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Das Ende des Nazipropagandatourismus

 

Holocaustleugner Henry Hafenmayer (Mitte) bei einer Demonstration von Pegida NRW im November 2019

Wer behauptet, sich im Ausland befunden zu haben, als er den Holocaust im Internet leugnete, kam bislang straflos davon. Das ändert sich ab dem 1. Januar 2021.

Von Dennis Pesch

Der Holocaustleugner Henry Hafenmayer saß im September 2020 wieder einmal vor Gericht. Er war in einem Berufungsverfahren vor dem Duisburger Landgericht angeklagt worden, weil er auf seiner Website den Holocaust geleugnet, Hakenkreuze hochgeladen und antisemitische Ressentiments verbreitet haben soll. Das Amtsgericht Oberhausen hatte ihn dafür bereits im März 2020 in erster Instanz zu 14 Monaten Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt. In drei von sechs Punkten allerdings hatte das Amtsgericht Hafenmayer damals freigesprochen. „Mein Mandat hat sich in die Niederlande begeben, um die Posts dort hochzuladen“, hatte der Szeneanwalt André Picker als Verteidigung angeführt.

Propagandatourismus nennen es Politiker, wenn Neonazis ins Ausland fahren, um von dort aus ihre Volksverhetzung zu verbreiten. Genau diesen Vorwurf hatte auch die Duisburger Staatsanwaltschaft erhoben und deswegen Berufung gegen das Oberhausener Urteil eingelegt. Hafenmayer habe vorsätzlich gehandelt und seine Tat im Ausland bewusst so begangen, „dass sie im Inland wahrnehmbar ist“.

Propagandatourismus, ohne wegzufahren

Denn wie wahrscheinlich ist es, dass ein Holocaustleugner permanent in die Niederlande fährt, um seine Propaganda von dort aus in Deutschland zu verbreiten? Jeder kann sich schließlich im Netz für wenig Geld einen sogenannten VPN-Zugang mieten, um damit den physischen Standort seines Rechners zu verschleiern. Der Täter säße damit weiter zu Hause an seinem Computer. Die bei der Tat übermittelte IP-Adresse seiner Datenverbindung jedoch würde so wirken, als sei er beispielsweise in den Niederlanden.

Die Polizei hatte es nach eigenen Angaben bei den Ermittlungen zu Hafenmayer im Juni 2019 versäumt, die IP-Adresse zu prüfen, mit der er sich zum Zeitpunkt der Straftaten im Internet bewegte. Das, was die Beamten allerdings bei einer Hausdurchsuchung bei ihm fanden, spricht gegen die Theorie ständiger Reisen. „Er hatte ein eigenes kleines Studio zu Hause, um Videos aufzunehmen“, sagte einer der beteiligten Polizeibeamten bei der Berufungsverhandlung in Duisburg.

Trotzdem musste der Richter am Landgericht Hafenmayer laufen lassen. Denn der Bundesgerichtshof (BGH) hatte im August 2014 einen Angeklagten, der im Ausland Bilder von Hakenkreuzen hochgeladen hatte, freigesprochen. Im Mai 2016 urteilte der BGH außerdem, dass diese Auslandstheorie auch auf den Paragrafen 130 im Strafgesetzbuch zutrifft: Volksverhetzung. „Der BGH begründete den Freispruch […] damit, dass deutsches Strafrecht nicht anwendbar sei, weil es an einer Inlandstat fehle“, schreibt Maximilian Kall, Sprecher des Bundesjustizministeriums auf Anfrage von ZEIT ONLINE.

Bundestag schließt Gesetzeslücke

Eigentlich sind für diese Straftaten Geldstrafen oder Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren vorgesehen. Mehrfach haben sich Hafenmayer und sein Anwalt Picker aber auf das Urteil des BGH bezogen, um Strafen abzumildern oder ganz zu verhindern – bislang mit Erfolg.

Das ist künftig nicht mehr möglich. Der Bundestag hat am 8. Oktober 2020 das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Modernisierung des Schriftenbegriffs beschlossen. Am 1. Januar 2021 tritt es in Kraft.

Dank dieser Neuerung werden im Paragrafen 5 des Strafgesetzbuches unter dem Punkt „Auslandstaten mit besonderem Inlandsbezug“ künftig auch Volksverhetzung, das Zeigen von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Symbole und NS-Propaganda aufgeführt. Auch Holocaustleugnung kann nun hierzulande bestraft werden, wenn die Tat vorgeblich im Ausland begangen wurde.

Die Bundesregierung hat die Gesetzeslage damit der Realität angepasst, werden doch viele dieser Straftaten längst im Internet begangenen. Die Verbreitung strafbarer Inhalte erfolge nicht mehr vorrangig auf Papier, „sondern digital, insbesondere über das Internet“, schreibt Maximilian Kall, Sprecher des Bundesjustizministeriums.