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Freibrief für Nazipropaganda

 

Ein Gericht spricht den Betreiber des Rechtsrock-Labels Oldschool Records frei. Damit dürften sich Rechtsextreme künftig sicher fühlen, wenn sie ihre Propaganda verbreiten.

Ein Kommentar von Sebastian Lipp

„Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda!“, skandieren Nazigegner zum Prozessauftakt gegen Oldschool Records am 17. April 2018 vor dem Landgericht Memmingen. © Kelpp

Es ist ein Freispruch erster Güte: Nach einer Anklage wegen Volksverhetzung erklärte das Landgericht von Memmingen im Allgäu den Betreiber des Neonazi-Musiklabels Oldschool Records, Benjamin Einsiedler, im Berufungsprozess nicht nur für unschuldig – die Richter sprachen dem Rechtsextremisten auch noch eine Entschädigung für eine Hausdurchsuchung und die dabei beschlagnahmten Produkte zu. Das war vor vier Wochen. Nun bestätigte Staatsanwalt Thomas Hörmann: Seine Behörde will das Urteil per Revision am Oberlandesgericht in München kippen. Immerhin.

Denn das Landgericht hatte bereits ein fatales Signal gesendet: Die rechtsextreme Szene wird den Richterspruch als Freibrief und Anleitung für die straffreie Verbreitung von Neonazipropaganda auffassen.

„Neger und Türken umlegen“

Zwar kommt es beim Urteil eines unabhängigen Gerichts nicht auf die Außenwirkung, sondern einzig auf Recht und Gesetz an. Doch schaut man sich an, wie der Prozess gegen Oldschool Records zustande gekommen ist, keimen Zweifel auf, dass sich hier der Rechtsstaat durchgesetzt hat.

Die Vorwürfe jedenfalls waren drastisch: Eins der Lieder aus der Produktion von Oldschool Records enthält eine schwer verständliche Textzeile, in der die Band Boots Brothers singt, sie wolle „Neger und die Türken umlegen“. Dem Vorsitzenden Richter Herbert Krause zufolge sind diese Worte als „Beschreibung der Lebensart der Skinheads“ zu werten. Daher könne er keine Aufforderung zur Gewalt erkennen, das wäre zu weit interpretiert – ansonsten müssten auch Romane, die Straftaten beschreiben, justiziabel sein, erklärte er.

Neonazi-Plattenproduzent Benjamin Einsiedler und sein Verteidiger Alexander Heinig.
Neonaziplattenproduzent Benjamin Einsiedler und sein Verteidiger Alexander Heinig. © Sebastian Lipp

Die Geschichte des Verfahrens reicht bereits sechs Jahre zurück. Damals erhielten Ermittler einen Hinweis auf einen Pullover mit SS-Totenkopf im Internetshop von Oldschool Records. Sie überwachten die Kommunikation der Betreiber und durchsuchten mehr als ein halbes Dutzend Objekte, die sie mit dem braunen Business in Verbindung brachten. Sie stellten 23.500 Tonträger, fünf Terabyte Daten und Gegenstände wie Hakenkreuz-Textilien und Schlagstöcke sicher.

Wie die Staatsanwaltschaft sich vorführen ließ

Tagelang vernahmen Staatsschützer Kunden des Shops, werteten CDs und andere Asservate aus, füllten etliche Aktenordner. Mehr als 900 Einzelstraftaten, die die Polizisten mühsam zusammenstellten, fasste die Staatsanwaltschaft zu 89 Anklagepunkten zusammen – ein Verstoß gegen das Waffengesetz, der Rest wegen Propagandastraftaten. 2016 landete Benjamin Einsiedler, der zugleich als Führungsfigur der größten Kameradschaft neonazistischer Skinheads in Bayern gilt, auf der Anklagebank des Amtsgerichts in Memmingen.

Doch die Staatsanwaltschaft ließ sich vorführen. Einsiedler ließ sich vertreten vom Szene-Verteidiger Alexander Heinig, der einst selbst als Rechtsrocker auf der Bühne stand und rassistische Parolen grölte. Der Anwalt war in seinem Element. Die Strafverfolgungsbehörde dagegen schien schlecht auf das Verfahren vorbereitet. Wegen argumentativer Mängel verwarf die Staatsanwaltschaft Teile ihrer eigenen Anklageschrift zu Prozessbeginn gleich selbst und stimmte einer teilweisen Verfahrenseinstellung zu.

Verteidiger Heinig und der Angeklagte Einsiedler bei der ersten Verhandlung vor dem Amtsgericht Memmingen.
Verteidiger Heinig und der Angeklagte Einsiedler bei der ersten Verhandlung vor dem Amtsgericht Memmingen. © Sebastian Lipp

Vor dem Amtsgericht wurde Einsiedler für nur sieben der 88 Anklagepunkte verurteilt und für einen Teil freigesprochen. Heinig ging gegen das Urteil in Berufung. Die Staatsanwaltschaft tat dasselbe.

Richter argumentiert mit Thesen von Rechtsradikalen

Aber auch jetzt am Landgericht machte die Staatsanwaltschaft keine bessere Figur. Als Richter Krause nach einer Begründung für ihre Berufung fragte, zog die Behörde das Rechtsmittel einfach zurück – und ließ sich schließlich mit dem Freispruch abkanzeln.

Bemerkenswert daher auch die weiteren Begründungen des Gerichts: Im Prozess ging es auch um ein von Oldschool Records verkauftes Cover-Lied, dessen Original ein Funktionär der Hitlerjugend geschrieben hatte. Das Werk habe zwar im Nationalsozialismus zum „Pflichtliederkanon“ gehört und sei auf zentralen Parteiveranstaltungen gesungen worden, aber nicht für Laien als verbotenes Kennzeichen zu erkennen, ließ der Richter wissen. Ohne ein Gutachten ließe sich nicht entscheiden, ob der Vertrieb legal sei – „wie sollen es dann potentielle Täter tun?“, fragte Krause. Deshalb sei der Paragraph 86a, der das Verwenden solcher Kennzeichen unter Strafe stellt, selbst „problematisch“, sagte er. Das Argument, mit dem Rechtsradikale aller Couleur gegen das Gesetz wettern, hatte Verteidiger Heinig in den Prozess eingeführt.

Schlagstöcke und Nazirock – bei der Oldschool Records-Razzia 2014 sichergestellte Gegenstände © Polizei
Schlagstöcke und Nazirock – bei der Oldschool Records-Razzia 2014 sichergestellte Gegenstände © Polizei

Die Ermittler wurden im Stich gelassen

Die Polizei, die sich über Jahre um Aufklärung bemüht hatte, dürfte von dem Freispruch nicht begeistert sein. Bei den Ermittlern kann der Eindruck entstehen, dass die akribischen Recherchen wegen der wenig ambitionierten Arbeit der Staatsanwaltschaft umsonst waren. Gut möglich, dass die Polizisten künftig mit weniger Elan ermitteln – was der rechten Szene nicht verborgen bleiben wird.

Die Revision ist die allerletzte Chance der Staatsanwaltschaft, solche Folgen abzuwenden. Doch eine Revision ist sehr schwer zu gewinnen. Die Behörde wird sich dieses Mal also umso mehr Mühe geben müssen. Gelingt ihr die Aufhebung des Freispruchs nicht, wird die Neonaziszene ihn als Lizenz zur Verbreitung ihrer Propaganda begreifen – und Verteidiger Heinig der Staatskasse zusätzlich ein Honorar für das Revisionsverfahren in Rechnung stellen.