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Neonazifest in Ostritz: mit Tricks gegen die Pressefreiheit

 

Neonazifest in Ostritz: Mit Tricks gegen die Pressefreiheit: Neonazis verkaufen Szenekleidung auf dem Schild-und-Schwert-Festival © Henrik Merker
Neonazis verkaufen Szenekleidung auf dem Schild-und-Schwert-Festival © Henrik Merker

Neonazis haben in Ostritz eine juristische Lücke genutzt, um Presse von ihren Veranstaltungen fernzuhalten. Bei einem Festival im sächsischen Ostritz konnten Medienvertreter nur kurze Rundgänge über das Gelände der eigentlich öffentlichen Versammlung machen – die Presse- und Versammlungsfreiheit wurden ausgehebelt.

Juristische Tricks gegen Pressefreiheit

An einer öffentlichen Versammlung kann jeder teilnehmen. Doch bei einer Veranstaltung am Wochenende im sächsischen Ostritz griffen die Neonazis um den Thüringer Organisator Thorsten Heise zu einem Trick, um ihr Publikum auswählen zu können. Auf das hektargroße Areal des Hotels Neißeblick im östlichsten Zipfel Sachsens waren 750 Neonazis zu einer Kampfsportveranstaltung gekommen, unter ihnen einige, die lieber nicht in der Öffentlichkeit stehen wollen. Dass Rechtsextreme ihre Großveranstaltungen trotzdem öffentlich anmelden, ist kein Widerspruch, denn damit wird es Behörden fast unmöglich gemacht, die Feste zu verbieten.

Vor allem ihre Kampfsportevents will die rechte Szene vor der Öffentlichkeit geheim halten. Bei den brutalen Kämpfen unter dem Slogan „Kampf der Nibelungen“ sollten sich zum wiederholten Mal professionelle Schläger prügeln und für viele Zuschauer sorgen. Angekündigt waren Gruppenkämpfe, die laut Polizei möglicherweise strafbar sind. Das Event fand nicht statt, weil internationale Kämpfer kurzfristig absagten, es soll Differenzen in der Szene gegeben haben. Doch nicht nur die Kämpfe, auch Konzerte und Tattoo-Veranstaltungen will die Szene lieber unbeobachtet abhalten.

In Ostritz versuchten die Neonazis es daher mit einem Trick, um Pressevertreter und kritische Öffentlichkeit außen vor zu lassen. Mit einem Bauzaun wurde das Versammlungsgelände vom Rest des Hotelareals abgetrennt. Die hohe Mauer und die Neiße schotteten die Versammlung nach hinten ab. Um teilzunehmen, musste man deshalb über das als privat deklarierte vordere Hotelgelände laufen, auf dem die Neonazis das Hausrecht für sich beanspruchten. Das Privatgelände durften zu Beginn der Veranstaltung nur Gäste mit Ticket und die Polizei betreten.

Mit diesem Vorgehen hielten die Veranstalter Berichterstatter fern. Dem Oberverwaltungsgericht blieb am Freitag nichts anderes übrig, als die massive Einschränkung als gesetzeskonform abzusegnen. Auf Druck der sächsischen Polizei wurden Journalisten am Freitag zumindest für einen Rundgang auf das Gelände gelassen. Dabei galt aber für den Privatbereich ein striktes Foto- und Filmverbot. Erst hinter dem Bauzaun durften die Kameras angeschaltet werden. Mehr als diese kurze Geländebegehung wollte Veranstalter Thorsten Heise nicht erlauben.

Am Sonnabend wollte die Polizei dann durchsetzen, dass Journalisten vollständigen Zugang bekommen, doch scheiterte das an den Ordnern der Neonazis.  Mit der Behauptung, ein Journalist habe provoziert und Porträtaufnahmen gemacht, versuchten sie Reportern den Zutritt in die Hallen zu verbieten. Während eines Konzerts drängten die Ordner Journalisten nach wenigen Minuten aus der Halle und ließen sie von der Polizei wieder nach draußen begleiten. Wer länger auf dem Gelände bleiben wollte, musste Polizisten um Personenschutz bitten, sich Drohungen von Teilnehmern und die ständige Begleitung durch rechtsextreme Ordner gefallen lassen.

