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Wenn Protest gegen Rechts mit Polizeigewalt endet

 

Die geborstenen Scheibe des Büros des "Netzwerkes für demokratische Kultur e.V." nach dem Sprengstoffanschlag 2004 © dpa

Er wollte friedlich gegen Nazigewalt protestieren und landete nach einem Gewaltausbruch von Polizisten mit herausgeschlagenen Zähnen im Krankenhaus. Seit sechs Jahren kämpft Christof Winter seither um Gerechtigkeit. Der Polizist, der den damals 21-Jährigen schwer verletzt hat, wurde bis heute nicht verurteilt. Im Gespräch mit dem Störungsmelder erzählt Christof, warum er trotzdem weiter gegen Rechts auf die Straße geht und was er sich von der Berufung vor dem Oberlandesgericht Dresden erhofft.

Angefangen hat alles im November 2004. Damals verübten Neonazis einen Sprengstoffanschlag auf das Büro des Netzwerks für Demokratisch Kultur e.V. (NDK) im sächsischen Wurzen. Am Sitz des Vereins, der sich gegen Rechtsextremismus in der Region engagiert, ging dabei die Scheibe zu Bruch.

Spontan demonstrierten am folgenden Abend rund 200 Menschen aus der Region, Leipzig und Dresden in Wurzen nach einer angemeldeten Kundgebung. Auch Christof, der zu der Zeit in Dresden wohnte, beteiligte sich an dem Protest. Doch die Polizei unterband die Demonstration mit rabiaten Mitteln. Durch Schläge und Tritte von Beamten wurden mehrere Personen verletzt, Christof schwer. Ein Beamter schlug ihm mit einem Tonfa so heftig ins Gesicht und den Mundraum, dass er fünf Zähne und ein Stück Kiefer verlor, erhebliche Verletzungen an Lippen und Zahnfleisch erlitt und umgehend ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Unmittelbar nach diesem Angriff wurde Anzeige gegen Unbekannt gestellt und strafrechtlich wegen Körperverletzung gegen die eingesetzten Beamte ermittelt. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren jedoch ein, da sie die Identität des Polizisten angeblich nicht klären konnte.

Erst nachdem das Landgericht vom Oberlandesgericht (OLG) deutlich zurechtgewiesen wurde, kam es zum endlich zum Verfahren. Vom Februar 2009 bis März 2010, viereinhalb Jahre nach der Tat, wurde erstmals aufgrund des Angriffs verhandelt. Im Urteil wurde die Klage abgewiesen, da nach Meinung des Gerichts nicht nachgewiesen werden konnte, dass ein Polizist zugeschlagen hatte. Jetzt kommt es möglicherweise zur Berufung vor dem Oberlandesgericht Dresden. Über eine Annahme der Berufung wird dort in den kommenden Tagen entschieden.

Christof, worin lag Deine Motivation nach dem Anschlag nach Wurzen zu fahren und zu demonstrieren?

Es war vor allem die in dem Sprengstoffanschlag liegende Qualität der Bedrohung. Zum Glück waren weder Personen verletzt worden noch war der materielle Schaden groß. Die Botschaft, die die Verwendung von Sprengstoff für den Anschlag transportierte, ist aber eine ganz klare: Wer sich mit den neonazistischen Aktivitäten in Wurzen nicht abfindet und sie statt dessen thematisiert und anprangert, setzt sein Leben auf Spiel.

Für mich und die Freunde mit denen ich dann kurzfristig nach Wurzen fuhr ging es vor allem um Solidarität. Solidarität mit denen die sich der rechten Dominanzkultur öffentlich widersetzen und die deshalb Ziel des Anschlags waren. Ihnen zu zeigen, dass es auch außerhalb ihres Landkreises Menschen gibt die an ihrer Seite stehen und denen es nicht gleichgültig ist wenn in ihrer Kleinstadt rechte Sprengsätze explodieren war unser Anliegen.

