämlich dass es eher langweilig werden wird, ist daher nur bedingt zuzustimmen. Ein kleiner Moment der Unachtsamkeit genügt und es ist mehr Spannung da, als es einem der beiden Kontrahenten vielleicht lieb ist.

 

Der Premiere erster Teil: Schröder gegen Stoiber

TV-Duelle im amerikanischen Stil kennen wir in Deutschland seit 2002. Zwar gab es schon früher – bis einschließlich 2002 – Diskussionsrunden im Fernsehen („Elefantenrunden“), doch das direkte Aufeinandertreffen der beiden Kanzlerkandidaten – Schröder und Stoiber – hatte 2002 seine Premiere. Groß war das Interesse – von Seiten der Medien wie auch von Seiten der Zuschauer. Über 15 Millionen Zuschauer schalteten bei der Premiere bei RTL und SAT1 damals ein – und sahen, so der Tenor von Experten wie auch Umfragen, einen erstaunlich guten Edmund Stoiber und einen etwas fahrigen Gerhard Schröder.

Doch über solche pauschalen Aussagen hinaus bieten TV-Duelle Möglichkeiten zu weitaus feinkörnigeren Analysen. Mittels so genannter Real-Time-Response-Analysen (vulgo: Echtzeitmessungen) kann man Zuschauer sekundengenau festhalten lassen, wie sie das Auftreten der Kandidaten bewerten. Die folgenden Abbildungen basieren auf solchen Echtzeitmessungen, die 2002 in einer Studie an der Universität Bamberg von rund 40 Teilnehmern abgegeben wurden.

Echtzeitbewertungen von Schröder (rot) und Stoiber (blau) in der ersten Hälfte der ersten Debatte 2002
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Zunächst fällt auf, dass diese „Wahlkämpfe im Miniaturformat“ durchaus differenziert wahrgenommen werden. Zwar zeigen weitergehende Analysen, dass parteigebundene Anhänger „ihren“ Kandidaten durchweg positiv wahrnehmen, doch schon die Wahrnehmung des politischen Gegners verläuft differenzierter. Insgesamt jedenfalls zeigen die Echtzeitmessungen ein häufiges Auf und Ab. Die Passagen, welche die deutlichsten Ausschläge produziert haben, sind in den Abbildungen dokumentiert.

Echtzeitbewertungen von Schröder (rot) und Stoiber (blau) in der zweiten Hälfte der ersten Debatte 2002
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Übrigens kann man mit Hilfe solcher Echtzeitmessungen sehr gut vorhersagen, wen Befragte am Ende als Sieger des Duells wahrnehmen. Offenkundig sind sie – ob bewusst oder intuitiv – in der Lage, die einzelnen Aussagen so zu verrechnen, dass sie am Ende zu einem „sinnvollen“ Siegerurteil kommen. Die einzelnen Inhalte einer Debatte – was ja mitunter bezweifelt wird – spielen also durchaus eine entscheidende Rolle. Man darf daher gespannt sein, welche Aussagen Merkel und Steinmeier nächsten Sonntag treffen werden. Wichtig sind sie allemal.

 

Zum Mitmachen auffordern! Der lahmende Internetwahlkampf

Der Wahlkampf ’09 sollte neue Standards auch im Internet setzen. Alle Parteien und Kandidaten haben schon früh spezielle Websites, Podcasts, YouTube-Kanäle und Diskussionsforen eingerichtet und sind selbstverständlich mit Profilen in den sozialen Netzwerken vertreten. Mit viel Farbe, Graphiken und Mulitimediaclips garniert werden politische Informationen an die potenziellen Wähler weitergegeben. Blickt man auf die noch immer ansteigende Internet-Nutzung in der deutschen Bevölkerung, so liegt die Politik hier voll im Trend.

Die Internet-Nutzung der Deutschen

Quelle: Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie. Die Graphik kann durch Anklicken vergrößert werden.