LKA-Beamte halten Journalisten fest

Nach den Rundgängen wurden zwei junge Journalisten von Thorsten Heise angezeigt: Eine habe auf dem Privatgelände fotografiert, der andere habe es versucht, behauptete der Neonazi. Polizisten nahmen daraufhin die Personalien der Reporterin auf und hielten sie fest. Erst nachdem der Polizeipressesprecher einschritt, wurde die Maßnahme beendet. Kurz nachdem das Presseteam der Polizei in den Feierabend ging, versuchten zwei LKA-Beamte, den anderen Journalisten festzuhalten und seine Personalien für eine Anzeige aufzunehmen. Erst die Intervention mehrerer Reporterkollegen hielt die Beamten davon ab.

Kurios an der Personalienfeststellung ist deren Begründung: Sollten später rechtswidrig Bilder veröffentlicht werden, werde die Anzeige gegen die Journalisten verfolgt. Eine begangene Straftat wurde beiden hingegen nicht vorgeworfen. Zuletzt war das sächsische Landeskriminalamt in die Kritik geraten, als einer ihrer Mitarbeiter ein ZDF-Team an der Arbeit hinderte.

Trotz Ankündigung, das Alkoholverbot auf der Versammlung strikt durchzusetzen, musste die Polizei am Sonnabend zugeben, dass viele Betrunkene auf dem Gelände waren. Den zwei angezeigten Journalisten wurden deshalb weitere Rundgänge auf dem Gelände verboten – es sei für sie zu gefährlich.

Warme Worte helfen nicht

Auf dem Ostritzer Marktplatz betonte der sächsische Ministerpräsident am Freitag die Wichtigkeit von Demokratie und Pressefreiheit: „Der Spaß hört auf, wenn Leute durch die Gegend rennen und sagen, das ist eine Lügenpresse“, sagte Michael Kretschmer vor rund 250 Menschen. Er war offensichtlich nicht weit zu hören. Denn nur 500 Meter weiter wurde die Arbeit von Journalisten zwei Tage lang massiv eingeschränkt. Einzelne Polizisten verstiegen sich gar in die Behauptung, Reporter würden rechtswidrig fotografieren und sollten es nicht „übertreiben mit der Pressefreiheit“. Als ein Journalist auf ein rechtswidrig abgeklebtes Pkw-Kennzeichen hinwies, wurde er mit einem pressefeindlichen Kommentar abgebügelt.

Das Ressentiment gegen die Presse macht es Neonazis einfach, Polizisten für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Auch wenn die Szene selbst momentan geschwächt ist, schafft sie es mit juristischen Tricksereien, aus einer Position der Stärke zu agieren.

Neonazifest in Ostritz: Mit Tricks gegen die Pressefreiheit: Ministerpräsident Michael Kretschmer beim Friedensfest © Henrik Merker
Ministerpräsident Michael Kretschmer beim Friedensfest © Henrik Merker

Bei einem Treffen der Innenminister von Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt wurde am heutigen Montag beschlossen, muslim- und fremdenfeindliche Netzwerke stärker zu bekämpfen. Thüringens Innenminister Georg Maier forderte ein länder- und behördenübergreifendes Vorgehen gegen rechtsextreme Strukturen. Bis Ende November sollen Maßnahmen gesammelt werden, um sie der Innenministerkonferenz als gemeinsame Initiative der drei Bundesländer vorzulegen. Womöglich können die Behörden den für 2019 in Ostritz geplanten Neonazi-Events dann mehr entgegensetzen. Insgesamt seien vier Veranstaltungen geplant, sagte Hotelbetreiber Hans-Peter Fischer.