Wenige Wochen zuvor hatten fast zehn Prozent der sächsischen Wähler die NPD in den Landtag gewählt. Der Aufschrei in der Presse über die Abkehr Vieler von der Demokratie war groß. Fand die Demonstration in Wurzen vor diesem Hintergrund einen großen Zuspruch?

Nicht in dem Maße in dem ich es mir gewünscht hätte. Dazu war die Zeit zwischen dem Anschlag und der Demonstration am übernächsten Abend sicher auch zu kurz. Trotzdem fanden sich etwa 250 Teilnehmer am Bahnhof ein. Bedenkt man wie klein die Zahl von Menschen ist, die sich in der Region trauen aktiv gegen Rechts aufzutreten, war das sicherlich ein Erfolg. Und das Mut dazu gehört, sich dort öffentlich zu positionieren zeigte sich auch am Abend selbst. Kurz nachdem die Demonstration beendet war überfiel eine Gruppe Neonazis Wurzener Jugendliche und verletzte zwei von ihnen. Nach Angaben von AMAL, die Betroffene rechter Gewalt in Sachsen beraten, versammelten sich außerdem während der Demonstration bis zu 80 Neonazis in der Stadt. Unter diesen Umständen auf die Straße zu gehen erfordert sehr viel Rückgrat. Daher war es sicher die richtige Entscheidung als Auswärtiger nach Wurzen zu fahren und die Betroffenen zu unterstützen.

Im Verlauf der Versammlung wurden mehrere Teilnehmer von Polizisten verletzt. Du selbst wurdest mit schweren Verletzungen an Zähnen und Kiefer noch in der Nacht in eine Leipziger Klinik gebracht. Was war passiert?

Nachdem sich der Demonstrationszug gerade formiert hatte, wir hatten noch nicht einmal den Bahnhofsvorplatz der Treffpunkt war verlassen, versperrte eine Reihe Bereitschaftspolizisten die Straße. Für alle völlig überraschend begannen plötzlich die Polizisten die Personen in den ersten Reihen zu schubsen, zu schlagen und zu treten. Die Polizei hatte sich bis dahin vollkommen im Hintergrund gehalten. Ein Grund für diesen einseitigen Gewaltausbruch hat es nicht gegeben. Ich fand mich im Zuge des entstandenen Durcheinanders einem Bereitschaftspolizisten gegenüber der mir gezielt und mit voller Wucht ins Gesicht schlug. Dabei verlor ich ein Stück Kiefer, fünf Zähne und erlitt Risswunden an Lippen und Zahnfleisch. Meine Brille wurde zerstört. Während ich von anderen Demonstrationsteilnehmern zu einer Bank gebracht wurde zogen sich die Beamten von der Straße zurück. Die Demo lief weiter bevor sie wenig später gestoppt wurde. Aber das habe ich schon nicht mehr mitbekommen.

Wie erklärst Du Dir die Gewalt der Polizei?

Das ist für mich bis heute unerklärlich. Woher der Antrieb kam die Demonstration so zu attackieren erschließt sich mir nicht. Ich habe den Eindruck dem eingesetzten Beamten waren falsch auf den Einsatz vorbereitet worden. Sie haben sich verhalten als müssten sie eine brandschatzende Horde von der Stadt fernhalten der zu allem bereit ist. Das Gegenteil war der Fall. Wir haben unser demokratisches Recht auf Meinungsfreiheit in Form einer friedlichen Demonstration ausgeübt. Es gab am gesamten Abend nicht eine Sachbeschädigung durch Teilnehmer der Versammlung oder einen anderen Anlass zu diesem Angriff. Obwohl die Polizei dazu in der Lage war, wurde kein Teilnehmer in Gewahrsam genommen. Denn es gab schlicht keinen Grund dazu. Dies zeigt, dass die massive Gewalt der Polizei in keiner Weise gerechtfertigt war. Auch während des Prozesses gegen den Freistaat wurde mir nie etwas vorgeworfen. Warum also diese brutale Attacke?

