Seit April sitzt der Leipziger Imam Hesham Shashaa alias Abu Adam wegen Terrorverdachts in Spanien in U-Haft. Jetzt behauptet sein Anwalt: Die Ermittlungen begannen erst, nachdem Abu Adam ablehnte, der Polizei als Informant zu dienen. Folge 7 unseres Ermittlungsblogs
Von Yassin Musharbash
Der Fall des Leipziger Imams Abu Adam ist etwas Besonderes. Denn der Verdächtige und die Beamten, die gegen ihn ermitteln, widersprechen einander weniger, was die Fakten betrifft – dafür aber diametral, was die Interpretation dieser Fakten angeht.
Die spanische Polizei glaubt, dass Abu Adam, der eigentlich in Leipzig lebt, aber in den letzten Jahren zwischen Deutschland und einem kleinen Ort in Südspanien gependelt ist, ein radikaler Aufrührer ist, der gezielt Extremisten um sich versammelt. Ihn selbst verdächtigen sie sogar, in die Struktur der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ eingebunden zu sein und dem dschihadistischen Terrorismus mit Propaganda und Geld Vorschub geleistet zu haben. Seit April 2017 halten sie ihn deswegen in Untersuchungshaft.
Abu Adam streitet das kategorisch ab: Seine Kontakte zu IS-Verdächtigen und anderen Radikalen dienten alleine dem Zweck, diese zu deradikalisieren, macht er geltend. Er lehne Gewalt ab und habe Zeit und Geld aufgewandt, um den Extremisten des IS und anderer Gruppen den Nachschub an jungen Verführten abzuschneiden.
In bisher sechs Folgen dieses Ermittlungsblogs habe ich den Fall aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Denn die Causa Abu Adam ist auch auf einer weiteren Ebene von Bedeutung: Wie auch immer der Fall ausgeht, er wird die Debatte darüber befeuern, wer qualifiziert ist, Extremisten aus der dschihadistischen Szene zu deradikalisieren – und mit welchen Methoden.
Für die heutige Folge habe ich mit Abu Adams Anwalt in Spanien, Gonzalo Boye, ein Interview geführt*. Nicht zuletzt, um genauer zu erfahren, wie die spanische Justiz funktioniert, was also die nächsten Schritte im Verfahren gegen Abu Adam sein werden. Gonzalo Boye stellt in dem Interview darüber hinaus eine überraschende Behauptung auf: Die spanische Polizei habe Abu Adam als Informant anzuwerben versucht.
„Ich glaube, er braucht eine gute Verteidigung“
ZEIT ONLINE: Herr Boye, Abu Adam sitzt seit fast acht Monaten in Untersuchungshaft. Haben Sie ihn mittlerweile besuchen können? Wie sehen seine Haftbedingungen aus?
Gonzalo Boye: Ich habe ihn in dem Gefängnis Puerto de Santa María besucht, es gilt als das härteste Gefängnis Spaniens und liegt etwa 600 Kilometer von Madrid entfernt. Es hat ziemlich lange gedauert, die Besuchserlaubnis zu bekommen, ich habe den Fall auch erst vor einigen Monaten übernommen. Hesham Shashaa hält sich jeden Tag 20 Stunden in der Zelle und vier Stunden im Patio auf, wobei extreme Sicherheitsvorkehrungen gelten. Es ist das schlimmste Gefängnis Spaniens, weit entfernt vom Gericht und auch von meinem Büro, was es kompliziert macht, ihn regelmäßig zu besuchen.
ZEIT ONLINE: Ich habe Kenntnis von drei Dokumenten der spanischen Ermittler, einer Art Zusammenfassung der Vorwürfe, vom Protokoll einer ersten Vernehmung nach der Festnahme sowie einer „Faktensammlung“ der Ermittler. Die Vorwürfe der spanischen Ermittler wiegen schwer, sie beinhalten unter anderem Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Terrorpropaganda und -finanzierung. Können Sie uns sagen, wie weit fortgeschritten die Ermittlung ist? Und wurde Abu Adam bereits offiziell angeklagt?
