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Irgendwie auch selbst schuld am antisemitischem Überfall

 

Der Täter (rechts), verurteilt wegen Körperverletzung, hat Hakenkreuze auf dem Handy und gilt als "ein bisschen rechts" © dpa

Noam wartet draußen auf dem Flur des Amtsgerichts Naumburg, als die Fotografen kommen. Er will seinen richtigen Namen und auch sein Gesicht in keiner Zeitung sehen. Noam ist 17, in Israel geboren, seit acht Jahren wohnt er mit seiner Familie in Laucha, Sachsen-Anhalt. Am 16. April dieses Jahres stand Noam dort mit anderen Jugendlichen an einer Bushaltestelle, bis Alexander P. auftauchte, ihm ohne Vorwarnung ins Gesicht schlug, ihn trat und als »Judenschwein« beschimpfte. Er ließ erst von Noam ab, als ein Autofahrer anhielt und Noam rettete.

Von Jana Simon

Alexander P. sitzt Noam im Gerichtssaal gegenüber, er ist 20, trägt ein kariertes Hemd. Seine Haare seien länger geworden, witzeln einige Zuschauer im Saal. Bereitwillig lässt er sich ablichten. Sein Rücken ist gekrümmt, die Schultern hängen herab. Der Fall erregte bundesweit Aufsehen, weil Alexander P. der rechten Szene angehört und beim BSC 99 Laucha Fußball spielt, dem Verein, wo auch Lutz Battke als Trainer arbeitet. Battke ist Bezirksschornsteinfeger und sitzt für die NPD im Stadtrat und im Kreistag. Er trägt Hitlerbärtchen, hat dem Verein eine Fahne in den Farben der Reichskriegsflagge geschenkt, und auf seinem Handy erscheint Adolf Hitler als Bildschirmschoner. Das Landesverwaltungsamt versuchte einmal, ihm aufgrund seiner politischen Einstellung den Kehrbezirk zu entziehen, scheiterte damit aber vor Gericht.

Lutz Battke ist auch an diesem Tag in Naumburg die heimliche Hauptfigur. Er hat Alexander P. seinen Anwalt empfohlen. Die Wege in der Kleinstadt sind kurz.

Viel ist passiert seit der Tat im April. Zeitungen und Fernsehsender berichteten, der Deutsche Olympische Sportbund und der Landessportbund forderten die Absetzung von Battke als Trainer. Die Rotkäppchen-Sektkellerei baute ihre Bandenwerbung beim BSC 99 ab. Aufgrund des großen öffentlichen Drucks darf Lutz Battke seit Anfang August nicht mehr als Trainer arbeiten, Mitglied des Vereins ist er noch immer, die Klubleitung hält zu ihm. »Der BSC 99 ist eine Brutstätte Rechtsextremer«, sagen die Eltern von Noam. Und Laucha ist jetzt eine geteilte Stadt, gespalten in Battke-Sympathisanten und Battke-Gegner. Wobei die Gegner wesentlich stiller sind als die Befürworter.

Der Fußballtrainer ist in der NPD, der Fall hilft ihm im Wahlkampf

Alexander P. ist wegen Körperverletzung und Beleidigung angeklagt, schon früher ist er zweimal wegen Körperverletzung verurteilt worden. Als er später aussagt, redet er leise und undeutlich, wie jemand, der es nicht gewohnt ist, sich mitzuteilen. Derzeit macht er eine Ausbildung zum Koch, er wohnt noch bei seinen Eltern, die beide Hartz IV beziehen. An jenem 16. April hatte P. schon sechs bis acht Bier getrunken, bevor er beschloss, noch einmal an der Bushaltestelle vorbeizuschauen. »Da sitzt meist die Jugend.« Als er Noam sah, sei er »ausgeflippt«, sagt er. »Ich habe ihm eine verpasst, mit der Faust ins Gesicht geschlagen.« Er gibt auch zu, ihn getreten zu haben. Aber niemals habe er »Judenschwein« gesagt, sondern »Drogenschwein«. Weil Noam angeblich seiner Cousine Marihuana angeboten habe. Das ist die Version, die man jetzt oft in Laucha hört. Eigentlich sei das Opfer der Täter.

Eine der Zeuginnen, die mit an der Bushaltestelle stand und nicht eingriff, als Alexander P. zuschlug, unterstützte nach einem Gespräch mit Lutz Battke und dem Vater von P. diese Version. Allerdings war sie früher einmal mit Alexander P. zusammen und wurde zu Beginn vom selben Anwalt vertreten. Sonst hat keiner der Zeugen das Wort »Drogenschwein« gehört. Der Fall wird nun in die nächste Runde gehen. Gegen Noam wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wegen Verdachts auf Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, und die Eltern von Noam haben eine Unterlassungserklärung gegen die Zeugin erwirkt und sie wegen Verleumdung angezeigt. Eine der Prozessbeobachterinnen, Zissi Sauermann von der Mobilen Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt, nennt den Vorwurf des Drogenhandels »eine modernisierte Form des Antisemitismus«.

Als Alexander P. vor Gericht nach seiner rechten Meinung befragt wird, antwortet sein Anwalt Thomas Jauch, dass sich sein Mandant dazu nicht äußern möchte. Mehrere der jugendlichen Zeugen sagen aus, Alexander P. habe Hakenkreuze auf seinem Handy und in seinem Zimmer hänge eine NPD-Fahne. »Er ist ein bisschen rechts.« Sie halten das für völlig normal. Als die Richterin die Zeugen fragt, ob sie gewusst hätten, dass Noam Jude ist, antwortet einer: »Ja, aber er sieht gar nicht aus wie ein Jude.«

Im Publikum sitzen zwei NPD-Funktionäre: Andreas Karl, ehemaliger Landeschef der Partei, der heute mit Lutz Battke zusammen im Kreistag Politik macht, und Rolf Dietrich, Mitglied des Kreistags Saalekreis. In den Prozesspausen stehen sie bei der Familie des Täters. Sie wirken wie das Unterstützungskomitee der Partei.

