Am 2.7.2014 wurde der Kameradschaftsverbund „Freies Netz Süd“ durch das bayerische Innenministerium verboten und aufgelöst. Es handele sich um eine Ersatzorganisation der bereits 2003 verbotenen „Fränkische Aktionsfront“. 41 Personen legten gegen das Verbot Klagen ein. Diese scheiterten wenig überraschend am 4. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Die Urteilsbegründung ist aufschlussreich: Sie legt Teile der Struktur des militanten Neonazinetzwerks erstmals öffentlich dar.
Von der „Aktionsfront“ zum „Freien Netz“
Die „Fränkische Aktionsfront“ (FAF) hatte ihren Schwerpunkt im Großraum Nürnberg und wurde 2004 verboten. Die Gründe: „Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“ und „zunehmend aggressive Agitation“.
Neu gegründet nannte sich der Zusammenhang zunächst „Nationale Sozialisten Franken“ (NSF), dann „Freies Netz Süd“ (FNS) – jeweils enthält die Abkürzung die Wortkombination NS – und orientierte sich nach Informationen von a.i.d.a. neben der FAF am sächsischen Kameradschaftsverband „Freies Netz“. Die Behörden vereitelten die Fortführung damals, wie a.i.d.a. weiter berichtet, nicht. Sie bestritten gar eine Kontinuität. Erst dadurch konnte das Netzwerk zur wohl bedeutendsten Struktur der Neonazis in Bayern werden.
Nur eine „Netzseite“?
Das Bayerische Innenministerium sei, so die 41 Kläger, wegen Länder- und gar Staatenübergreifender Aktivitäten nicht die für das Verbot zuständige Behörde. Zudem argumentiert der von Klägerseite beauftragte Rechtsanwalt Stefan Böhmer, es handele sich nicht um eine Vereinigung im Sinne des Vereinsgesetzes. „Der Vereinsbegriff des Grundgesetzes und des Vereinsgesetzes werde überdehnt, wenn eine Vernetzung bestimmter Gruppen und Personen verboten werde, also das bloß geistige Verbindunghalten und der Informationsaustausch untereinander. Eine Vereinigung ‚Freies Netz Süd’ (FNS) habe es nie gegeben“. Es handele sich, wie einer der Kläger, Roy Asmuß, mit Bezug auf das zitierte Urteil vom 20.10.2015 (Az 4 A 14.1787) auf dem extrem rechten Internetportal Altermedia betont, lediglich um eine „Netzseite“.
Der Verteidiger Stefan Böhmer ist einschlägig bekannt. Wie der Störungsmelder berichtet, ist der Erlanger „seines Zeichens Aktivist der ultrarechten ‚Burschenschaft Frankonia’.“ Das FNS selbst erwähnte 2011 auf seiner Homepage eine „Rechtsschulung“ mit Stefan Böhmer. Organisiert hätten den Vortrag der „NPD Kreisverband Schwandorf in Zusammenarbeit mit freien Nationalisten in Schwandorf“.
Die Auslegung, es handele sich beim FNS nur um eine Internetseite, ist für die Neonazis deshalb von großer Bedeutung, weil die Klage nicht von einem Organ des verbotenen Vereins eingereicht wurde. Klagen nur ehemalige Mitglieder, dann muss lediglich geprüft werden, ob zum Zeitpunkt des Verbots überhaupt ein Verein bestand. Ob die Verbotsgründe selbst rechtens waren, bleibt außer Betracht.
Razzia beim „FNS“
Gegen das Vorbringen der Nationalisten fußt das Urteil auf Erkenntnissen, die auf die Durchsuchungen im Juli 2013 zurück gehen. 700 Polizeibeamte betraten über 70 Wohnungen, Arbeitsplätze, Versände und Postfächer von Neonazis in ganz Bayern. Es war kein großes Geheimnis, dass die Razzien bevorstanden.
