Nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft hat NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben eine neue Heimat: das Dorf Bornitz in Sachsen-Anhalt. Dort blüht die rechtsextreme Szene – und verehrt den Terrorhelfer als Heldenfigur.
Von Henrik Merker
Den Weg in das Dorf Bornitz säumen beschauliche Bauernhäuser, Felder, Wiesen. Ein Imker verkauft Honig im Ortskern und der Bäcker schließt schon um 10 Uhr morgens. Das Dorf war nie in den Schlagzeilen, nie berühmt für irgendwas. Normalerweise stören nur Lkw auf der Bundesstraße die Ruhe der Leute hier.
Doch jetzt scheint es mit der Stille vorbei zu sein. Über dem verwaisten Spielplatz surrt eine Kameradrohne, Reporter stehen auf dem einzigen Parkplatz des 500-Seelen-Ortes im Süden Sachsen-Anhalts. Das hat mit dem neuen Bewohner von Bornitz zu tun: Vor wenigen Wochen ist der NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben hergezogen.
Neustart mit den rechten Kameraden
Der 43-Jährige, früher eine große Nummer in der rechtsextremen Partei NPD, kurvt jetzt mit einem in die Jahre gekommenen Firmenwagen durch den Ort. Auf der Heckscheibe steht „Autoglas Experten Zeitz“. Wohlleben hat einen Job.
Es ist sein Neustart, nachdem er im November 2011 in Untersuchungshaft genommen und als Unterstützer im Münchner NSU-Prozess angeklagt wurde. Wohlleben hatte der Terrorgruppe durch einen Helfer die Pistole besorgt, mit der neun Menschen ausländischer Herkunft erschossen wurden. Im Juli wurde er zu zehn Jahren Haft verurteilt. Weil das Urteil noch nicht rechtskräftig ist und er die meiste Zeit bereits in der U-Haft abgesessen hatte, kam er kurz darauf frei. Bedingung war außerdem ein Arbeitsplatz – den kann er nun vorweisen.
Wohllebens Frau und die beiden Kinder sind schon vor Monaten in das Dorf hergezogen, berichten Nachbarn. Sie dürften willkommen gewesen sein: Unterschlupf fanden sie demnach bei einem Neonazi namens Jens Bauer. Bauer ist Eigentümer der Kfz-Werkstatt Autoglas Experten, auch der Firmenwagen gehört ihm. Er und Wohlleben kennen sich aus ihrer gemeinsamen Zeit in der NPD.
Regelmäßige Besuche im NSU-Prozess
Wer ist der Mann, der dem ungebrochen rechtsextremen Terrorhelfer wieder in ein bürgerliches Leben verhelfen will? Reporter von ZEIT ONLINE und dem MDR recherchieren vor Ort. Von den Nachbarn ist wenig zu erfahren. Nur Martha G., die eigentlich anders heißt, will reden. Sie erinnert sich, dass Bauer vor vier Jahren nach Bornitz zog. Seine Frau kaufte einen großen Vierseithof. Im Ort sei die Familie mit ihren vielen Kindern unauffällig, sagt Martha G., nur bei den letzten zwei Feuerwehrfesten seien sie dabei gewesen.
Auf dem Hof suhlen sich Schweine im Schlamm, Sonnenblumen trotzen der Sommerhitze. Am Hoftor bellt ein schwarzer Hund alles an, was sich bewegt. Was vor dem Grundstück passiert, filmen seit Kurzem zwei Überwachungskameras. Wer am Haus vorbeigeht, gerät in den Fokus der Bauers.
Bauer selbst wiederum war in den vergangenen fünf Jahren häufig in München zu sehen. Er reiste mehrfach zusammen mit Wohllebens Frau zum Prozess an. Die Gattin saß händchenhaltend mit Wohlleben auf der Anklagebank, Bauer winkte von der Zuschauertribüne aus in den Saal – zusammen mit einem Tross anderer Rechtsextremer.
