„Wir sind dieses Jahr hier und wir werden auch nächstes Jahr hier sein! … Wie viel sind wir hier: Über Tausend!“ – Es klang wie eine Drohung, als am Samstagabend beim Rechtsrock-Open Air „This one’s for the Skinheads Vol. 3“ in Nienhagen (Sachsen-Anhalt) der Veranstalter Oliver Malina auf die Bühne kletterte und das Mikro in die Hand nahm. Die knapp 1.300 aus ganz Deutschland, aber auch aus der Schweiz, Italien und Osteuropa angereisten Neonazis johlten begeistert. „Der Staat allgemein und natürlich die Knechte, wollten mit allen Mitteln heute das Ganze untersagen. Wirklich mit allen Mittel. So – haben sie aber nicht geschafft!“, triumphierte der Neonazi.
Verbot gescheitert
Es ist bereits das vierte Mal, dass Oliver Malina, der aus Niedersachsen stammt und seit einiger Zeit hier im Ort wohnt, in Nienhagen ein großes Rechtsrockevent organisiert. Doch langsam regt sich auch in dem kleinen Dorf mit seinen 380 Einwohner/innen immer mehr der Widerstand gegen die Neonazis. In diesem Jahr hatte die Initiative „Nienhagen Rechtsrockfrei“ und der DGB ein Straßenfest und eine Demonstration auf dem einzigen Zufahrtsweg zum privaten Konzertgelände, einer ehemaligen Hopfendarre, angemeldet. Daraufhin verbot die Gemeinde das Konzert aus Sicherheitsgründen, denn die öffentliche Versammlung der Initiative genieße einen höheren Grundrechtsschutz. Das sah das Verwaltungsgericht allerdings anders: „Das geplante Skinheadkonzert sei neben kommerziellen Interessen auch von der Meinungskundgabe geprägt. Es handele sich damit ebenfalls um eine öffentliche Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes. Die Voraussetzungen für ein Verbot des Konzertes nach den versammlungsrechtlichen Regelungen seien nicht erfüllt“, heißt es in einer Pressemitteilung des Magdeburger Gerichts. Auch das von der Gemeinde angerufene Verwaltungsgericht sah das ähnlich. Laut dem OVG Magdeburg spreche einiges dafür, dass es sich bei dem „streitgegenständlichen Skinheadkonzert um eine Versammlung im Sinne des Art. 8 GG handele, da solche Konzerte der rechtsextremen Szene als Propagandamittel und Kontaktbörse“ dienten. Die Veranstaltung und der Besuch solcher Konzerte diene auch der „Bestärkung und Zur-Schau-Stellung rechtsextremistischer Gesinnung“ und damit sei das Konzert als öffentliche Versammlung zu behandeln. Doch auch versammlungsrechtliche Auflagen, wie ein Ende der Veranstaltung um 22:00 Uhr, kassierte das Gericht wieder ein. Und so musste das Bündnis „Nienhagen Rechtsrockfrei“ mit ihrem Straßenfest den Neonazis weichen. Statt auf dem Zufahrtsweg zum Konzertgelände fand das Fest nun mitten im Dorf statt.
300 protestierten gegen das Konzert
Angesichts der hunderte durch den Ort laufenden Neonazis herrschte eine gewisse Fassungslosigkeit bei vielen der fast 300 Demonstrant/innen, die sich am Samstagnachmittag hier versammelt hatten, um gegen das Rechtsrockfestival zu protestieren. Insbesondere das Urteil des Oberverwaltungsgerichts stieß auf Unverständnis. „Das war für uns ein Schlag ins Gesicht. Das ist eine kommerzielle Veranstaltung mit Eintrittskasse und keine Versammlung nach Versammlungsgesetz“, sagte Hans-Christian Anders, Sprecher des Bürgerbündnis „Nienhagen Rechtsrockfrei“. Viel wurde diskutiert an diesem Tag: Müssen solche Konzerte toleriert werden? Sind auch die Behörden machtlos oder sind sie einfach nicht willens solche Konzerte zu verhindern? Hätte die Verwaltung bessere Argumente für das Verbot sammeln müssen? Muss auch das Land hier mehr Engagement zeigen und sowohl diejenigen besser unterstützen, die sich gegen die Rechtsrockkonzerte engagieren als auch den Kommunen rechtlich einen besseren Beistand bieten? Oder muss der zivilgesellschaftliche Protest weiter gehen und wie in Dresden oder Jena auf Blockaden gesetzt werden?
