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Bayerisch radikal

 

Wiesen, Berge, Kühe: Für viele ist das Allgäu bloß eine schmucke Urlaubsregion. Doch in der vermeintlichen Idylle hat sich ein rechtsextremes Netzwerk mit guter Tarnung verbreitet.

Ein Gastbeitrag von Sebastian Lipp

Rechtsextremismus: Hinter der saftig-grünen Fassade im Allgäu steckt ein tiefbrauner Sumpf. Auf diesem idyllischen Hof fand ein Neonazikonzert statt. © Norbert Kelpp
Hinter der saftig-grünen Fassade im Allgäu steckt ein tiefbrauner Sumpf. Auf diesem idyllischen Hof fand ein Neonazikonzert statt. © Norbert Kelpp, allgaeu-rechtsaussen.de

Wenn es um seinen Bauernhof geht, gerät Landwirt Benjamin Burandt ins Schwärmen. Im Internet schreibt er von der „Liebe zu Natur und Landwirtschaft“, die ihn dazu gebracht habe, in seinem Hofladen direkt an seine Kunden zu verkaufen, „dem heutigen Zeitgeist entsprechend“. Eier, Milch und Kesselfleisch von glücklichen Tieren, es könnte nicht schöner, es könnte nicht bayerischer sein als auf dem Lutzhof in Babenhausen, gelegen im nördlichen Allgäu.

Doch der Landwirt hat ein Geheimnis, eines, das Kunden und Geschäftspartner nicht sehen sollen. Burandt ist aktiv in der örtlichen Skinheadszene und spielt als Musiker in einer rechtsextremen Band. Zu den Postkartenmotiven des Allgäus, grüne Wiesen mit Kühen unter blau-weißem Himmel, passt das natürlich nicht. Doch die Region beherbergt die größte noch aktive Skinheadgruppierung in Bayern.

Unauffällig bürgerlich, auffällig rechtsextrem

Seit 15 Jahren macht sich im Allgäu ein Netzwerk namens Voice of Anger breit. Sein fester Kern besteht nach Schätzung des Verfassungsschutzes aus rund 60 Mitgliedern, die tatsächliche Zahl könnte noch ein gutes Stück höher liegen. Die Wurzeln der Gruppe reichen Jahrzehnte zurück. Schon in den Neunzigerjahren zerschlug das bayerische Innenministerium einen ersten Versuch, die Allgäuer Skinheadszene zu organisieren, mit einem Verbot. Nach weiteren erfolglosen Versuchen trat 2002 Voice of Anger auf den Plan, um das heimische Milieu zu einen und zu professionalisieren. Das ist gelungen, wie eine umfangreiche Publikation der Rechercheseite Allgäu ⇏ rechtsaußen zeigt.

Zum Wesen des Netzwerks gehört, dass sein harter Kern und seine Führungskräfte trotz ihres an der Rockerszene orientierten Auftretens bei Gruppenaktivitäten nach außen eine unauffällige bürgerliche Existenz pflegen. Wie Benjamin Burandt. 2001 übernahm er nach eigenen Angaben den Hof seines Großvaters als klassischen Milchviehbetrieb, vor Kurzem kamen Schweinemast und eine Biogasanlage hinzu. Bereits Anfang der Zweitausenderjahre lebte er seine braune Seite aus: Der Neonazi spielte als Schlagzeuger bei der Band Pork Hunters eine Demoaufnahme voller antisemitischer Texte ein.

Geschäftspartner unwissend

Um 2003 sollen sich die Pork Hunters in Pride’n’Pain umbenannt haben. Burandt wechselte damals ans Mikrofon und begann, Gitarre zu spielen. Erst 2008 gelang es der Truppe, ihr erstes Studioalbum aufzunehmen. Die zweite Gitarre übernahm ein ehemaliges Mitglied der gleichsam einschlägig bekannten Band Faustrecht, für die Burandt ebenfalls zeitweilig spielte. Als er 2016 Schweinemast und Biogasanlage übernahm, veröffentlichte er auch das zweite Studioalbum von Pride’n’Pain beim Allgäuer Neonazilabel Oldschool Records – auch dieses angesiedelt im Umfeld von Voice of Anger.

Rechtsextremismus: Selbstdarstellung von Pride'n'Pain im Booklet ihrer 2008 veröffentlichten Platte Loud and Proud.
Selbstdarstellung von Pride’n’Pain im Booklet ihrer 2008 veröffentlichten Platte Loud and Proud

Seine Geschäftspartner wissen von alledem nichts: „Der kommt alle paar Wochen vorbei und holt die Ware ab, zahlt immer zuverlässig. Aber aufgefallen ist mir da nichts“, erzählt einer der Lieferanten des Lutzhofes in breitem Schwäbisch. Die meisten äußern sich ähnlich: Tätowiert sei er, und man sehe schon mal Totenköpfe oder Ähnliches auf seinen Klamotten, aber daraus ließe sich ja noch nichts zu seiner politischen Einstellung ableiten.

Für Voice of Anger ist die Bürgerlichkeit das Erfolgsgeheimnis schlechthin. Die Vorzeigenormalität ist laut den Recherchen von Allgäu ⇏ rechtsaußen der fundamentale Unterschied zu den vorhergehenden Organisationen und dürfte erheblich zur Stabilität der rechtsradikalen Skinheadszene im Allgäu beitragen. So konnte sich die Gruppe bislang recht ungestört etablieren und ihre Ressourcen vergrößern.

Konzerte im eigenen Haus

Mehrere Immobilien befinden sich inzwischen in der Hand der Skinheads. Dort veranstalten sie einschlägige, teils verbotene Konzerte und vertiefen ihre internationalen Verbindungen zu den militanten Netzwerken Blood & Honour und Hammerskins.

Auch Benjamin Burandt ist bis heute in der Szene unterwegs. Erst im vergangenen Jahr sah man ihn auf einem Voice-of-Anger-Konzert bei Aichstetten, südlich von Memmingen. Gerne hätten die Rechercheure ihn gefragt, wie ihm das Netzwerk von Kunden und Zulieferern, das er als landwirtschaftlicher Unternehmer aufbaut, auch politisch nützt. Doch für eine telefonische Anfrage war er wochenlang nicht zu erreichen. Der braune Landwirt, so scheint es, hat gut zu tun.

Der vorliegende Text ist ein erweiterter Auszug aus dem Kapitel „Der Nette Nazi von nebenan?“ der Publikation „Voice of Anger und der rechte Untergrund im Allgäu“. Darin beschäftigt sich die Redaktion von „Allgäu ⇏ rechtsaußen“ mit der Frage, wie gefährlich die Neonaziszene ganz im Süden Deutschlands wirklich ist – und wie tief ihre Strippenzieher in ein militantes Untergrundnetzwerk eingebunden sind. Die Recherche erscheint am 26. März. Wer mehr über den braunen Sumpf im grünen Allgäu erfahren will, kann sie bereits vorbestellen.