Im Dorf tummeln sich Rechtsextreme
In der Szene ist er bestens vernetzt: Bauer war NPD-Funktionär in Magdeburg, zog sich nach internen Querelen 2008 zurück. 2016 übernahm er die Leitung des neuheidnischen Vereins Artgemeinschaft, der 1951 von einem SS-Mann gegründet worden war. Chef war zwischenzeitlich auch die NPD-Legende Jürgen Rieger. Die Gruppe begreift sich als nationalsozialistische Elite, hängt neogermanischen Bräuchen an und hält Treffen in Trachten ab. Das Emblem der Artgemeinschaft ist die Irminsul, die zuvor von der Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe verwendet wurde, einer okkulten Gliederung der SS.
Bauer und Wohlleben sind nicht die einzigen Szenegranden im Dorf. Das Tattoostudio Reinkaos hat im ebenfalls kameraüberwachten Gasthof seinen Sitz, am Klingelschild steht der Name Benjamin Schneider. Der Rechtsrocker betreibt das neonazistische Musiklabel SFH-Records im Nachbardorf Geußnitz.
Auf Kameradschaft legen sie viel Wert in rechtsextremen Kreisen. Als der NSU-Prozess noch lief, verkauften die Gesinnungsgenossen T-Shirts mit der Aufschrift „Freiheit für Wolle“, hielten aus Solidarität Konzerte und Demonstrationen ab. Die Unterstützter feilten an seinem Märtyrerimage als politischer Gefangener. Wie in der Vergangenheit wird er Kristallisationspunkt der Neonaziszene sein.
Hymne auf den Szene-Märtyrer
Als die Reporter gerade einpacken, biegt ein schwarzer Kombi in die Hauptstraße ein, Kaiserreichsflagge am Heck. Der Wagen hält haarscharf neben dem knienden Kameramann. Ein Mann um die 50, schwarze Sonne und Totenköpfe auf die Arme tätowiert, steigt aus. Es handelt sich um Maik B., eine weitere Figur aus dem Bekanntenkreis der Neonazis.
Dass wir wegen Bauer hier seien, wisse er bereits, sagt er. Kurz zuvor hatten die Reporter versucht, mit Bauer in seiner Werkstatt zu sprechen. Nach zehn Minuten Wortwechsel steigt er wieder ein und fährt weg. Doch B. bleibt nicht immer friedlich. Bei einem Konzert soll er eine Flasche auf Beobachter geworfen haben. Er musste eine Geldstrafe zahlen. B. soll zum Umfeld einer Gruppe namens Kameradschaft Waffenbrüder gehören. Offiziell erwähnt wird der rechtsradikale Trupp nur in der Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion im Magdeburger Landtag. Der Verfassungsschutz hüllt sich in Schweigen.
Wie lebt es sich mit solchen Gestalten im Ort? In Bornitz gehen die Meinungen auseinander – einige haben Angst vor den Neonazis, andere wollen nur ihre Ruhe. „Mir doch egal, was die machen“, sagt ein Anwohner. Ähnlich sieht das Andreas Buchheim, parteiloser Bürgermeister der Gemeinde Elsteraue, zu der Bornitz gehört. „Solange die sich hier ruhig verhalten, sehe ich kein Problem“, sagt er. Vom Verfassungsschutz habe bisher niemand mit ihm über mögliche Gefahren gesprochen, sagt er. Auch das BKA habe ihn nicht informiert, dass ein NSU-Unterstützer in seine Gemeinde zieht, um Teil der völkischen Artgemeinschaft zu werden. Ob er deren Anführer Jens Bauer kenne? Zumindest nicht persönlich.
Das ist verwunderlich, denn die Rechten sind im Ort angekommen. Mit ihren Immobilien und Betrieben haben sie eine sprudelnde Einnahmequelle. Und mit Wohlleben eine Führungsfigur. Der Szene-Liedermacher Sebastian „Fylgien“ Döhring hat vor wenigen Tagen ein Lied für ihn veröffentlicht. Darin heißt es: „Doch nun bist du zurück, bist wieder hier und die Bewegung, sie steht treu zu dir – nun auf in die Schlacht, es ist noch nicht vorbei“. Gut möglich, dass die Rechtsextremen das wörtlich nehmen.
Bei seinem Besuch in Bornitz wurde das Journalistenteam auch von Rechtsextremist Jens Bauer verfolgt. Ergebnisse der gemeinsamen Recherche waren am 15.08.2018 um 20.15 Uhr im MDR-Magazin „Exakt“ zu sehen, der Beitrag ist hier eingebettet.