Erfreut war man bei der Initiative „Nienhagen Rechtsrockfrei“ darüber, dass in diesem Jahr deutlich mehr Menschen gekommen waren, um ein Zeichen gegen das Rechtsrockspektakel zu setzen. Als die ersten Neonazis durchs Dorf marschierten, stellte man sich mit einem Transparent an die Straße: „Gegen das Vergessen, dass Faschismus ein Verbrechen bleibt!“
Serienmörder und „NS Spirit“
Die nur zum Teil abgeklebten Tätowierungen und die Aufdrucke auf den Shirt’s der anreisenden Neonazis machten deren Gesinnung deutlich: „I love NS“, „1933“, „Deutschland Heilig Vaterland“, „NS Spirit 1933-01-30“, „Masterrace“, aber auch „Kosovo is Serbia“ und Abzeichen der griechischen Neonazipartei „Goldene Morgenröte“ waren dort neben den Logos diverser Szene-Bands zu sehen. Auch eine gruselige Anspielung auf den Hannoveraner Serienmörder Fritz Haarmann, der 1925 hingerichtet wurde, weil er mehrere Jungen zerstückelt haben soll und außerdem des sexuellen Missbrauchs an Kindern verdächtigt wurde, prangte auf dem Shirt eines Besuchers: „Warte, warte nur ein Weilchen … Metzgerei Haarmann … Alles ohne Kopp“ war dort neben der Abbildung eines blutigen Schlachterbeils zu lesen. Ein merkwürdiger Kontrast zu den üblichen „Todesstrafe für Kinderschänder“-Shirts, die ebenfalls zur Schau getragen wurden.
„Bruderschaften“ und „Hate Crews“
Wie schon im letzten Jahr fielen insbesondere die Anhänger diverser neonazistischer „Bruderschaften“ auf, die sich sonst in der Öffentlichkeit eher bedeckt halten: Embleme der „Hammerskins“ waren ebenso zu sehen, wie die „28“ als Code für das in Deutschland verbotene Rechtsrocknetzwerk „Blood & Honour“ oder die gekreuzten Handgranaten der „Arischen Bruderschaft“. Daneben waren jede Menge Symbole regionaler „Bruderschaften“ und subkultureller „Crews“ zu sehen, wie die „Hate Crew Nordbaden“, die „Hardcore Crew Uslar“, die „Bruderschaft Lübeck“, die „Bunker 16 Deerns Crew Niedersachsen“ oder die „Skins Uelzen“. Die ebenfalls anwesenden Mitglieder der „Brigade 8“ hatten ihre Kutten diesmal allerdings im Schrank gelassen. Nach den Medienberichten der letzten Zeit und der Erwähnung in diversen Verfassungsschutzberichten ist man offensichtlich darauf bedacht nicht weiter aufzufallen. Neben den reinen Rechtsrock-Szenegängern war auch „Politprominenz“ anwesend. So z.B. Andy Knape, Bundesvorsitzender der NPD-Jugendorganisation JN und Mitglied des NPD-Parteivorstandes, oder der Hildesheimer Neonazi Dieter Riefling, der als eine der Führungsfiguren der norddeutschen Neonaziszene gilt.
Kritik am Innenminister
Vor Ort beim Straßenfest gegen Rechts war auch der Innenminister von Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknecht (CDU). Er war zuvor in die Kritik geraten, weil das Land nach Meinung der Nienhagener Initiative zu wenig gegen Rechtsrockkonzerte unternehme. „Nachdem andere Bundesländer zuletzt rigider gegen neonazistische Konzerte vorgegangen sind, weichen manche Konzertveranstalter nach Sachsen-Anhalt aus“ stellt auch der Verein „Miteinander e.V. – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt“ fest. Allein 2013 zählte der Verein 33 rechte Konzerte im Bundesland – Tendenz steigend. Im benachbarten Niedersachsen dagegen soll nach Behördenangaben im letzten Jahr nur ein Rechtsrock-Konzert stattgefunden haben. Zwei weitere geplante Konzerte seien dort verhindert worden.
Sachsen-Anhalts Innenminister Stahlknecht hatte diesmal angekündigt, dass die Polizei sofort eingreifen würde, wenn vom Konzert Straftaten ausgehen oder wenn verbotene Lieder gespielt werden. Man habe eigens einen Beamten aus Brandenburg hinzugezogen, der verbotene Lieder erkennen könne. Offensichtlich fehlt es auch in Sachsen-Anhalt bisher an geschulten Polizeibeamten, die sich mit den Bands und ihren oftmals indizierten und verbotenen Rechtsrockliedern überhaupt auskennen. Zudem werden die Lieder ausländischer Bands eher selten indiziert, dabei sind deren Texte oftmals deutlich gewaltverherrlichender, als die der deutschen Neonazi, die für CD-Veröffentlichungen ihre Texte vorab anwaltlich prüfen lassen.
