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Streit um Polizeieinsatz bei Naziaufmarsch in Kreuzberg

 

Racheaktion für den verhinderten Naziaufmarsch? © Halina Wawzyniak

Als „unerklärliche Fehleinschätzung“ bezeichnete die CDU am Mittwoch im Verfassungsschutzausschuss die Vorbereitung der Einsatzkräfte auf den verhinderten Naziaufmarsch in Kreuzberg am vergangenen Sonnabend. Die Grünen beklagten eine „Desinformationskampagne“ der Polizei.

Verfassungsschutz-Chefin Claudia Schmid sagte, es habe im Vorfeld „keine Erkenntnisse über geplante Provokationen oder Gewalt“ der Neonazis gegeben. In der Lageeinschätzung der Behörde für die Polizei sei aber darauf hingewiesen worden, dass bei einem Zusammentreffen von Rechten und Gegendemonstranten mit einem Angriff zu rechnen sei. Die Übergriffe auf Passanten und Sitzblockierer seien offenbar „situativ entstanden“. Während Schmid die Fragen der Abgeordneten beantwortete, saßen mehrere Neonazis, darunter der Anmelder des Aufmarsches, Sebastian Schmidtke (NPD), lächelnd auf den Zuschauerplätzen.

Schmid sagte, dass im Rahmen der laufenden „Ausländer Raus-Kampagne“ der rechtsextremen Szene in den nächsten Wochen mit weiteren Aktionen gerechnet werden müsse. Das zynische Motto des Aufmarsches vom Sonnabend, „Wahrheit macht frei“, habe ihre Behörde als „verfassungsfeindlich und rassistisch eingestuft“. Für eine Verbotsprüfung sei aber die Versammlungsbehörde zuständig gewesen.

Einig war man sich darüber, dass der Polizeieinsatz „gründlich schief gelaufen“ sei. „Es gab eine verfehlte Lageeinschätzung der Beamten“, sagte Staatssekretär Ulrich Freise, „da gibt es nichts zu beschönigen“. Auch die Geheimhaltung des Aufmarsches sei eine „völlig misslungene Öffentlichkeitsarbeit“ der Polizeipressestelle gewesen, die in Zukunft besser laufen soll. Es müsse für die Bürger möglich sein „Protest zu zeigen, ohne selbst in Gefahr zu geraten“.

Unterdessen haben vermutlich Rechtsextreme in der Nacht zu Mittwoch Anschläge in Kreuzberg und Neukölln verübt. Bei einer Wohnung mit einem Poster gegen Rechts in der Neuköllner Karl-Marx-Straße wurde die Scheibe eingeworfen. Auch beim Büro der linken Bundestagsabgeordneten Halina Wawzyniak am Mehringplatz in Kreuzberg flogen Steine durch die Fenster. Sie hatte beim Protest gegen den Aufmarsch eine Anzeige wegen „versuchter Gefangenenbefreiung“ bekommen.

Möglicherweise sind dieselben Täter auch für eine Brandstiftung im Hof eines linken Wohnprojekts in der Reichenberger Straße in Kreuzberg verantwortlich. Gegen 2.10 Uhr brannten dort mehrere Mülltonnen. Menschen wurden nicht verletzt. Im vergangenen Jahr gab es bereits einen Brandanschlag auf ein linkes Szenegeschäft in Kreuzberg.