Boye: Er wurde noch nicht offiziell angeklagt, das wird später passieren.
ZEIT ONLINE: Wer genau führt eigentlich die Ermittlungen?
Boye: Der Instruction Court Number 6 des Nationalen Gerichtshofes. Aber bisher wurde die gesamte Ermittlung von einer einzigen Polizeieinheit geführt.
ZEIT ONLINE: Wie viel Zeit haben die Behörden, bevor sie Abu Adam formal anklagen müssen?
Boye: Die maximale Dauer der U-Haft beträgt vier Jahre. Aber wir glauben, es ist an der Zeit, dass nun Anklage erhoben wird, denn die Ermittlungen laufen nicht mehr und es gibt bisher auch keine Beweise für fehlerhaftes Verhalten. Wir kämpfen dafür, dass Hesham Shashaa entweder vorläufig auf freien Fuß gesetzt wird oder der Fall ganz geschlossen wird.
ZEIT ONLINE: Die Ermittlungen laufen also derzeit nicht weiter?
Boye: Nicht wirklich. Alles, was in dem Fall vorliegt, sind die Annahmen einer Polizeieinheit, aber keine Beweise und keine weiteren Ermittlungen.
ZEIT ONLINE: Hören die Ermittler Zeugen an?
Boye: Nein. Sie haben ihre eigenen Schlüsse gezogen und scheinen kein Interesse daran zu haben, irgendetwas zu finden, das ihren ersten und unfundierten Annahmen widerspricht.
ZEIT ONLINE: Sie haben Hesham Shashaa geraten, nicht mit den Ermittlern zu sprechen. Ist das richtig?
Boye: Ja, es gibt keinen Grund, mit dem Gericht oder den Ermittlern zu sprechen, weil es keine Fakten oder Beweise gegen ihn gibt, also wissen wir gar nicht, was wir antworten sollen. Wenn der Ermittlungsrichter, der Staatsanwalt oder die Polizei uns etwas Neues präsentieren, werden wir antworten – aber nicht jetzt.
ZEIT ONLINE: Hesham Shashaas Familie sagt, sie versuche, Gegenbeweise zusammenzutragen, um zu demonstrieren, dass die Vorwürfe der Ermittler entweder auf Missverständnissen beruhen oder falsch sind. Die Familie sagt auch, dass sei schwierig, weil die Ermittler die meisten Dokumenten beschlagnahmt hätten, als Shashaa festgenommen wurde. Halten Sie es für möglich, dass es der Familie gelingt, Belege vorzubringen, die die Vorwürfe der Ermittler schwächen?
Boye: Wir werden jedes einzelne und alle möglichen Elemente finden, die seine Aktivitäten, seine Arbeit und seinen Lebenswandel demonstrieren können. Es ist nicht leicht, weil die Polizei seine Computer und Dokumente an sich genommen hat. Aber wir werden einen Weg finden.
ZEIT ONLINE: Die spanischen Ermittlungsakten zeigen, dass die Ermittler Shashaas Telefon abgehört haben, Gespräche mit seinem Anwalt in Deutschland eingeschlossen. Ist das nach spanischem Gesetz legal?
Boye: In diesem Fall ist der Großteil der Ermittlungen illegal und das werden wir beweisen.
ZEIT ONLINE: Es wird aus den Akten überhaupt nicht klar, wieso die Ermittlungen gegen Hesham Shashaa eingeleitet wurden. Kennen Sie den Grund?
Boye: Einfach nur, weil er nicht als Informant für die spanische Polizei arbeiten wollte. Er ist kein Spitzel, sondern ein verantwortungsbewusster Mann, der ernsthaft daran arbeitet, Menschen zu deradikalisieren; da kann er nicht gleichzeitig für die Polizei arbeiten.
ZEIT ONLINE: Sie sagen, er wurde vor Beginn der Ermittlungen gefragt, ob er als Informant arbeiten würde?
