Ein Rechtsrock-Konzert, das die NPD anlässlich ihres Auftakts zum hessischen Landtagswahlkampf am Samstag im mittelhessischen Wetzlar veranstalten wollte, fand stattdessen im nahegelegenen Leun-Stockhausen statt. In Wetzlar hatte die Stadtverwaltung der NPD die Nutzung der Stadthalle verweigert – ein ungewöhnlicher Vorgang.
Von Sebastian Weiermann und Alexandra Gehrhardt
“Warst du schon mal selber dabei, in der dritten Halbzeit einer Fußballkeilerei?”, schallt es laut durch Leun-Stockhausen. Die Bremer Hooligan- und Rechtsrock-Band “Kategorie C” macht den Anfang bei einem neonazistischen Konzert, das eigentlich am selben Tag in der Stadthalle von Wetzlar stattfinden sollte. Es ist eine gespenstische Szenerie, die sich in dem kleinen Örtchen an der Lahn abspielt. Die Polizei ist mit Kräften präsent und füllt die Hauptstraße, die durch den Ort und an der Location vorbeiführt. Die Beamten kontrollieren Ausweise und Autos von anreisenden Rechten. Normale Bürger sind auf der Straße nicht zu sehen.
In Leun-Stockhausen gibt es mit dem “Bistro Hollywood” seit Jahren einen Treffpunkt der extremen Rechten, in dem immer wieder auch kleinere Konzerte stattfinden. Allerdings sind das in der Regel eher Veranstaltungen mit regionalem Charakter. Das ist am Samstagabend anders. Aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Sachsen und anderen teilen Hessens sind Neonazis angereist, um sechs Rechtsrock-Bands anzusehen. Kurz vor Beginn des Konzerts steht Lars Schulz mit Marco Gottschalk vor dem Gebäude, in dem das Konzert stattfindet. Schulz gehörte mutmaßlich zu den führenden Köpfen der “Berserker Lahn Dill”, einer Gruppe von Rechten, der beste Verbindungen ins Hooligan-Milieu nachgesagt werden. Die Gruppe löste sich auf, nachdem bei Mitgliedern Waffen gefunden wurden und die Staatsanwaltschaft Frankfurt ein Verfahren wegen “Bildung einer kriminellen Vereinigung” eingeleitet hatte.
Ein solches Verfahren musste Schulz’ Gesprächspartner Marco Gottschalk nie über sich ergehen lassen. Es gibt zwar zahlreiche Hinweise, dass der Dortmunder am Aufbau einer bewaffneten “Combat 18”-Zelle beteiligt war, zu einem Strafverfahren führte dies jedoch nicht. Und so kann Gottschalk weiter als Sänger der Band “Oidoxie” auftreten und in seinen Songs Terror, Gewalt und Rassismus propagieren. Als Schulz und Gottschalk am Abend vor dem Bistro “Hollywood” standen, hatten sie schon einen langen Tag hinter sich, der vor allem aus Rumstehen und Warten bestand.
Stadt verweigert NPD die Stadthalle
Schon am Mittag hatten sich rund 40 Rechte vor einem Hotel in der Nähe der Wetzlarer Stadthalle getroffen, in dem einige von ihnen auch genächtigt hatten. Dort warteten sie auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Dem als Wahlkampfauftakt für die hessische Landtagswahl im Oktober deklarierten Rechtsrock-Konzert ging ein monatelanger Rechtsstreit zwischen der Stadt Wetzlar und der NPD voraus. Die Stadt wollte der NPD die Halle nicht überlassen, da die Partei “verfassungsfeindlich” sei. Mehrere Gerichte hielten die Auffassung der Stadt für unerheblich. Der NPD müsse die Halle überlassen werden, ihre Weltanschauung sei “kein zulässiges Differenzierungskriterium” für die Vergabe der Halle, urteilte der Hessische Verwaltungsgerichtshof. Wenige Tage vor dem Konzert versuchte die Stadt dann noch mit einer anderen Begründung, die NPD loszuwerden. Mit dem Auftritt von sechs Rechtsrock-Bands habe die Veranstaltung keinen Wahlkampfcharakter, die Bands sollten nicht auftreten. Auch das sahen die Gerichte anders. Über die Gestaltung einer Wahlkampfveranstaltung habe einzig die veranstaltende Partei zu entscheiden. Es schien also alles klar für die Veranstaltung zu sein.
Doch dann erschien am Freitagabend eine Pressemitteilung der Polizei Mittelhessen. Die Stadthalle bliebe am Samstag geschlossen. Das habe die Stadt entschieden. Die NPD habe nicht die nötigen Versicherungspolicen und Nachweise über einen Sanitätsdienst vorlegen können. Dies gehöre zu den üblichen Bedingungen für das Anmieten der Stadthalle. Die, wie Oberbürgermeister Manfred Wagner am Samstagmittag erzählte, auch zum Beispiel von Brauchtumsvereinigungen wie den “Landfrauen” erfüllt werden müsse. Bei den Neonazis herrschte daraufhin blanke Wut. Die hessische NPD rief, unter Berufung auf das Widerstandsrecht in Artikel 20 des Grundgesetzes, auf Facebook dazu auf, nach Wetzlar zu kommen.
Andere Neonazis forderten zum bewaffneten Kampf auf oder wollten den Wetzlarer Bürgermeister festnehmen lassen. Nüchterner betrachtete dies der Dortmunder Neonazi Alexander Deptolla. Auf Facebook riet er seinen Kameraden, nicht nach Wetzlar zu fahren, dort könne man am Samstag “keinen Fuß” auf die Erde setzen. Der neonazistische Multiaktivist und Geschäftemacher Patrick Schröder, der sich schon einen Tag vorher in Wetzlar einfand, sprach am Freitagabend von einem Rechtsbruch mit bisher unbekannten Ausmaß. Am Samstagmorgen mussten er und ein Begleiter Wetzlar allerdings – mit einem Platzverweis belegt – verlassen. Sie waren mit Pfefferspray in der Stadt unterwegs gewesen. Von da an konnte Schröder die Neonazis nur noch mit Videobotschaften vom Straßenrand zum Widerstand anstacheln. Dem Aufruf, nach Wetzlar zu kommen, folgten insgesamt etwa 200 Neonazis. Die Polizei stellte bei ihnen einen Baseballschläger, einen Schlagstock, Quarzhandschuhe, ein Messer in Form einer Scheckkarte und Pfefferspray sicher.
Die Stadt Wetzlar blieb allerdings bei ihrem eingeschlagenen Weg. Den örtlichen NPD-Stadtverordneten Thassilo Hantusch ließ man zwar noch einmal zu Gesprächen in die Geschäftsstelle der Stadthalle. Dort konnte er die nötigen Unterlagen aber noch immer nicht abliefern. Am späten Nachmittag hatte auch der letzte Rechte verstanden, dass in Wetzlar kein Konzert stattfinden wird. Die Neonazis, die sich stundenlang vor dem Hotel die Beine in den Bauch gestanden hatten, reisten sichtlich genervt ab, nächstes Ziel: Leun-Stockhausen. Und so ist zwar die NPD an diesem Tag leer ausgegangen, nicht aber die rechte Szene. Ihr Konzert hat sie bekommen.
Gegen das rechte Event demonstrierte ein breites Bündnis von Autonomen Antifas bis zu Parteien und Gewerkschaften. In einem Park direkt neben der Stadthalle endete die Demonstration, die nach Polizeiangaben 2.000 Teilnehmer hatte.