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Früherer NPD-Kader leitet Leipziger Corona-Demos

 

Ein früherer hochrangiger NPD-Funktionär hat sich an die Spitze der Corona-Leugner in Leipzig gesetzt. Dort holt er Redner aus der rechten Szene in die Stadt.

Von Henrik Merker

Eine Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Leipzig Ende 2020 © dpa/Sebastian Kahnert

Seit mehreren Monaten kommen sie Montag für Montag auf den Richard-Wagner-Platz in Leipzig: Vor einem großen Einkaufszentrum demonstrieren Anhänger einer Initiative namens Bürgerbewegung Leipzig gegen die Corona-Maßnahmen. Absperrgitter trennen die mehreren Dutzend Teilnehmer von einigen Dutzend Gegendemonstrantinnen. Bei den Aufmärschen geht es mittlerweile um weit mehr als um Maskenpflicht und Kontaktbeschränkungen. „Wir werden nicht mehr lockerlassen. Und die liebe Bundesregierung“, ruft Demo-Anführer Volker Beiser, „wir werden die auf jeden Fall vor uns herjagen. Das ist Fakt!“

Die revolutionsartigen Parolen hörten sich vor einiger Zeit noch Teilnehmer an, die Kleidung der Neonazi-Marke Thor Steinar trugen. Mittlerweile treten sie zivil auf. Dennoch: Teilnehmerinnen und Teilnehmern gilt die Versammlung als eine Form bürgerlichen Protests. Und das, obwohl Einpeitscher Beiser eine Vergangenheit in der rechtsextremen NPD hat, wie Recherchen von ZEIT ONLINE zeigen.

Der 50-Jährige stammt aus Bad Kreuznach in Rheinland-Pfalz, war Vize-NPD-Chef und Finanzverantwortlicher des Landesverbandes. Das belegen Dokumente des Registergerichts, bei dem die NPD gemeldet ist.

„Wo ist das Problem mit der NPD?“

Mit seiner politischen Biografie geht er allerdings weniger offen um. Ende Juni trat er in einem Interview auf dem YouTube-Kanal Ungetrübt Media auf, der vom sächsischen Neonazi Alexander Kurth bespielt wird. Beiser behauptet in dem Video, er sei in seiner Jugend „in vielen Organisationen tätig gewesen, auch sehr lange politisch“. Er sei für Menschenrechte aktiv gewesen und für Freiheit. Die Parteikarriere erwähnt er nicht.

Am Montag der vergangenen Woche steht er mit einem Megafon auf dem Richard-Wagner-Platz. Er ist ein geübter Redner, das ist bereits bei seinen ersten Auftritten in Leipzig aufgefallen. Nachdem der Reichsbürger Jörn Austinat eine Ansprache gehalten hat, fordert Beiser seine Demonstranten auf, zu ihm zu kommen und loszulaufen. Reporter von ZEIT ONLINE und von der Leipziger Internetzeitung sprechen ihn auf die Dokumente über seine aktive Zeit in der Neonazi-Szene an. Beiser weicht aus. „Wo ist das Problem mit der NPD?“, fragt er. Seine Männer wüssten, dass er bis mindestens 2006 für die Partei in Rheinland-Pfalz aktiv war.

Er blickt in Richtung der Demonstrationsteilnehmer, die seinem Ruf immer noch nicht folgen. „Übrigens bin ich auch beim Verfassungsschutz“, sagt Beiser. Damit spielt er auf Anschuldigungen an, die seit 2005 gegen ihn in der Neonazi-Szene kursieren.

In der Szene als Spitzel diffamiert

Offenbar rumorte es damals in der NPD. Szenekader Christian Worch schrieb 2005 auf seiner Website von einem „vermutlichen Polizeispitzel“ in der Partei. Worch veröffentlichte die Vermutung zusammen mit einem Fax des Innenministeriums Rheinland-Pfalz an das Verwaltungsgericht Koblenz. In dem Schreiben wird Beiser unter Berufung auf Informationen des Landesamtes für Verfassungsschutz als Quelle genannt. Weiter steht in dem Fax, Beiser habe die Polizei über eine offenbar konspirativ organisierte Kranzniederlegung im Vorfeld informiert.