Im Jahr 2009 nutzen mehr als zwei Drittel der Bundesdeutschen das Internet zu den unterschiedlichsten Zwecken – und unter anderem auch, um sich (politisch) zu informieren. Allerdings springt der Funke im Netz nicht über, das Internet ist hierzulande nicht das zentrale Medium, mit dem Wähler und Anhänger rekrutiert und vor allem mobilisiert werden können. Damit unterscheidet sich der Online-Wahlkampf in Deutschland noch deutlich von seinem US-amerikanischen Vorbild, der internetbasierten Kampagne Barack Obamas. Warum ist das so? Obamas Internet-Stratege Thomas Gensemer hat hierzu gestern im „ZDF heute journal“ einen entscheidenden Punkt gleich zuerst angesprochen: Es wird kein Angebot zur Partizipation gemacht. Zwar können viele Inhalte und Clips angeschaut werden, echtes Mitmachen ist aber nicht ohne weiteres möglich.

Dies ist aber wichtig, wenn man Menschen an sich binden und sie von Interessenten zu Anhängern machen will. Die Bindekraft sozialen Engagements ist in der Sozialwissenschaft unstrittig, das Credo lautet: Wenn ich zu einem Projekt einen aktiven Beitrag leiste, dann steigt auch mein Interesse daran, dass das Projekt gelingt. Und wie groß das Potenzial für eine solche freiwillige politische Mitarbeit ist, hat nicht zuletzt eine Studie zur politischen Partizipation in Deutschland aus dem Jahr 2004 gezeigt.

Einstellungen zu „alternativen“ Partizipationsformen

Quelle: „Politische Partizipation in Deutschland“ – Studie der Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag der Bertelsmann Stiftung

Während die Mitgliederzahlen der Parteien sinken, ziehen die Bürger also durchaus einige Formen der politischen Partizipation in Betracht, die in einer eher losen Organisation und unregelmäßig ausgeübt werden können. Allerdings gilt hier mehr denn je: Die Politik muss auf die Bürger zugehen und Ihnen das Angebot zur Mitarbeit machen. Eine bahnbrechende Studie aus den USA hat bereits in den 90er Jahren die drei wesentlichen Gründe ermittelt, aus denen sich die Menschen nicht politisch beteiligen: „because they can’t; because they don’t want; or because nobody asked“.

Diesem Gedanken folgend dürfen sich die Parteien nicht auf die digitale Aufbereitung ihrer Wahlplakate beschränken, echte Kommunikation und klare Partizipationsangebote sind nötig.

 

Wer versteht die Bundesregierung? Die Webseiten der Bundesregierung im Verständlichkeitstest

Dass die Bedeutung der politischen Online-Kommunikation von Parteien und Politikern stetig zunimmt, dürfte heute als Konsens bezeichnet werden können. Dass diese Online-Kommunikation gerade in Wahlkampfzeiten aber besonders wichtig ist, hat nicht zuletzt der beeindruckende Wahlkampf und Wahlerfolg von Barack Obama in den USA gezeigt. Auch die deutschen Parteien haben auf diese Entwicklung reagiert und zur Bundestagswahl ausnahmslos aufwändige Kampagnen-Portale gestartet. Und die amtierende deutsche Bundeskanzlerin ist die erste Regierungschefin der Bundesrepublik, die einen regelmäßigen Video-Blog im Internet betreibt. Zweifellos scheint die Chance der direkten und ungefilterten Ansprache der Wähler über das Internet von der deutschen Politik erkannt worden zu sein. Doch schlägt sich diese Erkenntnis auch in einer angemessenen Ansprache der Zielgruppe nieder? Gelingt es der Politik, die Übersetzungsleistung der Medien zu kompensieren und sich bei der direkten Ansprache ihrer Wählerschaft verständlich zu machen?

