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„In Italien werden faschistische Gruppen zunehmend geduldet“

 

Völlig ungestört veranstaltete eine Skinhead-Gruppe in Italien ein Konzert für europäische Neonazis. Wer ist die Organisation, die Rechtsextreme des ganzen Kontinents vernetzt?

Ein Interview von Henrik Merker und Jonas Miller

Neonazis aus ganz Europa treffen sich in Italien
In der Halle nahe dem italienischen Verona veranstaltete die Neonazi-Organisation VFS ein Konzert. © Henrik Merker/Jonas Miller

Am Osterwochenende haben Hunderte Neonazis aus ganz Europa ungestört den Geburtstag Adolf Hitlers in Norditalien gefeiert – unter ihnen auch Deutsche. Organisiert wurde die Veranstaltung von der rechtsextremen Gruppe Veneto Fronte Skinheads (VFS). Praktisch unbehelligt von der Polizei kann die Organisation in Italien Konzerte abhalten und Bande zu Rechtsextremen auf dem ganzen Kontinent knüpfen – weil der Staat Schwäche gegenüber den Faschisten zeigt, sagt Saverio Ferrari. Er ist Gründer der Beobachtungsstelle für Neue Rechte in Mailand.

ZEIT ONLINE: Am Wochenende haben die Veneto Fronte Skinheads im Umland von Verona ein Konzert abgehalten, mit Hunderten Neonazis als Gästen. Wie muss man sich als Außenstehender so ein Konzert vorstellen?

Saverio Ferrari: Diese Konzerte gibt es meist ein- oder zweimal im Jahr, in der Regel mit wenigen Hundert Besuchern. Die Veranstaltungen finden normalerweise in Innenräumen statt, wobei die Adresse bis kurz vor Beginn geheim gehalten wird. Zu den Auftritten gehören Nazi-Rockbands mit rassistischen Texten, die den Nationalsozialismus und Faschismus relativieren. Bei den Konzerten werden Parolen und Gesänge skandiert, der rechte Arm wird gehoben. Dazu wird reichlich Bier ausgeschenkt.

ZEIT ONLINE: Ist die Polizei bei solchen Veranstaltungen präsent?

Ferrari: Diese Konzerte und Treffen werden von der Polizei abgesichert, die die Rechtsextremen vor Gegendemonstrationen schützt.

ZEIT ONLINE: Am Osterwochenende gab es keinen Protest. Dementsprechend haben wir bei unserer Recherche keine Polizei gesehen. Wie reagiert die Zivilgesellschaft normalerweise auf solche Veranstaltungen?

Ferrari: Das hängt davon ab, ob die linke ANPI (eine 1945 von Partisanen gegründete italienische Vereinigung, Anm. der Red.) oder andere antifaschistische Organisationen vor Ort sind. Häufig werden Protestkundgebungen gegen solche Konzerte organisiert. Es sei denn, die Gegendemonstrationen werden von den Behörden verboten, was manchmal vorkommt.

ZEIT ONLINE: Wie geht die italienische Regierung mit diesen Veranstaltungen um? Gibt es Sanktionen?

Ferrari: Italien hat Gesetze, die die Verherrlichung des Faschismus und die Wiedergründung faschistischer Organisationen verbieten. Die Gesetze werden jedoch nicht mehr vollzogen, außer in wenigen Fällen. Der italienische Staat hat in den letzten Jahren eine besorgniserregende Regression erlitten, dadurch werden solche faschistischen Gruppen zunehmend geduldet. Es ist das Ergebnis eines starken Rechtsrucks im Land und der Krise der demokratischen und linken Parteien.

ZEIT ONLINE: Wie verhalten sich die VFS zu den Bürgern in der Region?

Ferrari: Veneto Fronte Skinheads ist eine Organisation, die auf kleinen Kameradschaften und einzelnen Aktivisten basiert, die über eine Reihe von Städten in den Regionen Venetien und Lombardei verstreut sind. Es ist schwer, die konkreten Verbindungen in die Zivilgesellschaft einzuschätzen. Die Identität der Gruppe ist stark von einem Dagegen-Sein geprägt, übergehend in einen Antagonismus gegenüber der bestehenden Gesellschaft. Die wird von den Mitgliedern abgelehnt.

ZEIT ONLINE: Welcher Ideologie hängt die Gruppe an?

Ferrari: Die VFS bekennen sich ausdrücklich zum Rassismus. In den frühen Neunzigerjahren knüpften sie auch Beziehungen zum Ku Klux Klan. Sie bewundern das Dritte Reich und hoffen auf die Rückkehr des Nationalsozialismus, sie sehen sich im Krieg gegen eine „jüdische Verschwörung“, die die Welt beherrschen will. Außerdem haben sie die „Verteidigung der weißen Rasse“ als strategisches Ziel, die durch „Einwanderung aus der Dritten Welt und durch Bastardierung bedroht“ sei.

ZEIT ONLINE: Gibt es Verbindungen zu den internationalen rechtsextremen Netzwerken Blood and Honour und Hammerskins?

Ferrari: Ja, die gibt es. Die Beziehungen wurden bei einer Reihe von Treffen gestärkt, beispielsweise bei einer Veranstaltung, die 2016 in Revine Lago in der Provinz Treviso stattfand, bei der Mitglieder von Blood and Honour, Hammerskins sowie andere italienische Gruppen wie die neonazistische „Comunità militante dei dodici raggi“ (Do.Ra) aus Varese anwesend waren.

ZEIT ONLINE: Haben die VFS Kontakt zur rechten Regierungspartei Lega oder anderen Parteien?

Ferrari: Ja, aber vor allem durch einzelne Mitglieder innerhalb der Lega-Partei. Es gibt mehrere strukturierte und explizite Verbindungen zur Forza Nuova (Neue Kraft), der Movimento sociale Italia (soziale Bewegung Italiens), Fiamma tricolore (Dreifarbige Flamme) und dem Progetto nazionale (Nationales Projekt).

ZEIT ONLINE: Wie militant sind die VFS? Verüben sie Straftaten?

Ferrari: Im Mai 1993 wurde eine Reihe neofaschistischer und rassistischer Organisationen verboten, die mit den Veneto Fronte Skinheads in Verbindung standen. Unter anderem die Gruppen Movimento politico und Azione Skinhead. Im Zuge dieser Verbote wurde gegen 46 Mitglieder der VFS ermittelt. Die Verfahren wurden jedoch alle eingestellt. Im Oktober 1994 wurden sieben VFS-Kader, darunter der Präsident, verhaftet und wegen Anstiftung zum Rassenhass angeklagt.

2017 störte eine Gruppe von VFS-Aktivisten eine Veranstaltung der UNHCR-Weltflüchtlingsorganisation. Vergangenes Jahr drangen VFS-Mitglieder in die Räumlichkeiten einer Organisation ein, die Flüchtlinge und Migranten unterstützt. Die VFS-Aktivisten verlasen während eines Treffens der Gruppe eine Erklärung gegen die „ausländische Invasion“ und zwangen die Flüchtlingsunterstützer zum Zuhören. Acht der Eindringlinge wurden danach bei der Polizei angezeigt. Das strategische Ziel der VFS besteht darin, die ins Visier zu nehmen, die sich für Flüchtlinge einsetzen.