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Traum von der rechten Revolution

 

Seit vergangenem Sonntag zieht es rechte Gruppen nach Chemnitz, sie wittern ihre Chance zum großen Aufstand. Wer sind die Akteure – und welche Ideologie treibt sie an?

Von Henrik Merker

Teilnehmer des Neonaziaufmarsches am Sonntag © Matthias Rietschel/Reuters

In den Medien ist das Wort Chemnitz zum Symbol geworden. Die 250.000-Einwohner-Stadt in Sachsen ist Dauerbrenner, Schlagzeilenmacher, Bühne für Rechtsextremisten.

Doch am Donnerstag war davon kaum mehr etwas zu spüren: Nur wenige Menschen waren an das Fußballstadion gekommen, in dem sich Ministerpräsident Michael Kretschmer beim sogenannten Sachsengespräch Fragen der Bürger stellte. Auch die Neonazihooligans zogen nicht marodierend zu Tausenden durch die Stadt, wie sie es am Sonntag und Montag getan hatten.

Wie Rechte den Krawall kleinreden

Da hatten deutsche und internationale Medien von einem Neonazimob gesprochen. Angeführt wurde der Marsch am Montag von einem Mann namens Arthur Österle, Kader einer rechtsextremen Gruppe. Durchs Megafon rief er den Teilnehmern zu, sie sollten sich wie Deutsche verhalten – geordnet marschieren. Die Masse skandierte daraufhin „links, zwo, drei, vier“ und lief im bemühten Gleichschritt. Wenig später dominierten Rufe wie „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ und „Lügenpresse auf die Fresse“.

Vom Wort Mob aber wollten Verantwortliche und Sympathisanten dieses grusligen Aufzugs später nichts wissen. Dass dort Hitlergrüße gezeigt wurden – egal, Aktionen von Provokateuren seien das gewesen, behaupteten Akteure wie die bayerische AfD-Kandidatin Heike Themel.

https://twitter.com/AfD_HeikeThemel/status/1034170757792841728

Grundstein des Lügengebäudes ist die Tötung eines Familienvaters in der Nacht zum Sonntag, die als Anlass der Krawalle diente. Boulevardzeitungen titeln, Flüchtlinge hätten eine Frau sexuell belästigt, ein Deutscher habe eingegriffen und sei abgestochen worden. Die sächsische Polizei dementierte diesen Tathergang. Tage später bestritt sogar das vermeintliche Opfer des nie passierten sexuellen Übergriffs, eine Ukrainerin, in dem Lokalblatt Freie Presse die Behauptung.

Teilnehmer der Demo liefern am Donnerstag die passenden Erklärungen. „Die haben die Frau unter Druck gesetzt, damit sie das dementiert“, sagt eine Gruppe von Jugendlichen. Ob jemand von ihnen den Toten kenne oder die Frau? Nein, die kenne man beide nicht – aber das sei auch unwichtig für die Wahrheit, sagen sie.

Chemnitz – gemeinsamer Nenner der Extremisten

Wichtige Figur des rechtsextremen Protests ist Nikolai Nerling (rechts). © Henrik Merker

Die ganz eigene Version von Wahrheit eint die Menschen, die in Chemnitz auf die Straße gehen. Da standen Rentner, die sich die alte sozialistische DDR zurückwünschen, neben Enttäuschten, die sich von der Freiheit nach dem Mauerfall mehr erwartet hatten. Sie alle vernetzten sich mit Multiplikatoren der extremen Rechten. Nikolai Nerling, Freund von Holocaustleugnern, Geschichtsrevisionist und entlassener Grundschullehrer, mischte sich unters Volk. Martin Kohlmann von der rechtsextremen Bürgerbewegung Pro Chemnitz hielt eine lange Rede, dann wurde der Anwalt von seinen Anhängern umringt, Nikolai Nerling an seiner Seite. Arthur Österle fand nach seiner Ansprache gleichfalls begeisterten Zuspruch. Betont friedlich mischten sich Vertreter vom III. Weg, der NPD-Bürgerwehr und Hooligans. Wahrscheinlich wurden hier bereits Pläne für den nächsten großen Aufmarsch geschmiedet. Am Samstag soll er stattfinden.

Dann sollen noch mal alle nationalen Kräfte ran. Die Neue Rechte, angeführt von dem rechtsextremen Verleger Götz Kubitschek, will verschiedene Milieus in einer Bewegung vereinen – in den eigenen Kreisen bezeichnet als konservative Revolution. Schon am Donnerstag riefen Redner dazu auf, die gesamte politische Rechte solle sich jetzt verbrüdern.

Demonstranten des Chemnitzer Aufmarsches am Donnerstag © Henrik Merker

Was am Samstag passiert

Die Szene, so scheint es, ist bereit dafür. Auftakt ist eine Demonstration des III. Wegs im südsächsischen Plauen. Dort hatten sie am Mittwoch bereits einen Aufmarsch der AfD begleitet. In Chemnitz legt kurz drauf Pro Chemnitz nach, gefolgt von AfD und Pegida, die einen Trauermarsch in schwarzer Kleidung planen. Unter den Fittichen des AfD-Scharfmachers Björn Höcke, dessen Rhetorik Bezüge zum historischen Nationalsozialismus aufweist, erwartet das rechte Spektrum die Mobilisierung der Massen. Auch die Identitäre Bewegung will mitmachen.

Die Aufmärsche von Chemnitz bergen die Gefahr, die zersplitterte extreme Rechte zu einen. Ein Fanal des Hasses folgt auf das nächste. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Anmerkung: In einer früheren Version dieses Textes wurde Nikolai Nerling in einer Bildunterschrift als Holocaustleugner bezeichnet. Dies trifft den Erkenntnissen zufolge nicht zu. Wir haben die entsprechende Stelle korrigiert.