Kommunikationswissenschaftler der Universität Hohenheim sind dieser Frage nun erstmals nachgegangen. Als Forschungsobjekt haben sie hierbei die Online-Auftritte der Bundesregierung unter die Lupe genommen. Denn: Keine andere politische Institution in Deutschland verfügt über mehr Ressourcen, um einen angemessenen Online-Auftritt zu realisieren, als Kanzleramt und Bundesministerien. Trotzdem stießen die Forscher bei ihrer Recherche schnell auf Wort- und Satzungetüme, die darauf schließen lassen, dass eine institutionalisierte Verständlichkeitsprüfung der veröffentlichten Webseiten-Texte in den meisten Berliner Ministerien keinesfalls Gang und Gäbe ist. Ein Beispiel gefällig? „Das Bundeskabinett hat heute den Entwurf einer Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag zur Ausweitung der Schutzklausel bei der Rentenanpassung beschlossen.“ Nominalstil in Reinkultur, entnommen aus dem Info-Text „Schutz vor Rentenkürzungen“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

Dass es auch anders geht, bewiesen die Hohenheimer Forscher ebenfalls: Alle untersuchten Texte wurden in ihrer Verständlichkeit optimiert. Aus dem obigen Satzbeispiel wurde so beispielsweise: „Die Bundesregierung hat heute den Entwurf zu einem Gesetz beschlossen, das die Höhe der Rente schützen soll.“ Diese optimierten Text-Versionen wurden ebenso wie die Original-Texte zwei Gruppen von Probanden zur Bewertung und zum anschließenden Ausfüllen von Verständnistests vorgelegt. Das Ergebnis dieses Experiments: Bei allen optimierten Texten konnte die subjektive Verständlichkeitsbewertung sowie das objektive Verständnis signifikant verbessert werden. Der Optimierungseffekt betrug hierbei teilweise bis zu 56 Prozent.

Quelle: Universität Hohenheim. Die Graphik kann durch Anklicken vergrößert werden.

Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung sollte die Verantwortlichen in den Ministerien besonders hellhörig werden lassen: Alle untersuchten Wählergruppen, ob mit hoher oder niedriger Bildung, mit hohem oder niedrigem politischen Wissen, profitierten in ähnlicher Weise von den verbesserten Texten. Selbst die Stärke der Parteiidentifikation wirkte sich nicht systematisch und in der erwarteten Richtung auf den Optimierungseffekt aus. Im Gegenteil: Der Optimierungseffekt lag bei den stark Parteigebundenen in vielen Fällen sogar höher als bei den schwachen Parteianhängern und den Parteilosen. Eine Verständlichkeitsoptimierung politischer Webseiten wäre demnach keineswegs eine Nischen-Strategie für bestimmte Teilgruppen der User, sondern würde mit hoher Wahrscheinlichkeit der gesamten Nutzer-Gemeinde zugute kommen; eine Perspektive, die sicher nicht nur Demokratietheoretiker interessieren dürfte.

 

Thüringen hakt nach

Kurz vor den Landtagswahlen am Sonntag ist noch immer schwer vorhersagbar, zu welchen Koalitionen die Ergebnisse führen könnten. Denn die Bandbreite der möglichen Koalitionen ist so groß wie selten zuvor: Ein rot-rotes Bündnis, eventuell mit Beteiligung der Grünen, ist ebenso denkbar wie Jamaika- oder Ampelkoalitionen oder die klassischen Varianten Schwarz-gelb und Große Koalition.

Diese unterschiedlichen Szenarien werfen Fragen auf. Gerade in Thüringen, wo derzeit neben der Koalitions- auch die Ministerpräsidentenfrage besonders heiß diskutiert wird, scheinen viele Bürgerinnen und Bürger noch großen Informationsbedarf zu haben und ihre Wahlentscheidung erst dieser Tage zu treffen. Ein Indikator dafür ist die Aktivität der Plattform abgeordnetenwatch.de, auf der man Politikern Fragen stellen kann. Hier wurden bis Freitag immerhin 785 Anfragen zur Landtagswahl in Thüringen verzeichnet, das sind umgerechnet immerhin ca. 35 Fragen pro 100.000 Einwohner. Damit wurden im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung mehr als doppelt so viele Fragen eingereicht wie in Sachsen und dem Saarland.

