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„Sein Lachen ist Menschenverachtung“

 

Im Prozess zum Anschlag von Halle provoziert der mutmaßliche Täter die Opfer. Im Interview erzählen drei ihrer Anwälte, wie sie mit seiner Propagandashow umgehen.

Interview: Henrik Merker

Attentäter von Halle
Blumen und Kerzen erinnern an den Angriff auf die Synagoge in Halle. © dpa/Hendrik Schmidt

Seit gut einem Monat steht in Magdeburg der mutmaßliche Attentäter von Halle vor Gericht. Stephan B. hat zugegeben, im Oktober 2019 die Synagoge der sachsen-anhaltischen Stadt angegriffen und im Anschluss zwei Menschen erschossen zu haben. Der Angeklagte ließ sich von antisemitischen und rassistischen Motiven leiten, seine Tat übertrug er live ins Internet. Heute geht das Verfahren nach mehrwöchiger Pause weiter.

43 Nebenklägerinnen und Nebenkläger nehmen daran teil – Angehörige der Mordopfer und Menschen, die zur Tatzeit in der Synagoge ausharrten, während Stephan B. draußen um sich schoss und Sprengsätze zündete. Wie erleben die Betroffenen das Verfahren? ZEIT ONLINE hat mit den Anwälten Kristin Pietrzyk, Alexander Hoffmann und Gerrit Onken gesprochen. Sie vertreten die Nebenkläger vor dem Oberlandesgericht – und müssen mit den Provokationen des Angeklagten umgehen.

ZEIT ONLINE: Herr Hoffmann, der Angeklagte zeigt keine Reue und brüstet sich im Gericht mit seiner Tat. Wie gehen Sie damit um?
Alexander Hoffmann: Er hat klargemacht, dass der Anschlag für ihn eine reine Propaganda-Tat ist. Wir sehen, dass er versucht, diese Propaganda aufrechtzuhalten. Das gelingt ihm nicht immer – bei einer Befragung haben wir ihn mehrfach festnageln können. Da konnte er nicht mehr cool sein.

ZEIT ONLINE: Sie haben alle schon viele Prozesse mitgemacht. Wie unterscheidet sich der Angeklagte von anderen?
Kristin Pietrzyk: Normalerweise sieht man Selbstmitleid bei den Angeklagten. Ob das die Gruppe Freital war oder Revolution Chemnitz oder im NSU-Verfahren. Ich erlebe zum ersten Mal, dass sich der Angeklagte selbst nicht leidtut und nicht mal ein Reuebekenntnis funktional einsetzt, weil er sich damit eine Verringerung der Strafe erhofft.
Gerrit Onken: Mich überrascht das nicht. Es ist der rote Faden, der sich auch in der Tat widerspiegelt. Was der Angeklagte im Prozess von sich gibt, ist kein Zufall. Sein Verhalten und seine Äußerungen sind ihm vollkommen bewusst, es ist geplant. Aus seinem hämischen Lachen spricht auch eine tiefe Menschenverachtung.

ZEIT ONLINE: Agiert er direkt mit Mimik und Gestik in Ihre Richtung?
Pietrzyk: Wenn meine Mandantin eine Frage stellt, fixiert er sie mit einem sehr durchdringenden Blick. Ich weiß gar nicht, ob sie es gesehen hat, aber er hat versucht, sie zu verunsichern. Beispielsweise, indem er verächtlich gelacht hat, als sie ihre Frage gestellt hat. Der Angeklagte versucht, Nebenklagevertreter einzuschüchtern, sie lächerlich zu machen, ihnen das Wort im Mund umzudrehen.
Onken: Ich bewerte das als eine Art Machtspiel. Meine Wahrnehmung ist aber, dass die Wenigsten sich darauf einlassen.
Pietrzyk: Ich war mal Zeugenbeistand für eine junge Frau im NSU-Prozess. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe war vor Gericht fast teilnahmslos. Damit konnte meine Mandantin, glaube ich, viel leichter umgehen als mit einem Angeklagten, der mit jeder Faser seiner Reaktion sagt: Wenn ich könnte, wie ich will, würde ich das ganz genauso noch mal machen.

Nebenkläger wünschen sich Diskussion

ZEIT ONLINE: Im Gegensatz dazu sind die Verteidiger des Angeklagten erstaunlich still. Welche Strategie steckt dahinter?
Pietrzyk: Ich glaube, es gibt keine Strategie. Wir werden vielleicht irgendwann rausfinden, ob er sich selbst verteidigen will – wie seine Vorbilder Anders Breivik und Brenton Tarrant, die Attentäter von Utøya und Christchurch. Den Anschein hat es gerade. Aber da sind wir noch zu früh im Verfahren.

ZEIT ONLINE: Kann es irgendeine Kompensation für Ihre Mandantinnen und Mandanten geben?
Pietrzyk: Unsere Mandanten haben zum ersten Verhandlungstag eine Erklärung abgegeben. Da taucht das Wort „Entschädigung“ im Sinne von Geld gar nicht auf. Darum geht es nicht.
Onken: Ich warne davor, gerade seelisches Leid mit Geld aufzuwiegen und den Versuch zu unternehmen, sich von Schuld in gewisser Weise freikaufen zu wollen. Das wird nicht funktionieren.

ZEIT ONLINE: Und wenn man Kompensation im weiteren Sinne versteht?
Pietrzyk: Vielleicht nennt man es nicht Kompensation. Aber die Betroffenen möchten eine gesellschaftliche Debatte. Sie wollen, dass die Gesellschaft der Ausgrenzung, den Ideologien und Meinungen, die zu dieser Tat geführt haben, geschlossen entgegentritt. Das ist nicht Aufgabe unserer Mandantinnen oder Mandanten. Und es wird sich zeigen, ob es diese öffentliche und gesellschaftliche Debatte dazu gibt.

ZEIT ONLINE: Wo fängt man da an?
Pietrzyk: Die Debatte muss unter anderem dabei beginnen, zu fragen: War es nicht ein Fehler, die Pegida-Bewegung gewähren zu lassen? Zu sagen, wir müssen mit denen reden – in Talkshows, in etablierten Medien, das „Wir müssen ihnen eine Bühne bieten“.
Hoffmann: Die Gesellschaft steht vor riesigen Anforderungen. Und wir müssen jetzt anfangen, darauf zu reagieren. Die Betroffenen von Halle erklären sich sogar bereit, Teil dieser Debatte zu sein. Die schauen dabei aber nicht nur auf Halle und dieses Bundesland und Deutschland. Die sehen das auch in einem internationalen Blickwinkel.