Wenn man Andreas Karl fragt, warum er die Verhandlung verfolgt, antwortet er: »Das wird viel zu hoch gekocht. Das ist eine Auseinandersetzung unter Jugendlichen.« Den Täter nennt er »Alex«. Er sagt, er kenne ihn flüchtig, er habe 2009 bei der Kreistagswahl mal Flugblätter für die NPD verteilt. Später kommt heraus, dass auch Karls Sohn beim BSC 99 Fußball spielte. »Es tut mir leid, dass Lutz Battke hier mit hineingezogen wird.« Er sei mit ihm politisch tätig. Die NPD ließ für ihren Trainer T-Shirts drucken. »Unser Trainer heißt Battke« steht darauf. 40 Stück haben sie schon verkauft, jetzt wurden noch mal 100 nachbestellt. In ganz Sachsen-Anhalt hält die NPD nun Solidaritätskundgebungen für Battke ab, um ihn »bekannt zu machen«, wie Karl sagt. Im nächsten Jahr soll er auf Platz 7 der Landesliste bei den Landtagswahlen kandidieren. Man könnte sagen, aus dem Überfall in Laucha zieht Lutz Battke politischen Gewinn. Er bringt ihm Öffentlichkeit.

Für Noams Familie dagegen ist nichts, wie es einmal war. Sie hat viel Unterstützung bekommen, Anrufe aus Israel, aus West- und Ostdeutschland, nur aus Laucha hat sich kaum jemand gemeldet. Noams Mutter, Tsipi Lev, entwirft Schmuck, ihr Mann organisiert Ballonfahrten, sie sind oft unterwegs. Sie bleiben Zugezogene, viele Freunde haben sie nicht in der Kleinstadt. Und jetzt gelten sie noch als diejenigen, die den Ruf des Ortes beschädigen. »Etwas hat sich verändert«, sagt Tsipi Lev. Freunde und Bekannte kommen nicht mehr vorbei, und Lev lädt sie auch nicht mehr ein. Wenn sie ihnen auf der Straße begegnet, sagen sie kurz »Hallo« und gehen schnell weiter. »Sie sagen nicht, was sie denken«, meint Lev. Sie kann nur spüren, wie sie von ihr abrücken. »Ich habe vor dem Überfall in einer Blase gelebt, hätte eine Wiederholung des Holocaust niemals für möglich gehalten. Jetzt sehe ich das anders.« Levs Vater, Noams Großvater, überlebte als Einziger seiner Familie den Holocaust, Noams anderer Großvater war Trainer der israelischen Leichtathletikmannschaft bei den Olympischen Spielen in München 1972. Er wurde bei der Geiselnahme von palästinensischen Terroristen getötet.

Vor einem Monat veranstaltete die evangelische Kirche in Laucha einen »Tag der Mitmenschlichkeit«, viel Prominenz aus der Landespolitik erschien. Sie wollten ein Signal gegen Rechts setzen. Vor der Kirche demonstrierte gleichzeitig die NPD für ihren Trainer Lutz Battke. Die meisten Lauchaer wagten sich aber weder in die Kirche noch zu der NPD-Kundgebung. Für Tsipi Lev ist das der größte Sieg, dass sich ihre Nachbarn wenigstens nicht zur Gegenveranstaltung trauten.

Vielleicht, räumt der Täter ein, habe er doch »Judenschwein« gesagt

Im Gerichtssaal in Naumburg erklärt die Staatsanwältin, dass der Ausdruck »Judenschwein« die menschenverachtende Einstellung des Angeklagten zeige. Auch Lutz Battke, der Ex-Fußballtrainer, ist noch einmal Thema, P.s Anwalt befragt Alexander P. nach seinem Verhältnis zu ihm. »Der ist ein feiner Kerl«, antwortet P. Am Ende entscheidet die Richterin Martina Zufall, dass beide Ausdrücke, »Judenschwein« und »Drogenschwein«, gefallen seien, und verurteilt Alexander P. zu acht Monaten Haft auf Bewährung, außerdem muss er ein Jahr lang 30 Euro im Monat an die Gedenkstätte des ehemaligen KZ Buchenwald zahlen.

Nach der Urteilsverkündung steht Alexander P. mit seinen Eltern und NPD-Funktionären zusammen. Sie wirken gelöst. P.s Anwalt nennt das Urteil »salomonisch«. Eine Frage an Alexander P.: Hat er Judenschwein gesagt? Er antwortet, er könne sich nicht mehr daran erinnern, es könne schon sein. Im Prozess hatte er es noch abgestritten.

Draußen auf dem Marktplatz von Naumburg wartet Noam. Er sieht nicht glücklich aus. Seine Mutter sagt: »Ich kann damit nicht leben, dass P. beides gesagt haben soll. Ich will den Namen meines Sohnes reinwaschen.« Noam steht neben ihr und schweigt. Später sitzen Alexander P. und seine Eltern mit den NPD-Funktionären in einem Eiscafé auf dem Marktplatz. In einem Restaurant daneben hockt Noam mit seiner Familie und den Opferberatern. Irgendwann kann Noam beobachten, wie die beiden NPD-Funktionäre aufbrechen. Sie müssen weiter nach Halberstadt, zu einer Solidaritätsdemonstration für Lutz Battke.

Ein paar Tage nach dem Prozess geht Noam am Fußballplatz des BSC 99 in Laucha vorbei, dort sieht er Lutz Battke. Er steht nun nicht mehr als Trainer, sondern als Schiedsrichter auf dem Feld.