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Ach Gott, kleines Ferkel

Der Streit um das Buch war absurd, nur das Bundesfamilienministerium insistierte: Das Kinderbuch Wo bitte geht’s zu Gott?, fragte das kleine Ferkel soll auf den Index. Antisemitisch sei es und mache die drei großen Weltreligionen verächtlich. Nun hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien entschieden: Michael Salomon-Schmidts Buch wird nicht verboten.

Eine richtige Entscheidung. Denn antisemitisch ist das Buch keineswegs. Es werden die drei großen monotheistischen Religionen gezeigt und kritisiert – zugegeben auf eine recht plumpe Weise. Der Bischof prügelt mit der Bibel, der Rabbi schwingt kämpferisch die Tora-Rolle, und der Mufti schart blutrünstige Fanatiker um sich. Weder ähneln die Karikaturen des Rabbi denen aus dem nationalsozialistischen Hetzblatt Der Stürmer noch wird das Judentum besonders gefährlich dargestellt. Alle drei Religionen kommen schlecht weg! Denn die Moral der naiven Geschicht’ geht ungefähr so: Liebe Kinder, gebt fein Acht, ohne Religion seid ihr besser dran. Ferkelei oder Heidenspaß fürs Kinderzimmer? Immerhin amazon-Bestsellerliste.

Dass diese Art der Kritik vielleicht Gläubigen der drei Religionen aufstößt, erfüllt noch lange nicht den Tatbestand der Jugendgefährdung. Es ist ein Grundrecht, Religion zu kritisieren. Das wissen wir seit Voltaire. Ebenso gehört sie zur Meinungs- und Religionsfreiheit. Ob die Kritik so missraten daher kommt wie in diesem Buch, ist völlig egal, denn die Bundesprüfstelle ist nicht dazu da, schlechte Bücher zu verbieten. Und schlecht sind an Schmidt-Salomons Buch so einige Dinge. Aber diese gehören nicht auf einen Beamtenschreibtisch.

Und eigentlich ist es auch nur fair. Atheisten müssen die zahlreichen Kinderbibeln hinnehmen, da können Gläubige ruhig dieses Buch ertragen. Sie müssen es ja nicht gleich kaufen und ihren Kindern vorlesen. Die Debatte um dieses Buch zeigte besonders eines: Nichtgläubige haben manchmal nicht die gleichen Rechte wie Gläubige. Wenn Kardinal Meisner über „entartete Kunst“ salbadert und behauptet, Kunst dürfe nur die Wahrheit Jesu Christi aussprechen, wird darüber weniger diskutiert als über ein 20 Seiten schmales Buch, dass eine naive Aufklärungsfantasie erzählt, aber letztlich keinem weh tut.

 

Den Deutschen ihre Erker

Die Sprache verkommt mal wieder. Diesmal macht sich die Berliner CDU ernsthaft Sorgen ums verlotternde Deutsch. Es müsse „als Kulturgut gestärkt und geschützt werden“, sagt die Partei. Der Berliner Senat und die Bundesregierung wurden gar aufgefordert, „einer Verdrängung von Teilen des deutschen Wortschatzes durch Anglizismen und Jargons entgegenzuwirken“. Denn Deutsch gehöre immerhin „zu den großen Kultursprachen der Welt und sei die meistgesprochene Sprache in der Europäischen Union“. Zu den großen! Ja! Kultursprachen! Jawohl! Der Welt! Was sonst!

Nur was tun?

Der Vorwurf, dass die Sprache verkäme, ist so alt, wie die Sprache selbst. Es hieß mal, das Französische bleiche das Deutsch aus, wegen Heinrich Heine und Friedrich des Großen. Da wollten die Sprachpuristen tatsächlich die angeblich dem Französischen entlehnte „Nase“ mit dem „Gesichtserker“ übersetzen. Und hätten die Sprache beinahe noch mehr versaut, denn Nase ist ein geerbtes Wort, seit dem Althochdeutsch tradiert, doch der Erker bloß ein Lehnwort, geklaut vom nordfranzösischen „arquière“, was so viel heißt wie „Mauerausbuchtung“. Auch wenn einem ob solcher Vorschläge das Gesicht versteinern mag, ist die Nase noch lange kein Erker.

Seit Jahrzehnten nun ist es das böse Englisch. Dass Sprache nichts Statisches ist, sondern sich durch kulturellen Austausch stetig verändert, ist eigentlich ein alter Hut. Die Globalisierung ist schuld, da hätte die CDU schon Kolumbus verbieten müssen, Amerika zu entdecken. Aber, nö, sie will trotzdem ihr Deutsch zurück! Bloß welches? Das Goethes? Das Kleists? (Was schon himmelweite Unterschiede waren.) Oder das Adenauers?

