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„Die wollen kämpfen, die wollen das wirklich“

 

Am 23.März haben die Flüchtlinge vom Oranienplatz in Berlin aus mit etwa 3000 Demonstranten protestiert - nicht zum letzten Mal © Caro Lobig
Am 23.März haben die Flüchtlinge vom Oranienplatz in Berlin aus mit etwa 3000 Demonstranten protestiert – nicht zum letzten Mal © Caro Lobig

„Es fährt ein Schiff im Winter durch ein kaltes Meer und trifft auf Schiffbrüchige, die kurz vor dem Ertrinken sind. Man nimmt sie an Board, lässt sie an Deck sitzen und sagt: ‚Schaut, hier ertrinkt ihr nicht’. Danach sind sie schutzlos der Witterung ausgesetzt, an einem Ort, wo man sie nicht hört und man sich nicht um sie kümmern muss.“ So beschreibt Oliver Höfinghoff, Berliner Abgeordnete der Piratenpartei, Deutschlands Umgang mit Flüchtlingen.

Im Interview mit dem Störungsmelder berichtet er von der Sitzung des Innenausschusses am Montag, bei der die Flüchtlinge nicht zuhören durften. Außerdem erzählt er von seinen Erfahrungen mit dem refugee protest und Lösungsansätzen für politisch verfolgte Flüchtlinge.

Störungsmelder: Gestern gab es im Berliner Abgeordnetenhaus eine Sitzung des Innenausschuss, in der unter anderem über den SEK-Einsatz in der von Flüchtlingen bewohnten Schule in Kreuzberg gesprochen werden sollte. Was ist während dieser Sitzung passiert?

Höfinghoff: Wir wollten das Thema im Innenausschuss wegen des unverhältnismäßigen Polizeieinsatzes gegen die Flüchtlinge ansprechen. Daher kamen ein paar Flüchtlinge vom refugee camp am Oranienplatz zum Abgeordnetenhaus, um sich das anzuhören. Die Haussicherheit wollte aber eine unangemeldete Gruppe nicht rein lassen. Daher haben ein paar Kollegen und ich dann nach und nach die Flüchtlinge in kleinen Gruppen rein geholt und den Rest im Fraktionsbesprechungsraum der Piraten warten lassen. Ich habe dann mit Kollegen unseren Innensenator Frank Henkel gefragt, ob er nach der Sitzung zu einem Gespräch bereit wäre. Er hat mehr oder weniger zugesagt, den Flüchtlingen im Anschluss ein paar Minuten zuzuhören.

Störungsmelder: Wie haben die Flüchtlinge darauf reagiert?

Oliver Höfinghoff setzt sich für eine menschenwürdigere Asylpolitik in Deutschland ein © Enno Lenze
Oliver Höfinghoff setzt sich für eine menschenwürdigere Asylpolitik in Deutschland ein © Enno Lenze

Höfinghoff: Da wir ihnen nicht sagen konnten, wie es weiter geht und sie außerhalb der Sitzung warten mussten, haben sie irgendwann die Geduld verloren. Sie kamen runter und wollten im Innenausschuss zuhören. Der Sicherheitsdienst wollte dann aber die Ausweise haben und Leute ohne Ausweise nicht herein lassen. Da die Gruppe sich nicht trennen wollte und die Sitzung des Innenausschuss ja eigentlich öffentlich ist, wurden die Flüchtlinge lauter. Sie haben sich ausgeschlossen und ungerecht behandelt gefühlt.

Störungsmelder: Wie ging es dann weiter?

Höfinghoff: Der Sicherheitsdienst war einfach mit der Situation überfordert, denke ich. Die Personenschützer von Henkel haben dann die Ausschuss-Türen abgeschlossen. In dem Moment war die Sitzung offiziell nicht mehr öffentlich und das ist formell gesehen ein großer Fauxpas. Der Vorsitzende des Polizeiarbeitskreises der Berliner CDU, Peter Trapp, hat die Türen dann wieder aufgeschlossen. Einige Politiker, Journalisten und auch ich sind dann raus gegangen. Der Vertreter des Präsidenten wollte die Flüchtlinge verhaften lassen, hat sich dann aber doch dazu überreden lassen, ihnen nur ein temporäres Hausverbot zu erteilen.

Störungsmelder: Wie sind die Flüchtlinge damit umgegangen?

Höfinghoff: Ein paar von uns haben sie nach draußen begleitet und noch mit ihnen geredet. Es gab da wohl Kommunikationsschwierigkeiten unter ihnen selbst. Die Spontaneität der Flüchtlinge war auch ein Problem, denn sie haben sich nicht angemeldet, um zuhören zu dürfen. Die Situation ist so eskaliert, weil die Flüchtlinge das Gefühl hatten, als einzige ausgeschlossen zu werden, obwohl die Sitzung ja öffentlich zugänglich ist.

