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Der andere Weg

 

Wer in Deutschland mit Rechtsextremisten das Gespräch sucht, läuft schnell Gefahr mit ihnen auf eine Stufe gestellt zu werden. Jenaer Hochschulredakteure haben es trotzdem probiert und die Uni damit kurzzeitig in Aufruhr versetzt. 

Zur Vorgeschichte

Jena ist eine idyllische Studentenstadt. Inmitten von Bergen gelegen, gedeiht hier seit über 500 Jahren der akademische Nachwuchs Friedrich Schillers. Trotz des Platzproblems und des damit verbundenen Charme der Provinz ist die Stadt kulturell immer in Bewegung. Um speziell einmal der Protestkultur mehr Aufmerksamkeit zu schenken, thematisierte das Hochschulmagazin Unique Anfang Januar den politischen Aktivismus in Jena. Neben einem Rückblick der letzten Aktionen, findet sich in der Ausgabe ein Gespräch mit Lothar König- Stadtjugendpfarrer und wichtige Person der Jenaer Antifa. Diese ist fester Bestandteil der politischen Kultur, aber sie macht doch nur einen Teil aus. Deshalb entschied sich die Redaktion dafür, wirklich allen Formen Platz zu geben und interviewte ein Mitglied der NPD Jena.

Ein Gespräch mit einem Nazi, ein Skandal!? Mit dieser Frage sollten sich in den nächsten Wochen erst die anderen Hochschulmedien, später der Landtag und am Ende sogar kurz der Verfassungsschutz befassen. So positioniert sich das Akrützel, Jenas „führende Hochschulzeitung“, wie sie von sich sagt, dazu: Als „schlicht peinlich“ bezeichnet ein Kommentator den Versuch, mit den Rechtsextremisten zu reden. Journalistisch schlecht weil viel zu unkritisch, lautet der Vorwurf. Jusos und Linkspartei fordern personelle Konsequenzen und der Rektor sieht den guten Ruf der Uni in Gefahr. Bei so viel lautem Protest gehen die zustimmenden Reaktionen beinahe unter.
Als Mitte Februar eine Podiumsdiskussion organisiert wird, prallen schließlich zwei Welten aufeinander. In der einen Welt spricht nur mit Nazis, wer selbst einer ist. In der anderen sucht man im Dialog nach der Lösung des Problems. Und darum hätte es an diesem Abend eigentlich gehen sollen: was denn nun tun, gegen Rechts? Doch leider endet die Debatte wie viele vor ihr in einem verbalen Schlagabtausch ohne großen Gehalt.
Was bleibt also von dieser Kontroverse? Was sagen die verantwortlichen Redakteure heute, fast drei Monate später, dazu- bereuen sie ihr Handeln?

Zum Gespräch

Ein Sonntag Ende März. Die beiden Chefredakteure Fabian Köhler und Lutz Thormann sitzen in der Redaktion und warten auf einen Anruf. Einmal mehr werden sie zu ihrem „ Nazi-Interview“ Stellung nehmen müssen.
Als das Telefon klingelt, hebt Fabian mit einem freundlichen „Hallo“ ab. Es wird ein sehr angenehmes Gespräch, was vielleicht daran liegt, dass die zwei Redakteure sehr viel kompetenter sind, als manche vermuten. Und als ihre Kritiker behaupten.