„Wir hassen diesen Staat …“
Wie auch das Publikum waren die auftretenden Bands international gemischt. Als erstes traten „Abtrimo“ aus Hamburg auf. Die putschten die Menge gleich mit entsprechenden Parolen auf: „Wir hassen dieses System … Wir hassen diesen Staat“. Die Band bedauerte, dass man nicht das ganzer Repertoire spielen könne, da ein Teil des Lieder von der Bundesprüfstelle indiziert wurden. Aus Italien waren „Geste Bellica“ angereist. Die Bandmitglieder sind Anhänger der „Veneto Fronte Skinheads“ aus Norditalien. Diese gilt als Teil der „Blood & Honour“-Struktur in Italien. Die Band trat beispielsweise im letzten Jahr beim „Ian Stuart Memorial Konzert“ in England auf. Dort trug der Schlagzeuger auf der Bühne ein T-Shirt von „Blood & Honour“. Sowohl bei den Konzerten der „Veneto Fronte Skinheads“ als auch bei den alljährlichen „Ian Stuart Memorials“ in England sind die Neonazis von „Honour & Pride Deutschland“ regelmäßige Gäste. Auch „Faustrecht“ aus dem Allgäu sind verwoben mit dem in Deutschland verbotenen Rechtsrocknetzwerk. Ein Teil der Bandmitglieder war bis zum Verbot im Jahr 2000 bei „Blood & Honour“ aktiv. Die Band galt zudem als „Hausband“ der 1996 verbotenen „Skinheads Allgäu“. Auch bei dieser Band stehen viele Lieder auf dem Index oder sind verboten. Das gleiche gilt für die ebenfalls auftretenden Band „Kraft durch Froide“ (KDF), die mit Unterbrechungen und Umbesetzungen schon seit Anfang der 80er Jahren existiert. An der Gitarre stand hier René Schulze aus Köthen, der sonst sowohl mit den Bands „Last Riot“ und „Open Violence“, aber auch als Solokünstler „Schulzeskin“ auftritt. Weiter auf dem Programm stand „Kommando Skin“ und „I.C.1“, ein gemeinsames Projekt des Sängers der britischen „Blood & Honour“-Band „Razors Edge“ und den Musikern der deutschen Band „Carpe Diem“. „I.C.1“ steht für den „Identity Code“ der britischen Polizei für einen Verdächtigen „weißen, nordeuropäischen / nordamerikanischen Typs“. Etwas aus der Reihe fiel die schwedische Band „Pitbullfarm“ mit ihrem Psychobilly-Punkrocksound, deren Mitglieder mit Irokesenschnitt und Psychobilly-Flat auch optisch hervorstachen. Allerdings waren auch unter den Besuchern des Konzertes vereinzelt Nazipunks zu sehen. „Pitbullfarm“, deren Frontmann Jocke Karlsson früher bei der swedischen Rechtsrockband „Pluton Svea“ sang, versteht sich selbst als „unpolitische Band“: Man spiele nicht auf „politischen Gigs, egal ob rechts oder links“ heißt es auf einer Seite der Band. Probleme vor hunderten von Neonazis aufzutreten hat man allerdings offensichtlich nicht. Den Abend zuvor verbrachten die Musiker der Band in trauter Runde mit Anhängern der neonazistischen Partei „Die Rechte“ in einer Kneipe im Rotlichtmilieu von Braunschweig (Niedersachsen).
Auch die vorgeblich unpolitischen Lieder von „Pitbullfarm“ sind voller gewalttätiger Vernichtungsphantasien: „Ich werde dein Gesicht zermatschen und deinen Kopf zerbrechen. Du wirst tot in meinem Bett enden. Der Geruch von Blut macht mich verrückt. Ich werde wieder und wieder auf dich einstechen. Ich möchte foltern. Ich möchte töten. Ich schlitz deine Kehle auf, was für ein Nervenkitzel“ singt Jocke Karlsson im Lied „Die Tired“ auf englisch.
Attacken gegen Journalisten
Laut Polizei sei das Konzert ohne Zwischenfälle über die Bühne gegangen. Journalist/innen und der Verein „Miteinander e.V.“ sprachen dagegen von Beleidigungen und Attacken auf Medienverter/innen durch die Besucher des Rechtsrock-Open Airs. Auch der Konzertveranstalter Oliver Malina wurde handgreiflich und versuchte einen Fotografen daran zu hindern das Konzert zu fotografieren. In der Kritik stand auch das Verhalten der Polizei. „Wie im vergangenen Jahr wurden Pressefotografen von anreisenden Neonazis bedroht und tätlich angegriffen. Journalisten wurden mit Fäkalien beworfen und gewalttätig an ihrer Arbeit gehindert, ohne dass die Polizei gegen die Angreifer einschritt“, so der Geschäftsführer von „Miteinander e.V.“ Pascal Begrich: „Darüber hinaus fanden keine konsequenten Kontrollen der Konzertbesucher hinsichtlich des öffentlichen Zeigens verfassungswidriger Symbole statt“. Der „neonazistische und gewalttätige Charakter des Skinhead-Festivals in Nienhagen“ habe sich erneut bestätigt, doch wieder einmal „sahen Polizei und Ordnungsbehörden sich nicht in der Lage, der rechtsextremen Veranstaltung konsequent zu begegnen“, beklagte der Verein.
