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Rechte Raumnahme auf der Leipziger Buchmesse

 

Flyer der „Verlage gegen Rechts“, rechte Catering-Mitarbeiter warfen sie in den Müll © Henrik Merker

Auf der Leipziger Buchmesse stand die Frage „Mit Rechten reden?“ wieder im Fokus. Soll man Rechtsaußen-Verlage dulden? Ja, entschied die Leipziger Buchmesse am vergangenen Wochenende. Daraufhin übernahmen Rechtsextreme die Kontrolle über einen Teil der Messe. Ein Bericht aus Halle 3, rechts hinten.

Eine Bühne für Geschichtsrevisionisten und Umsturzpläne

Die zentrale Strategie der „Neuen Rechten“ heißt „Diskursverschiebung“. Was die rechten Verlage darunter verstehen, zeigt eine Veranstaltung des Compact-Magazins: Stolz verkündet Chefredakteur Jürgen Elsässer, man habe den Wehrmacht-General Erwin Rommel ins neue Heft des rechts-außen Verlages aufgenommen. Der Vorzeige-General Hitlers deportierte hunderttausende italienische Soldaten in deutsche Arbeitslager, führte in Afrika einen Angriffskrieg. Elsässer sitzt mit Generalmajor a.D. Gerd Schultze-Rhonhof auf dem Podium der Buchmesse, dieser hat das neue Heft geschrieben, sie sprechen über „Rommels Leistungen“ im Zweiten Weltkrieg. Rhonhof beschreibt seinen wissenschaftsfeindlichen Ansatz: „Schreiben, was man für wahr und richtig hält“.

Schultze-Rhonhof gibt Autogramme © Henrik Merker

Ihr Ziel sprechen die Rechten offen aus: Elsässer fordert, „oppositionelle Medien“ sollten zum „Sturz des Regimes“ beitragen. Die Rechtsaußen-Zeitschrift „Sezession“ solle für inhaltliche Tiefe sorgen, das Compact-Magazin die breite Masse erreichen. Geht es nach Elsässer, sollen Schüler und Studenten sein neues Geschichts-Heft lesen.

Rechtsextreme übernehmen die Kontrolle

Damit niemand stört, schirmen Sicherheitsleute die Veranstaltungen der extrem rechten Verlage hermetisch ab. Die Rechten haben eine Kompanie eigener Sicherheitsmänner mitgebracht. Auf Nachfrage teilt die Messeleitung mit, dass für den Schutz der Buchmesse ein Sicherheitsunternehmen beauftragt wurde. Private Wachen hätten nur im Auftrag dieses Unternehmens arbeiten dürfen – und nur als „Standwachen“. Ein Video zeigt, wie die in Zivil gekleideten „Standwachen“ von Mitarbeitern des Unternehmens eingewiesen werden – zum Schluss droht einer der Mitarbeiter dem Filmer und greift nach dessen Presseausweis.
Nachdem es am Samstag zu einem Störversuch aus dem Publikum kam, wurden die Kontrollen verschärft. Der rechte Vordenker Götz Kubitschek steht persönlich am Einlass zur „Leseinsel“, kontrolliert Gesichter – die Sicherheitsarbeiter durchwühlen Taschen.

Götz Kubitschek, Bundeswehr-Oberleutnant a.D., hat mit den „Identitären“ auch seine eigenen Soldaten vor Ort, viele von ihnen sind Kampfsportler. Er kommandiert im Befehlston, wer welches Plakat nimmt, wann losgegangen wird. Einige Frauen bekommen Plakate in die Hand gedrückt, nach ein paar Fotos übernehmen die Männer wieder und rücken vor. An der „Leseinsel“ haben sich Gegner der Rechtsextremen zum Protest versammelt.
Auf dem Tresen vom Compact-Stand steht ein privater Sicherheitsmann, neben ihm hält sich Franz Reißner, führender „Identitärer“ aus Zwickau, am Metallgerüst fest. Beide filmen den Gegenprotest. Aber Reißner filmt nicht nur, er gibt Handzeichen an die vorderen Gruppen. In unübersichtlichen Situationen kommunizieren die Rechten auf diesem Weg. Die „Identitären“-Front grölt „Deutschland! Deutschland!“, sie trägt Plakate, auf denen geschrieben steht: „Wer brüllt hat Unrecht“.