„Dennoch konnten die eingesetzten Polizeikräfte in den Neonaziwohnungen nicht nur mehrere Hakenkreuzfahnen, Hakenkreuzarmbinden, Hitlerplastiken und Hitlerporträts (sowie ein Transparent von Karl Richters BIA) beschlagnahmen, sondern auch eine ganze Reihe Waffen sicherstellen. Auch wenn deren waffenrechtliche Beurteilung noch nicht abgeschlossen ist, wird durch die Vielzahl an aufgefundenen Messern, Reizgasgeräten, einer ‚9mm-Selbstschußanlage’, Faustfeuerwaffen, Stabhandgranaten, Knüppeln, Baseballschlägern und einem Karabiner die Gefährlichkeit des militanten Neonazinetzwerks FNS deutlich.“
Die Struktur des „FNS“
Anhand der beschlagnahmten Dokumente sieht der 4. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes die Vereinseigenschaft des FNS als erwiesen an. Es gab eine klare Rollenverteilung innerhalb der Gruppierung. Vor allem die Führungsebene wird herausgestellt:
„Im Rahmen einer stillschweigenden Arbeitsteilung dürfte dabei der Kläger zu 1 [Matthias Fischer] vorrangig die inhaltlichen Positionen des FNS vorgegeben und nach außen hin vertreten haben, während der Kläger zu 2 [Norman Kempken] als regelmäßiger Anmelder von Veranstaltungen und presserechtlich Verantwortlicher eher organisatorische und technische Aufgaben übernommen hat […]. Wie die teilweise konspirative Vorgehensweise dieser beiden Hauptverantwortlichen des FNS zeigt, wollten sie […] unbedingt vermeiden, dass sich dadurch ‚Strukturen aufdecken’ lassen. Der insoweit aufschlussreiche E-Mail-Verkehr zur Anfrage eines Aktivisten aus der Schweiz, der dort ‚als Ableger des FNS’ eine Kameradschaft aufbauen wollte, lässt gleichwohl deutlich erkennen, dass hinsichtlich einer Aufnahme in das FNS die Kläger zu 1 und 2 die maßgeblichen Entscheidungsträger waren.“
Fischer besaß „faktische Leitungsgewalt“, von der das zitierte Urteil die Aktivitäten des FNS in hohem Maße abhängig sieht. Das Gericht geht davon aus, dass er „in der Lage war, konkrete Aktionen des rechtsextremistischen Netzwerks zu initiieren, zu koordinieren und zu steuern.“ Die Mitglieder und angeschlossenen Kameradschaften hätten sich diesem Führungsanspruch und „dem Gesamtwillen der Vereinigung FNS unterworfen“. Eine bei Kai Zimmermann beschlagnahmte Materialsammlung für die Jahre 2008 und 2009 beschreibt Streitigkeiten zwischen den dort als „Führungskader“ bezeichneten Fischer und Kempken und den „Freien Nationalisten“ aus München und Nürnberg.
Kai Zimmermann vertrat Matthias Fischer während seiner Haftzeit. Dieser wurde trotzdem von Fischer „aus der Haft heraus schriftlich angewiesen und angespornt“. Nachdem allerdings auch Zimmermann ins Gefängnis musste, „wurde es für die verbliebenen FNS-Akteure offenbar schwierig, mit den schriftlichen Unterlagen sinnvoll weiterzuarbeiten“. Zimmermann hoffte daher, bald sei „ja der Chef wieder da“. Nach Auffassung des Gerichtes kann damit nur Matthias Fischer gemeint sein. Auch nach außen trat dieser als Repräsentant auf. Er hätte „als zentrale Verteilstation für das Propagandamaterial des FNS fungiert“.
