Die sozialen Medien haben Donald Trump erst verbannt, als es gar nicht mehr anders ging. Muss die Politik die Demokratie besser vor Gefahren aus dem Netz schützen?
Ein Gastbeitrag von Maik Fielitz und Holger Marcks
Nun also doch. Nachdem Twitter und Facebook jahrelang Ex-Präsident Donald Trump hofiert haben, verwiesen sie ihn nach dem Sturm seiner Anhänger auf das Kapitol von ihren Plattformen. Dieser Schritt war überfällig – und doch ist er umstritten. Das spiegelt sich in den ambivalenten Reaktionen auf die Abschaltung von Trumps Twitter-Konto und anderer Hetz-Accounts. Einerseits löste die konzertierte Aktion allgemeine Erleichterung aus, andererseits führte sie zu kontroversen Diskussionen über die Macht der Techunternehmen. Unklar ist dabei noch, ob dieses digitale Beben eine Neuordnung der sozialen Medien nach sich zieht und wie sich das auf die politischen Möglichkeiten im rechten Lager auswirkt. Aber Schritt für Schritt.
Überfällig war das sogenannte Deplatforming von Trump & Co. vor allem, weil schon lange nicht mehr zu bestreiten ist, dass die sozialen Medien maßgeblich zum Erstarken von illiberalen, insbesondere rechten Bewegungen im vergangenen Jahrzehnt beigetragen haben. Genau genommen stellt der jüngste Rundumschlag, der einem verstärkten Vorgehen gegen extremistische Inhalte insgesamt folgt, ein spätes Eingeständnis genau dieses Umstands dar. Er steht für die Anerkennung der Tatsache, dass die Technologie über ein destruktives Potenzial verfügt, das nach strikteren Regeln und korrektiven Eingriffen verlangt, wenn sie zum Nutzen, nicht zum Schaden der Demokratie wirken soll.
Die Illusion der neutralen Netzwerke
Im Kontrast dazu gab das Silicon Valley lange Zeit vor, neutral zu sein. Die Verantwortung für die Inhalte bürdeten sie den Nutzern auf, aus dem Politischen wollten sie sich heraushalten. Erst mit dem Aufkommen eines neues Rechtsterrorismus und schließlich der „Infodemie“ rund um Corona löschten sie problematische Inhalte auf öffentlichen Druck – und behandelten Holocaustleugnung nicht mehr als legitime Meinung. Zähneknirschend. Denn wie Mark Zuckerberg noch mal deutlich machte, als Twitter endlich Trumps Tweets zu markieren begann: Es stünde den Techunternehmen nicht zu, als „Schiedsrichter der Wahrheit“ zu fungieren.
Eine turbulente US-Wahl später ist diese Illusion nicht mehr aufrechtzuerhalten. Die Unternehmen mussten endlich für demokratische Prinzipien Partei ergreifen. Doch so richtig dieser Schritt ist: Viele Kritiker beklagen völlig zu Recht, dass er erst jetzt vollzogen wird, wo Trump wichtige Unterstützung verliert und sich mit Joe Biden ein neuer Regent ankündigt. Nachdem man lange Zeit gut verdient hatte an den Lügen des Präsidenten, sind seine Putschallüren sicherlich ein willkommener Anlass für den Absprung. Zumal die Plattformbetreiber ohnehin unter besonderer Beobachtung stehen, zur Selbstregulierung angetrieben durch (internationale) Pläne ihrer politischen Regulierung.
Der Schaden ist allerdings schon da. Und zum Teil ist er irreversibel. Für Phänomene wie AfD oder Brexit, Bolsonaro oder Trump waren die sozialen Medien ein wichtiger Verstärker, wenn nicht sogar ein Ermöglicher. Sie haben es der populistischen und extremen Rechten nicht nur gestattet, mit ihren dramatischen und postfaktischen Erzählungen neue Wählergruppen zu erschließen, die vorher als politikfern galten. Sie dienten ihr auch als Organisations- und Inszenierungsraum für Kampagnen und Gewaltaktionen. Der über Facebook live gestreamte Massenmord von Christchurch steht dafür ebenso wie der Sturm auf das Kapitol, der in den sozialen Medien Form annahm.
