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Protest gegen Nicht-Anerkennung von Todesopfern rechter Gewalt

 

Freunde trauern um Rick Langenstein, der 2008 von einem Neonazi in Magdeburg erschlagen wurde © Getty

Rechtsextremer Mord oder nicht? Der Opferfonds Cura protestiert gegen die Entscheidung des Innenministeriums zwei Todesopfer rechter Gewalt aus dem Jahr 2011 nicht offiziell anzuerkennen.

Gerade erst stellte das Bundesministerium des Innern fest, dass im Bereich der rechtsextrem motivierten Gewalttaten die Zahl rassistischer Übergriffe um 22,7% gegenüber dem Vorjahr zugenommen habe. Nicht berücksichtigt wurden dabei die getöteten Duy-Doam Pham und André K. im Jahr 2011, die bisher nicht staatlich anerkannt wurden. Auch der Mord an Klaus-Peter Beer durch zwei Neonazis im Jahr 1995 taucht in keiner offiziellen Statistik auf, obwohl laut Cura einer der Täter, Richard L., aus dem NSU-Umfeld stammt.

Insgesamt sind 828 rechts motivierte Gewalttaten im Jahr 2011 gezählt worden. Die Dunkelziffer dürfte aber weitaus höher liegen, da die ideologische Dimension vieler Fälle nicht erkannt werde oder die Opfer Übergriffe nicht melden, weil sie Angst vor Racheakten haben, schreibt die Initiative.

„Immer mehr Plattformen reagieren auf die Zunahme von rechten Übergriffen in Westdeutschland. Es ist unerlässlich, dass Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt unterstützt und ausgebaut werden“, erklärt Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung.

Auf der Webseite des Opferfonds sind Recherchen zu insgesamt 182 Tötungsdelikten abrufbar. Seit dem Jahr 2004 hilft CURA den Opfern rechtsextremer, rassistischer, antisemitischer Gewalt sowie ihren Angehörigen schnell und unbürokratisch. Der Fonds unterstützt zudem Opferberatungsstellen bei ihrer Arbeit.
Zu den beiden oben genannten Fällen berichtet die Initiativ:

27.05.2011, André K.

Am 27. Mai 2011 wird der Obdachlose André K. in Oschatz (Sachsen) von fünf Männer im Alter von 16 bis 36 Jahren mit Schlägen und Tritten schwer misshandelt. Am Morgen des 28. Mai 2011 finden Zeugen den Mann blutüberströmt und mit schwersten Kopfverletzungen im Wartehäuschen des Oschatzer Südbahnhofs. Vier Tage später stirbt der 50-jährige an den Folgen des Angriffs in einem Krankenhaus in Leipzig. Nun stehen die Verantwortlichen vor Gericht: Ronny S. (27), Sebastian B. (26), Chris K. (16), David O. (17) und Tommy J. (18) sind wegen Totschlags angeklagt, Silvio H. (36) wird unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen. Die beiden erst genannten sollen hauptsächlich für die tödlichen Verletzungen verantwortlich sein. Vieles spricht dafür, dass Ronny S. der nordsächsischen Neonazi-Szene angehört.

So gibt es mindestens zwei Bilder, die diesen Rückschluss zulassen: Ein Screenschot des sozialen Netzwerkes „MySpace“ zeigt Ronny S. posierend unter einer Reichskriegsflagge. Ein anderes Bild zeigt Ronny S., als er mit Kameraden gegen Kürzungen im Schulsystem durch Oschatz marschierte. Die Jacke, die der 27-jährige dort trägt, hat den in altdeutscher Schrift verfassten Aufdruck „Odin statt Jesus“. Der Bezug auf nordische Gottheiten ist ein weitverbreitetes Symbol in der rechtsextremen Szene. So soll auch Sebastian B. Ornamente und runenähnliche Zeichen tätowiert haben. David O. und Sebastian B. belasteten den 27-jährigen Ronny S. schwer, den sie als Anführer der tödlichen Attacke auf den Obdachlosen ausmachten. Auf die Frage Sebastian B.s nach dem Motiv, sagt er: „Wir haben uns im Suff einen sinnlosen Grund eingeredet.“ Sebastian B. gab zu, dass er mehrfach auf den Kopf und den Bauch des Obdachlosen getreten habe. David O. erzählte zudem, dass Sebastian B. ein Samuraischwert dabei gehabt habe und damit nach dem Obdachlosen schlagen wollen, ihn allerdings nicht getroffen. Als auf dem Heimweg zwei Täter auf die Idee kamen, den Notarzt zu rufen, setzte sie Ronny S. möglicherweise unter Druck. „Kommt gar nicht in Frage. Dann identifizieren sie uns“, soll er gesagt haben. Das Gerichtsurteil steht noch aus.