Auch sonst erkennt das Gericht eine klare Aufgabenverteilung. Inhaber der E-Mail-Adresse war Tony Gentsch, der auch als Redner „in seiner Eigenschaft als Vertreter“ des FNS aufgetreten sei. Gentsch, Roy Asmuß und Simon Preisinger werden als „offizielle Betreiber der Homepage“ genannt, Tanja F., die Ehefrau des Hauptverantwortlichen des Kameradschaftsverbunds, stellte die Telefonnummer des Netzes. Presserechtlich verantwortlich für Flugblätter und andere Druckerzeugnisse gaben sich dem Urteil nach Norman Kempken, Matthias Bauerfeind, Stefan Friedmann, Sebastian Schmaus sowie Robin Siener.
Laut den Behördenakten wurde „den Kameraden vom Freien Netz Süd“ im Juni 2011 für ihren „Einsatz um Strukturaufbau und Vernetzung des nationalen Lagers“ ein Förderpreis eines NPD-Presseorgans zuerkannt.
Die Aktivitäten des Netzwerkes außerhalb von Bayern seien zu unbedeutend und nicht kontinuierlich genug ausgefallen, um die Zuständigkeit der Landesbehörden zu verneinen.
„Der III. Weg“
So wie, was der Fachjournalist Robert Andreasch betont, bereits das Verbot der FAF durch die Weiterführung der damaligen Aktivitäten im FNS „letztlich konsequenzlos für die bayerische Neonaziszene blieb“, hatte die Szene dieses Mal sogar Vorlaufzeit, um weitere Strukturen aufzubauen.
Selbst die aktuelle Klageabweisung stellt im Gegensatz zu damals direkt fest, „dass sich in den letzten Monaten vor dem Verbot einige [FNS] Aktivisten dem ebenfalls rechtsextremistisch ausgerichteten ‚Dritten Weg’ (auch: ‚III. Weg’) angeschlossen haben.“ Allerdings: „Dass der ‚Dritte Weg’ die Organisationsstrukturen des FNS übernommen hätte und dessen Kampagnen unverändert fortführen würde, ist jedenfalls für den hier maßgeblichen Zeitpunkt der Verbotsverfügung nicht ersichtlich.“ So könnte wie einst nach dem Verbot der FAF dem FNS auch dem „Dritten Weg“ einige Jahre neonazistischer Agitation und Aggression von den Behörden eingeräumt werden. Schlimmer noch: Die Neonazis scheinen aus den den Vereinsverboten gelernt zu haben und organisieren sich jetzt explizit länderübergreifend. Auch, dass die Hürden eines Parteiverbotes sehr viel höher liegen als bei einem Verein, ist den Neonazis bewusst. Robert Andreasch von der antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München kommentiert:
„‚Inszeniertes Durchgreifen’ nennen die Fachjournalist_innen Torben Heine und Henrike Claus in einem im Herbst 2012 in der antifaschistischen Zeitschrift ‚Lotta’ erschienenen Artikel solche plötzlichen staatlichen Repressionsmaßnahmen, wie die jetztige Großrazzia gegen das FNS. Herrmann inszeniert sich als zentraler Akteur gegen rechts, will das Neonazi-Problem mit juristischen und polizeilichen Mitteln lösen. ‚Leitbild ist der ’starke Staat’’, wie Heine und Claus schreiben, und bei all den extremismustheoretischen und ‚ordnungspolitischen Deutungsmustern’ bleibt schließlich kaum Raum für gesellschaftlichen Widerstand gegen Neonazis.“
Heute bezeichnet der Verfassungsschutz die Neonazipartei als „geistige Brandstifter“ und geht laut SWR von einer bedeutenden Rolle des „III. Weges“ für Brandanschläge aus.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Klägergruppe prüfe nach eigenen Angaben „eine umfassende Verfassungsbeschwerde“. Noch stehen ebenfalls Gerichtsentscheide zur Beschlagnahmung und Einziehung des Gebäudes „Nationales Zentrum Hochfranken“ in Oberprex und der Warenbestände des „Final Resistance“ Versandes („True NS Streetwear“) aus. Beides rechnen die Behörden der Struktur des FNS zu.