Die CDU schlägt Folgendes vor: „Öffentliche Beschilderungen, Leitsysteme und andere Beschriftungen auf Bahnhöfen, Flughäfen und an öffentlichen Gebäuden seien durchgängig in deutscher Sprache zu verfassen, zusätzlich könnten internationale Sprachen benutzt werden.“ Also heißt „Park & Ride“ fürderhin „Parken & Reiten“, „Arrival and Departure“ „Willkommen und Abschied“ (Womit wir wieder bei Goethe wären.), „Info-Point“ „Informationspunkt“, und der „Airport-Shuttle-Service“ wird zum „Flughafenzubringerdienst“. Und auch die Rundfunkanstalten seien „verstärkt für ihre sprachliche Vorbildfunktion in die Verantwortung zu nehmen“. Sagt die CDU in wirklich blitzsauberem, äh, Deutsch.

Freilich gibt es viel zitierte Beispiel dafür, was der Einfluss anderer Sprachen mit der eigenen anrichten kann. Die Wendung „das macht Sinn“, ist nicht nur hässlich, sondern auch falsch. Genau wie „realisieren“ zu sagen, wenn man nicht „verwirklichen“ meint, sondern „bemerken.“ Gerne auch: „Für Hans bedeutet das sehr viel“, wo es doch „Hans bedeutet das sehr viel“ heißen müsste. Ist sogar eine Silbe kürzer. Viele englische Wörter erfinden wir uns zudem selbst: das „Handy“ und die „No-Go-Area“ zum Beispiel. Fragen Sie mal in England jemanden nach seiner „Handynumber“ – er wird Sie nicht verstehen.

Aber, und da gebe ich der CDU recht, frag ich mich gelegentlich auch, warum wir englische Worte für manche Dinge benutzen, die man auch wunderbar auf Deutsch sagen kann. Ein paar Vorschläge zum Schluss: „S.U.V.“ kann man prima mit „Allradkarre“ übersetzen, die „Sneakers“ mit „Turnschuhe“, den „Art Director“ mit „Chefgestalter“, und sowieso ist das ganze Business-Englisch entbehrlich: „Challenge“, „Meeting“, „Break-Even“ und dieses Zeug. Und warum sagen wir „Dandy“, wo es doch das schöne deutsche Wort „Fatzke“ gibt? Doch soll das bitteschön jeder selbst entscheiden.

 

Preise, tolle Sache

Die Feststellung, dass Wasser nass ist, ist ein alter Hut. Trotzdem fasziniert sie immer aufs Neue. Wie neulich in einem Buchladen in der Hamburger Fußgängerzone: Eine Frau betrat das Geschäft, tropfnass vom Regen, der sich draußen in den Straßen ergoss, im Laden unüberseh- und hörbar. Da fragt doch die Kassiererin: „Warum tropfen Sie denn so?“ Nun klopft die dpa mit einer weiteren solcher Feststellungen an unsere Pforten der Erkenntnis. Hat sogar was mit Büchern zu tun. Wollen mer se reinlasse?

Hereinspaziert: „Neues Phänomen am Buchmarkt: Literaturpreise bringen den Prämierten nicht mehr nur Renommee und Geld – sie katapultieren die Autoren auch in die Bestsellerlisten.“ Ach? Zum Beispieeel? „Julia Franck und ihr Roman Die Mittagsfrau. Die Verleihung des Deutschen Buchpreises Anfang Oktober führte laut Verlag S. Fischer dazu, dass die Auflage innerhalb weniger Tage gewaltig stieg – von etwa 20 000 auf mehr als 70 000.“

Im heutigen Sprachgebrauch bezeichnen „Phänomene“ ja eine ungeheuerliche Erscheinung, etwas außergewöhnliches. Jaja, da werden jetzt einige Griechischlehrer widersprechen. Der eigentliche Wortsinn ist bloß „Erscheinung“ (Und was Kant dazu sagt, herrje). Aber benutzt das jemand noch so? Nee, oder?

Ist es denn außergewöhnlich, dass ein Buch sich plötzlich verkauft, das einen Buchpreis gewinnt, der, wenn man böse wäre, nur dazu eingerichtet wurde, ebendieses zu erreichen? Auf der Verleihung des Preises sagten die Redner, Kritiker, Moderatoren pausenlos, wie sehr sie hofften, dass sich alle nominierten Bücher na wo wohl wieder finden? Jetzt raten Sie mal!

a) liegengelassen im Überlandbus
b) in der Drogerie an der Kasse
c) in der Bestseller-Liste
d) im Verzeichnis lieferbarer Bücher

Zu leicht. Und freilich schön für Julia Franck und den S.Fischer-Verlag, denn: „Inzwischen erwartet der Verlag,
Francks Roman bis Jahresende um die 300 000-mal verkauft zu haben.“ Freut uns. Das zu erklären, ist allerdings leicht. Erstens ist ein ganz gutes Buch und zweitens: Es wurde, wie alle anderen nominierten Bücher so unablässig neu beklebt mit Stickern. Und wenn man die Long- und Shortlists veröffentlicht, dann doch nur als Kaufargument, das künftighin auf allen Nominierungen pappt. „Nominiert auf der Longlist des Deutschen Buchpreises“, „Nominiert auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises“, „Gewinner des Deutschen Buchpreises“.