Die Brutalität, mit der die Täter gegen den Obdachlosen André K. vorgingen, lässt darauf schließen, dass der rechtsextreme Hintergrund des Haupttäters, Ronny S., in die Tat mit eingeflossen ist. Für Neonazis gelten Obdachlose als „minderwertig“ und „asozial“, denen ein Recht auf Leben abgesprochen wird (sozialdarwinistische Motivation). Ob Hass auf Obdachlose bei der Tat eine Rolle gespielt habe, werde im Rahmen der Gerichtsverhandlung geprüft. Der Prozess läuft vorraussichtlich noch bis zum 4. Juli 2012 am Leipziger Landgericht.

Der Initiativkreis Antirassismus beschäftigt sich vor und während der Gerichtsverhandlung intensiv mit dem Mord an André K. und möchte eine Gegenöffentlichkeit herzustellen.“Wir wollen auch diesmal nicht wegsehen und schweigen. Wir rufen dazu auf den mehrere Monate andauernden Prozess zu beobachten und öffentlichen Druck aufzubauen. Nazigewalt darf nicht länger bagatellisiert oder gar geleugnet werden.“

27.03.2011, Duy-Doan Pham

Am 27. März 2011 wurde der Obdachlose Duy-Doan Pham mit vietnamesischem Migrationshintergrund in Neuss (Nordrhein-Westfalen) Opfer zweier Männer im Alter von 18 und 38 Jahren. Die drei Männer hielten sich gemeinsam in einer Unterkunft für Wohnungslose auf, als die Täter ihr Opfer zunächst ausrauben. Duy-Doan Pham verließ darauf das Obdachlosenheim und wollte sich in der Nähe ein Ort zum Schlafen suchen. Die beiden Männer folgen ihm wenige Stunde später und fordern noch mehr Geld von dem 59-jährigen. Aus Angst er könne bei der Polizei aussagen, schlagen sie zehn Minuten lang mit einem Holzpfahl auf den wehrlosen Vater dreier Kinder ein. Anschließend beobachten sie ihn beim Sterben, bis ihr Opfer an seinem Blut erstickt. Der 18-Jährige Dennis E. räumte ein, Kontakte zur Hooligan- und Neonazi-Szene zu haben. Auf der Brust hat er nach eigenen Angaben zwei Hakenkreuze tätowiert. Auf Nachfragen des Gerichts sagte er, Ausländer seien für ihn „Kanacken“. Laut Gericht war der jüngere der beiden Angeklagten der Initiator der Tat. Auch sein Komplize, der 38-jährige Sven K., habe sich an der Tat beteiligt. „Allerdings war er nur Mitläufer, er hatte kein Mordmotiv und war obendrein noch stark angetrunken“, so der Staatsanwalt. Für ihn ordnete das Gericht nach der Verbüßung von mehreren Jahren im Gefängnis die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Er bekam neun Jahre Haft wegen Todschlages. Die zuständige Jugendkammer verurteilte den 18-jährigen Hauptangeklagten wegen Mordes zu neuneinhalb Jahren Jugendstrafe. Ein fremdenfeindliches Motiv kann das Gericht bei dem Haupttäter jedoch nicht erkennen.

Für das Gericht war demnach die Vertuschung des Raubüberfalls das Hauptmotiv für den Mord an Duy-Doan Pham. Der ideologische Kontext des Täters sollte jedoch nicht ignoriert werden, wird doch dadurch die Hemmschwelle zur exzessiven Gewalt an einem Menschen gesenkt.