Begleitend zur Ausstellung „Nie wieder. Schon wieder. Immer noch“ im Münchner NS-Dokumentationszentrum ist ein gleichnamiger Katalog erschienen. Er liefert einen gelungenen Überblick über den Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945, der auch zum Einstieg in das Thema viele hilfreiche Informationen bereithält.
Von Johannes Hartl
Auch nach dem Kriegsende blieb der Rechtsextremismus ein kontinuierlicher Bestandteil der deutschen Gesellschaft. Dieses Fazit zieht eine neue Sonderausstellung, die das Münchner NS-Dokumentationszentrum noch bis zum 2. April zeigt. Unter dem Titel „Nie wieder. Schon wieder. Immer noch. Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945“ beschäftigten sich deren Urheber mit den Entwicklungen der extremen Rechten und möglichen Gegenstrategien. Begleitet wird die Ausstellung von einer gleichnamigen Publikation, veröffentlicht im Berliner Metropol-Verlag.
Auf 280 Seiten beleuchten die Autoren dort verschiedene Aspekte der extremen Rechten, stellen bayerische Gegenmaßnahmen und zwei Fallstudien zum Oktoberfestattentat und dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) vor. Außerdem wird die Veröffentlichung durch eine umfangreiche Chronik und durch eine Analyse typischer Ideologieelemente ergänzt, die kennzeichnend für den Rechtsextremismus sind. In diesem Abschnitt können sich die Leser dank zahlreicher Illustrationen ein Bild davon machen, wie menschenverachtende Ideologien in Kampagnen verbreitet werden sollen, wie diese auf Propagandamaterialien präsentiert werden und wie sich derartige Bestrebungen erkennen lassen.
Dabei unterscheidet sich der Katalog durch seine Herangehensweise wohltuend von ähnlichen Veröffentlichungen. Gleich zu Anfang stellen die Autoren Beate Küpper und Andreas Zick in ihrem Aufsatz klar, dass sich rechtsextreme und rechtspopulistische Einstellungen nicht auf die vermeintlichen Ränder des politischen Spektrums beschränken lassen (S. 21 – 30). Unter Berufung auf die Mitte-Studien legen sie vielmehr überzeugend dar, welche fließenden Übergänge bei entsprechenden Ansichten teilweise festzustellen sind – bis hinein in die bürgerliche, vermeintlich demokratische Gesellschaft. Damit geben sie eine lobenswerte Richtung vor, die die Publikation als Ganzes auszeichnet.
In den einzelnen Beiträgen gelingt den namhaften Autoren jeweils eine exzellente Analyse der derzeitigen Entwicklungen, die durch ihre differenzierte Sichtweise besticht. Besonders positiv fällt hier der Beitrag von Robert Andreasch auf, einem erfahrenen Fachjournalisten und Mitarbeiter des aida-Archivs in München. Der Autor präsentiert eine Chronik des Rechtsterrorismus in Bayern seit 1945 (S. 63 – 73), die in dieser Form ihresgleichen sucht. In seinem Beitrag ruft Andreasch viele neonazistische Gewalttaten in Erinnerung, die längst aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden sind, und beschäftigt sich außerordentlich kritisch mit den bagatellisierenden Reaktionen der Behörden — eine Anmerkung, die nötiger denn je scheint.
Überhaupt ist die gesamte Publikation stets auf vorbildliche Weise am Puls der Zeit. Der jüngste Rechtsruck in der deutschen Gesellschaft erfährt in der Veröffentlichung eine umfassende Würdigung, die dem Phänomen angemessen ist. Zudem spart der Ausstellungskatalog nicht mit Kritik an Gruppierungen wie „Pegida“ oder an Parteien wie der Alternative für Deutschland (AfD), die laut Wolfgang Benz nach dem Bedeutungsverlust der NPD deren Funktion „übernommen hat“ (S.15). Diese Deutlichkeit ist besonders wohltuend, werden solche Inhalte doch oftmals nicht mit der nötigen Entschiedenheit als antidemokratisch eingeordnet. Auf diese Weise leistet das NS-Dokumentationszentrum – gemäß seinem Auftrag – eine gute, weil engagierte und aufrüttelnde Aufklärungsarbeit, die überzeugend für eine demokratische Gesellschaft eintritt.
Für fachlich versierte Leser enthält der Ausstellungskatalog zwar keine unbekannten, geschweige denn neuen Informationen. Sie werden in der Veröffentlichung überwiegend Erkenntnisse wiederfinden, die ihnen durch ihre Arbeit bereits im Original bekannt waren. Doch das NS-Dokumentationszentrum hat als öffentliche Einrichtung den Auftrag, Bildungsarbeit für eine möglichst breite Zielgruppe zu leisten. Folgerichtig werden die Inhalte für ein allgemeines Publikum verständlich aufbereitet, ohne bei diesem spezielle Vorkenntnisse vorauszusetzen. Unter diesem Gesichtspunkt ist den Beteiligten eine erstklassige Publikation gelungen, die dank der renommierten und kenntnisreichen Autoren fachlich über jeden Zweifel erhaben ist.
Vor allem zum Einstieg in das Thema, aber auch für die Bildungsarbeit kann ihre Veröffentlichung von besonderem Wert sein. Denn durch ihre kompakte Darstellung, durch die Themenauswahl und durch die beschriebenen Gegenstrategien finden sie alle nötigen Informationen und Hintergründe, die für eine erste Auseinandersetzung mit der Thematik erforderlich sind. Gleichzeitig bietet die ideologische Analyse (S. 210 – 269) im letzten Teil der Publikation das Potenzial, erfolgreich für die Gefahren rechtsextremer Agitationen zu sensibilisieren – auch im schulischen Kontext. In jedem Fall legen die Autoren damit eine Veröffentlichung vor, die angesichts des aktuellen gesellschaftlichen Rechtsrucks wichtiger und notwendiger kaum sein könnte.
Winfried Nerdinger (Hrsg.), Nie wieder. Schon wieder. Immer noch. Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945, Berlin 2017, Metropol-Verlag, 280 Seiten, 34 Euro, ISBN: 978-3-86331-369-2.