Freiwilige Helfer und Geschäftsbeziehungen
Auch in diesem Jahr konnte sich Oliver Malina bei der Organisation und Durchführung des Konzertes auf die Aktivisten von „Honour & Pride Deutschland“ und zahlreiche weitere Helferinnen und Helfer verlassen. Viele davon kamen aus Niedersachsen. Auch Erbsensuppe aus der Gulaschkanone und Verkaufsstände diverser Szeneversände gab es auf dem mit einem Bretterzaun abgesperrten Gelände. Dort hatte auch ein Sanitätszug des Roten Kreuzes sein Zelt aufgeschlagen. Am Eingang sorgte ein Sicherheitsdienst dafür, dass nur Besucher mit Eintrittskarte auf das Gelände kamen. Wie im letzten Jahr hatte Oliver Malina dafür die Firma „Incognito Security“ aus Blankenburg engagiert. Deren Personal war schon vom Erscheinungsbild samt Szene-Tattoos teilweise kaum von den anwesenden Neonazis zu unterscheiden. Und offensichtlich hatten einige Mitarbeiter/innen auch Gefallen an den auftretenden Bands. Ein Ordner, der im letzten Jahr als Mitarbeiter von „Incognito Security“ im Einsatz war, trug diesmal gleich selbst ein rotes Shirt mit der Aufschrift „Honour & Pride“ und dem Symbol einer Handgranate. Für die Bühne und den richtigen Sound der Rechtsrock-Bands sorgte die Firma „Modus Veranstaltungstechnik“ aus Sömmerda. Als Referenzen nennt die Firma auf ihrer Homepage zahlreiche Feste, Messen, Konzerte, sowie den „Sachsen-Anhalt Tag“. Auch für bekannte Firmen und für die Thüringer Staatskanzlei und Landesregierung sei man tätig.
Sorge um Jugendliche
„Das Menschenbild, das auf den Konzerten propagiert wird, ist erschreckend“, sagte Hans-Christian Anders gegenüber der Presse. Er macht sich auch Sorgen um die Jugendlichen im Ort, die den Neonazis oft eher interessiert als ablehnend begegnen. Manche Eltern sympathisierten durchaus mit den Neonazis oder profitieren durch die Vermietung von Ferienwohnungen und Zimmern. Auch der Vermieter der Hopfendarre, Horst Slominski, kommt aus den Ort. Er hatte im letzten Jahr versprochen diese nicht mehr an Oliver Malina zu vermieten, wenn die Mehrheit des Ortes dagegen sei. An einer Bürgerbefragung beteiligten sich daraufhin von 326 Wahlberechtigten an die 200 Einwohner/innen. 160 davon stimmten gegen weitere Neonazikonzerte. Doch Slominski vermiete schließlich doch wieder an Oliver Malina, nachdem dieser damit gescheitert war an anderen Orten einen geeigneten Konzertort zu finden. Oliver Malina, der ursprünglich aus Salzgitter stammt und dort erst die „Kameradschaft Salzgitter“ dann „Honour & Pride Niedersachsen“ anführte, wohnt mit seiner Familie in einem der größten und auffälligsten Gebäude mitten im Dorf. Der Schwiegervater, ein Tiefbaunternehmer, ist ein alteingesessener Nienhagener. Aus dem Weg gehen kann man sich hier kaum. Und manch Nienhagener sieht das Problem weniger in den Neonazis als in der Initiative „Nienhagen Rechtsrockfrei“ die für Unruhe sorge.
„ … und wir werden auch nächstes Jahr hier sein!“
Man kann schon jetzt davon ausgehen, dass Oliver Malina seine Drohung war machen wird und auch für das kommende Jahr hier ein großes ein Rechtsrockevent plant. Ob die Behörden bis dahin Wege und Möglichkeiten finden werden das Ganze zu verhindern wird sich zeigen. Der zivilgesellschaftliche Widerstand und das antifaschistische Engagement der Initiative „Nienhagen Rechtsrockfrei“ und ihrer Unterstützer/innen wird jedenfalls weiter nötig sein.