Kritische Masse dank Big Tech
Trump konnte sich über die sozialen Medien eine loyale und stabile Anhängerschaft konsolidieren. Er selbst bezeichnete Twitter wiederholt als sein persönliches Zeitungsorgan; gern hebt er hervor, dass er ohne den Kommunikationsdienst nicht Präsident geworden wäre. Auch als solcher konnte er sodann die Masse direkt beschallen, an den Instanzen präsidialer Kommunikation vorbei, wobei seine Reichweite die Leserschaft jedes seriösen Printmediums übertraf. Er profitierte auch davon, dass die herkömmlichen Medien seine Tweets reproduzierten, sei es, weil sie Aufmerksamkeit brachten, sei es, weil man sich dazu quasi verpflichtet sah.
Nützlich waren jene Medien für Trump aber weniger, weil er damit noch mehr Menschen erreichte, sondern vielmehr, weil die Widerrede durch die verachtete mainstream media wichtig für seine Glaubwürdigkeit bei der Anhängerschaft war. Im rechten Lager ist sie zu einem Identitätsmarker geworden, an dem man Freund und Feind erkennt. Deswegen waren zuletzt die Warnhinweise etwa durch Twitter zahnlos. Denn für viele Menschen gilt heute die Ächtung von Inhalten bereits als Gütesiegel; es wertet sie auf. Oder andersherum gesagt: Was der politische Gegner vertritt, kann per se nicht richtig sein.
So betrachtet dürfte Trumps früherer Chefstratege, Steve Bannon, recht haben, wenn er sagt, dass die Zeit der Überzeugungsarbeit vorbei sei, und nahelegt, die Gesellschaft sei in politische Kulturen gespalten, die sich eh nicht mehr verstünden. Tatsächlich scheinen die antiaufklärerischen Kräfte in den USA über eine aktive kritische Masse zu verfügen, die allenfalls noch technisch auf die Big Five angewiesen ist. Benötigten sie die großen Plattformen einst, um in die Masse einzusickern, ist diese nun dermaßen mit radikalen Ideen gesättigt, dass die Nachfrage für rechtsalternative Plattformen gewachsen ist. Eine umfassende Nutzerwanderung auf eigene oder gekaperte Plattformen ist zumindest wahrscheinlicher als zuvor. Im Fall von Telegram trifft dies bereits zu.
Twitter als digitales Feindesland
Was hierzulande die extreme Rechte wohl ins Abseits befördern würde – ein Exodus in alternative Netzwerke –, ist für sie in den USA durchaus ein gangbarer Weg. Denn am jetzigen Punkt der Polarisierung geht es mehr um Mobilisierung denn um Überzeugung. Dass dieser Wendepunkt erreicht wurde, hat auch mit dem Präsidentenamt zu tun, ohne das Trump den Diskurs sicherlich nicht so hätte vergiften können. Große Teile seiner Anhängerschaft sind mittlerweile gegen die demokratischen Institutionen und Medien aufgebracht; und mit ihrer historischen Volte stehen die großen Plattformen – einst vom rechten Lager als Hort der Freiheit gepriesen – jetzt auch im Ruf, Lügenmedien zu sein. Für die sogenannten patriotischen Kräfte sind sie nun digitales Feindesland.
Die Realität ist aber auch, dass sich viele Hassakteure von den großen Plattformen abhängig gemacht haben. Darum hat sich das Deplatforming zu einem brennenden Thema in der extremen Rechten entwickelt. Ein Ausweichen auf andere Strukturen erweist sich dabei als gar nicht so einfach. Das bekamen Trump-Anhänger nach dem Sturm auf das Kapitol zu spüren. Ihre Wahlheimat Parler zerfiel innerhalb weniger Tage, nachdem Cloud-Services, Webhoster und Bezahlsysteme dem rechtsalternativen Medium unisono die Dienste kündigten. Eindrücklich zeigten sich hier die sonst unsichtbaren Machtstrukturen hinter den Möglichkeiten der digitalen Massenkommunikation.