Nach dem Protest linker Gruppen unterhalten sich die „Identitären“ vor der abgeriegelten Leseinsel. Einer sagt, er habe sich vorher was eingeworfen. „Und dann hast du nichts gemerkt, Alter“, ruft er begeistert. „Von letztes Jahr diese Aktion am Justizministerium ist ja jetzt auch schon über’n dreiviertel Jahr her, da kam bisher auch nichts, ne“, sagt einer. Ein anderer meint, die Gerichte seien wohl überfordert. Anschließend loben sie sich gegenseitig dafür, wie sie Journalisten angingen.

Journalisten im Fokus

Neben politischen Gegnern stehen Journalisten im Fokus der Rechten. Sie werden gezielt angepöbelt, bedroht und eingeschüchtert. Ein Reporter vom Neuen Deutschland berichtet, wie er „Identitäre“ filmte, als diese auf Gegendemonstranten einschlugen. Plötzlich schlägt jemand auf seine Kamera und reißt diese fast vom Stativ. Der Schläger ist einer der privaten Sicherheitsmitarbeiter, ausweisen wolle er sich nicht. Der Journalist bricht darauf seine Berichterstattung ab. Vor der „Leseinsel“ belauscht einer das Gespräch von Journalisten. Er gibt sich als offizieller Sicherheitsmann der Messe aus. Seinen Ausweis? Habe er draußen, könne er dort zeigen. Warum er den nicht wie vorgeschrieben bei sich trägt? „Wir können das gern draußen klären!“, droht der Sicherheitsbedienstete, wird aggressiv. Ein leitender Polizeibeamte sagt später im Gespräch, der Pöbler sei einer der privaten Sicherheitsleute gewesen.

Ein Altbekannter, der auf der Messe Journalisten und Besucher belästigt, ist Sven Liebich. Um seinen Hals hängt ein Phantasie-Presseausweis. Der Ex-„Blood-and-Honour“-Aktivist hat ein Team mit Kameras dabei, seine Hetztiraden übertragen sie im Livestream. Einmal wird er von Polizeibeamten aus der Halle entfernt. Kurz darauf ist er zurück. Er sei als Pressevertreter akkreditiert, behauptet der Sicherheitsdienst der Buchmesse, da könne man nichts machen. Der Sicherheitsdienst hätte handeln müssen, sagt die Messeleitung.

Der Widerspruch verhallt

Nach den Ausschreitungen auf der Frankfurter Buchmesse wollte man den Rechten in Leipzig die Diskussionen nicht überlassen. Das Bündnis „Verlage gegen Rechts“ organisiert deshalb die inhaltliche Auseinandersetzung mit den „Neuen Rechten“. Deren Strategien sollen analysiert, ein angemessener Umgang damit gefunden werden. Eine weitere Gruppe, „Buchmesse gegen Rechts“, geht mit einer Kundgebung direkt vor die braunen Stände. Den Rechtsextremen gehe es nicht um Austausch, sondern um Provokation und Grenzüberschreitung, sagt eine Rednerin.
Die Rechtsextremen liefern den Beweis wie auf Kommando: Sie mischen sich unter die Kundgebung, schubsen, drohen. Götz Kubitschek, Sven Liebich und der Antisemit Nikolai Nerling stören täglich die Veranstaltungen von „Verlage gegen Rechts“ und den Messebetreibern – sie filmen sich dabei, stellen ihre Videos ins Netz.

Sieben rechte Verlage wollten ursprünglich kommen, neben den großen Ständen von „Compact“ und „Antaios“ bekam nur die NPD etwas Aufmerksamkeit. Deren Parteizeitung „Deutsche Stimme“ teilte sich eine Parzelle mit der NPD-nahen Stiftung „Terra-Nostra“. Europaabgeordneter Udo Voigt, NPD-Vorsitzender Frank Franz und weitere Führungskräfte lockten kaum Messebesucher an. Dagegen dominierte das Who-is-Who der „Neuen Rechten“, begleitet von klassischen Neonazis und Verschwörungstheoretikern. Und die nutzen jede Bühne, die sie bekommen. Pappschilder, ein paar Kameras und rechtsextreme Parolen – eine Inszenierung mit einfachsten Mitteln.