Störungsmelder: Wurde danach im Innenausschuss noch über den SEK-Einsatz gesprochen?

Höfinghoff: Nein. Da die Zeit für die Sitzung sowieso schon überschritten war, hat der Innenausschuss sie nach dem Vorfall geschlossen. Wir von den Piraten haben zusammen mit den Grünen schriftliche Fragen zu dem Einsatz eingereicht und bekommen darauf jetzt auch nur schriftliche Antworten und keine Chance, das mündlich zu diskutieren.

Störungsmelder: Inwiefern haben Sie sich bisher mit der Bewegung des refugee camp beschäftigt?

Höfinghoff: Seit dem Protestmarsch von Würzburg nach Berlin habe ich die Aktionen der Flüchtlinge verfolgt. Als sie am Oranienplatz ankamen, habe ich dann auch viele persönlich kennengelernt und mit ihnen gesprochen. Als einige der Camp-Bewohner dann letzten Oktober vor das Brandenburger Tor gezogen und in den Hungerstreik getreten sind, habe ich viele Tage und Nächte mit ihnen verbracht. Das waren sechs Wochen lang wirklich kriegsähnliche Zustände. Die Flüchtlinge waren durch die Polizeirepressalien ständig unter Stress, haben kaum geschlafen und nicht gegessen. Und wir haben versucht, Spenden zu sammeln, Politiker und Presse zu mobilisieren.

Gemeinsam mit anderen Berliner Abgeordneten protestierte der Pirat vor dem Brandenburger Tor gemeinsam mit den Flüchtlingen © Enno Lenze
Gemeinsam mit anderen Berliner Abgeordneten protestierte der Pirat vor dem Brandenburger Tor gemeinsam mit den Flüchtlingen © Enno Lenze

Störungsmelder: Sie haben sich diese Flüchtlingsbewegung zunächst kritisch angeschaut. Wie beurteilen Sie den refugee protest jetzt?

Höfinghoff: Ich habe schnell gemerkt, wie frustriert die Flüchtlinge über ihre Situation sind und wie ernst sie es meinen. Ich habe gemerkt, die wollen kämpfen, die wollen das wirklich. Und da war für mich klar, das unterstütze ich.

Störungsmelder: Was halten Sie von den politischen Forderungen der Flüchtlinge?

Höfinghoff: In meinen Augen gibt es keine Gründe, ihren Forderungen nicht nachzukommen. Finanzielle Argumente dagegen sind an dieser Stelle nur vorgeschoben. Wir haben etliche Milliarden für Euro-Rettungspakete. Aber wir können das Geld nicht für Wohnungen investieren, um Menschen, die aus üblen Bedingungen hier her kommen, ein würdiges Leben zu ermöglichen. Deutschland ist außerdem das einzige Land mit Residenzpflicht und einem Asylbewerberleistungsgesetz. Beides völlig schwachsinnig. Wir haben eine festgelegte Einkommensuntergrenze in diesem Land und die gilt nicht nur für deutsche Staatsbürger. Unverständlich ist es für mich auch, dass wir es Menschen, die in ihrer Heimat nicht leben können, verweigern, hier zu leben, wo sie sicher sind. Wir haben die Bedingungen, um die Flüchtlinge aufzunehmen, also sollten wir es auch tun.

Störungsmelder: Was haben Sie in Ihrer Partei konkret für die Flüchtlinge gemacht?

Höfinghoff: Wir haben den Innensenator auf die extremen Polizeirepressalien gegen die Flüchtlinge aufmerksam gemacht und im großen Plenarsaal das Thema debattiert. Mit den Linken und den Grünen haben wir gemeinsam Anträge eingebracht, zum Beispiel für den Winterabschiebestopp. Wir haben uns zusammen mit Pressevertretern Flüchtlingslager in Berlin angeschaut, um das Thema in die Öffentlichkeit zu tragen. Und die politischen Forderungen der Flüchtlinge haben wir im Parlament eingebracht und das wollen wir auch weiterhin tun. Genauso wollen wir weiterhin vor Ort helfen und an Demonstrationen der Flüchtlinge teilnehmen.

Störungsmelder: Was ist die Lösung für die Flüchtlinge in Berlin?

Höfinghoff: Wir müssen zunächst alle Flüchtlinge hier rein lassen, solange wir nichts für die Situation in ihren Herkunftsländern tun können oder tun. Dann steigt die Notwendigkeit für deutsche Politiker, in ihrer Heimat etwas zu tun. Wenn wir dort die Sicherheitssituation verbessern könnten, würden die Flüchtlinge auch wieder freiwillig in ihre Länder zurück gehen.

Das war der 18. Teil meiner Artikel-Serie über das Refugee Camp Berlin.