Boye: Ja. Und nachdem er Nein sagte, begannen die Ermittlungen gegen ihn.
ZEIT ONLINE: Ich muss der Klarheit halber noch mal nachhaken: Hat Hesham Shashaa Ihnen erzählt, dass er gefragt wurde, ob er als Informant für die spanische Polizei arbeiten würde – oder gibt es für diese Information eine weitere Quelle?
Boye: Er hat es mir gesagt. Und ich habe es durch weitere Quellen geprüft.
ZEIT ONLINE: Die Familie hat mir berichtet, dass Hesham Shashaa regelmäßig Besuch von einer Mitarbeiterin einer spanischen Sicherheitsbehörde erhielt. Wissen Sie etwas darüber?
Boye: Ja, das ist wahr, aber sie (diese Institution, YM) war an der Festnahme nicht beteiligt. Der ganze Fall wurde von der Polizei aufgemacht, nachdem er sich weigerte, als Informant zu arbeiten.
ZEIT ONLINE: Wenn deutsche Ermittler die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nachweisen wollen, suchen sie für gewöhnlich nach einem Treueeid, den der Verdächtige abgelegt hat, oder schauen, ob er in einem Propagandavideo auftaucht und dadurch deutlich macht, dass er dazugehört. Wie funktioniert das in Spanien?
Boye: Nach dem Gesetz sollte es in Spanien ähnlich ablaufen. Aber in diesem Fall läuft alles verkehrt.
ZEIT ONLINE: In einem Fall hat Hesham Shashaa anscheinend versucht, einer Marokkanerin und ihren Kindern, die zuvor auf dem Gebiet des IS gelebt hatten, dabei zu helfen, nach Spanien zurückzugelangen. Laut den Ermittlern bestand ein internationaler Haftbefehl gegen diese Frau. Wie schätzen Sie das ein?
Boye: Nun, das sagt die Polizei. Aber woher sollte Shashaa wissen, dass es dieses Dokument gab? In jedem Fall ist es kein Verbrechen, ihr dabei zu helfen, zurückzukehren.
ZEIT ONLINE: Hesham Shashaa hatte Kontakt zu verschiedenen Personen, die ihrerseits Beziehungen zu Menschen im IS hatten. Er sagt, er habe diese Kontakte unterhalten, um Menschen zu deradikalisieren und davon abzuhalten, sich dem IS anzuschließen. Die spanischen Ermittler scheinen das nicht zu glauben. Sie glauben offenbar, Abu Adam habe das Gegenteil getan und vielmehr ein Netzwerk von Radikalen um sich herum aufgezogen. Glauben Sie, es wird Ihnen möglich sein, das zu beweisen?
Boye: Wir werden das zweifelsfrei beweisen. Es wird dauern. Aber wir werden nachweisen, dass es sich um falsche Anschuldigungen handelt.
ZEIT ONLINE: Von allen Vorwürfen, die gegen Shashaa erhoben werden: welcher ist aus rechtlichem Blickwinkel der schwerwiegendste oder derjenige mit den weitreichendsten potenziellen Konsequenzen?
Boye: Ich habe bisher keine Beweise gegen ihn gesehen, zumindest nichts, was man als Beweis betrachten kann. Die Polizei sagt, Shashaa tue möglicherweise x, y oder z – aber nie, dass er es getan habe. Weil er nichts Falsches getan hat.
ZEIT ONLINE: Natürlich haben auch Terrorverdächtige das Recht auf einen Anwalt. Aber können Sie uns sagen, warum Sie sich entschieden haben, Hesham Shashaa zu vertreten?
Boye: Ich glaube, er braucht eine gute Verteidigung. Und ich glaube außerdem, dass er unschuldig ist.
* Das Interview wurde schriftlich per E-Mail geführt.
Haben Sie Hinweise oder Informationen, die für diese Recherche hilfreich sein könnten? Schreiben Sie an yassin.musharbash@zeit.de
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