Die Politiker in Thüringen sind sich des Stellenwerts solcher Foren offensichtlich bewusst und haben etwas mehr als vier von fünf Fragen (82,7%) auch beantwortet. Damit liegen sie knapp vor den Kollegen in Sachsen (80,4%) und deutlich vor jenen im Saarland (69,8%). Zum Vergleich: Von den 2.715 Fragen, die bisher im Rahmen der Bundestagswahl gestellt wurden (das sind ca. 3,3 pro 100.000 Einwohner), wurden gerade mal 61,7% beantwortet.

Natürlich sind solche Zahlen interpretierbar. Beispielsweise könnte man argumentieren, dass der Stellenwert der Internetanfragen dort geringer ist, wo die Bevölkerungsdichte höher und es somit einfacher und wahrscheinlicher ist, die Kandidaten in der Nähe des Wohnortes persönlich an den Wahlständen anzutreffen. Dennoch zeigt die Internetaktivität der Bevölkerung (und der Politiker) an, dass es bis zuletzt noch einige unentschlossene Wählerinnen und Wähler gab und gibt. Gerade in Thüringen könnte es sich also lohnen, den Wahlkampf bis zur letzten Minute zu führen.

 

Das ZDF-Wahlforum – Spitzenpolitiker auf dem Vormarsch

Dass die Spitzenkandidaten der Parteien im Wahlkampf von der eigenen Partei aber auch von den Medien ins Rampenlicht gerückt werden ist nichts Neues. Daran ändern auch jüngst aus den USA importierte Formate wie das TV-Duell der Kanzlerkandidaten und die Frage-und-Antwort-Stunde mit Frau Merkel nichts. Diese Personalisierung der Medienberichterstattung ist in der Politik bei weitem kein neues Phänomen. Das erste von drei Wahlforen, die im Vorfeld der Bundestagswahl im ZDF ausgestrahlt werden, hat sich am gestrigen Abend diesbezüglich jedoch als ein Novum erwiesen: Die Riege der Starwahlkämpfer hat bei allen Parteien Zuwachs bekommen. Neben den Spitzenkandidaten sind es seit gestern auch die Spitzenpolitiker der Parteien, die dem Wähler in einem speziellen TV-Format „auf dem silbernen Tablett serviert werden“. So hatte jede der im Bundestag vertretenen Parteien einen Repräsentanten zum ZDF nach Mainz entsandt, der dem Moderatorenteam und einigen ausgewählten Zuschauern im Studio Rede und Antwort stand. Neben dem Arbeitsminister, Olaf Scholz (SPD) und dem CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla waren der gesundheitspolitische Sprecher der FDP, Daniel Bahr, Katrin Göring-Eckardt, Vizepräsidentin des Bundestags (Bündnis 90/die Grünen), Klaus Ernst, stellvertretender Partei- und Fraktionschef der Linken, und Christine Haderthauer, bayerische Sozialministerin (CSU), anwesend und gaben ihre Lösungsvorschläge zum Thema „Wie viel Sozialstaat können wir uns noch leisten?“ zum Besten.

Neben den Gallionsfiguren der Parteien, den Spitzenkandidaten, sind offensichtlich auch immer mehr die jeweiligen Experten zu bestimmten Themen gefragt, die mit ihrem Know-how in einem bestimmten Politikbereich beim Wähler punkten sollen. Dabei wird dieser push der „zweiten Riege“ sowohl von den Parteien selbst als auch von den Medien bewirkt. Das Fernsehen ruft und die Parteien entsenden ihre besten Pferde zu einem bestimmten Diskussionsthema. Diese mediale Personalisierung in Form einer Präsentation von Spitzenpolitikern in Verbindung mit dem Profil ihrer Partei deckt sich mit dem Befund einer empirischen Studie, die ich schon für die Printmedienberichterstattung im Rahmen des Bundestagswahlkampfes im Jahre 2002 durchgeführt habe. Hier wurde deutlich, dass Spitzenpolitiker als Experten zu bestimmten Themen immer mehr an Gewicht in der Wahlkampfberichterstattung der Printmedien gewinnen. Mit dem Wahlforum im ZDF scheint dieser Trend nun auch in den audiovisuellen Medien angekommen zu sein.