Abgesehen davon, wie bemitleidenswert die Verlagsangestellten sind, die immer wieder die Aufkleber austauschen müssen, dient das einem einfachen Zweck: Der Leser möchte wissen, was er kaufen soll. Und wenn eine Autorität, vertreten durch namhafte und sehr gute Kritiker, ihm das sagt, so kauft er. Und Deutscher Buchpreis klingt ja beinahe schon apodiktisch – wer möchte da noch etwas anderes lesen?: Deutsch – Oh! Buch – Sowieso! Und dann auch noch Preis – Jawollja, zu recht! Schon spaziert man zur Kasse.

Der Artikel bezieht sich beinahe ausschließlich auf Gewinner dieses Preises. Das sind nicht so viele, denn ihn gibt’s erst seit 2005. Aber alle Preisträger haben seither viele Bücher verkauft. Heißt nicht viel, sondern nur: Die Bücher werden auch nicht besser. Aber die Werbung wird’s offensichtlich.

 

Weihnachtsgedichte für alle!

Wieder eine neue Studie! Diesmal geht’s um des Deutschen Weihnachtstradition, nämlich ums Weihnachtsgedicht. Früher war es Pflicht: Entweder ein paar festliche Zeilen, oder Knecht Ruprecht packt die Rute aus. Und nun, ach Schreck: Stirbt es aus? Lernen wir keine Gedichte mehr? Lenken uns die Geschenke, die Süßigkeiten und die Blinkbeleuchtung des Nachbarn derart ab? Oder sind alle Kinder inzwischen so geraten wie das Kind aus dem Loriot-Sketch, das mehr als „Zicke, Zacke, Hühnerkacke“ nicht herausbringt? Dies nun zu untersuchen, gab ein Schokoladenhersteller in Auftrag, dachte sich sechs Fragen aus und heraus kam dieses:

78,4 % stimmen Weihnachtsgedichte auf die Advents- und Weihnachtszeit ein
91,8 % kennen ein Weihnachtsgedicht
66,2 % können aus dem Stegreif eins aufsagen
Bei 41,9 % werden im Umfeld Weihnachtsgedichte vorgetragen und
77,5% fänden es schön, wenn diese Tradition wieder belebt würde.

In der Pressemitteilung stand dann noch jenes: Der Wunsch nach einem „Comeback des Weihnachtsgedichtes“ sei „bei mehr als drei Viertel aller Befragten, insbesondere Familien mit Kindern (82,2 %)“ groß. Schön. Doch worauf warten die denn noch? Auf eine Comeback-Fernsehshow zur Vorweihnachtszeit? Fangen Sie doch daheim damit an! Zum Üben geb ich Ihnen allen gern mein Lieblingsweihnachtsgedicht, mit dem Sie nebenbei auch noch manch einen Kommunisten erfreuen können:

Nikolaus erzählt

„Als ich auf den Kalender sah,
Rief ich: Ei, der verhexte!
Die Stiefel her! Die Zeit ist da!
Heut ist ja schon der sechste!
Mein Schlitten brachte mich zum Pol
Und mein Mercedes Benz
Entlang die lange Küste wohl
Westskandinaviens.
Und als ich hinterher zu Schiff
Nach Deutschland reisen wollte,
Ein Mensch nach meinem Sacke griff:
Habn Sie was zu verzollen?
Da riß mir die Geduld geschwind,
Ich zog die Stirne kraus:
Mich kennt, du Schafskopf, jedes Kind.
Ich bin der Nikolaus.“

(Aus: Peter Hacks „Die Gedichte“, Edition Nautilus, Hamburg 2000. © Eulenspiegel Verlag)

 

Was lesen Mami und Papi?

Immer mehr Erwachsene kaufen Kinder- und Jugendbücher für sich selbst. Kinder und Jugendliche dagegen lesen
immer öfter Bücher, die nicht für ihre Altersgruppe konzipiert wurden. Diese Ergebni sse einer Studie der Gesellschaft für
Konsumforschung (Nürnberg) im Auftrag des Börsenvereins des deutschen Buchhandels veröffentlichte die Fachzeitschrift Börsenblatt in ihrer neuesten Ausgabe. Besonders Bestseller und Fantasy-Titel würden Erwachsene immer öfter kaufen, sagte Christoph Kochhan vom Börsenverein.

