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NSU-Spur nach Brandenburg: Brauner Schatten fällt auf die Dorfidylle

 

Der Neonazis André E. soll das Bekennervideo für die Terrorgruppe produziert haben.
Der Neonazi André E. soll das Bekennervideo für die Terrorgruppe produziert haben.

Neonazi Maik E. lebt gut integriert in Grabow. Sein Bruder André gilt als mutmaßlicher Terrorhelfer des NSU. Am Donnerstag hatten GSG-9-Männer das Haus von Maik E. durchsucht.

Von Tagesspiegel-Autor Werner van Bebber

Sie haben sich Mühe gegeben mit ihrem Dorf. In Grabow liegt mitten im Dorf ein kleiner Spielplatz, die alte Kirche aus Feldsteinen sieht aus wie frisch renoviert und gern genutzt, am Dorfteich steht eine Bank, auf der man sich niederlassen kann, um sich am Grabower Idyll zu erfreuen. Wie es aussieht, mögen die Grabower ihren kleinen Ort rund 80 Kilometer südlich von Berlin und Potsdam. 1275 sei Grabow zum ersten Mal urkundlich erwähnt, ist auf einem Hinweisschild am Ortseingang zu lesen, für den Fall, dass sich mal ein Tourist hierhin verirrt. Nur das ununterbrochene Jaulen der Reifen auf der Autobahn 9 in ein, zwei Kilometern Entfernung stört die ländliche Ruhe.

Das Idyll hat Schaden genommen. Am Donnerstag haben GSG-9-Männer ein Haus mitten im Ort durchsucht. Gefunden haben sie ein Zwillingsbrüderpaar. Der festgenommene 32 Jahre alte André E. steht im Verdacht, die Neonazi-Truppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ unterstützt zu haben. Sein Bruder Maik, samt Familie seit drei Jahren in Grabow ansässig, ist den Verfassungsschützern ebenfalls als Rechtsextremist bekannt. Der 32 Jahre alte Mann, Vater von angeblich vier Kindern, gilt als Führungsfigur der „Jungen Nationaldemokraten“. Die Brüder stammen aus Sachsen, Maik E. war 2008 mit Familie nach Grabow gezogen. Bruder André hatte wohl gehofft, sich auf dem Hof für eine Weile verstecken zu können. Eine naive Annahme: Erst Anfang November war der Name seines Bruders – mit vollem Nachnamen – in einer Brandenburger Regionalzeitung zu lesen; Verfassungsschützer sähen neue Gefahren in „strategischen Immobilienkäufen“ durch NPD-Leute. Als Beispiel wurde Maik E. genannt, der „im Besitz“ eines Gebäudes in Grabow sei. Hätte sich die Zwickauer Neonazi-Truppe nicht selbst außer Gefecht gesetzt – Maik E. hätte in Grabow weitermachen können wie bisher: als netter Nachbar Nazi, im Dorf „voll integriert“, wie ein Mann aus Grabow sagt, polizeibekannt, verfassungsschutzmäßig offenbar an der langen Leine.

Die Grabower wussten durchaus, dass es mit der Familie E. etwas Besonderes auf sich hatte. „Wir waren das bestbewachte Dorf“, sagt lachend eine Frau über die Zeit, als Familie E. nach Grabow zog: So viel Polizei dürfte in der kleinen Gemeinde mit 120 Einwohnern sonst nie unterwegs gewesen sein. Das alte Haus, das Maik E. mit Frau und Kindern bezog, liegt mitten in Grabow. Frau E. sei manchmal mit den Kindern auf dem Spielplatz gewesen, erzählt die Frau – immer habe sie freundlich gegrüßt. Das Haus gehört nicht zu den schönen im Ort. Mit seinem grauen Putz und dem seltsamen Anbau aus Hohlblocksteinen wirkt es ärmlich und abweisend. Hof und Garten sind von außen nicht zu sehen.

2008 war Maik E. mit Frau und Kindern in den kleinen Ort gezogen

Aber so ist das in einem Dorf: Wer freundlich ist und Abstand hält, der wird in Ruhe gelassen. Und doch bekommen die Leute ziemlich genau mit, was so einer macht hinter seinen Mauern. Die Männer, mit denen man in Grabow ins Gespräch kommt, sind noch etwas erschüttert über die plötzliche Prominenz ihres kleinen Ortes. Aber sie tun sich nicht schwer mit der Beschreibung dieser freundlich-abgründigen Nachbarschaftsbeziehung. Maik E. habe „Anschluss gesucht“, erzählt ein vierschrötiger Hofbewohner, bevor er die Arbeit mit der Schlagbohrmaschine wieder aufnimmt. Neulich habe man sich abends getroffen, um so etwas wie einen Grabower Club zu gründen. Da habe Maik E. dabei gesessen und zugehört.

Nichts an ihm war besonders auffällig, die Sachen, die er trug, so wenig wie seine halblangen Haare. Dass er eine führende Figur bei der NPD-Jugend war oder ist, will der vierschrötige Grabower erst im Zusammenhang mit dem Einsatz gegen André E. erfahren haben. „Wehret den Anfängen!“, sagt er wacker.

Wie weit die Anfänge von etwas stramm Rechtem auf dem Grabower Gehöft gediehen waren, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Keine Rede könne davon sein, dass E. versucht habe, für die NPD zu werben, sagen die Leute. Und irgendwelche seltsamen Treffen seltsamer Leute bei ihm? Manchmal hätten sich dort Leute versammelt, die in VW-Transportern unterwegs waren.

Ein anderer Grabower weiß es etwas genauer, er kennt Leute aus der Nachbarschaft der E.s: Mehrmals jährlich hätten auf dem Hof seltsame Feiern stattgefunden. Die Frauen liefen in trachtenartigen Kleidern herum und „mit Zöppen“, sagt der Mann. Man habe von außen eine Fahne mit einer Pflugschar und einem Schwert sehen können. Und zu hören seien seltsame, feierliche Sätze von der Art „Heil dem Frühling“ gewesen. Aus dem Mund des Mannes aus Grabow klingt das nach Germanentümelei – schräg, aber harmlos, zumal die Polizei einen Blick auf das Ambiente hatte, wenn auch aus größerer Entfernung. Die Durchsuchung am Donnerstag, sagt der Mann aus Grabow, sei schon die dritte bei der Familie E. gewesen.