Ein Jahr nach Veröffentlichung der Vorwürfe wurde es still um Beiser. Mittlerweile sei er kein NPD-Mitglied mehr, sagt er. Worch kann sich auf Nachfrage nicht mehr an den Fall erinnern. Doch für Beiser ist das Ende seiner Parteizeit offenbar noch sehr präsent. Den Vorwurf, Polizeispitzel zu sein, streitet er ab. Zudem kenne er Worch nicht persönlich.

Worch spricht gegenüber ZEIT ONLINE zudem von finanziellen Unregelmäßigkeiten, die damals in der NPD Rheinland-Pfalz aufgefallen seien. Beiser, Kassenwart der Landes-NPD, legte innerhalb der Neonazi-Szene offenbar nicht die beste Zahlungsmoral an den Tag. In den Heften der rechtsextremen Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige (HNG) wurde er mehrfach als säumiger Zahler auf einer „schwarzen Liste“ geführt. Diese diente als szeneinterner Pranger. Die HNG diente der Unterstützung inhaftierter Neonazis und Holocaustleugner. Sie wurde 2011 vom damaligen Innenminister Hans-Peter Friedrich verboten. Auch die Geburt Beisers Tochter ist in den HNG-Heften 236 und 237 aus dem Jahr 2000 vermerkt, inklusive Glückwunsch des Vorstands.

Corona-Proteste haben sich radikalisiert

Auch in seinen Reden in Leipzig hat Beiser die NPD-Tätigkeit bislang nicht erwähnt – wohl auch, um die Proteste für die Zivilgesellschaft anschlussfähig zu halten. Die Anschlussfähigkeit zeigt sich auch an den Teilnehmerinnen. Zuletzt kamen auch Aktivisten, die eher aus der Leipziger Straßenkultur bekannt sind. Dazu kommen Demonstranten in T-Shirts mit dem Aufdruck „FCK NZS“, einer Parole gegen Nazis. Einige der Teilnehmer stammen aus früheren Organisationen von Leipziger Corona-Leugnern, sie sind in der neuen Gruppe aufgegangen.

Strategisch orientiert sich die Bürgerbewegung Leipzig an rechtsextremen Akteuren aus dem Erzgebirge. Dort ist die Partei Freie Sachsen seit Beginn des Jahres tonangebend. Der NPD-Kader Stefan Hartung, Szeneanwalt Martin Kohlmann und Akteure der Querdenken-Szene haben die Sammlungspartei gemeinsam aufgebaut. Im Erzgebirge hat die Partei mehrfach erfolgreich zu Massenprotesten gegen die Corona-Maßnahmen aufgerufen. Im erzgebirgischen Zwönitz wurden Polizisten angegriffen, die Demonstrantinnen und Demonstranten bekamen Rückendeckung von Lokalpolitikern der CDU. Am 17. Juni stufte das Landesamt für Verfassungsschutz die Gruppe als rechtsextremistische und verfassungsfeindliche Bestrebung ein. Die Freien Sachsen rufen regelmäßig zur Teilnahme an Beisers Versammlungen in Leipzig auf.

Unterdessen arbeitet die Kleinstpartei auch an einem Ableger für den Großraum Leipzig. Ein Telegram-Kanal existiert bereits. In Leipzig haben sich die Corona-Proteste auffällig radikalisiert, nur wenige der ursprünglichen Wortführer sind noch dabei. Im Ziel unterscheiden sie sich nicht. Auch die vormaligen Organisatoren forderten einen Systemwechsel. Sie duldeten Ausschreitungen von Hooligans und Neonazis auf ihren Versammlungen. Letztere haben nun das Ruder übernommen.