„Empfohlene Altersgrenzen werden ignoriert“, wurde als weiteres Ergebnis der Studie genannt: Sieben Prozent der Jugendbücher „ab zwölf Jahren“ würden für Sieben- bis Neunjährige gekauft. 16- bis 19-Jährige würden schon zum größten Teil Literatur für Erwachsene lesen. Auch Eltern tendierten dazu, ihren Kindern Bücher, besonders Sachbücher, zu kaufen, die für Ältere gedacht sind. „In keiner Altersgruppe ist der Anteil der geschenkten Sach(bilder)bücher so hoch wie bei den Vier- bis Sechsjährigen“, heißt es im Börsenblatt weiter.

Insgesamt ermittelte die Studie, dass Erwachsene mit Hochschulabschluss oder Fachabitur mehr als drei Viertel der Kinder-
und Jugendbuchkäufer stellen. Die Käufer bis 19 Jahre kommen nur auf eine Quote von sieben Prozent. „Das war so nicht zu erwarten“, schreibt das Börsenblatt. Bei den 16- bis 19-jährigen Jungen sei der Buchkauf besonders unpopulär: Nur 16 Prozent von ihnen geben ihr Geld für Bücher aus, im Gegensatz zu 84 Prozent der Mädchen.

Mensch Jungs, was macht ihr bloß mit eurem Geld?

 

Das schönste Wort der Welt

Das türkische Wort „Yakamoz“ ist zum schönsten Wort der Welt gewählt worden. Der Gewinner des Wettbewerbs Das schönste ABC der Welt heiße übersetzt „die Widerspiegelung des Mondes im Wasser“, teilte das Institut für Auslandsbeziehungen mit. Eine dreiköpfige Jury wählte das Wort aus rund 2500 Einsendungen aus. Etwa 60 Nationen beteiligten sich an dem Wettbewerb. Auch deutsche Beiträge waren dabei: zum Beispiel „Fernweh“, „quietschfidel“ und „Heilbuttschnittchen“.

Bewertet wurdee die Originalität des Wortes, die Qualität der Erklärung sowie die kulturelle Bedeutung. Auf Platz Zwei landete das chinesische Wort „hu lu“ (schnarchen), Platz Drei belegt «volongoto», in der afrikanischen Sprache Luganda das Wort für «unordentlich».

Hmmm… mein Lieblingswort der deutschen Sprache ist „Kapuze“, das war nicht dabei. Was ist Ihres? Schreiben Sie!

 

Oweia, Deutschland

Mehr als ein Fünftel der Deutschen hat in diesem Jahr noch kein Buch gelesen. In einer repräsentativen Umfrage von TNS Emnid für die Bild am Sonntag verneinten 22 Prozent der Befragten die Frage, ob sie in diesem Jahr schon ein Buch gelesen haben. Von den Frauen waren es nur 16 Prozent, von den Männern dagegen sogar 28 Prozent. Auch an den Schulen wird nicht durchgängig gelesen: Acht Prozent aller Schüler gaben an, 2007 noch kein Buch gelesen zu haben. Das berichtet AFP.

Was macht dieses Fünftel in ihren freien Stunden? Nur Fernsehen? Feiern? Die Decke anstarren?

Und was kann man dagegen machen? Bücher verschenken? Kostenlose Vorlesestunden im Gemeindesaal? Auswandern? Hilfe.

 

Und schon wieder: Kehlmann

Der österreichische Schriftsteller Daniel Kehlmann bekommt den Welt-Literaturpreis 2007 für seinen Roman Die
Vermessung der Welt
. Der Preis wird am 9. November bei einem Festakt im Axel-Springer-Haus in Berlin übergeben. Die Laudatio hält Hellmuth Karasek. Die Jury lobte Kehlmanns Bestseller über Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß als „eminent intelligenten, gleichermaßen witzigen und gelehrten Roman“, schrieb die Zeitung Die Welt am Freitag.

Der Preis erinnert an den Publizisten Willy Haas, der 1925 Die literarische Welt gründete. Die mit 10 000 Euro dotierte Auszeichnung würdigt ein einzelnes Buch oder ein Gesamtwerk. Zu den Preisträgern gehörten unter anderem Bernhard Schlink, Imre Kertész, Yasmina Reza und Rüdiger Safranski. Kehlmann wurde bereits mit dem Kleist-Preis, dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung und dem Heimito-von-Doderer-Preis geehrt.

Glückwunsch!