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Nazis in die Talkshows? Eine Umfrage

 

Die Frage, ob, wann und wo man Nazis auf öffentliche Bühnen holen sollte, wird uns noch häufiger beschäftigen. Auf dem Berlin08, einem Festival für junge Politik, haben wir die Teilnehmer an der Urne abstimmen lassen. Das Ergebnis: Wir müssen weiter diskutieren.

Eine der Lieblingsposen der Nazis ist die der einzig wahren, aber unterdrückten Demokraten. „Systempresse“ und „Gesinnungsdiktatur“ unterdrückten die freie Meinungsäußerung. Die einzige Partei, die den wahren Volkswillen artikuliere, werde mundtot gemacht. So lächerlich das ist: Kann es sein, dass wir uns vor der Auseinandersetzung mit den Nazis drücken? Weil wir insgeheim glauben, die Deutschen würden ihnen folgen, wenn die Nazis auf öffentlichen Bühnen präsent seien? Kann es sein, dass wir den Nazis ihre Erfolge überhaupt erst ermöglichen, indem wir Demokraten der offenen Konfrontation aus dem Weg gehen? Oder ist es andersherum: Verstärkt die zunehmende Präsenz der Nazis in Parlamenten, im Netz, auf den Straßen deren Botschaft? Muss man öffentliche Plattformen für sie schließen, damit ihre gut getarnten, rassistischen Ansichten nicht noch als legitim wahrgenommen werden?

Wahrscheinlich werden die Rechtsextremisten nicht einfach verschwinden. Wahrscheinlich werden sie weitere Wahlerfolge erzielen und diese Frage drängender machen. Wir haben uns daher an die Teilnehmer des Berlin 08 gewandt. „Soll man Nazis auf öffentliche Bühnen holen, um sie zu widerlegen?“, lautete die Frage, auf die man an unserer Wahlurne mit „Ja“ oder „Nein“ antworten konnte. Natürlich haben wir die Kontroverse damit vereinfacht. Doch es war unsere Absicht, eine Diskussion in Gang zu setzen. Das ist uns gelungen.

Am Störungsmelder-Stand wurden das ganze Wochenende über heftige Debatten geführt. Interessanterweise fanden sich in allen politischen Lagern Befürworter und Gegner öffentlicher Diskussionen mit Nazis. „Man darf denen keine Bühne bieten“ lautete das Argument der Gegner. „Man muss sie bloßstellen“, das der Befürworter. Das Ergebnis spiegelte diese Kontroverse wider: 91 Teilnehmer, also etwa 60 Prozent waren dafür, 63 Teilnehmer dagegen.

Auf einer spontan organisierten Podiumsdiskussion dagegen sah die die Meinungslandschaft ganz anders aus. Mit Ausnahme des Vertreters der Jungen Liberalen und – mit Abstrichen – von solid, sprachen sich alle Diskutanten von der Grünen Jugend bis zu Jungen Union dagegen aus, Nazis in die Talkshows zu holen. Ein Zuschauer brachte die Begründung auf den Punkt: „Was im Laden liegt, wird auch gekauft“. Es ginge in der Politik leider nicht nur um Inhalte, sondern vor allem um Emotionen. Die anzusprechen, sei eine Spezialität der Nazis. Man müsse daher so viele öffentliche Kanäle wie möglich für sie unpassierbar machen. Auch das Gegenargument aber war griffig: Viele dieser Kanäle wie Internetplattformen, lokale Diskussionsveranstaltungen, oder Parlamente eroberten die Nazis bereits, ohne in der Mehrheit zu sein. Sie von der Öffentlichkeit abzuschirmen, sei bereits jetzt unmöglich. Und: Eine Demokratie sei erst dann reif, wenn sie Auseinandersetzungen mit ihren Feinden suche und bestehe.

Mir scheint, wir deutsche Demokraten brauchen jedenfalls mehr Selbstbewusstsein in der Auseinandersetzung mit Nazis. In den meisten Fällen dürfte sich die Furcht vor der rhetorischen Brillanz der Nazis als unbegründet herausstellen. Und ganz grundsätzlich gibt es auch keinen Grund, sich zu verstecken: Die übergroße Mehrheit der Deutschen möchte keinen ethnisch gesäuberten, international isolierten Führerstaat. Wir sollten vielleicht lernen, mit ihrer Ideologie umzugehen. Und unserer Bevölkerung zu vertrauen.