Literatur:

Jucknat, Kim (2007). Die Personalisierung der Wahlkampfberichterstattung in Deutschland und den USA: Köpfe und Themen. In: Zeitschrift für Parlamentsfragen 37 (1).

 

Personalisierung vs. Volksnähe – Die Plakatkampagnen von Union und SPD

Mittlerweile ist es für jeden sichtbar: Die heiße Phase des Bundestagswahlkampfes 2009 ist eröffnet. An strategisch wichtigen Punkten in jeder Stadt prangen die Wahlkampfplakate der beiden Volksparteien. Das kennt jeder, das ist bei jeder Bundestagswahl so. Auffällig ist jedoch, dass die beiden großen Parteien mit vollkommen unterschiedlichen Strategien die Motive und Slogans ihrer Werbeträger ausgewählt haben. Während von den Plakaten der Union die Spitzenkandidatin Angela Merkel oder andere Spitzenpolitiker von CDU und CSU so wie Wolfgang Schäuble oder Karl-Theodor zu Guttenberg „herablächeln“, sind auf den Plakaten der SPD Menschen wie Du und ich abgebildet. Doch nicht nur visuell, sondern auch inhaltlich weisen die Plakate der beiden großen Parteien verschiedene Schwerpunkte auf. Die CDU verweist auf die Kernkompetenzen der dargestellten Spitzenpolitiker (Plakat Schäuble: Wir haben die Kraft für Sicherheit und Freiheit; Plakat Ilse Aigner: Wir haben die Kraft für die Zukunft unserer Bauern), die SPD hingegen wirbt mit Kernkompetenzen der Partei und Sachthemen. Sympathisch anmutende Menschen, die wirken, als seien sie aus unserer unmittelbaren Nachbarschaft, fungieren als testimonials und sollen den Wählern die Stärken der SPD näherbringen. Die SPD setzt auf thematischen „Zugpferde“, und so werden „soziale Gerechtigkeit“, „Solidarität“ und „erneuerbare Energien“ beworben mit Slogans wie „Bildung darf nicht von Konto der Eltern abhängen“, „Die SPD kämpft für Arbeitsplätze. Für meinen und auch für Ihren.“ oder „Atomkraft war gestern. Saubere Energie ist die Zukunft.“

Betrachtet man sich die Umfragen, kann man sowohl der Union zu ihrer Personalisierungsstrategie, als auch der SPD zur ihrer Strategie, die auf Volksnähe und Sachlichkeit setzt, sagen: aufs richtige Pferd gesetzt! Der SPD werden von den anderen Parteien die Themen „abgegraben“, deshalb tut sie gut daran, ihre thematischen Stärken herauszustellen. Im Gegensatz zur Union verfügt die SPD nicht über starke Spitzenpolitiker, die sich zur Personalisierung eignen würden. Frank-Walter Steinmeier rangiert auf der Beliebtheitsliste der Spitzenpolitiker lediglich im Mittelfeld, wohingegen Angela Merkel und Karl-Theodor zu Guttenberg das Feld weiterhin anführen. Die CDU hat ihre personelle Stärke in diesem Wahlkampf erkannt und strategisch richtig gehandelt. Die Personalisierung der CDU und die Volksnähe der SPD: Kampagnenstrategien, die vollkommen entgegengesetzt sind, und dabei optimal von beiden Parteien, passend für ihre jeweilige Situation, gewählt wurden. In puncto Kampagnenstrategie „Plakate“ haben die beiden Volksparteien ihre Hausaufgaben gemacht!