So wurde zum Beispiel immer wieder der Vorwurf laut, das Gespräch sei viel zu unkritisch geführt worden.“Wir wissen, dass es sich dabei um kein journalistisches Glanzstück handelt. Ich selbst finde das Interview ein bisschen langweilig. Jedoch stehe ich nach wie vor zu dieser eher unkritischen Herangehensweise“, erklärt Fabian. Ihm zufolge hatte man bewusst darauf verzichtet, stigmatisierende Fragen zu stellen: „Wir wollten keine vorherrschenden Stereotype bestätigen. Wir wollten einfach zuhören, was er zu sagen hat- inklusive aller Propaganda. Das entspricht auch unserem interkulturellem Verständnis von Journalismus.“Eben dieses Verständnis hat Fabian und der gesamten Redaktion hat in den letzten Wochen viel Kraft abverlangt. Wer ihm und Lutz zuhört, kommt leicht zu dem Vergleich mit einem Orkan. Als hätte ein Orkan die Redaktionsräume verwüstet.
„Natürlich wollten wir Gegenwind, man sucht doch immer die Kontroverse. Aber dieser Skandal war auf keinen Fall unser Ziel. Die Art, wie diese Debatte geführt wurde, war so unsachlich. Das hätten wir nicht erwartet.“
Aber wie konnte die Sache derart ausarten? Umfragen zeigen, dass es in Bezug auf die Frage- Soll man mit Nazis reden, oder nicht?- sehr unterschiedliche Meinungen gibt. Das heißt, es gibt viele Gegner. Aber auch viele Befürworter.
„Leider war das keine Diskussion, die die Meinung der Leute auf der Straße wiedergibt. Ein paar Leute haben die Instrumente um sehr laut zu schreien und sie haben diese auch genutzt.“
Die Politik, der StuRa, die eigenen Hochschulmedien und eine Reihe politischer Aktivsten. Überall wurde geschrien: Geld weg, Chef weg! -War das denn angemessen?
„Uns hat das Verhalten einiger Menschen sehr enttäuscht“, so Fabian. „Ich hätte mir gewünscht, dass man konstruktiver, weniger feindselig oder zumindest überhaupt mal direkt an uns herantritt, anstatt uns gleich zu verurteilen“.
Auch Lutz musste sich in der letzten Zeit oft erklären, vor allem auch im eigenen Freundeskreis. „Zeitweilig wurde die Sache sehr stark emotional. Ich hatte auch im privaten Umfeld viele Diskussionen. Aber ich muss sagen, dass es auch dort im nach hinein zunehmend Zustimmung gibt.“

Möglicherweise fehlte den Redakteuren Raum zum Erklären. Warum sie geschrieben haben, dass sich ihre Sympathien mit dem Interviewpartner „in Grenzen halten“, warum sie das Interview überhaupt geführt haben. Lutz verweist bei dem ersten Vorwurf auf seine Leserschaft. „Wir schreiben nun mal für Studenten, gebildete junge Menschen. Es ging nicht darum, die Nazis salonfähig zu machen. Wer das so verstanden hat, der hat einfach unseren Ansatz generell nicht verstanden.“
Und, was war der Ansatz? „Wir glauben, dass man Nazis in einer Demokratie nicht mit Steinen, sondern nur mit Argumenten entgegen kann. Deshalb muss man mit ihnen in einen Diskurs treten. Es existiert einfach viel Halbwissen. Nicht alle Nazis sind verblödete Hauptschulabbrecher, die den Holocaust verleugnen und Ausländer verprügeln. Manche sind sogar Intellektuelle, andere Che Guevara- Verehrer oder Ökos. Das muss eingesehen werden, erst dann kann man sich wirklich mit dem Problem auseinandersetzen.“
Offensichtlich wurde diese Herangehensweise von vielen Seiten falsch gedeutet. Während einige Linke den Redakteuren eine antisemitische Gesinnung unterstellten, veröffentlichten Nazis das Interview auf einer ihrer Websites. Warum wurde Letzteres nicht wenigstens verhindert? „Es gibt immer Applaus von der falschen Seite. Aber nach meinem journalistischen Verständnis sollten Informationen für jeden frei zugänglich sein. Deshalb hatten wir nichts dagegen, wenn der Artikel auf der Seite des NW Jena erscheint.“

Mit dem Interview sollte ein neuer, ein anderer Weg gegangen werden. Am Ende hätte es die Redakteure beinahe ihren Posten gekostet. Kommt man da nicht mal ins Grübeln, ob das alles richtig war und vor allem: Ob man so ein Interview wieder machen würde?
„Während der Kontroverse hatte ich Zweifel, ob wir als Redaktion dem Gegenwind standhalten werden“ erinnert sich Lutz. „ Zu diesem Zeitpunkt hätte ich die Frage wahrscheinlich verneint, zu groß war der öffentliche Druck. Aber jetzt, nachdem alles ein wenig verdaut ist, würde ich es definitiv wieder machen“.

Zum Schluss

Das Gespräch dreht sich noch eine Weile um die verschiedenen Herangehensweisen an das Problem Rechtsextremismus. Eigentlich ging es in der Ausgabe mit dem Interview um die politische Protestkultur in Jena. Im Leitartikel ist von Couchrevolutionären die Rede- brave Studenten, die gern reden, daheim auf dem Sofa, dann aber doch nicht aufstehen, um etwas zu verändern. In diesem Fall sind aber immerhin 400 Menschen aufgestanden und haben sich an der öffentlichen Diskussion beteiligt, über 100 Leserbriefe erhielt die Unique zu dem Interview. Ist das nicht auch etwas?
„ Ich muss sagen: es hat mich überrascht, dass sich so viele Leute überhaupt beteiligen. Insgesamt ist das Ergebnis der Debatte also als positiv zu bewerten“, sagt Fabian zum Schluss.