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Planten Angreifer von Halle Terroranschläge?

 

Wegen eines Angriffs auf Demonstranten sind zwei Neonazis in Halle an der Saale zu Haftstrafen verurteilt worden. Nach dem Urteil sind noch viele Fragen offen – auch zu den Plänen ihrer rechtsextremen Kameradschaft.

Von Felix Knothe

Prozess nach Neonazi-Attacke in Halle: Angriff mit System?
Einer der Angreifer stürmt am Rande der Maidemo in Halle auf Opfer zu. © Henrik Merker

Er warf mit Steinen und Flaschen, drosch mit einem Kabel auf Passanten ein: Wegen eines Gewaltexzesses nach einer Demonstration im sachsen-anhaltischen Halle an der Saale ist ein hessischer Neonazi zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Seine Partnerin, die ebenfalls Steine geworfen hatte, erhielt ein Jahr und zwei Wochen auf Bewährung.

Damit steht offiziell fest, worum es sich bei der Tat vom 1. Mai 2017 handelte: eine Hetzjagd. Die Angeklagten Carsten M. und Martina H. hätten „eine Jagd auf Gegendemonstranten aus Frust über die abgesagte Demonstration“ veranstaltet, heißt es im Urteil des Landgerichts vom Freitag. Die Vorsitzende Richterin Sabine Staron sah darin eine „erhebliche Gewaltbereitschaft und erhebliche Gewaltausübung“.

Manches an der Tat von Halle ist mit dem Prozess klarer geworden. Viele andere Dinge dagegen sind ziemlich unklar – wie die Umtriebe der rechtsextremen Kameradschaft Aryans aus Hessen, zu deren führenden Köpfen Carsten M. gehörte. Er und die Mitangeklagte schwiegen während des Verfahrens.

Tatwaffe unter dem Autositz

Als geklärt gilt der Ablauf der Jagd: Carsten M. und seine Gruppe waren nach einer gescheiterten rechtsextremen Demo am halleschen Hauptbahnhof zu zehnt oder elft mit zwei Autos anderthalb Stunden durch Halle gefahren. In der Nähe des Bahnhofs verfolgten sie mehrere Fahrradfahrer, darunter einen Gegendemonstranten, und bewarfen sie mit Steinen und Flaschen. Anderthalb Stunden später tauchten sie zwei Kilometer entfernt am Holzplatz in Halle auf und stoppten vor einer Gruppe völlig unbeteiligter Wanderer, die sie für Gegner hielten. Carsten M. sprang sofort aus seinem Wagen und schlug mit einem zum Schlagstock umfunktionierten abgesägten Starkstromkabel auf zwei Männer ein. Sie wurden an den Köpfen verletzt. Bilder der Tat zeigen ihn mit wutverzerrtem Gesicht.

Kameradschaft Aryans: Wenn Neonazis mit Polizisten chatten
Die Angeklagten Carsten M. und Martina H. mit ihren Verteidigern Benjamin Düring und Linda Huber
© Felix Knothe

„Das war ein Schlagwerkzeug, mit dem man auch Leute erschlagen kann“, sagte Richterin Staron in ihrer Urteilsbegründung. Ermittler hatten die Tatwaffe in M.s Auto sichergestellt. Sie lag, immer griffbereit, unter dem Beifahrersitz. Bei einer Durchsuchung seiner Wohnung fanden sie außerdem mehrere Waffen, darunter eine Armbrust mit Laservorrichtung und passenden Schussbolzen sowie zwei historische Vorderladerpistolen nebst zugehörigen Bleikugeln.

Gab es noch größere Pläne?

Die Funde warfen die Frage auf: Setzt die Kameradschaft Aryans geplant und gezielt Gewalt gegen politische Gegner ein? Hatte sie noch andere, größere Pläne? Antworten könnte ein Ermittlungsverfahren liefern, das die Bundesanwaltschaft eingeleitet hat – wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung.

Die bisherigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Halle haben vieles offengelassen. So blieb unergründet, warum die Staatsanwaltschaft nur das Handy von Martina H. und nicht das ebenfalls konfiszierte Telefon von Carsten M., dem eigentlichen Kopf der Gruppe, auswerten ließ. Der zuständige Polizist hatte im Prozess ausgesagt, auf Weisung der Staatsanwaltschaft nicht weiter ermittelt zu haben. „Wir haben alles, was wir brauchen“, sei zu ihm gesagt worden. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft sagte auf Anfrage dazu: „Zum Nachweis einer gefährlichen Körperverletzung bedarf es keiner vertieften Handyauswertung. Ich gehe davon aus, dass hinsichtlich möglicher anderer Straftaten eine Auswertung durch die zuständigen Stellen erfolgt ist.“ Gemeint ist die Bundesanwaltschaft. Doch deren Verfahren läuft noch, in den Prozess konnte es nicht einfließen. Die Verteidigung der Angeklagten forderte wegen Mangels an Beweisen den Freispruch für ihre Mandanten.

„Der Angriff war politisch motiviert“

Ein Anhänger der Aryans-Kameradschaft beim Aufmarsch am 1. Mai 2017 in Halle © Jens Schlüter/dpa

Kritik gab es auch daran, dass die Anklage zunächst vor dem Amtsgericht erhoben worden war – der niedrigsten Instanz der deutschen Gerichtsbarkeit. Erst auf Initiative der Nebenklage wurde sie dem Landgericht vorgelegt. „Die Verurteilung wäre so nicht passiert, hätten wir nicht das Verfahren vor dieses Gericht gebracht“, sagte Nebenklageanwalt Sebastian Scharmer, der eins der Opfer im Prozess vertrat. Zum Urteil sagte er: „Das Gericht hat deutliche Worte gefunden für das, was hier passiert ist, nämlich dass der Angriff politisch motiviert war.“

Scharmer hatte am Vortag der Urteilsverkündung zudem beantragt, dass das Gericht auch eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs in Erwägung ziehen sollte. Dem folgten die Richter nicht. Auch andere Versuche, den Fall der Körperverletzung durch zusätzliche Aspekte aufzuladen, wehrten sie ab. „Wir haben eine Anklage, wir haben Opfer, und wir haben zu prüfen, ob die Angeklagten wegen der Taten verurteilt werden können“, sagte Richterin Staron.

Nebenklage will Mitfahrer anzeigen

Wird das Urteil rechtskräftig, will die Nebenklage weitere mutmaßliche Angreifer vom 1. Mai 2017 anzeigen – sowohl wegen ihrer Beteiligung als auch wegen Falschaussagen vor Gericht. Mehrere rechtsextreme Zeugen hatten die Tat als Notwehr von Carsten M. dargestellt. Das halten die Richter für unplausibel. Auch die Staatsanwaltschaft prüft Anzeigen wegen Lügen im Prozess. Für eine Mittäterschaft anderer Autoinsassen gebe es jedoch „keine Anhaltspunkte“, sagte eine Sprecherin.

Die Zurückhaltung der Behörde könnte nun Konsequenzen haben: Die Koalition der Grünen, die in Sachsen-Anhalt mitregiert, beantragte, dass sich der Rechtsausschuss des Landtags mit der Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaft befasst. Dann wird der Komplex um die Aryans-Kameradschaft ein Fall für die Politik.

Felix Knothe ist Reporter und Gründer der „Städtischen Zeitung„, einer unabhängigen Onlinelokalzeitung in Halle.