Der Aufbau einer virtuellen Parallelgesellschaft stellt politische Akteure also vor höhere Probleme, die das digitale Versprechen nach unbegrenzter Redefreiheit verblassen lassen. Denn auch die Betreiber alternativer Netzwerke sind von Infrastrukturen abhängig, die ihnen technische Flexibilität und Sicherheit gewähren. Insbesondere die Rolle von Apple und Google, die mit ihren App-Stores darüber entscheiden, welche Apps auf Smartphones installiert werden können, ist eine entscheidende. Im Falle von Parler machten sie deutlich, wie einfach sie Dienste deplatformen können, die nicht effektiv gegen Gewaltaufrufe vorgehen. Dass sich derlei Maßnahmen zuvor nie gegen Twitter und Facebook richteten, verweist auf ein fast schon selbstverständliches Kartell.
Kommt die politische Regulierung?
Mittelfristig ergeben sich nun drei Möglichkeiten. Erstens: Das Kartell hält. Die extreme Rechte muss sich in den großen Plattformen mit ihren womöglich zunehmenden Restriktionen einrichten; noch zumindest erzielt sie dort weiter enorme Reichweiten. Zweitens: Das Kartell bröselt. Der gefestigtere Teil der extremen Rechten richtet sich in mittelgroßen Netzwerken ein, wo man sich gegenseitig aufpeitscht; von hier aus werden gezielte Aktivitäten in anschlussfähigen Netzwerkmilieus koordiniert. Drittens: Das Kartell bricht. Es entsteht ein unabhängiges Netzwerk, das die technischen Barrieren meistern kann; ein solches Fox News der sozialen Medien wäre womöglich bis in die rechte Mitte attraktiv.
Solch ein Refugium steht freilich in den Sternen. Zwar hat Trump damit gedroht, sein eigenes Netzwerk zu errichten, doch ob er wirklich in der Politik bleibt, ist noch zu klären. Auch als Geschäftsmann droht ihm Ungemach, sodass es wacklig scheint, er selbst könne so ein Projekt stemmen. Unklar ist ferner, ob nicht andere Unternehmer die entstandene Marktlücke schließen oder ob andere Dienste nicht doch den Bedarf decken können. Instantmessenger wie Telegram etwa haben sich im rechtsextremen und verschwörungsideologischen Milieu als zweckdienlich erwiesen, auch wenn das Unternehmen neuerdings stärker gegen rechtsterroristische Akteure vorgeht. Zu Trumps Kommunikationskonzept würde ein solcher Kanal zumindest passen. Bolsonaro und Erdoğan sind bereits dabei.
Es lässt sich kaum erahnen, wie es sich auf Polarisierungsprozesse auswirkt, würde sich die soziale Medienlandschaft tatsächlich politisch ausdifferenzieren: mit Anbietern, die – ähnlich dem Pressewesen – unterschiedliche Communitys ansprechen, abgegrenzt durch verschiedene Prinzipien und Richtlinien. Ganz formale Bubbles. In jedem Falle wäre es eine Zäsur, mit der sich die Frage der Regulierung anders stellen würden. Es rührt ja gerade aus der Oligopolsituation, dass dem Deplatforming ein Geschmäckle anhaftet, das selbst Angela Merkel Kritik abnötigt. Der Fall Trump zeigt nämlich auch, welche Macht die Techunternehmen darüber haben, wer im politischen Diskurs Einfluss haben darf. Ein stärkerer Wettbewerb unter sozialen Medien würde jene Macht zumindest zerteilen. Wenn diese Teilung aber nicht zugunsten von Plattformen gehen soll, deren Angebot eine postfaktische Parallelwelt ist, wird ihre politische Regulierung umso dringlicher.
Maik Fielitz ist Wissenschaftlicher Referent am Jenaer Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft. Holger Marcks ist assoziierter Forscher an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Gemeinsam veröffentlichten sie im Dudenverlag das Buch Digitaler Faschismus. Die sozialen Medien als Motor des Rechtsextremismus.