Bislang galt es unter Beobachtern der Hamburger Nazi-Szene als ausgemacht, dass die Zahl der offen rechtsextrem Agierenden auch deshalb stagniert, weil es in dieser Stadt kaum gelingt, rechten Nachwuchs zu rekrutieren. Es gelingt den Rechtsextremen bislang nicht, ein jugendkulturelles Milieu zu dominieren und beispielsweise einen Stadtteil als rechte Angstzone zu markieren. So ist die hiesige Nazi-Szene zum einen geprägt von den DVU-Anhängern, deren Durchschnittsalter wahrscheinlich jenseits der 70 liegt. Und dann gibt es noch die Kameradschaftler, die beinahe deckungsgleich sind mit dem NPD-Landesverband – und mittlerweile auch mit Doppelkinn, Bierbauch und lichtem Haar zu kämpfen haben. Umso überraschender ist nun das Auftauchen einer Website, hinter der die „Autonomen Nationalisten Hamburg“ stehen sollen. Insgesamt wirkt deren Auftreten jugendlich und kämpferisch. Allerdings lassen sich eklatante Widersprüche nicht verbergen.
Zunächst fällt an der Website der Autonomen Nationalisten Hamburg auf, dass seit Ende Mai nur 3 Beiträge verfasst wurden. Neben einem Bericht von der Demonstration am 6.6.2009 in Pinneberg – der wiederum von der Website des Aktionsbüro Norddeutschland abgeschrieben ist – und einem kruden Selbstverständnistext ist es eine knappe Reaktion auf einen Artikel in der Hamburger Morgenpost. Dieser bisher einzige aktuelle Bezug der Seitenbetreiber wirft das Schlaglicht Nr. 1 auf die Autonome Nationalisten Hamburg: es geht hier um die Herstellung von Öffentlichkeit. Nicht umsonst lautet die Überschrift des Eintrags „Kostenlose Werbung eines Hamburger Schmierblattes”. Mit anderen Worten: Die Autonomen Nationalisten Hamburg sind zunächst eine Veranstaltung, um in der Öffentlichkeit für Aufmerksamkeit zu sorgen. Wer und wie viele dahinter stehen, ist nicht auszumachen.
Liest man den Selbstverständnistext auf der Site, so stolpert man unweigerlich über inhaltliche Widersprüche. Zwar werden die bekannten rechtsextremen Ideologie-Komponenten aufgezählt, einen Sinn ergeben sie allerdings nicht. Zum Beispiel ist dort zu lesen:
„Adolf Hitler war übrigens gar nicht mal so anti-demokratisch. Er verachtete die parlamentarische Demokratie und verstand sich selbst als direkt gewählten Volksführer.“
Den Beleg dafür, wann und von wem dieser Volksführer direkt gewählt worden sei, bleiben die Autoren schuldig. Auch beim Thema Nation versteigen sie sich in verkürzte Argumentationen:
„Der Nationalismus ist die politische Ausprägung des Territorialverhaltens und dient der Arterhaltung, also einem biologischen Grundprinzip“.
Daraus wird abgeleitet, dass jeder Mensch in eine Nation hineingeboren werde und aufgrund biologischer Rahmenbedingungen dort, und nur dort verortet werden könne. Nun wissen wir allerdings, dass biologische Unterschiede zwischen Nationen schlicht nicht existieren. Nationen sind vielmehr historisch relativ junge, sozial geformte Gebilde, wobei die Zugehörigkeit zu ihr einzig durch entsprechende gesellschaftliche Regeln – z.B. der Verfassung – bestimmt ist. Diese sind die wiederum Ergebnis eines sozialen Aushandlungsprozesses und deshalb prinzipiell veränderbar.
Das aber will man im Rechtsextremismus nicht wahr haben, denn innerhalb der rechtsextremen Ideologie ist die pseudo-biologische Begründung von Nationwerdung das zentrale Ideologieelement und zugleich der Freibrief zur Negation von Menschenrechten. Jede Form des Rassismus wird so legitimiert, auch der gewalttätige.
Das Beispiel anderer Städte zeigt, dass die Autonomen Nationalisten in erster Linie eine Antwort des Rechtsextremismus auf ihre Krise ist, indem man auf einer symbolischen Ebene jugendkulturellen Bedürfnissen entgegenkommt. Und das ist neben dem Schwenk vom klassischen Nazi- und Skinheadstyle nun die Hinwendung zu Hip Hop, Hardcore und der Skaterkultur. Das andere Entgegenkommen liegt im Erlebnisangebot: mach’ bei uns mit, denn das ist verwegen, verboten und gefährlich.
Meines Erachtens stellt sich die Naziszene dadurch selbst ein Bein. Denn hinter jeder Symbolik verbirgt sich auch eine Botschaft – und die Botschaft hinter den hier adaptierten Symbolen stammt aus einer links-alternativen und grundsätzlich offenen Jugendkultur, nicht selten aus den USA und dort wiederum erfunden von Afroamerikanern.
Auch die Affinität ausgerechnet zu den politischen Feinden, der Antifa nämlich, gehört zu den Grundwidersprüchen der Autonomen Nationalisten. Nicht nur, dass man deren Slogans und Aufkleber bis an die Grenze der Ununterscheidbarkeit kopiert.
„Ihr (…) sorgt ja ab und an für Stimmung sonst wären die Demos z.B. manchmal relativ langweilig“
schreibt etwa ein Anhänger der Autonomen Nationalisten Hamburg beinahe liebevoll an die Gegenseite.
Es wirkt auf den ersten Blick ebenso niedlich, wenn ausgemachte Neonazis plötzlich davon schwelgen, dass es darum geht,
„aktiv und vor allem kreativ politische Arbeit“
zu betreiben. Oder, wie es im „Handbuch der Autonomen Nationalisten“ (2008) heißt
„Bildet Banden und Bezugsgruppen! Bezugsgruppen geben dir einen Rahmen, in dem du dich eingebunden fühlst, Verantwortung füreinander übernommen wird und Entscheidungen gemeinsam gefällt werden“.
Kreativ sein, Verantwortung füreinander übernehmen, Entscheidungen gemeinsam fällen – welcher Sozialpädagoge bekommt da keine feuchten Augen? Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass Jugendliche mit solchen Leitbildern kompatibel sind mit den rechtsextremen Prinzipien Führertum, Unterordnung, Härte, Männlichkeitswahn und Recht des Stärkeren.
So bleibt also zu hoffen, dass Jugendliche, die über Musik, Kleidung und den Erlebnischarakter zu den Autonomen Nationalisten stoßen, recht bald erkennen, welche Leimruten ihnen die alten Säcke von den Kameradschaften ausgelegt haben – und dass es viel cooler ist, nicht gegen, sondern gemeinsam mit den Mitmenschen kreativ, solidarisch und verantwortungsvoll für eine bessere Zukunft zu kämpfen. Nicht nur für Deutschland, sondern weltweit.
(Alle Zitate stammen, sofern nicht anders gekennzeichnet, von der Website der Autonomen Nationalisten Hamburg)