Welche Konsequenzen hatte der Angriff des Polizisten für Dich?

Im Vordergrund standen zunächst die gesundheitlichen Folgen. Nach den Notfallbehandlungen in Wurzen, Leipzig und Dresden mussten die Wunden erstmal verheilen. Ich war schon froh als ich nach über einem Monat erstmal ein Provisorium im Mund hatte, wieder feste Nahrung zu mir nehmen und verständlich sprechen konnte. Die Zeit bis dahin war die belastendste für mich. Der folgende Kieferaufbau und die Implantatbehandlung waren vor allem zeitraubend und sehr teuer. Als dauerhafte Einschränkung bleibt die Angst vor dem Verhalten der Polizei. Die werde ich wohl nicht mehr loswerden.

Ist der Polizist der Dich geschlagen hat suspendiert worden?

Leider nicht. Und das ist ein Skandal. Die auf meine Anzeige erfolgten strafrechtlichen Ermittlungen gegen die eingesetzten Beamten wurden eingestellt. Dabei hielt es die ermittelnde Staatsanwaltschaft nicht einmal für nötig die am Abend eingesetzten Polizisten zu befragen. Und dies obwohl sich der Täterkreis auf rund zehn Personen einer Einheit eingrenzen ließ. Das Hauptproblem war die Identifizierung des Täters. Meine Personenbeschreibung war nicht eindeutig genug. Wie sollte sie es auch? Ich hatte dem Täter ja nur den Bruchteil einer Sekunde ins Gesicht gesehen. Zu einer Gegenüberstellung oder der Vorlage von Bildern ist es nie gekommen. Dabei wäre es wichtig gewesen diesen offenbar ungeeigneten Polizisten zukünftig nicht mehr auf Demonstranten los zu lassen.

Fünfeinhalb Jahre später ist der Abend immer noch Gegenstand vor Gericht. Worum geht es denn noch in dem laufenden Verfahren?

Im Anschluss an das strafrechtliche Ermittlungsverfahren habe ich meine Ansprüche an meinen Bruder übertragen der vor dem Landgericht Leipzig gegen den Freistaat Sachsen als Dienstgeber der Beamten auf Schadensersatz und Schmerzensgeld klagte. Dieses Verfahren zog sich bis zum Frühjahr diesen Jahres und endete mit der Klageabweisung. Ich war an allen Verhandlungstagen im Landgericht anwesend und bin schockiert über das Desinteresse des Gerichts an der Aufklärung dessen was an diesem Abend in Wurzen geschah. Ich hatte das Gefühl für das Landgericht kann kein Demonstrant Opfer polizeilicher Gewalt sein. Auch wenn er bestens dokumentiert mit massiven Verletzungen vor Ort von Rettungssanitätern aufgefunden wird. Da gab es für das Landgericht Leipzig nichts zu hinterfragen. Da muss man doch das Vertrauen in den Rechtsstaat verlieren. Mein Bruder hat sich nun dafür entschieden in Berufung vor das OLG Dresden zu gehen. Das gesprochene Urteil ist inakzeptabel.

Was erhofft er sich nun von der Berufung am Oberlandesgericht?

Es geht ihm vor allem um eine ernsthafte Untersuchung der Tat. Dazu gehört auch die kritische Hinterfragung der Zeugenaussagen von Behördenvertretern und Polizeibeamten durch das Gericht an der es bisher mangelte. Ein als Beweisstück eingebrachtes Polizeivideo des Abends, das eindeutig schlagende und tretende Polizisten zeigt und Aussagen der vom Freistaat Sachsen benannten Zeugen widerlegt, wurde bisher nicht ausreichend gewürdigt. Das finanzielle Risiko des Verfahrens ist dabei für ihn groß. Gerechtigkeit darf aber keine Frage der Finanzen sein. Zum Glück gibt es eine Reihe von Unterstützern die das genau so sehen.